
Verbotener Corona-Protest von „Widerstand 2020“, Corona-Leugner*innen, Impfgegner*innen und Verschwörungerzähler*innen im Frühjahr 2020 in der Dortmunder City. Archivbilder: Alex Völkel
Ein Gastbeitrag von Olaf Sundermeyer
Nach Beginn des Lockdowns zog der Pestdoktor einen Bollerwagen durch die Stadt, darauf ein kleiner weißer Kindersarg. Für ein Internetvideo hatte sich ein Aktivist der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ in das schwarze Kostüm der historischen Figur gekleidet. Dazu trug er einen Zylinder auf dem Kopf, einen Krähenschnabel aus Pappmaché im Gesicht, und lief zu diesem Untertitel durch Dortmund: „Glaubt man den Verlautbarungen der Herrschenden, müsste es vor Corona-Toten eigentlich nur so wimmeln.“
Er zieht den Sarg vorbei an der Corona-Diagnostik einer Klinik, an einem Bestattungshaus, bis in die Vorhalle der Reinoldi-Kirche. Danach setzt der „Pestdoktor“ zu einer Erklärung an: „Wir waren jetzt den ganzen Tag unterwegs und haben nach Corona-Toten gesucht“, sagt er, und dass man „nirgendwo einen gefunden“ habe. Am Ende steht seine Botschaft, die von der Rechten über die sozialen Medien verbreitet wird: „Es gibt einfach keine Corona-Toten!
Seit dem Frühjahr hatte die rechtsextreme Szene aus Dortmund die Pandemie auf ihren Kanälen zur Lüge erklärt. Auf dieser Grundlage waren ihre Aktivisten von Beginn an bei lokalen Anti-Corona-Protesten dabei und verteilten dort gebundene Ausgaben des Grundgesetzes.
Nach der Inszenierung und Verbreitung der angeblichen Corona-Lüge leiteten sie daraus die Umkehrung ab, dass die Bundesregierung das Land in eine Diktatur gewandelt habe. Während sie, die Rechtsextremisten, für Demokratie und Grundrechte einträten.

Die Neonazis Sascha Krolzig und Michael Brück verteilen Grundgesetze. Eine gezielte Provokation, da das Verteilen von was auch immer aus infektionsschutzrechtlichen Gründen untersagt wurde. Das Ein schreiten dagegen durch die Polizei schlachteten die Neonazis natürlich medial aus.
Auf ähnliche Weise erfolgte die Umkehrung inzwischen bei den professionellen Anti-Corona-Protesten des „Querdenken“-Netzwerkes, das sich im „Widerstandsrecht“ sieht. Dessen Einladung nach Dortmund folgten im August annähernd 3000 Menschen.
Dabei warfen einzelne Kundgebungsredner der Bundesregierung vor, die Bevölkerung über das Ausmaß der Pandemie anzulügen. Die Pandemie würde es in dieser Form gar nicht geben.
Bei dieser Gelegenheit luden die Querdenker den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einer Großdemonstration drei Wochen später nach Berlin ein, sowie den US-Präsidenten. Galt Donald Trump unter den Corona-Leugnern inzwischen als möglicher Befreier von der Corona-Diktatur.
Auch Aktivisten der „Rechten“ aus Dortmund folgten der Einladung nach Berlin, und versammelten sich ab dem Nachmittag vor dem Reichstagsgebäude. Gleichzeitig kursierte in einigen Telegram-Gruppen der „Querdenker“ die Behauptung, dass bereits amerikanische und russische Soldaten in der Hauptstadt seien.
In der aufgeheizten Atmosphäre rief eine Kundgebungsrednerin schließlich von einer Bühne vor den Stufen zum Reichstagsgebäude: „Wir schreiben hier heute Weltgeschichte“, und sie behauptete, die Polizei sei bereits übergelaufen, Trump in der Stadt.
„Wir haben gewonnen“, brüllte sie über Lautsprecher, nun werde man da hinaufgehen und sich „unser Haus“ zurückholen. Ein Mob von hunderten Rechtsextremisten folgte ihrem Aufruf, aus dem die bildstarke Inszenierung des Sturms auf den Reichstag wurde.
Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Sondermagazin „Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. Er wurde ermöglicht durch eine Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
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