Die Steinwache gedenkt dem 80. Jahrestag der Deportationen

„Klänge des Lebens“: Neue Ausstellung zum Leben von Sinti, Roma und Jenischen in der NS-Zeit

Organisator:innen Markus Reinhardt und Krystiane Vajda stehen vor Markus' Familienfoto.
Organisator:innen Markus Reinhardt und Krystiane Vajda stehen vor Reinhardts Familienfoto. Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Mord, Verfolgung, Folter und strukturelle Ausgrenzung: Damit hatten Sinti, Roma und Jenischen in der NS-Zeit zu kämpfen. Doch wenige wissen oder sprechen darüber. Daher widmet sich die neue Ausstellung „Klänge des Lebens“ den Geschichten derjenigen, die ihre Geschichte nie erzählt haben. Die Ausstellung in der Steinwache ist vom 17. März bis zum 25. Mai 2023 an der Steinstraße 50 zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Auch Jenischen wurden als sogenannte „Zigeuner“ verfolgt

Ausstellungsorganisatorin: Krystiane Vajda
Ausstellungsorganisatorin Krystiane Vajda Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Obwohl die Jenischen eine andere Herkunft haben, wurden sie wie die Sinti und Roma unter dem Begriff „Zigeuner“ von den Nazis ausgegrenzt.

Auch die jenitische Volksgruppe waren Nomaden, haben ihre eigene Kultur, wie auch Sprache. Laut Krytiane Vajda, haben sie eine Historie als Gaukler und Schausteller.

Als „fahrendes Volk“  wurden sie – wie Sinti und Roma auch – diskriminiert, verfolgt, gefoltert und ermordet.

80. Jahrestag der Deportation als Anlass für die Ausstellung

Anlass für die Ausstellung  war unter anderem der 80. Jahrestag der Deportationen, berichtet der Leiter der Steinwache, Markus Günnewig. Der Bahnhof, von dem die Menschen deportiert wurden, war der ehemalige Dortmunder Ostbahnhof. Seit 1998 steht dort für die Sinti und Roma ein Gedenkstein. Drei Jahre später wurde dann ein Wandbild hinzugefügt.

Steinwachenleiter Markus Günnewig (links) und Historiker Stefan Klemp ist wichtig, das Thema ausführlicher zu behandeln.
Steinwachenleiter Markus Günnewig (links) und Historiker Stefan Klemp (rechts) ist wichtig, das Thema ausführlicher zu behandeln. Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Außerdem hat das Thema auch einen örtlichen Bezug zur Steinwache selbst: „Hier sind die Menschen für die Deportation – direkt auf der anderen Straßenseite auf dem Gelände des ehemaligen Viehmarktes  – gesammelt (…) und dann von hier aus zum damaligen Ostbahnhof gebracht und nach Auschwitz deportiert worden”, erklärt Markus Günnewig.

Historiker und Journalist Stefan Klemp fügt hinzu: „Obwohl das Thema schon seit 1992 in der Steinwache behandelt wird, hat es nicht so im Mittelpunkt des Interesses gestanden.“ Das soll sich mit der neuen Ausstellung ändern.

Aufarbeitung der lokalen Geschichte der Sinti und Ro

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Wallfahrt in Altenberg 1965, dem ersten großen Treffen der Überlebenden nach dem Völkermord.
Wallfahrt in Altenberg 1965, dem ersten großen Treffen der Überlebenden nach dem Völkermord. Archivfoto: Grancino Reinhardt

Der erste Deportationszug war am 11. März 1943 mit rund 1300 Sinti und Roma nach Auschwitz gefahren – der zweite Zug folgte mit rund 900 Menschen am darauffolgenden Tag.

„Obwohl die Polizei versucht hat, diese Menschen hier zu erfassen und zu verzeichnen, wissen wir heute eigentlich gar nicht genau, wie viele Züge von Dortmund abgefahren sind”, beschreibt Dr. Stefan bedauernd.

Allerdings wollen Günnewig, Klemp und andere Historiker:innen weitere Daten aufzuarbeiten: „Wir sind noch dabei zu recherchieren. Da sind noch große Forschungslücken”, erklärt Klemp.

