Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“ wurde im FZW verhandelt

Volksverhetzung: Fünf Neonazis wurden in Dortmund zu Geldstrafen verurteilt

Das Landgericht sah in der Parole eine Aufstachelung zum Hass und eine Störung des öffentlichen Friedens.
Das Landgericht sah in der Parole eine Aufstachelung zum Hass und eine Störung des öffentlichen Friedens. Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

Urteil im großen „Antisemit“-Verfahren vor dem Landgericht in Dortmund: Nach sieben Monaten Verhandlung und 3,5 Jahre nach der Tat sind fünf Neonazis wegen Volksverhetzung zu Geldstrafen verurteilt worden. Fünf weitere jedoch wurden bei dem Verfahren, welches aus Platzgründen im Freizeitzentrum-West (FZW) stattfand, freigesprochen. Das Verfahren hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht. Im Kern der Anklage stand die mögliche Strafbarkeit der Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“.

„Ideologische Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“ attestiert

Die Demos wurden von der Partei „Die Rechte“ angemeldet, welche sich nach Ansicht der Kammer durch eine „ideologische Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auszeichnet“. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Dass diese – insbesondere wegen der Rahmenbedingungen bei der Doppel-Demo in Dorstfeld und Marten im September 2018 – strafbar sei, daran ließ die Kammer in der Urteilsbegründung keinen Zweifel. In der Gesamtschau sei es objektiv wahrnehmbar, dass die Parole geeignet sei, zum Hass gegen in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden aufzustacheln und eine feindselige Haltung zu erzeugen.

Einen anderen Schluss und einen anderen Adressaten vermochte das Landgericht nicht erkennen.  Die Demonstrationen hätten zum Ziel gehabt, einen territorialen Anspruch zu formulieren („Unser Kiez“) und andere – hier konkret Menschen jüdischen Glaubens – auszuschließen. Anders sei dies bei der „objektiven Gesamtwürdigung der Begleitumstände“ nicht zu interpretieren. Denn das nationale bzw. nationalistische Anliegen sei auch durch andere Parolen zum Ausdruck gebracht worden. 

Zudem sei neben Pyrotechnik auch eine Vielzahl von Reichskriegsflaggen zum Einsatz gekommen, die an nationalsozialistische Aufmärsche erinnerten. Diese werden als „Ersatzsymbol“ für rassistische und nationalistische Zwecke verwendet, weil sie  juristisch nicht sanktioniert seien. Außerdem seien die Demos von der Partei „Die Rechte“ angemeldet worden, welche sich nach Ansicht der Kammer durch eine „ideologische Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auszeichnet“.

Aufstachelung zum Hass und Störung des öffentlichen Friedens

Für jeden Außenstehenden sei erkennbar gewesen, dass sich die Teilnehmenden an den Demos „erkennbar mit dem Nationalsozialismus identifizieren, der untrennbar mit der Judenvernichtung verbunden ist“, so das Gericht. Der rechtsradikale Ursprung der beklagten Parole sei eindeutig: „Objektiv ist diese geeignet, zum Hass gegen Juden in Deutschland aufzustacheln.“ 

Könnte die Polizei diese Provokationen durch mehr Beamte vorn vornherein verhindern? Sicher nicht.
Der rechtsradikale Ursprung der beklagten Parole war für das Gericht eindeutig: „Objektiv ist diese geeignet, zum Hass gegen Juden in Deutschland aufzustacheln.“ Bild: Marcus Arndt für Nordstadtblogger.de

Die Angeklagten seien sich dessen bewusst gewesen – von einem „Verbotsunrecht“ hätten sie nicht ausgehen können. Sie hätten zum Hass aufgestachelt. Die Demo habe zum Ziel gehabt, den öffentlichen Frieden empfindlich zu stören, auch wenn nicht alle verbotenen Parolen im Auflagenbescheid hätten aufgeführt werden können. Eine solche Liste ist nicht abschließend, die Teilnehmenden seien sich der „Bedrohlichkeit bewusst“ gewesen. 

Daher wurden fünf der zehn Angeklagten wegen Volksverhetzung verurteilt. Zu ihren Gunsten berücksichtigt wurde, dass die Tat mehr als dreieinhalb Jahre zurück liegt und auch die überlange Verfahrensdauer. Andererseits waren drei der Verurteilten bereits mehrfach vorbestraft – und das auch einschlägig, was zu ihren Lasten ausgelegt wurde. 

