CDU machte noch den Vorschlag, an Kurt Lichtenstein zu erinnern 

Entscheidung gefallen: Die neue Straße in Grevel wird den Namen von Kurt Goldstein tragen

Die projektierte Straße befindet sich im Herzen von Grevel (ehemaliges Gelände der Stadtgärtnerei) und wird eine kleine Sackgasse mit bevorzugtem Wohnen werden. Sie wird nach Kurt Goldstein benannt werden. Karte: Stadt Dortmund

Von Susanne Schulte

Die neue Erschließungsstraße in Grevel wird den Namen des gebürtigen Scharnhorsters Kurt Goldstein tragen. Dafür stimmten am Dienstagmachmittag (5. Dezember 2023) zehn der 18 anwesenden Mitglieder der Bezirksvertretung Scharnhorst. Die kompletten Fraktionen der SPD und der Grünen sprachen sich für den im Vorfeld heftig diskutierten Vorschlag aus. Die Vertreter:innen der CDU, FDP, Die Partei und der AfD hoben die Hände dagegen.

Kritik: Goldstein habe auch nach der Wende den „Unrechtsstaat DDR relativiert“

Kurt Julius Goldstein Foto: privat

Jürgen Focke, der Sprecher der CDU-Fraktion, erklärte noch einmal, warum er und seine Mitstreiter die Straße nicht nach Goldstein benannt haben wollten. Dessen „Verhältnis zur Demokratie“ sei „so undifferenziert“, sagte er.

Goldstein habe auch nach der Wende den „Unrechtsstaat DDR relativiert“. Er, Focke, respektiere die Lebensleistung von Goldstein und habe noch an diesem Tag mit dessen Enkel telefoniert, um diesem seinen Standpunkt zu erläutern.

Dann kam der überraschende Namensvorschlag der CDU für diese kleine Sackgasse in Grevel: Man solle sie nach Kurt Lichtenstein benennen, ebenfalls Jude, viele, viele Jahre lang als Kommunist im Widerstand während des Krieges, nach dem Krieg Mitglied im Nordrhein-Westfälischen Landtag und Anfang der 1950er von der Parteiführung aus der KPD ausgeschlossen.

WR-Reporter Kurt Lichtenstein wurde 1961 an der deutsch-deutschen Grenze erschossen 

Lichtenstein war ab 1958 angestellter Reporter bei der  Dortmunder Zeitung Westfälische Rundschau (WR) und wurde 1961 während einer Dienstreise entlang der deutsch-deutschen Grenze von DDR-Soldaten erschossen. Bis heute ist nicht klar, ob er die Grenze übertreten hat, und wenn ja, bewusst oder aus Versehen, und ob seine Erschießung geplant war. (Anm. d. Red.: Der langjährige WR-Politikredakteur Rainer Zunder hat das Buch „Erschossen in Zicherie – Vom Leben und Sterben des Journalisten Kurt Lichtenstein“ geschrieben, das 1994 im Dietz-Verlag erschienen ist.)

Das Foto zeigt WR-Reporter Kurt Lichtenstein im Jahr 1958.
WR-Reporter Kurt Lichtenstein im Jahr 1958. Foto aus dem Buch „Erschossen in Zicherie – Vom Leben und Sterben des Journalisten Kurt Lichtenstein“ (Dietz-Verlag)

Da Lichtenstein sich, anders als Goldstein, von der DDR und  der KPD abwandte, könne die CDU sich vorstellen, nach diesem eine Straße zu benennen. Da konnte Herbert Niehage, Sprecher der SPD-Fraktion, nur nicken. „Ich nehme diesen Vorschlag dankend zur Kenntnis“, aber die Sozialdemokrat:innen würden sich heute für Goldstein entscheiden.

Auch die AfD hätte laut Ankündigung von Mike Dennis Barthold sich für eine Kurt-Lichtenstein-Straße erwärmen können.

Marc-Schmitt Weigand sprach für die Grünen. Man habe ausführlich darüber diskutiert. „Die Person ist widersprüchlich, aber auch selbstkritisch in gewissem Rahmen.“ Zudem bilde sie die vier deutschen Staaten von der Weimarer Republik, über die DDR und die Bundesrepublik bis hin zur Vereinigung ab. Man werde für Goldstein stimmen.  


