Ein Interview mit dem Dortmunder Nachtbeauftragten Chris Stemann

„STADT NACH ACHT“: Die internationale Night-Live-Konferenz das erste Mal in Dortmund

Chris Stemann ist Nachtbeauftragter der Stadt Dortmund und froh über die Konferenz.
Nachtbeauftragter Chris Stemann für Zusammenhalt, Miteinander und Austausch bei der Fachkonferenz „Stadt nach Acht“. Foto: Roland Gorecki für die Dortmund-Agentur

Von Kyra Usielski und Chimène Goudjinou

Nach 20 Uhr sei in Dortmund nichts mehr los. Das Nachtleben würde schlafen. Wo bleiben die jungen Menschen? Darüber wird mitunter in der „STADT NACH ACHT“ Konferenz gesprochen. Zur Stunde wird die Konferenz im Dortmunder U eröffnet. Vom 1. bis 3. September 2022 teilen die Anwesenden im Rahmen eines umfangreichen Programms und auch einer Diskussionsrunde ihr Expert:innen Wissen.

Dortmund setzt sich gegen zwei andere europäische Städte durch

Nächtliches „Möllern“ auf der Möllerbrücke und im Westpark bewegt Anwohner:innen, Politik und Sicherheitsbehörden. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Es wird mit mehr als 100 nationalen und internationalen Fachleuten gerechnet, die sich auf der Dortmunder Konferenz austauschen werden. Dieses Jahr ist Dortmund der Veranstaltungsort der Konferenz – sie findet das erste Mal überhaupt in Nordrhein-Westfalen statt. ___STEADY_PAYWALL___

Die Akteur:innen sprechen über alle möglichen Aspekte des Nachtlebens: Ruhebedürftige Bewohner:innen und Feiernde, der Nahverkehr zur späten Stunde und attraktive Angebote für junge Menschen. Die Konferenz wird in Kooperation mit der Stadt Dortmund von der LiveMusikKommission (LiveKomm) und dem Bundesverband der Musikspielstätten in Deutschland veranstaltet.

Die wichtigste Konferenz zum Nachtleben an drei Tagen und drei Standorten

„STADT NACH ACHT“ wird im Dortmunder U, im „domicil“ an der Hansastraße und im Deutschen Fußballmuseum ausgetragen. Am heutigen Donnerstag um 10 Uhr findet die Eröffnung der Konferenz im Brauturm des Dortmunder U statt.

Das Nachtleben läuft erst langsam wieder an. Die Aufhebung der Sperrstunde soll helfen.
Tanzende Menschen in der Diskothek Nightrooms. Archivfoto: Alexander Völkel

Anschließend findet mit Oberbürgermeister Thomas Westphal, Staatssekretärin Gonca Türkeli-Dehnert, Dortmunds Wirtschaftsförderin Heike Marzen, U-Turm-Chef Stefan Heitkemper, Dortmunds Nachtbeauftragten Chris Stemann und den Vorständen der Livekomm ein Eröffnungs-Panel statt.

Am Tag darauf findet das Panel „Kommunales Konfliktmanagement und nächtliches Feiern“ im domicil statt. Am Samstag findet dann noch das Bundestreffen der Nachtbürgermeister:innen im Deutschen Fußballmuseum statt.


INTERVIEW: Nachtbeauftragter Chris Stemann über die Zukunft des Dortmunder Nachtlebens

Vor der Konferenz haben die Nordstadtbloggerinnen Kyra Usielski und Chimène Goudjinou mit Dortmund „Nachtbürgermeister“, dem Nachtbeauftragten “Chris Stemann darüber gesprochen, was im Dortmunder Nachtleben abgeht, was ansteht und was gebraucht und gefördert wird. Und natürlich über die Fachkonferenz, die derzeit in Dortmund stattfindet.

Nordstadtblogger: „Stadt nach Acht“, hört sich komplex an, aber was genau ist das überhaupt und was sind die Aufgaben als Nachtbeauftragter?

