Prozessauftakt am 7. März 2024 zu einem Femizid in Dortmund

SERIE Weltfrauentag: In Deutschland stirbt jeden dritten Tag eine Frau durch ihren Partner oder Ex

Die Frauenberatungsstelle in Dortmund kurz vor der Eröffnung im Jahr 1981. Foto: Frauenberatungsstelle Dortmund

Die Nordstadtblogger haben sich entschieden, in diesem Jahr anlässlich des Weltfrauentags am 8. März eine Themenwoche zu gestalten, mit interessanten Beiträgen rund um feministische Themen. Jeden Abend erscheint ein neuer Artikel.

Ab morgen muss sich ein Familienvater vor dem Dortmunder Landgericht verantworten. Er soll im Oktober 2023 mit einem Küchenmesser mehrfach auf seine Ehefrau eingestochen und sie damit tödlich verletzt haben. Dieser Fall ist nur einer von vielen Femiziden in Deutschland – Jede dritte Frau erlebt mindestens einmal in ihrem Leben häusliche oder sexualisierte Gewalt. Aber wie kommt es eigentlich zu Femiziden und kann man sie vermeiden?

Femizid kein Paragraph im Strafgesetzbuch – Die Folge ist eine hohe Dunkelziffer

Der Begriff Femizid wurde von Feministinnen geprägt und erstmals in den 1990er Jahren in den USA verbreitet. Etwa zehn Jahre später verwendeten Aktivistinnen im stark partriarchisch geprägten Lateinamerika eine abgewandelte Form des Worts, um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen.

Graphik: Frauenberatungsstelle Dortmund

„Als Femizid bezeichnet man die Tötung von Frauen oder Mädchen als extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt, die im Kontext patriarchaler Geschlechterdifferenzen verübt wird“, heißt es in dem 2023 erschienenen Buch „Gegen Frauenhass“ von Christina Clemm. Die feministische Soziologin Diana E.H. Russell definiert den Begriff Femizid als „Tötung einer oder mehrerer Frauen durch einen oder mehrere Männer, weil sie Frauen sind.“

Im Jahr 2021 verübten Männer 13 Mal pro Stunde Gewalt in der Partnerschaft. Beinah jeden dritten Tag stirbt in Deutschland statistisch gesehen eine Frau, getötet durch ihren (Ex-) Partner – die Dunkelziffer der Femizide ist vermutlich noch viel höher. Grund ist, dass es im deutschen Strafgesetzbuch keinen Straftatbestand des „Femizids“ gibt.

Die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt ist um 8,5 Prozent gestiegen

Die verübten Femizide werden dann nicht als solche strafrechtlich verfolgt: Stattdessen heißt es Körperverletzung, Totschlag oder Mord zum Nachteil der (Ex-) Partnerin. Die Folge: Viele Frauen beklagen ein geringes Strafmaß für die Täter, denn das Motiv des Frauenhasses rückt dadurch in den Hintergrund.

Bereits beim Straßenfest 1987 war Gewalt an Frauen ein Thema. Foto: Frauenberatungsstelle Dortmund

Einige Richter:innen argumentierten im Fall von Beziehungstaten, dass diese spontan erfolgten. Dabei werden Opfer von Femiziden häufig im Vorfeld schon Opfer häuslicher Gewalt. Diese kann sowohl bereits physisch, aber auch psychisch ausgeübt worden sein.

Viele Betroffene beklagen zudem ein „victim blaming“, eine Schuldzuweisung an die Opfer, ihnen werde negativ ausgelegt, sich nicht schon eher von dem Partner getrennt zu haben. Dass die Frauen im Fall von häuslicher Gewalt in eine Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit gezwungen werden, scheint keine Rolle zu spielen. Besorgniserregend ist, dass die erfasste Zahl der Opfer häuslicher Gewalt im Jahr 2022 um 8,5 Prozent auf 240.547 gestiegen ist, im Vergleich zum Vorjahr.