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Reaktionen

  1. Ulrich Sander

    Die Benennung einer Straße nach Kurt Goldstein, vor vielen Jahren von der VVN-BdA vorgeschlagen und nun beschlossen, ist sehr zu begrüßen.
    Dennoch bleibt für mich die Frage: Entwickelt sich Dortmund zum Zentrum neofaschistischer AfD-Politik mit CDU-Unterstützung per Sturz der merzschen Brandmauern? Mit Mehrheit beschloss Anfang November nach der Intervention des ultrarechten AfD-Abgeordneten Matthias Helferich und dem Antrag eines CDU-Abgeordneten die Bezirksvertretung Dortmund Scharnhorst, die beabsichtige Benennung einer Straße nach dem 1914 in Scharnhorst geborenen Widerstandskämpfer und Ehrenpräsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees Kurt Goldstein zu vertagen. Es wurde u.a. begründet mit den Worten, Goldstein habe Walter Ulbricht zum Bau der Mauer angeregt, in dem er ihm von der Mauer in Jerusalem berichtete. Auf einen solchen Blödsinn muss man erst einmal kommen! Aber acht von 18 Abgeordneten wiesen ihn nicht in der Bezirksvertretung zurück. Die weitere Zusammenarbeit der Parteien dieser Acht mit der AfD ist eingeplant. Diese hat am Volkstrauertag in Dortmund am Kaiser-Denkmal Syburg zusammen mit dem Nazi Björn Höcke eine nationalistische Kundgebung veranstaltet und ein Geheimtreffen mit dem rechtesten AFD-Führer abgehalten. Erfolgreich ist die Zusammenarbeit der Rechten – nun mit Zustimmung der SPD – auch in der Bezirksvertretung Dortmund Eving. Dort hatten die Grünen an einen Beschluss erinnert, der 2011 auf Antrag der VVN-BdA gefasst worden war und die Bezeichnung Kirdorf-Kolonie verurteilte. Kirdorf war einer der ganz frühen und sehr beständigen Hitler-Finanziers. Seine Ehrung soll weiter bestehen bleiben, wurde entschieden. Erinnern möchte ich daran, dass die VVN-BdA ursprünglich auch die Ersetzung der Gustav-Noske-Straße gefordert hatte, die immer noch in Scharnhorst existiert. 1918 wurde Noske Wehrminister der republikanischen Regierung; er stellte sich an die Spitze der reaktionärsten Soldateska mit dem Hakenkreuz an Stahlhelm und diese ermordete hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Noske hatte sein Amt mit den Worten übernommen: “ Einer muss der Bluthund werden.“ Weiter schrieb der SPIEGEL am 27. März 1988: “ Noske half die Revolution 1918/19 niederschlagen, die letztlich ihre eigenen Kinder fraß und die alten Eliten, monarchistische Generalität und wilhelminische Bürokratie, den Untergang des Kaiserreiches ungeschoren überstehen ließ.“ Die Noskestraße sollte in Kurt Lichtenstein Straße umbenannt werden.

  2. Offener Brief zum Abstimmverhalten unseres Mitglieds in der BV Scharnhorst (PM Die FRAKTION und Die PARTEI KV Dortmund)

    Die FRAKTION und Die PARTEI KV Dortmund stellen klar:

    Wir, die Fraktion Die FRAKTION Die PARTEI im Rat der Stadt Dortmund und der Kreisverband der Partei Die PARTEI Dortmund, bekennen uns klar zum Antifaschismus und gegen jeglichen Antisemitismus. Gerade in den aktuellen Zeiten halten wir es für mehr als wichtig, sich klar dazu zu positionieren und Einflüsterungen von Rechts als solche zu entlarven und sich gegen diese zu stellen.

    Wir befürworten es, wenn jüdisches Leben und in der Vergangenheit verursachtes Leid der jüdischen Bevölkerung sichtbar gemacht werden. Daher begrüßen wir auch die kürzliche beschlossene Benennung der Kurt-Goldstein-Straße durch die Bezirksvertretung Scharnhorst.

    Doch natürlich sind auch unsere Mandatstragenden nur ihrem Gewissen, nicht aber ihrer Partei oder Fraktion, verpflichtet. Und sowohl eine Partei als auch eine Fraktion bestehen immer aus einzelnen Personen mit eigenen Ansichten und Prinzipien. So mussten nun auch wir bestürzt aus der Presse erfahren, dass sich das Abstimmverhalten unseres Vertreters in Scharnhorst nicht im Geringsten mit den Überzeugungen unserer Fraktion und auch unseres Kreisverbandes deckt.

    Auch auf die Idee, einem Antrag aus dem rechten Spektrum zuzustimmen und mit Nazis zu paktieren, würden wir niemals kommen. Da vergeht sogar uns das Lachen. „Kein Fußbreit!“ ist für uns eine Lebenseinstellung, die nicht diskutabel ist, und keine einfache Floskel!

    Von daher distanzieren wir uns ausdrücklich von dieser Gegenstimme zur Benennung einer Straße nach Kurt Goldstein, und danken denen, die in dieser Abstimmung ihre Zustimmung gegeben haben – genau wie wir es an Stelle unseres Vertreters auch getan hätten.

    Außerdem entschuldigen wir uns ausdrücklich bei allen jüdischen Menschen für dieses indiskutable Verhalten, das in unserem Namen gezeigt wurde.

    Kein Vergeben, kein Vergessen!

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