Aerosol- und CO2-Messungen im Konzerthaus Dortmund liefern Fakten zu Corona-Ansteckungsgefahr

Szenen, die momentan unvorstellbar sind: volles Haus beim Neujahrsempfang im Konzerthaus Dortmund. Mit einer schachbrettartigen Sitzverteilung und der Hälfte der Zuschauer*innen könnte der Betrieb schon bald wieder möglich werden. Die vorliegende Studie schließt Infektionen durch Aerosole nahezu aus. Foto: Roland Gorecki / Archiv

Sind kulturelle Veranstaltungen mit Publikumsverkehr in Konzerthäusern und Theatern bald wieder möglich? Ja, sagt eine Studie des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts, die eine wichtige Grundlage für die Wiedereröffnung von Konzerthäusern und Theatern bietet. Im Auftrag des Konzerthaus Dortmund haben das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut am Standort Goslar und die Messtechnik-Firma ParteQ die räumliche Ausbreitung von Aerosolen und CO2 in einem Konzertsaal experimentell untersucht. Die Studie erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt und Hygieneexperten. Es ist die erste veröffentlichte Studie, die das Ziel verfolgt, experimentelle Daten zur Beurteilung einer möglichen Corona-Ansteckungsgefahr bei Besuchen von Konzerthäusern zu gewinnen. 

Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosolübertragung nahezu ausgeschlossen

Der künftige Konzerthaus-Intendant Dr. Raphael von Hoensbroech freut sich auf Dortmund.
Konzerthaus-Intendant Dr. Raphael von Hoensbroech. Foto: NSB-Arciv

Am 2. und 3. sowie 20. November 2020 wurden umfangreiche Messungen im Zuschauerraum und den Foyers des Konzerthauses vorgenommen. Die Auswertungen der experimentellen Untersuchungen zeigen, dass insbesondere im Saal unter den gegebenen Bedingungen die Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosolübertragung nahezu ausgeschlossen werden kann.  ___STEADY_PAYWALL___

Vor allem die vorhandene zentrale Lüftungsanlage sowie das Tragen eines Mund-Nasenschutzes verringern die Aerosol- und CO2-Belastung stark, sodass theoretisch eine Vollbesetzung im Saal denkbar wäre. Unter Einbezug der Zuwege und Foyers wird jedoch eine Saalbelegung im Schach- brettmuster und damit 50 Prozent der Saalkapazität empfohlen. Mit der Studie können neben konkreten Ergebnissen für einen Besuch im Konzerthaus Dortmund auch Aussagen für andere Konzerthäuser oder Theater ähnlicher Größenordnung getroffen werden.

„Konzerthäuser und Theater sind keine Infektionsorte“, hatte Dr. Raphael von Hoensbroech, Intendant des Konzerthaus Dortmund, schon im September gesagt. Die vorliegende Studie diene aber nicht der Kritik an bisherigen Entscheidungen: „Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Politik wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen benötigt. Mit unserer Studie wollen wir dazu beitragen, dass die Konzerthäuser und Theater bei Öffnung wieder hinreichend Publikum zulassen können.“

Perspektiven und Planungssicherheit für die Zeit nach dem Lockdown

Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Foto: Bettina Engel-Albustin
NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Foto: Bettina Engel-Albustin

Die Relevanz der Studie bestätigt auch NRW-Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen: „Das Thema Belüftung ist ein entscheidender Faktor für die Wiedereröffnung von Kultureinrichtungen. Die Studie des Konzerthaus Dortmund ist daher ein wertvoller Baustein für die Bemühung, den Spielbetrieb auch in Pandemiezeiten zu ermöglichen. Sie zeigt gleichzeitig, mit welch großem Verantwortungsbewusstsein die Kultureinrichtungen dem Publikum gegenüber handeln.“

Mit Blick auf die große Relevanz der Belüftung habe die Landesregierung eine gemeinsame Arbeitsgruppe unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern von Kultureinrichtungen einge-setzt, die auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen derzeit eine differenzierte Öffnungsstrategie erarbeite. Teil dessen sei eine breit angelegte Analyse der Wirksamkeit von Belüftungssystemen in nordrhein-westfälischen Kultureinrichtungen, deren Durchführung Ende letzten Jahres begonnen hat.

„Es ist schmerzlich, dass das nach wie vor hohe Infektionsgeschehen eine Wiedereröffnung derzeit noch nicht zulässt. Umso wichtiger ist es, für die Zeit nach dem Lockdown Perspektiven und Planungssicherheit zu schaffen.“

Differenzierte Betrachtung der lokalen Gegebenheiten notwendig

Mit den richtigen Konzepten sind kulturelle Veranstaltungen möglich. Es kommt sehr auf die lokalen Begebenheiten an. Foto: Daniel Sumesgutner / Archiv

Die Studie liefert Ergebnisse, die für eine Wiedereröffnung von Bedeutung sind. Die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zielen auf die generelle Reduzierung von Kontakten und bedeuten so auch die Schließung der Theater und Konzerthäuser für den Publikumsverkehr. 

Nach dem Beschluss des Bundestags und Bundesrats vom 18. November 2020 soll das Infektionsschutzgesetz bei Beschränkungen des Betriebs von Kultureinrichtungen oder von Kulturveranstaltungen der Bedeutung der Kunstfreiheit Rechnung tragen. 

Sobald dies angesichts der Infektionslage möglich ist, sollten daher die Kultureinrichtungen wieder öffnen können, und das auf Basis wissenschaftlicher Fakten und einer differenzierten Betrachtung der jeweiligen örtlichen und konzeptionellen Gegebenheiten.

