David Grades Zukunftsroman-Debüt: Viel Schatten, wenig Licht und eine Menge Herzblut für Dortmund-Nordstadt

David Grade beim Interviewtermin zu seinem Debütroman Iwans Weg. Foto: Alex Völkel
David Grade stellt seinen Debütroman „Iwans Weg“ vor, der in der Nordstadt spielt. Fotos: Alex Völkel

Von Sascha Fijneman

David Grade ist in der Nordstadt bekannt wie ein bunter Hund. Der 37-jährige Diplom-Pädagoge lebt hier, hat hier als Quartiersmanager gearbeitet, ist 2014 bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeister-Kandidat für die Piratenpartei angetreten und sitzt seitdem als Bezirksvertreter in der BV der Innenstadt-Nord. Nun hat sich Grade, der als Therapeut in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitet, einen Traum erfüllt: Er ist unter die Autoren gegangen. Wie könnte es anders sein, dass sein Roman natürlich in der Nordstadt spielt. Doch sie ist „minimal anders“, als sie selbst Eingeweihte heute kennen.

Im Shadowrun-Universum vermischt sich klassische Science Fiction mit Fantasyelementen

Denn Grade hat seinem Romandebüt „Iwans Weg“vor dem Hintergrund des Shadowrun-Rollenspieluniversums kreiert. Er hat eine düstere,  eine dystopische Zukunftsvision für Dortmund und insbesondere die Nordstadt geschaffen. Denn die Cyberpunk-Fantasy-Story spielt im Jahr 2078 – dennoch ist sie auch für „Nicht-Nerds“ interessant.

Würfel des Pen-&-Paper-Rollenspiels mit Shadowrun-Logo. Foto: Harley keen/Wikipedia
Würfel des Pen-&-Paper-Rollenspiels mit Shadowrun-Logo. Foto: Harley Keen/Wikipedia

„Shadowrun“ ist ein Pen-&-Paper-Rollenspiel US-amerikanischen Ursprungs, das erstmals im Jahr 1989 erschien. Es vermischt genreübergreifend klassische Science-Fiction mit Fantasyelementen. Also quasi ein Blade Runner in Mittelerde oder ein Gandalf auf Tatooine? Eher nicht und doch auch ein bisschen von beidem!

Ausgehend von der Cyberpunk-Philosophie eines William Gibson, der mit seiner „Neuromancer“-Romantrilogie, die Grundlage für Shadowrun legte, spinnen die MacherInnen Geschehnisse und Trends, zeitgenössische Tendenzen und politische Entwicklungen der real existierenden Welt in ihrem Sinne weiter.

Seit Anfang der 90er Jahre sind neben den Pen-&-Paper-Rollenspielen, diverse Computerspiele und über 60 Romane erschienen, die die Spielstory aufgreifen und erweitern. Die meisten davon im englischsprachigen Raum. Die letzte deutsche Veröffentlichung liegt allerdings rund zehn Jahre zurück. Weltweit erfreut sich Shadowrun größter Beliebtheit und verfügt über eine eingeschworene globale Fangemeinschaft. Einer von ihnen ist David Grade.

Mit „Iwans Weg“ kehrt die Shadowrun-Geschichte nach über zehn Jahren nach Deutschland zurück

„Es handelt sich schon ein wenig um Nerd-Literatur“, erklärt David Grade mit einem Lächeln, als er seinen Debütroman „Iwans Weg“ vorstellt. Der 37-jährige Dortmunder ist von Anfang an dabei und kennt das Shadowrun-Universum besser, als so manch eine/r die reale Welt versteht. 

Das Besondere: Er holt „Shadowrun“ zurück nach Deutschland, genauer gesagt in die Nordstadt von Dortmund. „Ich hatte beim Schreiben tatsächlich immer eine Karte der Nordstadt vor Augen.“

Ein Beispiel von Seite 27 gefällig?

„Iwan stand am DKH-Checkpoint, um aus dem Viertel hinauszukommen. Eigentlich bildeten die Bahnlinien die natürliche Grenze zur Innenstadt, aber auf dem Streifen zwischen Bahngelände und Steinstraße war zu viel Kultur und Schickimicki, um es den Horden aus dem Norden zu überlassen. Da standen der größte Kinokomplex Dortmunds, die Postzentrale, die Auslandsgesellschaft und nicht zuletzt die Steinwache, ein altes Nazi-Gefängnis, dass seit über 100 Jahre als Museum diente – gegen Faschismus.“

Im Jahr 2078 hat die Welt sich verändert. Sein Hauptcharakter, der junge Hacker Iwan, lebt in einer Zeit voller Magie und Mysterien aber in einem Gebiet voller Chaos und Anarchie: in der Dortmunder Nordstadt, die Teil des Rhein-Ruhr-Megaplex ist. Megakonzerne üben willkürlich staatliches Recht aus.

