Doppel-Wow: Diakonie geht neue Wege in der Wohnungslosenhilfe

Wichern-Wohnungslosenzentrum vereint Hilfen mit einem einzigartigen Raumkonzept

Timo Staschelt, Leiter der Wohnungslosenhilfe, vor dem neu gestalteten Wichern-Zentrum. Hier gibt es Hilfsangebote, Beratung und eine neue Form der Willkommenskultur. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

„Wow – mal weg vom Klischee“, mit diesem Zitat einer Besucherin begrüßte Uta Schütte-Haermeyer, Geschäftsführerin Diakonisches Werk Dortmund, die über 60 Gäste der Eröffnung des komplett renovierten Wichern-Wohnungslosenzentrums. Tatsächlich: Wow – denn hier ist vieles anders als man erwartet.

„Hier ist nur der Kamin alt – und das ist richtig so“

Uta Schütte-Haermeyer, Geschäftsführung Diakonisches Werk Dortmund begrüßt Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

„Die besten Räume für die verletzlichsten Menschen“ – nach diesem Prinzip, so Schütte-Haermeyer, sei beim Umbau des Wichern-Zentrums gehandelt worden. Nichts Gebrauchtes, Abwaschbares, Einfaches, nur weil es vielleicht praktischer ist, war die Prämisse – entstanden ist u.a. ein Wohnzimmer mit Bibliothek, in dem „nur der Kamin alt ist und das ist auch richtig so“.

Das vor allem durch Spenden und ehrenamtliches Engagement ermöglichte Wohnzimmer bildet den Mittelpunkt des insgesamt für fast eine Million Euro sanierten Wichern-Zentrums. Ein Zentrum mit Vorbildcharakter, denn es präsentiert sich nicht nur optisch ansprechend, sondern verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der verschiedene Hilfsangebote unter einem Dach vereint. 

Hier gibt es niedrigschwellige und ganzheitliche Hilfe

Pfarrer Niels Back, Geschäftsführer
Diakonisches Werk Dortmund Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Außer dem Wohnzimmer gibt es hier einem Ruheraum, die Wichern-Suppenküche, Möglichkeiten sich zu duschen oder Kleidung zu waschen, medizinischen Untersuchungsräumen sowie ein umfassenden Beratungs- und Hilfsangebot.

Pfarrer Niels Back, ebenfalls Geschäftsführer des Diakonischen Werks Dortmund, sieht darin die Stärke des Konzepts: „Wir haben hier alle Möglichkeiten Impulse zu setzen und dabei zu unterstützen, dass Menschen vielleicht bald wieder ein eigenes Wohnzimmer beziehen können.“ 

Back verweist auf eine in 2022 veröffentlichte Studie der Gesellschaft für innovative Sozialforschung (GISS) im Auftrag des Landes NRW. Sie zeigt, dass weit mehr Menschen in Dortmund von Obdachlosigkeit betroffen sind, als bisher bekannt war und dass die stadtweite Wohnungslosenhilfe verstärkte Anstrengungen unternehmen muss, um Obdach- und Wohnungslose zu erreichen, die bisher noch nicht ins Hilfesystem integriert sind.

Kontroverse Diskussion, aber immer solidarisch

Volles Haus: das Wohnzimmer zur Eröffnung des Wichern Wohnungslosenzentrums Stephan Schuetze

Birgit Zoerner, Dezernentin für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Stadt Dortmund, weiß um die Herausforderungen. Sie empfindet die Eröffnung daher als „sehr guten Tag für die Stadtgesellschaft“.

Dass die Diskussionen über die Bedarfe und Instrumente für strukturelle Lösungen sozialer Probleme kontrovers geführt werden, empfindet sie als engagiert und richtig auf dem gemeinsamen Weg allen Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Ihr Dank gilt allen Engagierten, sie erlebe „Dortmund als solidarisch“.