Knapp 112 Sinti und Roma waren in der Steinwache inhaftiert

Die Inhaftierungen in der Steinwache konnten Klemp und Günnewig dank der auch digital vorliegenden Haftbücher aufarbeiten: „Wir haben versucht, das auf die Steinwache herunterzubrechen und mal zu schauen, wie viele Sinti und Roma in der Steinwache inhaftiert gewesen sind“, erklärt Klemp.

Der Umriss verstorbener Menschen ist auf dem Stoff abgebildet.
Der Umriss verstorbener Menschen ist auf dem Stoff abgebildet. Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

„Es ist natürlich nicht so einfach, aber wir haben den Vorteil, dass die Haftbücher digitalisiert vorlagen. So konnten wir 112 Menschen finden, die zwischen 1933 und 1945 als Sinti und Roma in die Steinwache gekommen sind”, so Klemp.

Inhaftiert wurden die Sinto und Roma aus teils absurden Gründen: „Ein Mann und eine Frau wurden inhaftiert wegen Kaufhandel”, erklärt Klemp. „Da hat man sich willkürlich Dinge gesucht, um diese Menschen verhaften zu können und ins Gefängnis zu bringen”, beschreibt Klemp.

Die Angst, die persönlichen Geschichten zu erzählen, sitzt tief

Foto von Familie Meinhardt.
Foto von Familie Meinhardt. Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Markus Reinhardt und Krystiane Vajda sind Künstler und Organisator:innen des Projekts. Besonders an Ihrer Perspektive ist, dass Reinhardts Familie selbst betroffen war –  er selbst ist Sinto. Seit fast vier Jahren machen die beiden Interviews mit Zeitzeug:innen und deren Nachfahren. Im Fokus steht dabei, wie sie damals lebten, aber vor allem, wie sie überlebten.

Viele Menschen kennen die Geschichten der Sinti und Roma nicht: Denn durch die Vernichtung von Dokumenten durch Behörden auf der einen Seite und die Angst, über die strukturelle Diskriminierung zu sprechen, auf der anderen Seite, ist es schwierig, mehr über die Vergangenheit der Sinti und Roma herauszufinden.

„Man muss sagen, dass unsere Leute, gerade die Sinti, sich zurückhalten”, sagt Markus Reinhardt. „Sie sagen dann zu uns: ,Seid vorsichtig, das ist ganz gefährlich, wenn ihr nach draußen geht‘. Diese Angst sitzt noch sehr, sehr tief”, beschreibt Reinhardt. „Es ist nicht selbstverständlich, dass die Leute reden.”

Ausstellungsorganisatorin: Krystiane Vajda
Ausstellungsorganisatorin: Krystiane Vajda Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Manche sind verschont geblieben im Krieg, wenn sie nicht aufgefallen sind. Dieser Gedanke setzt sich bis zur Gegenwart fort: „Viele Sinti und Roma wohnen in bestimmten Bezirken nah beieinander, um wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“, erklärt Krystiane.

Doch weil Reinhardt selbst Sinto sind, bietet das eine gewisse Vertrautheit für die Betroffenen: „So kamen wir an diese Interviews. Diese Interviews sind einzigartig (…) und wir denken, dass die Leute diese Geschichten hören müssen. Denn je mehr sie von uns wissen, desto mehr verlieren sie die Angst.“

Antrieb: Die Geschichten „von unten aus” erzählen

Bluma Meinhardt ist die Tante von Markus Reinhardt
Bluma Meinhardt ist die Tante von Markus Reinhardt Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Doch vor allem ist den beiden Künstler:innen wichtig, die Sinti und Roma erzählen zu lassen: „Wenn über uns geschrieben worden ist, waren es ja immer andere. Wir selber haben ja nie über uns geschrieben. Deshalb sind da auch viele Informationen falsch. Die Alten von uns, die dann gefragt wurden, die haben dann auch nicht die Wahrheit gesagt. (…) Und deshalb, diese Videos – die kommen von uns. Das ist von unten”, erklärt Reinhardt.

Besonders soll die Ausstellung auch Kinder und Jugendliche für dieses Thema sensibilisieren: „Junge Menschen sollen aus erster Hand erfahren, was passiert ist. Denn nur wenn man weiß, was damals war, kann man die Gegenwart und Zukunft gestalten“, so Krystiane Vajda.

