Nach Kneipenschlägerei in Dortmund: Neonazi-Funktionär vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen

Zahlreiche Polizeikräfte und Justizwachtmeister sicherten den Prozessfortgang.
Erneut stand ein Neonazi in Dortmund vor Gericht – dieses Mal endete das Verfahren mit einem Freispruch.

Die Zeugin, die zugleich Opfer war, ist sich sicher: Matthias D., bekannter Neonazi aus Dortmund-Dorstfeld, habe sie vor zweieinhalb Jahren während eines Tumultes in der Gaststätte „Gänsemarkt“ niedergeschlagen. Wegen ihrer Beteiligung an dem Ereignis waren jüngst bereits zwei Kameraden des Angeklagten verurteilt worden. Während der in der Verhandlung schweigt, ergeben sich Ungereimtheiten bei den Angaben, die die Geschädigte macht. Obwohl die Vorsitzende Richterin an ihrer Glaubwürdigkeit keinen Zweifel hegt, muss sie den Kader der Partei „Die Rechte“ freisprechen. Die feiert das Urteil über Twitter und mit Sekt vor dem Amtsgericht.

Abgetrenntes Verfahren gegen Nazi-Kader Matthias D. vor dem Amtsgericht Dortmund

Dezember 2016: In einer Dortmunder Innenstadt-Kneipe kommt es zu einer Auseinandersetzung. Drei bekannte Neonazis geraten im „Gänsemarkt“ mit einer anderen Gruppe von Gästen aneinander, mit denen sie zuvor noch bierselig knobelten.

Sascha Krolzig (re), M.D. (li) und P.Z. (mi) - mit Rechtsanwalt Picker - stehen in Dortmund vor Gericht.
Sascha Krolzig (r.), Matthias D. (l.) und P.Z. (m.) mit Rechtsanwalt Picker beim Prozess wegen der Kneipenschlägerei. Foto (4): Alexander Völkel

Einer von ihnen: Sascha Krolzig, Co-Vorsitzender der lokalen Splitter-Partei „Die Rechte“. Es kommt zu Straftaten aus der Nazi-Gruppe heraus: versuchte gefährliche Körperverletzung, das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole sowie Volksverhetzung.

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Krolzig wurde wegen dieser drei Delikte kürzlich vor dem Dortmunder Amtsgericht zu einer Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt; ein Mittäter, P.Z., kam in demselben Verfahren wegen der beiden letzteren Vergehen mit einer Geldstrafe von 100 Tagesätzen a 30 Euro davon. Beide waren unter anderem mit dem für sie typischen, menschenverachtenden, diesmal strafrechtlich relevanten Jargon auffällig geworden.

Weil eine Vorladung nicht rechtzeitig zugestellt werden konnte, wurde das Verfahren gegen den Dritten im Bunde an diesem Kneipenabend abgetrennt und fand nun Ende vergangener Woche separat statt. Die Anklage gegen den in Dorstfeld ansässigen Matthias D. lautete auf Körperverletzung. Er soll während des Streits im „Gänsemarkt“ eine unbeteiligte Frau von hinten geschlagen haben, sodass sie zu Boden ging und kurzzeitig bewusstlos war.

Trotz Aussage des Opfers als Belastungszeugin: klarer Freispruch aus Mangel an Beweisen

Für die angesetzte Verhandlung gegen den Neonazi war das Opfer als einzige Zeugin geladen. Andere Zeugenaussagen zum Kneipengeschehen waren aktenkundig. Am Ende der etwa 35-minütigen Zeugenbefragung stand das Urteil für die Vorsitzende Richterin fest: Freispruch.

Damit stand sie nicht allein. Wohl auch zur Überraschung des den angeklagten Nazi-Kader vertretenden Anwalts, André Picker, entsprach der Urteilsspruch ebenso der Überzeugung der Staatsanwaltschaft.

Der Grund: es war nicht entscheidbar, ob der Neonazi-Funktionär die Zeugin wirklich geschlagen hatte – obwohl diese sich dessen sicher war. Doch dem Angeklagten konnte die Tat eben nicht zweifelsfrei zugeschrieben werden. Wegen der unzureichenden Beweislage zur Taturheberschaft – Matthias D. selbst äußerte sich nicht zu den Vorwürfen – musste daher am Ende die Unschuldsvermutung gelten.