Tatsächlich basiert vieles im neu gestalteten Wichern-Zentrum auf der Idee der Solidarität und des Miteinanders. Es geht um Würde und eine Begegnung auf Augenhöhe oder – wie Pfarrer Back es auch ausdrückt – eine besondere Art der Willkommenskultur. Grüne Plüschsessel, Holzmöbel, schöne Farben – all dies ist eben kein überflüssiger „Schnick-Schnack“, sondern trägt wesentlich zu einem anderen Erleben und zu einer schöneren Atmosphäre bei. Das übertrage sich auch auf die Nutzer:innen: „Diese Räume sollen Kraft geben und sagen: Ich bin etwas wert“ – so Back. 

Schlafen ohne Angst, einfach mal Energie aufladen

Timo Stascheit, Leiter der Wohnungslosenhilfe, im neu gestalteten Ruheraum des Zentrums. Stephan Schuetze

Timo Stascheit ist Leiter der Wohnungslosenhilfe und berichtet bei seiner Führung durch das Haus von ersten Erfahrungen mit dem neuen Konzept. Die Ohrensessel seien immer als erste belegt und wer keines der Betten im Ruheraum bekommen hat, der macht darin auch schon mal ein Nickerchen.

Wichtig ist ihm auch, dass sich hier niemand Sorgen um seinen Besitz machen muss, denn während die Angebote genutzt werden können, ist alles in Schließfächern sicher verwahrt.

Und ja, es gibt hier natürlich auch Internetzugang, WLAN und Ladestationen für das Handy.  Aber das ist eigentlich kein Luxus, sondern im Gegenteil, für das Leben auf der Straße ist es überlebenswichtig.

Auch die Küche ist ein wichtiger Bestandteil des neuen Hauses und auch sie hat sich verändert. Erstmals gibt es hier keinen Bedienungstresen, an dem ich erst fragen muss, ob ich vielleicht einen Kaffee bekommen kann. Das Konzept setzt auf ein Miteinander, auf Selbstbedienung und ermöglicht damit auch ein Stück Selbstbestimmung.

Eine Bücherwand voller Geschichten bietet Perspektiven

Christiane Schaefer-Winkelmann (l.) hat sich ehrenamtlich für die Bibliothek eingesetzt – sie zeigt Pfarrerin Heike Proske ihre Schätze, hier z.B. einen Spitzweg-Bildband Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Am Ende des Rundgangs stehen wir wieder im Wohnzimmer. An der Stirnwand ist eine große Bibliothek entstanden, rund um einen historischen Holzkamin. Darüber ein großer Fernseher, der neben aktuellem Programm auch mal Fußball oder Kunstwerke zeigt.

Ein Konzept, das der Dortmunder Architekt und Innenraum-Designer Andreas Georg Hanke ehrenamtlich mit Christiane Schaefer-Winkelmann entwickelt hat. Schaefer-Winkelmann hat sich auch um die Auswahl und Anschaffung der Bücher gekümmert. Auch hier sollten es keine „Ladenhüter mit Eselsohren“ sein.

Stattdessen galt das Motto „Eins für mich, eins für dich“ und alle Bücher wurden durch Beteiligung von Dortmunder Buchhandlungen und deren Kundschaft angeschafft. Weltliteratur, Krimis, Romane, Lexika – Christiane Schaefer-Winkelmann legte Wert auf Vielfalt, Qualität und Aktualität. Wie kommt das an? „Am beliebtesten sind aktuell Atlanten und Bildbände“, erzählt sie. Was vermutlich an der Sprache liegt. Wörterbücher sind daher auch im Regal. Ob durch Wort oder Bild – in jedem Fall sind die Bücher Anstoß für Erinnerungen, Gedanken und Gespräche und sie eröffnen Perspektiven. 

Auch Pfarrerin Heike Proske, Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund hat damals mitgemacht. In einer Buchhandlung in Hoerde hatte sie das Schild gesehen und neben ihrem Buch auch einen Gutschein für das Projekt erworben. Gibt es aktuell eigentlich eine Bibel im Regal? „Gab es,“ erzählt Schaefer-Winkelmann. Aber sie wurde wohl mitgenommen. Für Pfarrerin Proske durchaus ein gutes Zeichen. Sie wird eine neue Bibel für das Wohnzimmer anschaffen und hofft, „dass dieser neue Ort sich mit Ideen, Wärme, Empathie und Achtsamkeit füllt.“ 

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