„Im Zweifel für den Angeklagten“: Kein Schuldspruch gegen Neonazi nach Flaschenwurf auf Journalisten in Dortmund

Nazidemo in Dorstfeld am 03. Mai 2019, Foto: Alex Völkel
Im Nachgang der Nazidemo in Dorstfeld am 03. Mai 2019 kam es zu den Vorfällen. Archivfoto: Alex Völkel

Von David Peters

Etwas über zwei Jahre ist es her, dass im Nachgang einer rechten Demonstration mehrere Journalisten in Dorstfeld angepöbelt und bedrängt wurden. Einem WDR-Reporter wurde dabei in einem Kiosk eine Flasche an den Kopf geworfen. Wer damals der Täter war, versuchte das Amtsgericht Dortmund an zwei Verhandlungstagen herauszufinden. Angeklagt war der Neonazi Frank A. aus Soest. Die Polizei hatte seine Fingerabdrücke auf der geworfenen Flasche identifizieren können.

Zeugen offenbaren Erinnerungslücken – keine Aufzeichnung der Videoüberwachung

Richterin Zweihoff betonte die besondere Bedeutung des Verfahrens, stellte jedoch fest, dass man die Täterschaft des Angeklagten nicht zweifelsfrei nachweisen könne.

Gleich zu Beginn des Prozesses ließ A. über seine Anwältin eine Erklärung verlesen. Er habe sich an dem betreffenden Tag in dem Kiosk aufgehalten und dabei auch jemandem eine Flasche gereicht. Er habe aber weder die Flasche geworfen, noch habe er einen Wurf gesehen. Die Erinnerungen des Soesters waren auch bei der anschließenden Befragung recht lückenhaft.  ___STEADY_PAYWALL___

Der Angeklagte konnte sich nach eigener Aussage nicht einmal mehr erinnern, mit wem er zusammen in den Kiosk gegangen war. Auf die Frage, mit wem er denn bei der vorangegangenen Demonstration gewesen sei, verweigerte er die Auskunft.

Besser erinnern konnte sich der angegriffene WDR-Reporter. Detailliert beschrieb er, wie er sich im Kiosk ein Getränk kaufen und bezahlen wollte, woraufhin ihn unmittelbar eine Flasche am Hinterkopf getroffen habe. Nur den Täter hätte er nicht gesehen. Weitere Zeugen, wie ein Polizist und der Kioskbetreiber sowie sein Sohn konnten hingegen wenig zur Aufklärung des Falls beitragen. 

Sie waren entweder in der Situation nicht vor Ort oder hatten keinerlei Erinnerung an den Vorfall. Die Kameras des Kiosk, die das Geschehen hätten aufzeichnen können, lieferten laut dem Betreiber nur Livebilder, aber keine Aufzeichnung.

Prominenter Neonazi tritt als „Entlastungszeuge“ auf und sorgt für Irritationen

Sascha Krolzig kassierte auch in der Berufungsverhandlung 14 Monate Haft ohne Bewährung. Fotos: Alex Völkel
Der in Haft sitzende stadtbekannte Neonazi Sascha Krolzig trat als Zeuge auf. Archivfoto: Alex Völkel

Der zweite Prozesstag war nötig geworden, weil die Polizistin, die die Vernehmung des Angeklagten, der damals bereitwillig ausgesagt hatte, vorgenommen hatte, vorgeladen werden sollte. Dadurch erhoffte sich der Anwalt der Nebenklage, dass die zunehmenden Erinnerungslücken des Angeklagten gefüllt werden könnten. 

Sie gab an, dass der Angeklagte damals ausgesagt habe, dass er mit der geworfenen Flasche nichts zu tun gehabt und sie auch nicht in der Hand gehalten habe. Der Widerspruch zu seiner Aussage vor Gericht konnte aber dennoch nicht aufgeklärt werden.

Zuletzt wurde ein Zeuge aufgerufen, der den Angeklagten entlasten sollte: Sascha Krolzig, ebenfalls Neonazi. Krolzig versteht sich durch sein erstes Jura-Staatsexamen und unzählige Verhandlungstage auf der Anklagebank als Kenner des Rechtssystems. Der Bundesvorsitzende der Partei „Die Rechte“ ist aktuell in der JVA Castrop-Rauxel wegen Volksverhetzung und Körperverletzung inhaftiert. Nach eigener Aussage ist er dort als Sportwart tätig.

„Im Zweifel für den Angeklagten“ – es bleiben zu viele Fragen offen

Für eine Verurteilung des Angeklagten blieben zu viele offene Fragen unbeantwortet. Foto: David Peters

Überraschenderweise gab Krolzig an, dass er wisse, wer der Täter gewesen sei. Der Neonazi Dirk S. habe sich ihm nach der Tat anvertraut und gesagt, dass er die Flasche auf den WDR-Reporter geworfen habe. Passenderweise kann Dirk S. – falls er der Täter war – nicht mehr für die Tat belangt werden. Er ist vor rund einem Monat gestorben.

Dass Krolzig, wissend, dass ein Verfahren gegen Frank A. wegen des Flaschenwurfs laufe, diese „Information“ so lange zurückgehalten habe, sorgte besonders beim Anwalt der Nebenklage für Irritationen. „Sie wissen wer es gewesen ist und sagen Ihrem Freund das nicht? Das ist die bei ihnen gelebte Kameradschaft?“ Fragen, die in diesem Prozess ebenfalls nicht endgültig geklärt werden konnten.

Weil niemand den Flaschenwurf beziehungsweise den Täter gesehen hatte oder sich zumindest nicht dran erinnern konnte, plädierte Staatsanwältin Merschel auf Freispruch, auch wenn sie die Möglichkeit offen hielt, dass der Angeklagte Frank A. der Täter gewesen sein könnte. Wenig überraschend plädierte A.s Verteidigerin ebenfalls auf Freispruch. 

Einem Wunsch, dem Richterin Zweihoff nachkam. Sie betonte in der Urteilsbegründung, die besondere Bedeutung des Verfahrens aufgrund eines Angriffs auf einen Journalisten, musste aber eingestehen, dass man trotz der Fingerabdrücke des Angeklagten auf dem Tatwerkzeug „nicht zweifelsfrei feststellen“ könne, dass dieser die Flasche auch geworfen habe. Auch lasse sich nicht feststellen, ob der verstorbene Dirk S. der Täter und die Aussage von Sascha Krolzig wahrheitsgemäß sei. Deshalb gelte „in dubio pro reo“ – „Im Zweifel für den Angeklagten“.

 

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