Verlegung der Fernwärmeleitungen brachte spannende Funde hervor:

Eine Ofenanlage am Gänsemarkt aus dem Mittelalter ist das Denkmal des Monats März 2023

Der verziegelte Lehm des mittelalterlichen Ofens lässt sich deutlich erkennen.
Der verziegelte Lehm des mittelalterlichen Ofens lässt sich deutlich erkennen. Quelle: LQ Archäologie

Mit der Neuverlegung der Fernwärmeleitungen der DEW21 öffnet sich an vielen Stellen der Innenstadt ein „Fenster“, das einen Blick auf die vielschichtige Geschichte Dortmunds erlaubt. So auch in der Straße „Gänsemarkt“ im Klosterviertel. Denn bei den Schachtarbeiten wurde dort ein mittelalterlicher Ofen samt einer Vielzahl verkohlter Getreidekörner freigelegt. Nach dem Abschluss der wissenschaftlichen Auswertungen erhebt die Denkmalbehörde den seltenen Fund zum Denkmal des Monats März 2023.

Von der unscheinbaren Verfärbung zum archäologischen Befund

Am Gänsemarkt wurde der Boden im Frühjahr 2021 und im Frühjahr 2022 für die neue Fernwärmeleitung geöffnet. Während der nordwestliche Abschnitt vorrangig durch sehr moderne Befunde geprägt war, überraschte der vom Beginenhof ausgehende, von Ost nach West verlaufende Teilabschnitt durch mehrere nebeneinander und untereinanderliegende Befunde, die bis ins Mittelalter zurück reichen.

Nachdem die Archäologen der Firma LQ Archäologie bereits eine über 30 Meter lange Mauer aus Sandsteinen freigelegt und dokumentiert hatten, zeigte sich direkt daneben auf einer Tiefe von 150 cm unter der Geländeoberkannte eine Konzentration aus rotem Brandlehm im Boden. Ansammlungen von Rotlehm, häufig gemischt mit Holzkohlen, sind für Archäologen ein Indiz für Brandereignisse.

Die Form des Befundes ließ die Archäologen bereits nach kurzem Putzen der Oberfläche stutzig werden: Eine kreisrunde, sehr ausgeprägte Verfärbung, die rein aus Brandlehm zu bestehen schien, kam zum Vorschein. Ob Feuerstelle oder Ofenanlage – das war noch nicht eindeutig. Da die Eingriffstiefe der Fernwärmetrasse noch lange nicht erreicht war, entschied man sich, den Befund weiter zu ergraben. Und tatsächlich: Bald wurde klar, es handelte sich nicht um einen Brandhorizont oder eine flache Feuerstelle. Die Verfärbung blieb auch etwas tiefer noch rund, doch die Größe war von 235 cm auf einen Durchmesser von über 274 cm angewachsen.

Im Profil war eine kuppelartige Struktur zu erkennen, die bis weit unter die zuvor dokumentierte Mauer reichte. Deutlich ließ sich der Befund nach dem Putzen in eine dunkle, kreisrunde Verfärbung, die ehemalige Brennkammer und einen hell orangeroten Bereich, die Kuppel, trennen. Es handelte sich demnach um eine Brennkammer mit Lehmkuppel, welche entweder als Ofen oder als Darre genutzt wurde.

Darren sind Einrichtungen mit denen sich Getreide trocknen oder rösten ließ, die unter Fachleuten häufig in den ländlichen Kontext gestellt werden. Die Nähe des Gänsemarktes zu den seinerzeit umliegenden Feldern der Stadt ist hier durchaus gegeben. Darren verfügen über eine meist indirekte Befeuerung, bestehend aus einer teils überkuppelten Brennkammer und einem kanalähnlichem Zulauf zu einer mit dem Dörrgut ausgelegten Fläche.

Ofenanlagen und ihre Nutzung seit dem Mittelalter

Vorsichtig legt ein Archäologe den seltenen Ofenbefund frei – eine Herausforderung in dem engen Leitungsschacht für die neuen Fernwärmeleitungen.
Vorsichtig legt ein Archäologe den seltenen Ofenbefund frei – eine Herausforderung in dem engen Leitungsschacht für die neuen Fernwärmeleitungen. Quelle: LQ Archäologie

Öfen verschiedenster Art sind im mittelalterlichen Stadtbild keine Seltenheit. Besonders im handwerklichen Bereich, wie dem Herstellen von Keramik oder dem Verarbeiten von Metallen, aber auch dem Backen von Broten, sind sie trotz des erhöhten Brandrisikos notwendiges Übel in den dicht bebauten Städten. Erdbacköfen oder Kuppelöfen aus Lehm sind für Nordreinwestfalen bereits seit der Jungsteinzeit bekannt.

Letztere können sogar bis in die Neuzeit vorkommen. Die aus einer einfachen Brennkammer mit seitlicher Öffnung versehenen Öfen waren seit dem Mittelalter auf einem Fundamentsockel errichtet worden. Die Kuppel wurde zunächst aus hölzernem Flechtwerk gestaltet und dann mit Lehm ausgekleidet.

Durch das Entzünden des Feuers in der Brennkammer härtete der Lehm aus und das Flechtwerk im Innenkern der Kuppel verbrannte nach und nach. Bei neueren Öfen besteht die Kuppel häufig nicht mehr aus Lehm und Flechtwerk, sondern aus gemauerten Ziegeln. Die aufwendig gebauten Öfen wurden meist über längere Zeiträume hinweg genutzt. Die Lehmkuppelöfen mussten dabei immer wieder durch das neue Aufstreichen von Lehm ausgebessert werden.