In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten, so verlangt es unsere Rechtsordnung. Auch wenn so manchen BürgerInnen dabei der Hals anschwellen mag, weil in diesem Fall ihre Rechtsgarantien jenem Personenkreis zugute kommen, welcher sie rücksichtslos allen entzöge, die sich seinem völkischen Einheitsbrei entgegenstellten, wenn er nur könnte. Ein Blick in das 25-Punkte-Programm der Neonazi-Partei zur EU-Wahl genügt.

Neonazis feiern Urteil als „Sieg der Rechtsstaatlichkeit“, die sie benutzen und zugleich beseitigen wollen

Mit diesem auf dem Partei-Kanal getwitterten Foto ließ die Dortmunder Partei ihren Funktionär hochleben. Foto: Screenshot
Mit diesem auf dem Partei-Kanal getwitterten Foto ließ „Die Rechte“ ihren Funktionär hochleben. Foto: Screenshot

Kurz nach der Urteilsverkündung im Amtsgericht feiert die Partei, für die Deyda noch im Mai auf ihrer Kandidatenliste für das Europaparlament stand, denn auch den Freispruch des Kameraden. Es klingt wie nackter Hohn. In einem Tweet der Partei „Die Rechte“ ist von einem weiteren „Sieg der Rechtsstaatlichkeit gegen die Schikanen der Polizei Dortmund“ die Rede.

Beigefügt ist ein Bild, auf dem der Neonazi nach dem höchstrichterlichen Freispruch an den Stufen zum Amtsgericht Dortmund mit einem seiner Kameraden posiert. Da darf der Sekt nicht fehlen.

Wobei vollends unklar bleibt, von welchen „Schikanen der Polizei“ im Zusammenhang mit dem damaligen Polizeieinsatz infolge des Kneipengerangels in diesem Tweet überhaupt die Rede ist.

Denn wie im Prozess gegen Krolzig und P.Z. – belegt durch mehrere Zeugenaussagen – deutlich geworden war: wenn jemand bedrängt, drangsaliert hat, teils gewalttätig wurde, dann das Neonazi-Gespann selbst. Von den seinerzeit herbeigerufenen BeamtInnen dagegen scheint nicht mehr aktenkundig geworden zu sein, als dass sie ihre Pflicht getan haben.

Aussagen der Zeugin über den Tathergang erlauben keine eindeutige Tatzuordnung

Wie konnte es überhaupt zu dem Freispruch kommen, wenn sich die Zeugin über Taturheberschaft und (zu einem großen Teil auch) über den Tathergang so sicher war? Dass der Angeklagte ihr seitlich von hinten einen Schlag in den Nackenbereich versetzt habe, worauf sie zu Boden ging – davon ist sie fest überzeugt, wie sie in der Verhandlung zu Protokoll gibt.

Das könnte auch so gewesen sein, ist aber keineswegs erwiesen, weil sich im Laufe der Zeugenbefragung immer deutlicher herausstellte, dass eine zweifelsfreie Tatzuordnung anhand ihrer Angaben schlechterdings unmöglich ist. Mehr noch: neben inhaltlichen Ungereimtheiten gab es starke Anzeichen dafür, dass im Entstehungszusammenhang der von ihr erinnerten Ereignisse und interpretierten Kausalitäten unzulässige Suggestion eine Rolle gespielt haben könnte.

Damit aber stünde auch eine Erklärung dafür bereit, weshalb sich die Zeugin getäuscht haben könnte, obwohl sie nach bestem Wissen und Gewissen aussagte – was ihr die Richterin ausdrücklich bei der Urteilsbegründung bescheinigte: sie glaube ihr. Wenn sich die Geschädigte sicher war, während des Tumults in der Gaststätte von genau der Person den Schlag abbekommen zu haben, der jetzt auf der Anklagebank saß.

Angaben zur Täterschaft basieren nicht auf Beobachtung, sondern sind de facto eine Schlussfolgerung

Bei genauerer Nachfrage der Vorsitzenden Richterin stellte sich allerdings heraus, dass es sich hier lediglich um eine Annahme handelte: auf der Basis einer – gleichwohl nicht unplausiblen – Schlussfolgerung, die sie aus den Randbedingungen des Geschehens zog. Sie, die sie mit ihrem Bruder und einer Arbeitskollegin am Tresen stand, hatte nämlich während der Tat gar keinen Blickkontakt zum Täter.