Komponist Roger Moreno, der sein Requiem " am für die Ausstellung spielen wird
Interview mit Komponist Roger Moreno, der sein „Requiem für Auschwitz“  am letzten Tag der Ausstellung spielen wird. Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Besonders Arten von Diskriminierungen, die lange Zeit im Dunkeln blieben, möchten die beiden hervorheben: Bei der Polizei gab es bis in den 1970er Jahre Spezialeinsatzkräfte, die Sinti und Roma ganz speziell kontrolliert haben.

„Wenn einer eine Lederjacke anhatte, wurde er angehalten und musste einen Beleg vorlegen. Sonst war sie natürlich geklaut”, macht sie die Vorurteile deutlich.

Strukturelle Diskriminierung der Sinti und Roma geht weit über die NS-Zeit hinaus

Foto von Theresa Winterstein am Stadttheater Würzburg 1941.
Foto von Theresa Winterstein am Stadttheater Würzburg 1941. Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Strukturelle Benachteiligung trifft Sinti und Roma heutzutage vor allem in einem Bereich – der Bildung: „Fast 80 Prozent der Schüler:innen werden auf Förderschulen geschickt. Und das hat seine Gründe“, berichtet Krystiane Vajda.

„Zum einen werden sie von den Schulpsycholog:innen oder den Lehrer:innen so eingestuft, dass sie auf keine andere Schule gehen können. Das heißt, sie gehen ohne Schulabschluss raus. Und ohne Schulabschluss kann man keine Lehre machen.“

„Man muss aber auch ehrlicherweise sagen, dass viele Sinti und Roma ihre Kinder da haben wollen, wo die andere aus der Community sind. Alleine, unter den ganzen anderen, ist auch schwer”, berichtet Vajda.

In den Feldern Wohnen und Arbeit erleben sie viel Diskriminierung: „Wir hatten auch letztens eine Familie, die angerufen hat, die um Hilfe bat, weil sie aus der Wohnung fliegen sollte, weil sie Sinti sind. Das gibt’s immer wieder”, erklärt die Ausstellungsorganisatorin.

Der Kampf gegen strukturelle Diskriminierung von Sinti und Roma ist also bei weitem nicht zu Ende. Das macht solche Ausstellungen so wichtig. „Klänge des Lebens“ ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr in der Steinwache zu sehen. Flankiert wird die Ausstellung mit einem Rahmenprogramm.

Foto: Lina Khyat für nordstadtblogger.de

Termine im Rahmen der Ausstellung

Eröffnung am 16. März um 19 Uhr:

  • Gespräch mit einer Zeitzeugin
  • Aussteller Markus Reinhardt und Krystiane Vajda führen die Ausstellung
  • Historiker Rolf Fischer und Stefan Klemp berichten zur Verfolgungsgeschichte der Dortmunder Sinti und Roma
  • Musik von Markus-Reinhardt-Ensemble

Am 27. April um 19 Uhr:

  • Gespräch mit Zeitzeugin
  • Präsentation von zwei ausgewählten Zeitzeugen-Interviews
  • Junge Sinti lesen Briefe von verfolgten Sinti aus Dortmund
  • Musik: Fateli und Gigi Krause, Markus Reinhardt und Janko Wiegand

Am 25. Mai um 19 Uhr:

  • Musik und Poesie der ersten und zweiten Generation der Überlebenden
  • Roger Moreno, Komponist des „Reqiuem für Auschwitz“ im Gespräch mit Krystiane Vajda
  • Präsentation zwei ausgewählter Zeitzeug:innen-Interviews
  • Musik: Markus-Reinhardt-Ensemble, mit Roger Moreno

Mehr Informationen:

  • Zum Zentral der Sinti und Roma geht es hier:
  • Zum Jenischen Zentralrat geht es hier.
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Reaktionen

  1. Die Gewalt der SA 1933/34: Vortrag in der Steinwache (PM)

    Um „Die SA und die gewaltsame Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaft in den Jahren 1933-34“ geht es in einem Vortrag, der am Donnerstag, 23. März, 19 Uhr in der Gedenkstätte Steinwache (Steinstr. 50) zu hören ist. Referent ist der Historiker Prof. Daniel Siemens. Der Eintritt ist frei.