Sie wurden für das Skandieren der Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ zu Geldstrafen von 100 bis 150 Tagessätzen zwischen 30 und 50 Euro verurteilt. Teilweise wurden neue Gesamtstrafen für noch nicht vollständig verbüßte andere Urteile gebildet. Gegen die fünf weiteren Angeklagten gab es rechtliche bzw. tatsächliche Freisprüche – entweder weil diese nicht zweifelsfrei als Teilnehmer identifiziert werden konnten oder aber ihnen das Skandieren der angeklagten Parole nicht nachgewiesen werden konnte.

Antisemitische Propaganda kann nicht ohne Konsequenzen verbreitet werden

Volles Haus – zumindest auf der Anklagebank: Zehn Angeklagte und zehn Verteidiger:innen nahmen im FZW Platz. Fünf Angeklagte wurden verurteilt. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Prozessbeoachter:innen begrüßten die Urteile, so auch die Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit (ADIRA) in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Dortmund:

„Die Parole ist aus unserer Sicht eindeutig als antisemitisch zu bewerten, zumal die Neonazis hier ein positives Selbstbild als ,Antisemiten’ entwerfen. Es ist daher ein wichtiges Zeichen, dass das Landgericht hier Volksverhetzung erkennen konnte. Damit wird deutlich, dass die Neonazis ihre antisemitische Propaganda nicht ohne Konsequenzen verbreiten können“, sagt Micha Neumann, Leiter der Beratungsstelle ADIRA. 

Gerade vor dem Hintergrund, dass Dortmunder Neonazis regelmäßig ihr antisemitisches Weltbild zur Schau stellten und dabei die Grenzen zur Strafbarkeit ausloteten, sei dies von Bedeutung. „Antisemitismus ist ein wesentliches Element des Rechtsextremismus, es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Neonazis selbst als Antisemiten ausweisen – das allein ist aber noch nicht strafbar. 

„Wenn es allerdings um die öffentliche Verbreitung antisemitischer Parolen geht, muss dies entsprechend strafrechtlich verfolgt werden. Wir sind zufrieden damit, dass das Landgericht explizit auf den antisemitischen Gehalt der Parole eingegangen ist. Zentral war die deutliche Benennung dessen, dass die Aussage geeignet ist, zum Hass gegen Jüdinnen und Juden aufzurufen, sowie die Erwähnung der ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus, der untrennbar mit der Vernichtung von jüdischen Menschen verknüpft ist“, erklärt Johanna Lauke, Beraterin bei ADIRA. 

Urteile dienen als Ermutigung für Betroffene von Antisemitismus

„Antisemitismus - Dagegen habe ich was.“ Aufkleber in der Nordstadt. Foto: Alex Völkel
„Antisemitismus – Dagegen habe ich was.“ Aufkleber in der Nordstadt Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Auch für Betroffene könnten die Verurteilungen ein positives Signal senden: „Betroffene von antisemitischen Straftaten sehen bisher leider oft davon ab, eine Anzeige zu stellen, weil sie befürchten, dass die Täter am Ende keine rechtlichen Konsequenzen erfahren. Dass dies nun hier anders ist, kann das Vertrauen in das Rechtssystem stärken“, stellt Johanna Lauke fest. Es sei ermutigend, zu sehen, dass der Rechtsstaat antisemitische Parolen auch eindeutig als solche bewerte und entsprechend verurteile. 

„Wir werden weiterhin Betroffene dabei unterstützen, sich gegen Antisemitismus zur Wehr zu setzen und die Entscheidung des Gerichts ist ein Schritt in die richtige Richtung in der rechtlichen Bekämpfung von Antisemitismus“, so die Berater:innen von ADIRA.

Trotzdem geben die beiden zu bedenken, dass es bei der betreffenden Demonstration im Jahr 2018 keinen zivilgesellschaftlichen Protest gegen den antisemitischen Auftritt der Neonazis gab. „Daher sind wir weiterhin alle in Dortmund gefragt, wenn es darum geht, Antisemitismus wirksam entgegen zu treten. Denn Antisemitismus kann nicht nur in Gerichtssälen verhandelt werden, sondern muss in allen Bereichen unserer Gesellschaft bekämpft werden. Dies erfordert couragiertes Handeln“, so die Forderung der Mitarbeiter:innen von ADIRA. 