Vielmehr leitete die Zeugin die Täterschaft aus dem Umstand ab, dass der Neonazi, neben Bruder und Arbeitskollegin, die einzige Person war, die sich – kurz bevor sie der Schlag unvorbereitet seitwärts von hinten traf –  in ihrer Nähe aufhielt. Wer hätte es demnach sonst sein sollen?

Dass es sich bei dieser Person, die sich nicht unweit von ihr aufhielt, um den Angeklagten handeln müsse, auch dessen war sich die Zeugin sicher. Denn sie hatte, ihren Angaben zufolge, zuvor mit dem ihr bis dahin unbekannten Angeklagten vor der Tür des „Gänsemarkts“ eine Zigarette geraucht. Aus diesem Grund habe sie sich später an das Gesicht des Mannes erinnern können. Auffällig an ihm: die Narbe auf der linken Wange – der zweifelsohne ein gewisser Wiedererkennungswert zukommt.

Anderer Zeuge will den Neonazi während des Gerangels die ganze Zeit festgehalten haben

Die Zeugin versichert: Es ginge ihr nicht um die politische Meinung des Angeklagten. Oder um Politik. Sondern – fast schon entschuldigend: lediglich darum, angstfrei ausgehen zu können. Abends, als Frau, als ältere Frau.

Wo und wann genau nach der Tat die Zeugin, als sie sich von dem Schlag erholt hatte und die Polizei angerückt war, eine Person als Täter erkannte, bleibt unklar. Tatsache ist: am nächsten Morgen, als sie ihre Aussage gegenüber den ErmittlungsbeamtInnen zu Protokoll gibt und ihr zur Identifizierung des Täters Bilderreihen vorgelegt werden, ordnet sie die Tat mit Bestimmtheit einer der gezeigten Personen zu: dem Mann mit der Narbe auf der Wange – dem Dorstfelder Neonazi.

Doch es gibt eine Reihe von Ungereimtheiten. So taucht in den polizeilichen Akten auf, dass die Zeugin am Tatabend noch angegeben hätte, ein Mann anderen Namens hätte die Tat begangen – einen Namen allerdings, von dem die Zeugin während der Verhandlung sagt, dass sie ihn bis jetzt, wo sie im Gerichtsaal damit konfrontiert wird, überhaupt nicht gekannt habe.

Gravierender ist: ein anderer Zeuge hatte zuvor bereits ausgesagt, er habe während des unübersichtlichen Tumultes am Tresen den Angeklagten die ganze Zeit festgehalten. Wäre dem so gewesen, schlösse dies den Neonazi als Täter aus. Was der Aussage Gewicht verleiht: der Mann war Teil jener Gruppe, mit der die Neonazis den Zoff angezettelt hatten. Ein Verschleierungsinteresse ist daher eher als gering zu bewerten, sofern kein Druck von Dritten ausgeübt wurde.

Identifikation des mutmaßlichen Täters seitens der Zeugin: falsch-positiver Treffer?

Schließlich, darauf verweisen Verteidigung wie das Gericht: als die Zeugin später bei der Polizei zum Tathergang vernommen wird und den Täter mit der Narbe unten an der linken Wange beschreibt, legen ihr die BeamtInnen zur Identifizierung der Person offenbar reihenweise generierte Bilder mit Gesichtern vor, die mit einer Ausnahme eins gemeinsam hatten: dass sie ohne Narbe waren.

Eine äußerst bedenkliche, weil suggestive Vorgehensweise, welche die Wahrscheinlichkeit eines falsch-positiven Treffers signifikant erhöht. Wegen ihres geringen Beweiswertes ist eine dergestalt entstandene Identifizierung daher kaum gerichtsverwertbar. Im Gegenteil: eine solche Vorgehensweise entlastet identifizierte Personen letztendlich.

Vor diesem Hintergrund kann die Richterin in ihrer Urteilsbegründung den Freispruch zwanglos rechtfertigen, ohne die Glaubwürdigkeit der Geschädigten oder die des zweiten Zeugen infrage stellen zu müssen. Die Zeugin verwechsele vermutlich das ihr vorgelegte Bild vom Angeklagten mit dem Angeklagten selbst, den sie deswegen – im Nachhinein – zum Tatzeitpunkt in ihrer Nähe am Tresen vermeinte wahrgenommen zu haben, so das Argument.

 

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