Weiterhin Nachholbedarf: Deutschland schwach im EU-Vergleich

Der 21-Talk „Die 4. Halbzeit“ zum Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ im Fußballmuseum

Ein angeregter Austausch fand im Fußballmuseum statt. Foto: DSW21/Jörg Schimmel

»Geschlechtergerechtigkeit« war am Montagabend das Thema beim 21-Talk »Die 4. Halbzeit« im Deutschen Fußballmuseum. Moderator Gregor Schnittker hatte eine meinungs- und haltungsstarke Frauenrunde auf dem Podium. Deren Tenor nach 90 Minuten Diskussion plus Nachspielzeit: Vieles hat sich verbessert in Sachen Chancengleichheit für Frauen, im Beruf wie im Fußball – aber längst noch nicht genug.

Die Corona-Pandemie führte zu einem Rückfall in konservative Familienmuster

Die Vorstandsvorsitzende von DSW21, in der Geschichte der Dortmunder Stadtwerke die erste Frau im Vorstand, war eine von vier Diskussionsteilnehmerinnen auf dem Podium. Die anderen drei: Josephine Henning, 42-fache Nationalspielerin, Europameisterin, Olympiasiegerin, heute TV-Expertin und Künstlerin. Svenja Schlenker, Leiterin der noch jungen Frauenfußballabteilung beim BVB. Und Maxa Zoller, Direktorin des renommierten Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund und Köln.

Heike Heim zeigte sich besorgt über den Umgang vieler Familien mit Rollenbildern in Zeiten der Pandemie. Foto: DSW21/Jörg Schimmel

Tradierte Rollenbilder, kritisierte das Quartett in seiner Bestandsaufnahme, prägten noch immer allzu häufig die Sicht auf Frauen und den Umgang mit ihnen. „Der schlagartige Rückfall in alte Familienmuster zu Beginn der Coronapandemie hat mich schon einigermaßen schockiert“, sagte Heike Heim. „Im Lockdown und auch danach waren es die Frauen, die bei Kind und Herd blieben – und irgendwie fanden die meisten das sogar ganz normal.“

Heike Heim ist es seit vielen Jahren gewohnt, in Männer-dominierten Umfeldern ihre Frau zu stehen. Schon im Studium der Elektrotechnik war sie als eine von drei Studentinnen eine Exotin unter mehreren hundert Studenten. „Da wurde man schon komisch angeguckt – aber das nutzt sich irgendwann auch ab.“

Diskriminierung im Frauenfußball auch heute noch präsent

Josephine Henning gewährte irritierende Einblicke in die Frauenfußball-Bubble. Der TV-Sender, für den sie als Expertin vor der Kamera stehe, gebe etwa einen Dresscode vor: „Frauen bunt – Männer egal!“ Und als sie einst in Potsdam ihren ersten Profivertrag über 1.100 Euro im Monat plus Wohnung und Auto unterschrieb, habe sie „tatsächlich gedacht, ich hätte den Jackpot fürs Leben geknackt“.

Am Karriereende beim FC Arsenal in England verdiente sie dann monatlich 18.000 Euro. Fraglos sehr viel Geld – aber natürlich kein Vergleich mit den männlichen Kollegen, von denen viele diese Summe am Tag (!) erhalten.

Apropos Geld: Die Spielerinnen von Borussia Dortmund, die 2021 in der Kreisliga gestartet und nach zwei Aufstiegen inzwischen in der Landesliga angekommen sind, verdienen noch keines. „Trotzdem“, erklärte Sven Schlenker, „spielt Geld von Anfang an eine Rolle, weil wir als BVB selbstverständlich den Anspruch haben, für die jeweilige Spielklasse die optimalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehören ein qualifiziertes Training inkl. Trainingslager und ein hoher Ausrüstungsstandard.“

Nachholbedarf im Bereich Geschlechtergerechtigkeit: Deutschland schwach im EU-Vergleich

Für Staunen im Publikum sorgte Maxa Zoller. Nicht allein mit ihrer Schilderung eines überkommenen uns bisweilen sogar sexistischen Frauenbildes im Filmgeschäft, das vor einigen Jahren die #MeToo-Bewegung mit ausgelöst hat. Sondern mit einem Detail, das witzig klingt, aber bezeichnend ist: „Viele Filmproduktionen arbeiten mit weichem Frauen-Licht und kühlem, also coolem Männer-Licht, um die Klischees visuell zu bedienen.“ Es gebe aber auch positive Beispiele, wie etwa den »Tatort«. Die ARD beschäftige sowohl auf Seiten von Regie und Produktion als auch bei den Darstellenden viele Frauen in prägenden Funktionen.

Von links: Ex-Nationalspielerin Josephine Henning, Svenja Schlenker (BVB-Abteilungsleiterin Frauenfußball), Moderator Gregor Schnittker, Heike Heim (Vorstandsvorsitzende DSW21), Maresa Feldmann (Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund) und Maxa Zoller (Direktorin Int. Frauenfilmfestival Dortmund und Köln) Foto: DSW21/Jörg Schimmel

Einig waren sich das Podium in einem Punkt: Deutschland ist bei der Umsetzung gesellschaftlicher Veränderungen eher langsam; viele andere EU-Staaten seien deutlich weiter. Spanien etwa in der Filmbranche, England im Fußball. Dort habe der Verband nicht etwa auf Druck reagiert, sondern ganz bewusst und aktiv in den Frauenbereich investiert. „Das war ein echter Booster!“

Es gibt also Nachholbedarf in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Den stritt auch Heike Heim für DSW21 nicht ab. Trotz vieler Errungenschaften und einer weitestgehend gleichen Bezahlung von Männern und Frauen gebe es gerade im Fahrdienst und in den technischen Berufen im Werkstattbereich einen deutlichen Männerüberschuss. Und auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei Luft nach oben. „Kinderbetreuung und Jobs ohne feste, immer gleiche Arbeitszeiten passen, da müssen wir ehrlich sein, nicht zusammen. Deshalb brauchen wir mehr Ganztagsbetreuung, flexiblere Arbeits- und Familienmodelle.“

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