Grade beschreibt anschaulich die Nordstadt. Wer sie nicht kennt, bekommt einen plastischen Eindruck. Wer sie kennt, findet sich sofort wieder. Kopfkino entsteht. Biographisch ist die Geschichte zwar nicht. Wohl aber vom Umfeld des Autos geprägt, der unweit des Roxy-Kinos an der Münsterstraße wohnt. Da liegt es nahe, dass auch der 17-Jährige Iwan sich dort tummelt. Im Buch läuft er mit einer Plastiktüte von „Aldi-Real“ (der „Ghetto-Netto“ hat es offenbar nicht in die Zukunft geschafft) durch die Nordstadt. Durch die Münsterstraße wabert Shisha-Rauch, als Iwan bei M&C-Döner isst und anschließend im „Nordpol“ einkehrt.

Und dass der Checkpoint „am DKH“ ist, mögen Eingeweihte auch verstehen. Schließlich war es Grade, der sich als Bezirksvertreter massiv gegen die Einzäunung des Dietrich-Keuning-Hauses auf der Südseite eingesetzt hatte, weil dadurch die Verbindung zum Hauptbahnhof unterbrochen wurde.

Der Rhein-Ruhr-Megaplex wird von großen und mächtigen Megakonzernen dominiert

Der „DKH-Checkpoint“ als Bollwerk gegen „Die Horden aus dem Norden“? Eine Anspielung auf das Buch.

Also ist doch alles wie heute – wie 2018? Nein. Denn das Internet wurde 2078 durch die allgegenwärtige Matrix ersetzt, eine schillernde Parallelwelt zur endzeitlichen Realität. Die Menschheit versucht sich mittels Augmentierungen und Nanoimplantaten zu optimieren. Nanoiden erzeugen künstliche Intelligenzen, die sich verselbstständigen und wie Viren verbreiten.

Die sogenannte Goblinisierung hat Mutationen hervorgerufen, die fremdartige Kreaturen erschaffen haben. Es tummeln sich die seltsamsten Geschöpfe im Sperrbezirk Nordstadt. Orks, Trolle Elfen, die sogenannten Metamenschen leben hier Seite an Seite mit den normalen Menschen, was zu sozialen Konflikten und Verwerfungen führt. 

Durch den Sicherheitscheckpoint am Dietrich-Keuning-Haus kommt man nur mit passender System Ident Number (SIN). Ohne sie ist man „sin-los“ und gesellschaftlich geächtet – man hat beispielsweise keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung.

In dieser düsteren Schattenwelt versucht Iwan seinen Weg ans Licht zu finden und scheitert. Seine letzte Chance: die Fee Seelie Mae, die ein dunkles Geheimnis umgibt. Doch die ist auf der Flucht. Der mysteriöse Rhoslyn und andere sind ihr auf den Fersen. Auch ein Team Shadowrunner, Metamenschen, die von den Konzernen benutzt werden, um illegale Aktivitäten auszuführen oder terroristische Anschläge zu verüben, haben es auf Mae abgesehen. Auf seiner Suche nach ihr gerät Iwan in einen Strudel der Gewalt, der ihn immer tiefer ins Ungewisse führt.

„Iwans Weg“ ist sowohl für eingefleischte Fans als auch für Neueinsteiger konzipiert

„Das Shadowrun-Universum ist ein ziemlich komplexes Konstrukt. Für EinsteigerInnen gibt es am Ende des Buches einen kurze Zusammenfassung über die wichtigsten Eckdaten der „Sechsten Welt“. Außerdem erklärt das Glossar viele der technischen Begriffe, die im Science-Fiction nun mal üblich sind“, verrät Grade. Aber auch völlig Unbedarfte hätten das Buch als sehr spannend und gut lesbar empfunden, bekam der Autor Rückmeldungen.

Entstanden ist das Buch größtenteils im Zug. David Grade hatte 2014 seinen Job als Quartiersmanager in der Nordstadt aufgegeben, um noch eine Zusatzausbildung als systemischer Kinder- und Jugendtherapeut zu machen. Deshalb sitzt er auch täglich rund 90 Minuten im Zug – Zeit zum Lernen und zum Schreiben.