Für das Konzerthaus Dortmund lässt sich anhand der Studienergebnisse folgendes zusam- menfassen:

  • Mit Maske sowie mit ausreichend dimensionierter Frischluftzufuhr über die vorhandene raumlufttechnische Anlage (RLT-Anlage) gab es bei den Untersuchungen praktisch keine Beeinflussung durch Prüfaerosole auf allen Nachbarplätzen eines emittierenden Probanden.
  • Bereits das große Raumvolumen sorgt für eine starke Verdünnung von belasteten Aerosolen, durch den Zu- und Abluftbetrieb der RLT-Anlage ohne Umluftfunktion werden Aerosole in allen Bereichen effektiv abtransportiert und können sich nicht anreichern.
  • Ohne Maske sollte man jeweils den direkten Vorderplatz freihalten, mit den restlichen Nachbarplätzen ist eine Infektion aufgrund der Untersuchungen sehr unwahrscheinlich. Eine Schachbrett-Besetzung des Saales ohne Maske nach Einnahme des Sitzplatzes ist in jedem Fall zu empfehlen.
  • Besetzung des Konzerthauses mit vielen Personen stört den Luftaustausch nach oben nicht, sondern fördert diesen eher durch zusätzliche thermische Effekte.
  • Das Tragen von Masken ist auf Gängen, im Pausenbereich und in den Foyers grundsätzlich notwendig, da hier die Lüftung anders als im Konzertsaal arbeitet (u. a. Luftaustritt aus der Decke) und zudem enge Kontakte nicht auszuschließen sind. Während der Pausen bleiben zudem alle Türen zum Konzertsaal geöffnet, um eine zusätzliche Querstromlüftung zu ermöglichen.
  • Das Konzerthaus kann bei vorhandenem Lüftungskonzept (kompletter Luftaustausch mit Außenluft alle 20 Minuten) kein Superspreading-Event auslösen.
  • CO2-Messungen im laufenden Betrieb können dazu beitragen, die Ausbreitung von luftgetragenen Partikeln im Saal besser zu beurteilen.

Schachbrettartige Sitzverteilung und die Hälfte an Besucher*innen empfohlen

Das Tragen eines Mundschutzes sei von Vorteil aber nicht von so großer Bedeutung, wie bisher angenommen, meinen die Experte*innen.

Diese Ergebnisse wurden in enger Abstimmung mit dem Umweltbundesamt erstellt. „Hervorragende Untersuchung mit viel Aussagekraft! Das ist genau das, was wir brauchen an Informationen«, betont Dr.-Ing. Heinz-Jörn Moriske, Direktor und Professor im Umweltbundesamt (Leitung Beratungsstelle Umwelthygiene, FB II (BU), Geschäftsführung Innenraumlufthygiene-Kommission), und führt weiter aus: 

„Ich kann mich dem Fazit vollumfänglich anschließen. Bei schachbrettartiger Verteilung der Gäste und 100 Prozent Volllast der raumlufttechnischen Anlage ist das Infektionsrisiko sehr gering. Das Tragen von Mund-Nasenschutz im Saal ist von Vorteil, wenn auch nicht von so großer Bedeutung, wie vorher angenommen.“ Auch der Hygieneexperte Professor Dr. med. Martin Exner betont die Bedeutung dieser Ergebnisse: „Die Studie liefert wichtige Grundlagen zur Abschätzung eines Übertragungsrisikos von SARS- CoV-2 bei Konzerten mit Publikum.“

Zusammenfassend könne eine Wiederöffnung mit mindestens 50 Prozent der Kapazität als Schachbrett mit je einem freigelassenen Sitzplatz zwischen den Sitzgruppen auf Grundlage der Studienergebnisse empfohlen werden, zumal die Sicherheitsabstände in den Foyerflächen und bei den Wegen in und aus dem Saal sichergestellt werden könnten. 

Geringere Auslastung bietet keinen Mehrwert für den Infektionsschutz

Eine geringere Auslastung hätte somit keinerlei Mehrwert für den Infektionsschutz. Sind die Infektionszahlen insgesamt wieder auf niedrigem Niveau, wäre aus hygienischer Sicht bei Tragen von Mund-Nasenschutz eventuell später auch ein vollbesetzter Saal denkbar. Dies könnte z. B. über modellbasierte Berechnungen abgesichert werden.

Mit der Studie können neben konkreten Ergebnissen für einen Besuch im Konzerthaus Dortmund auch Aussagen für andere Konzerthäuser oder Theater getroffen werden, in denen in bestimmten Punkten vergleichbare Rahmenbedingungen herrschen. An Häusern, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, können durch das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut zusätzliche Studien mit relativ wenig Aufwand durchgeführt werden. Leiter der Studie ist Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Schade, Abteilungsleiter Faseroptische Sensorsysteme am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut.

 

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  1. Konzertabsagen im Februar 2021 – Keine Eigenveranstaltungen im KONZERTHAUS DORTMUND vom 1. bis 28.02.2021 (PM)

    Konzertabsagen: Keine Eigenveranstaltungen im KONZERTHAUS DORTMUND vom 1. bis 28.02.2021

    Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Corona-Pandemie sagt das KONZERTHAUS DORTMUND alle bis zum 28. Februar 2021 geplanten Eigenveranstaltungen ab. Ersatztermine gibt es vorerst nicht. Die Rückerstattung von Tickets erfolgt in Form eines Gutscheins über die Höhe des gezahlten Kartenpreises, der für alle Veranstaltungen im Konzerthaus einlösbar ist. Alle Ticketinhaber werden schriftlich informiert. Bei weiteren Fragen steht das Ticketing telefonisch unter T 0231 – 22 696 200 oder per E-Mail an info@konzerthaus-dortmund.de zur Verfügung. Die Verkaufsräume bleiben ebenfalls geschlossen. Karten und Informationen zu Konzerten ab März 2021 sind online, telefonisch oder per E-Mail verfügbar.

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