Welchen Nutzen die Öfen hatten, können die Fachleute häufig bereits vor Ort feststellen. Im Ofen oder im direkten Umfeld lässt sich meist Material auffinden, das sich deutlich zuordnen lässt. So finden sich Metallschlacken bei Ofenanlagen der Metallverarbeitung, keramische Fehlbrände oder Scherben bei Keramiköfen und verkohlte Kornreste bei Backöfen oder Darren. Für die Unterschiedlichen Nutzungsarten bedarf es überdies unterschiedliche Brenntemperaturen, die sich zumindest teilweise in der Aushärtung der Ofenwandung widerspiegeln.

Getreidereste im Ofen am Gänsemarkt gefunden

Bei dem am Gänsemarkt angetroffenen Befund handelt es sich um eine Brennkammer mit Lehmkuppel, in der Reste verbrannten Getreides gefunden wurden. Die Kuppel war zwar mächtig, jedoch nur schwach gehärtet, was auf niedrige Nutzungstemperaturen schließen lässt. Es lässt sich somit recht eindeutig beweisen, dass die überkuppelte Brennkammer am Gänsemarkt zur Lebensmittelherstellung gedient haben muss. In diesem Kontext kann man ebenfalls von einer Darre ausgehen.

Sowohl aus dem Kernbereich, der ehemaligen Brennkammer, als auch aus dem Kuppelbereich wurden Bodenproben und Holzkohleproben entnommen. Aus den Bodenproben wurden mithilfe unterschiedlich feiner Siebe und dem Einsatz von Wasser kleine und kleinste botanische Reste herausgefiltert. Das ausgesiebte Material wurde im Anschluss zur Auswertung an das Labor der Firma ArchaeoConnect geschickt.

Die Analyse der insgesamt 1.325 bestimmbaren Pflanzenfunde ergab, dass es sich überwiegend um verkohlte Getreidereste handelte. Mehr als die Hälfte der Funde konnten als Roggenkörner identifiziert werden. Neben Roggen waren geringe Anteile von Dinkel und Emmer vorhanden, aber auch typische Ackerwildkräuter wie Kornrade, Roggen-Trespe und Taumel-Lolch waren im Probengut nachzuweisen.

Kollage von gefundenen Getreideresten – etwa sechshundertfach vergrößert.
Kollage von gefundenen Getreideresten – etwa sechshundertfach vergrößert. Quelle: Andrea Orendi - ArchaeoConnect GmbH

Welches Getreide gab es früher in Dortmund?

Bereits seit der vorrömischen Eisenzeit ist Roggen als Anbauprodukt geläufig. Er gedeiht auch auf nährstoffärmeren und sandigen Böden und besitzt eine gute Kälteresistenz, weshalb er im hochmittelalterlichen Dreifeldersystem gerne als Wintergetreide angebaut wurde. Die Verbreitung von Roggen im mittelalterlichen Dortmund lässt sich anhand einer 1395 erhobenen Steuer u.a. auf Roggen und Hafer zum Herstellen von Mehl und zum Aussähen belegen.

Die 14C-Analysen der Holzkohleproben, die aus der Brennkammer und aus den Überresten des Flechtwerks geborgen wurden datieren mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% in den Zeitraum zwischen 1184-1272 n. Chr. (Kuppel) und zwischen 1042-1211 n. Chr. (Brennkammer). Dass die Proben der Brennkammer etwas eher datieren ist leicht damit zu erklären, dass zum Verbrennen durchaus Altholz verwendet wurde. Das verkohlte Flechtwerk der Kuppel wird dagegen aus vermeintlich frischen Rutenzweigen bestanden haben.

Brot für die Bürger des mittelalterlichen Dortmund?

Doch wieso stand ein Ofen am heutigen Gänsemarkt? Wer hat diesen genutzt? Wurde im Ofen vielleicht doch nur Getreide getrocknet? Die Archäologie kann nicht all diese Fragen abschließend klären. Sicher ist, dass sich verkohltes Getreide in der Brennkammer befand und eine Nutzung als Schmelzofen für Metalle oder als Brennofen für Keramik ausgeschlossen wird.

Vor dem Hintergrund, dass im unmittelbaren Umfeld das Franziskanerkloster im Jahr 1232 gegründet wurde, darf spekuliert werden, ob der Ofen im Kontext mit der Klosteranlage steht. Ein nicht abwegiger Gedanke, denn es ist bekannt, dass Klöster über eigene Öfen zur Herstellung von Broten oder zum Darren von Getreide verfügten. Die über dem Ofen liegende Mauer könnte möglicherweise als Umfriedungsmauer nach Errichtung des Klostergebäudes hinzugebaut worden sein.

Fragen nach dem Geschmack des Backwerks, oder ob das Getreide lediglich im Ofen gedarrt wurde, ob es möglicherweise für die Weiterverarbeitung zu Mehl oder für das Bierbrauen benötigt wurde, bleiben offen und ganz der Fantasie überlassen.

Übrigens: Der kleine Ofen am Gänsemarkt wurde zu einer Zeit betrieben, als Dortmund eine Blütezeit erlebte. So fällt beispielsweise die Errichtung der größten und jüngsten bekannten Ausbauphase der mittelalterlichen Stadtbefestigung in diesen Zeitraum. Ebenso hatte die Stadt zu dieser Zeit das Recht ihre eigenen Münzen prägen zu lassen.

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