    Einer der wichtigsten Faktoren nationalsozialistischer Machtdurchsetzung in den Jahren 1933-34 war die Sturmabteilung (SA). Aus ihren Reihen wurden in den ersten Monaten des Jahres 1933 zusätzlich Hilfspolizeieinheiten gebildet, die brutal gegen die politische Linke und Juden vorgingen. Ein gesellschaftlicher Rechtsruck, Angst vor einer kommunistischen Revolution, aber auch eine Mischung aus Selbstermächtigung und anhaltender Frustration auf Seiten langjähriger Nationalsozialisten trugen zu dieser ersten Gewaltwelle bei. Sie wurde von weiten Teilen des Bürgertums schweigend hingenommen und mitunter sogar als „reinigendes Gewitter“ begrüßt. Einer der wichtigsten Orte dieses frühen Terrors in Dortmund war die Steinwache.

    Daniel Siemens ist Professor für europäische Geschichte an der Newcastle University in Großbritannien. Sein 2009 erschienenes Buch „Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten“ wurde mit dem Preis „Geisteswissenschaften International“ ausgezeichnet. 2017 erschien die auf Englisch verfasste Studie „Stormtroopers: A New History of Hitler’s Brownshirts“ bei der Yale University Press. Die deutsche Übersetzung „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“ folgte 2019. Sein jüngstes Buch ist „Hinter der Weltbühne: Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert“, erschienen 2022 im Aufbau-Verlag Berlin.

    Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft.de

  2. „Klänge des Lebens“: Zeitzeugen-Gespräch in der Steinwache zur Midissage (PM)

    Noch bis zum 25. Mai ist in der Gedenkstätte Steinwache die Ausstellung „Klänge des Lebens“ mit Geschichten von Sinti*zze und Rom*nja zu sehen. Zur Midissage der Ausstellung am Donnerstag, 27. April, 19 Uhr gibt es an der Steinstr. 50 ein Zeitzeugengespräch, moderiert von Ausstellungsmacherin Krystiane Vajda. Dazu machen die Dortmunder Musiker Fateli und Gigi Krause aus Dortmund sowie Markus Reinhardt und Janko Wiegand Musik.

    Für die Ausstellung „Klänge des Lebens“ haben die Künstler*innen Markus Reinhardt, Krystiane Vajda und der Verein „Maro Drom – Kölner Sinte und Freunde e.V.“ Sinte, Roma und Jenische in persönlichen Interviews dazu befragt, wie sie früher lebten, wie sie Nationalsozialismus und Völkermord überlebten und wie sie nach 1945 eine neue Lebensperspektive begründen konnten. Kinder von Überlebenden erzählen, wie sie heute mit der Last der Geschichte umgehen.

  3. „Klänge des Lebens“: Ausstellung in der Steinwache endet mit Musik und Poesie (PM)

    Die Ausstellung „Klänge des Lebens“ in der Gedenkstatte Steinwache mit den Erinnerungen von Sinti*zze und Rom*nja an Nationalsozialismus und Völkermord geht am Donnerstag, 25. Mai zuende. Am letzten Tag gibt es zur Finissage an der Steinstr. 50 Musik und Poesie der ersten und zweiten Generation der Überlebenden mit dem Markus-Reinhardt-Ensemble und Roger Moreno, der das „Requiem für Auschwitz“ komponiert hat. Außerdem werden zwei ausgewählte Zeitzeug*innen-Interviews präsentiert.

    Für die Ausstellung „Klänge des Lebens“ haben die Künstler*innen Markus Reinhardt, Krystiane Vajda und der Verein „Maro Drom – Kölner Sinte und Freunde e.V.“ Sinte, Roma und Jenische in persönlichen Interviews dazu befragt, wie sie früher lebten, wie sie Nationalsozialismus und Völkermord überlebten und wie sie nach 1945 eine neue Lebensperspektive begründen konnten. Kinder von Überlebenden erzählen, wie sie heute mit der Last der Geschichte umgehen.

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