Schon lange spielte er mit dem Gedanken, seine eigenen Ideen in das Shadowrun-Universum einfließen zu lassen. Er fing verhalten an, erstellte eine 3o-seitige Leseprobe und fragte vorsichtig beim Pegasus-Spiele-Verlag nach, ob Interesse an einer Shadowrun-Fortsetzung in Deutschland bzw. Dortmund bestehe. Die Leseprobe wurde durchweg positiv aufgenommen und der Verlag gab grünes Licht.

Ruhig kostenlos Downloaden aber die Entwickler bitte unterstützen

Jetzt konnte Grade nichts mehr halten. Innerhalb von sechs Monaten verfasste er seine Geschichte um den jungen Hacker Iwan. „Hierbei hat der finanzielle Anreiz für mich ganz ehrlich keine Rolle gespielt. Vielmehr ist es halt ein tolles Gefühl, sich in eine Welt einzubringen, die mich schon als Kind und Jugendlicher fasziniert hat“, erklärt Grade. 

Das dies durchaus ehrlich gemeint ist, zeigt der Text seines Nachworts. Man solle das Buch bei entsprechendem Angebot ruhig kostenlos herunterladen. Die Nerdgemeinde wird es ihm danken. Aber wenn man wolle, dass auch weiterhin Rollenspiele und Zubehör entwickelt und veröffentlicht würden, solle man doch bei nächster Gelegenheit irgendein anderes Produkt des Verlags erwerben. Oder natürlich sein Buch. „Lokal kaufen, Global bewerten“ rät der Pirat, der die Einnahmen lieber im Buchladen um die Ecke als bei großen Versandkonzernen wissen möchte.

Aber Apropos Nerds: „Es ist natürlich toll und hilfreich beim Schreiben auf ein bereits bestehendes Universum mit all seinen Regeln und eigendynamischen Merkmalen zurückgreifen zu können. Allerdings ist hier auch wirklich Gewissenhaftigkeit gefragt. Denn die Nerdgemeinde verzeiht keine Fehler,“ berichtet David beinahe ehrfürchtig. Auch die Gratwanderung, es sowohl den Nerds als auch Neulingen gerecht machen zu wollen, sei eine immense Herausforderung gewesen.

Bei aller fachlicher Korrektheit steht der Spaß im Vordergrund

Aber bei aller Korrektheit kommt der Spaß an der Sache natürlich nicht zu kurz. So hat David Grade natürlich auch eigene Erlebnisse künstlerisch verarbeitet und Charaktere teilweise an realexistierenden Personen orientiert, wobei diese Dinge aber auch nur den wirklich aufmerksamen LeserInnen auffallen.

Auch das Titelbild von Andreas Schroth ist für DortmunderInnen interessant. Denn der Künstler hat eine zukünftige Stadtansicht von Dortmund geschaffen, die eine Art Suchbild darstellt. Denn aus 2018 bereits existierenden Gebäuden hat er eine zukünftige Skyline geschaffen, die auch die Macht und die Welt der Großkonzerne abbildet. Es gibt viele Häuser neu zu entdecken. Nur die Nordstadt kommt darin nicht vor – es mangelt an „futuristischen“ Gebäuden.

Im Buch selbst ist die nördliche Innenstadt von Dortmund allerdings zentral. In der „Shadowrun“-Welt ist sie ein düsterer Schmelztiegel – für Eurokriegsflüchtlinge, Menschen, Metamenschen und Mutanten. Klingt nach altbekanntem Zuwanderungsproblemen und Nordstadt-Bashing, von einem, der den Stadtteil eigentlich liebt?!  Nein! LeserInnen merken dem Ganzen doch das Herzblut David Grades an, mit dem er liebevoll Details und Klischees des Stadtteils umschreibt. Bei aller Finsternis ist die Nordstadt ein Ort, den der 37-Jährige mag und der ihm sehr am Herzen liegt – 2018 wie 2078.

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Reaktionen

  1. Ethernaut

    Nicht unbedingt das Shadowrun Revival im Bereich deutscher Romane, welches ich mir gewünscht hätte. Die teilweise ins vulgäre abgleitende Schreibweises sowie einige Ekelszenen will ich eigentlich nicht lesen. Ich fand den Roman daher widerlich. Düsteres Cyberpunk geht auch anders.

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