Die Tötung weiblicher Opfer durch Intimpartner ist die häufigste Form des Femizids

Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) hebt 2019 noch hervor, dass statistisch gesehen die vorsätzliche Tötung weiblicher Opfer durch Intimpartner oder Familienmitglieder die häufigste Form des Femizids ist. „Trennungssituationen sind besonders gefährliche Momente. Wenn eine Trennung ansteht, gucken wir, dass die Frauen da gut geschützt werden“, berichtet Martina Breuer von der Dortmunder Frauenberatungsstelle.

Martina Breuer bei der Vorstellung einer neuen Kampagne. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

In Europa werden nach Schätzungen des UNODC etwa 29 % der weiblichen Opfer von Tötungsdelikten vorsätzlich durch einen Intimpartner getötet. Doch gibt es weder in den EU-Mitgliedstaaten noch weltweit eine standardmäßige und abgestimmte Definition für Femizide.

Das erschwere die zahlenmäßige Erfassung von Femiziden, da diese Taten in den allgemeinen Daten über Tötungsdelikte unsichtbar werden. Mit Blick auf die Zukunft wünscht sich Breuer: „Täter müssen mehr in die Verantwortung genommen werden. Also wenn wir davon sprechen, dass jede dritte Frau in Deutschland Gewalt erlebt, dann muss es dazu auch die Täter geben.“

Wie können wir potentielle Täter frühzeitig erkennen?

„Das Lagebild sollte jeden aufrütteln: Häusliche Gewalt ist Alltag in Deutschland. Niemand darf die Betroffenen damit allein lassen. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein gravierendes Problem in allen gesellschaftlichen Gruppen“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Doch wie können wir potentielle Täter erkennen, wenn sie unsere eigenen Partner sind?

Foto: Frauenberatungsstelle Dortmund

Den „typischen“ Täter gibt es nicht – zumindest auf den ersten Blick. Indikatoren können aber Kontrolle, Eifersucht und Dominanz sein. „Nicht in jeder Gewaltbeziehung kommt es direkt zu körperlicher Gewalt. Oft fängt es viel subtiler an und es ist ein schleichender Prozess von Grenzüberschreitungen, die von den Betroffenen nicht unbedingt als psychische Gewalt erkannt werden,“ erklärt Ziborowius von der Frauenberatungsstelle. Sie führt weiter aus: „Frauen werden zum Beispiel niedergemacht, abgewertet und beleidigt. Es kommt aber auch zu Einschüchterungen und Bedrohungen. Häufig kontrollieren Partner auch die Aktivitäten und Kontakte der Frauen.“

Doch was tun, wenn man zum Opfer wird? Die Lage in deutschen Frauenhäusern ist weiterhin angespannt – Zu viel Bedarf, zu wenig Kapazitäten. Zu dem Schluss kommt eine Studie von „Correctiv.lokal“, die dokumentieren konnte, dass im Jahr 2022 die deutschlandweit ausgewerteten Frauenhäuser an 303 von 365 Tagen aufgrund von Überlastung keine Schutzsuchenden aufnehmen konnten.

Prozessstart in Dortmund: Femizid sorgte für große öffentliche Anteilnahme

Am 7. März 2024 ist der Prozessauftakt eines Femizids in Dortmund. Dem angeklagten Familienvater wird Mord, sowie ein versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen. Er soll am 10. Oktober 2023 mit einem Küchenmesser mehrfach auf seine Ehefrau eingestochen haben.

An der Brunnenstraße im Dortmunder Norden kam es im Herbst auch zu einem Femizid. Foto: Karsten Wickern

Diese habe zu diesem Zeitpunkt in der gemeinsamen Wohnung geschlafen. Der Ehefrau soll es noch gelungen sein, in die Küche der Wohnung zu fliehen. Dort soll sie dann im Bereich der Tür zum Flur der Wohnung tödlich verletzt zusammengebrochen sein. Der Angeklagte habe seiner Frau insgesamt 18 Stich- und Schnittverletzungen zugefügt.

Die Tochter des Opfers soll durch den Angriff wach geworden sein, auch sie soll der mutmaßliche Täter angegriffen haben. Die junge Frau wehrte sich mit Tritten und Schlägen und konnte fliehen – sie überlebte.

Falls Sie betroffen sein sollten oder Betroffene kennen, finden sie unter den folgenden Telefonnummern Hilfe:

Quellen:


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