„Ungesehen“: Podiumsdiskussion und Ausstellung gibt Einblicke hinter die Vorurteile über Roma in der Nordstadt

Ausstellung von bickup des Projekt Ungesehen in der Berswordthalle. Portraits und Lebensgeschichte von Sinti und Roma aus NRW.
Die Ausstellung „Ungesehen“ ist bis 22. Februar in der Berswordthalle zu sehen. Fotos: Klaus Hartmann

Einen spannenden Blick auf die Menschen hinter den Vorurteilen wirft das Projekt „Ungesehen“. In einer Ausstellung in der Berswordthalle sind vielfältige Lebensgeschichten von Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen zu sehen. Nicht weniger spannend war die Podiumsdiskussion im Dortmunder Ratssaal.

Chancen und Herausforderungen der Roma-Herausforderung

Podiumsgespräch im Ratsaal zum Thema: Neuzugewanderte Roma aus Bulgarien und Rumänien. Sebastian Kurtenbach, Zentrum interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung e. V.
Sebastian Kurtenbach (re.) vom Zentrum interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung  der Uni Bochum.

„Neuzugewanderte Roma aus Bulgarien und Rumänien. Chancen und Herausforderungen“ war das Thema. Im Fokus stand die Vermittlung von Wissen und Fakten zur Situation von in Nordrhein-Westfalen und insbesondere in Dortmund lebenden Roma, aber auch die persönliche Erfahrung der Betroffenen.

Am Podiumsgespräch nahmen Roman Franz vom NRW-Landesverband Deutscher Sinti und Roma e.V., Ali Sirin vom Planerladen, Michaela Schotsch von der Beratungsstelle Westhoffstraße, Sebastian Kurtenbach vom Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung der Ruhruni Bochum und Merfin Demir von Terno Drom, der Interkulturellen Jugendorganisation von Roma und Nichtroma in NRW teil.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Nordstadtblogger Alexander Völkel. Sowohl die Ausstellung als auch die Podiumsdiskussion wurde von BIKUP, der Internationalen Gesellschaft für Bildung, Kultur und Partizipation, veranstaltet.

Es kamen viele Roma nach Deutschland – aber nicht nur Arme

Podiumsgespräch im Ratsaal zum Thema: Neuzugewanderte Roma aus Bulgarien und Rumänien. Varinia Fernanda Morales, bikup
Veranstaltete Ausstellung und Diskussion: Varinia Fernanda Morales von BIKUP.

Veranstalterin Varinia Fernanda Morales verwies darauf, dass zwischen 250.000 und 300.000 Roma in Deutschland leben. Knapp ein Drittel seien erst in den letzten Jahren eingewandert – aber nur ein kleiner Teil davon als Armutszuwanderer.

Aber natürlich seien in die Nordstadt vor allem Armutszuwanderer angekommen: „Überall verlassen Menschen aus Armut ihr Land, doch das ist nicht romatypisch“, betont Roman Franz. Wie man mit ihnen umgehen soll und wie man ihnen helfen kann, dafür gibt es noch wenig Ansätze: „Viele kommunale Einrichtungen haben bei uns uns nach Lösungen für das Problem gefragt“, berichtet Merfin Demir von Terno Drom. „Unsere eigentliche Aufgabe besteht aber in der Selbstorganisation der Roma. Wir wurden davon auch überrollt.“

Mittlerweile hätten sie sich zu Experten für Südosteuropa gemausert: „Es gibt immensen Fortbildungsbedarf in Sachen Roma“, so Demit. Auch in Dortmund war sein Verein schon aktiv und hat das Projekt „Schrittweise“ beraten.

Roma erlebten Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung

Podiumsgespräch im Ratsaal zum Thema: Neuzugewanderte Roma aus Bulgarien und Rumänien. Ali Sirin, Planerladen
Ali Sirin vom Planerladen ist seit Jahren mit dem Thema Zuwanderung in der Nordstadt befasst.

„Roma sind Verlierer des Zusammenbruchs des Kommunismus“ macht Michaele Schorsch von der Beratungsstelle Westhoffstraße deutlich. „Damals hatten sie Arbeit und wurden zumindest auf dem Papier gleichbehandelt. Danach folgte Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung.“ Viele Roma hätten ihre Länder verlassen, auch zahlreiche Vertreter der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung. Zuerst zog es sie in Länder mit romanischen Sprachen –  Italien und Spanien.

Wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise seien sie dann nach Deutschland gekommen. Doch warum nach Dortmund? Eine Gruppe sei schon ansässig gewesen – sie sprächen dieselbe Sprache. „Es gibt eine ethnische Ökonomie: Man kann ohne deutsche Sprachkenntnisse Arbeit finden, auch illegal“, hat Sebastian Kurtenbach bei der Ursachenermittlung herausgefunden. „Außerdem gibt es Wirtschaftsunternehmen, die auf die Bedürfnisse der Zuwanderer zugeschnitten sind.“ So gebe es beispielsweise „Western Union“, die einen Geldtransfer in die Heimatländer ermögliche. „Es gibt hier also Chancen, Bildungseinrichtungen und eine soziale Infrastruktur für die Zuwanderer.“

Nordstadt als Ort des Ankommens – Ausländerquote von 43 Prozent

Podiumsgespräch im Ratsaal
Roman Franz, Alexander Völkel und Michaela Schotsch (v.r.) diskutierten im Dortmunder Ratssaal.

Die aktuellen Bevölkerungszahlen sprechen eine deutliche Sprache: 585.045 Menschen wohnten Ende 2013 in Dortmund, davon 81.656 Menschen mit einem ausländischen Pass. Das entspricht einer Quote von 14 Prozent. In der Nordstadt sieht dies anders aus: 54.992 Menschen leben hier – 23.886 davon haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Ausländerquote liegt bei 43 Prozent. „Die Nordstadt ist Ort des Ankommens“, verdeutlicht Ali Sirin. „Sobald man sich etabliert hat, geht man in andere Viertel.“

Kein neuer Prozess – aber einer, in der mal wieder viele Medien eine wenig schmeichelhafte Rolle spielen: „Schon 1973 titelte der Spiegel: Ghettos in Deutschland – schon eine Million Türken.“, erinnerte Michaela Schotsch. „Zeitungen verkaufen sich am besten mit solchen Schlagzeilen.“ Allerdings gebe es in Dortmund ein Umdenken, bekundet Ali Sirin: „Lokalmedien berichten objektiver über Zuwanderung.“ Lob gab es in diesem Zusammenhang für die „Nordstadtblogger“.

Rahmenbedingungen in Rumänien und Bulgarien verbessern

Podiumsgespräch im Ratsaal, Gamze Çalışkan
Gamze Çalışkan (Mitte) arbeitet im Projekt IRON – Integration von Roma in der Nordstadt.

Doch das Ganze ändert nichts an den großen Herausforderungen: Viele arme Menschen, schlecht ausgebildet und ohne Chancen auf eine berufliche Perspektive kamen nach Dortmund. An den Hilfen für sie und ihre Integration müsse nun mit aller Kraft gearbeitet werden. Es gebe viele gute Ansätze in der Nordstadt und auch gute Chancen. Nicht zuletzt, weil viele der Zuwanderer Kinder seien, die schnell lernten. Zudem beginne langsam ein Umdenken auf allen Ebenen bis hin zur EU – wenn auch zwei bis drei Jahre zu spät.

Der Schlüssel sei jedoch, dass die EU nun endlich massiv die Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern verbessere, befanden alle Diskutanten einhellig. Zwar stünden Milliarden Euro zur Verfügung. Doch bürokratische Hürden und fehlende Strukturen behinderten eine effektive Hilfe vor Ort. „Wir können die Bedingungen hier gar nicht so schlecht machen, dass die Menschen nicht mehr kommen“, erinnert Moderator Alexander Völkel. „Diese verfehlte Politik in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben in Frankreich und Italien erst die Slums geschaffen, die wir alle hier vermeiden wollen.“

Begegnung und Austausch zwischen Sinti und Roma und der Mehrheitsgesellschaft

Ausstellung von bickup des Projekt Ungesehen in der Berswordthalle. Portraits und Lebensgeschichte von Sinti und Roma aus NRW.
Die Ausstellung zeigt Portraits und Lebensgeschichten von Sinti und Roma aus NRW.

Doch bis zum 22. Februar ist die Ausstellung „Ungesehen“ in der Berswordthalle zu sehen – eine von vier Stationen in NRW. Das Projekt “Ungesehen“ schafft Begegnung und Austausch zwischen Sinti und Roma und der Mehrheitsgesellschaft und regt zur gegenseitigen Sensibilisierung an.

Durch die fotografische Wanderausstellung und die anschließenden Podiumsdiskussionen werden einerseits positive Lebensgeschichten, die als Vorbild fungieren, vorgestellt und darüber hinaus auf die Situation der Sinti und Roma in der deutschen Gesellschaft zum Beispiel in bildungspolitischer- und asylrechtliche Hinsicht aufmerksam gemacht.

Weitere Links zum Thema auf nordstadtblogger.de:

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