Polizei erwartet eine Wirkung auch über die Grenzen Dortmunds hinaus

Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange.
Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange. Foto: Leopold Achilles

Zufrieden ist auch die Dortmunder Polizei mit dem Ausgang des Verfahrens: Sie hatte im September 2018 im Nachgang zu den Versammlungen Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen mehrere bekannte Rechtsextremisten eingeleitet. Neben der skandierten Parole wurde das Gesamtgepräge der Versammlung mit einbezogen, welches auf ein Klima der Angst und Einschüchterung ausgelegt war.

Polizeipräsident Gregor Lange sieht in den heutigen Urteilen eine Bestätigung der konsequenten Linie der Dortmunder Polizei im Kampf gegen den Rechtsextremismus: „Die Urteile des Dortmunder Landgerichts sind ein starkes Signal gegen den Rechtsextremismus und vor allen Dingen gegen menschenverachtenden Antisemitismus auch in unserer Stadt“, so Lange. 

„Natürlich muss die Rechtskraft der Urteile zunächst abgewartet werden, aber die strafrechtlichen Konsequenzen für die angeklagten Extremisten begrüße ich ausdrücklich. Im Hinblick auf die in Dortmund lebende jüdische Gemeinde zeigen die Urteile, dass der Rechtsstaat wehrhaft ist und bleibt, ganz besonders im Bereich der unerträglichen antisemitischen Hetze. Ich gehe davon aus, dass diese Urteile ihre Wirkung auch über die Grenzen Dortmunds hinaus entfalten werden“, so der Dortmunder Polizeipräsident.

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Reaktionen

  1. Ulrich Sander

    Und was ist mit dem Innenminister?

    Am 21. September 2018 stellte sich endgültig heraus, dass Dortmund zum Experimentierfeld der Nazis wurde, die immer mal etwas neues ausprobierten. Völlig ungehindert durften Nazis mit antisemitischen Parolen durch Dortmund ziehen. Mitten hinein in die Chemnitz- und Maaßen-Skandale platzte für alle sichtbar ein Polizeiskandal der CDU-NRW. Der Innenminister des Landes Herbert Reul (CDU) war an jenem Freitag, 21. Sept. in Dortmund, um alle Polizeiaktivitäten zu leiten und um sich selbst an die Spitze der „wichtigsten“ Aktion zu stellen: das Vorgehen gegen die Ausländerkriminalität (ausländische Clans sind seine Hauptgegner), völlig ohne speziellen Anlass und nur als Manöver. Ich sage: Das war eine rassistische Polizeiaktion. Da blieb kaum Polizeikraft übrig für die Bekämpfung der Nazis. Es wurde gerufen: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“, andere haben gehört „Israel ist unser Unglück“ und „Euer Grundgesetz schützt auch Antisemiten“. Das Gericht hat gegen die Neonazis nun verhandelt und ein schwaches Urteile verkündet. Das Versagen von Reul war kein Thema.

  2. Mann mit Hakenkreuz auf Schlafsack – Bundespolizei ermittelt (PM)

    Am Sonntagmorgen (26. Juni) kontrollierten Bundespolizisten einen 56-Jährigen am Dortmunder Hauptbahnhof. Auf dem Schlafsack des Mannes befand sich ein Hakenkreuz.

    Gegen 10 Uhr suchte ein 48-jähriger Dortmunder die Wache der Bundespolizei am Hauptbahnhof Dortmund auf. Er gab an, dass gegenüber einem Lebensmittelgeschäft eine Person mit einem Schlafsack liegen würde, auf dem ein Hakenkreuz gemalt sei. Die Einsatzkräfte trafen vor Ort auf den 56-Jährigen, welcher neben dem besagten Schlafsack stand.

    Der Deutsche äußerte gegenüber den Beamten, dass ihm eine andere Person das verfassungswidrige Symbol aufgemalt haben muss, als er geschlafen habe. Von der Tat selbst habe er nichts mitbekommen. Bemühungen, das Hakenkreuz zu entfernen, habe er bisher nicht unternommen.

    Die Einsatzkräfte forderten den Polizeibekannten auf, das Symbol zu entfernen bzw. unkenntlich zu machen. Der 56-Jährige war bereits in der Vergangenheit unter anderem wegen Volksverhetzung in Erscheinung getreten. Bundespolizisten leiteten ein Ermittlungsverfahren wegen der Verwendung von verfassungswidrigen Kennzeichen ein.

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