Chris Stemann: Das ist eine Fachkonferenz. Da kommen alle Leute genau deswegen hin: Um sich zu vernetzen und neue Impulse zu bekommen. Da sind dann Leute aus der ganzen Welt und auch wirkliche Cracks. Für viele rechnet sich das total. Ich war letztes Jahr in Berlin und bin da ohne Erwartungen hin. Ich kannt „Stadt nach Acht“ überhaupt nicht. Die Veranstaltung ist alle zwei Jahre in Berlin. In den zwischen Jahren wechselt sie in andere europäische Städte.

Der DJ Chris Stemann ist Nachtbeauftragter der Stadt Dortmund. Foto: Volker Rost

Für mich sind da so viele nachhaltige Sachen raus entstanden, die einfach super waren. Einen Nachtbürgermeister gab es in NRW nicht. Ich hatte hier die erste Stelle. In anderen Städten gibt es das schon länger. New York hat irgendwann mal damit angefangen und Mannheim vor sieben oder Jahren.

Mittlerweile sind wir vernetzt und tauschen uns über Probleme aus, die gerade in den Städten sind. Das ist aus der Berliner Konferenz entstanden. Diesmal haben wir uns gegen zwei andere europäische Städte durchgesetzt und dürfen die Konferenz in Dortmund austragen: Das erste Mal, dass die Konferenz überhaupt in einer anderen deutschen Stadt, außer in Berlin stattfindet. Vier Säulen sind bei dieser Konferenz entscheidend: Nachtökonomie, Kultur, Sicherheit und Sauberkeit.

Kann Dortmunds erster Nachtbeauftragter Wünsche wahrmachen?

Man muss ganz klar sagen: Ich bin alleine Seitens der Stadt und alleine ist von heute auf morgen nicht alles gleichzeitig zu schaffen. Ich kann nur selektiv arbeiten. Ich arbeite mit verschiedenen Dezernaten zusammen. An den grundsätzlichen Night-Live Themen sitze ich aber alleine. Das tut mir auch leid, dass ich da nicht direkt auf alles eingehen kann.

Der Nachtbeauftragte ist die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Nachtleben in Dortmund. Warum ist das so wichtig?

Ich war selbst DJ. Die Haltung war immer: Es ist voll o.k., wenn man mit der Stadt nicht zu tun hat. Hauptsache keinen Stress mit der Stadt haben, das war meine Einstellung. Mit der Einstellung bin ich auch in den Job gegangen. Ich hab mich so geschämt. Was ich erlebe, ist dass immer geguckt wird, dass Kräfte gebündelt werden.

Das für verschiedenen Projekte die Stärken von Mitarbeitern herausgefunden werden und genutzt werden. Teamwork wie hier habe ich noch nie erlebt. Kreative Kopfe sind nicht nur im Nachleben, sondern eben auch bei der Stadt. Köpfe, die wirklich alles geben und vieles ermöglichen. Stadt ist eben ein Ermöglicher und nicht Verhinderer. Die letzten Jahre hat die Stadt vieles gegeben um Pro-Clubs zu handeln.

Auch die Clubs untereinander müssen besser connectet sein, um Dinge umsetzten zu können. Hand in Hand und kein Konkurrenzkampf. Bis zur Pandemie hat jeder sein Ding gemacht. Das ist vielleicht das Gute an der Pandemie, dass man festgestellt hat, dass man einander braucht. Jetzt verstehen viele wenn es allen gut geht, geht es auch der Stadt gut, also dass man jetzt ein ganz anderes Miteinander hat. Wir arbeiten aber vor allem auf ein Zusammenhalten, Miteinander und Austausch hin. Kommunikation und Menschen zusammenhalten ist alles.

Ist die Konferenz nur für „Cracks“ oder können sich aktive Night-Live-Besucher:innen einbringen?

Das Schöne an der Konferenz ist ja auch einfach, dass dort sowohl junge Kollektive, als auch Staatssekretäre teilnehmen und auf Augenhöhe in den Austausch kommen. Aber auch das Publikum wird einbezogen. Also Jeder, der da hingeht, kann mitsprechen, seine Meinung sagen, sich einbringen. Das ist das Prinzip der Konferenz.

Thema Sicherheit: Gerade Frauen gehen ja manchmal mit einem unangenehmen Beigeschmack feiern. Wird auf der Konferenz auch thematisiert, wie für ein besseres Wohlbefinden aller Besucher:innen gesorgt werden kann? Dazu past das Stichwort Awareness-Teams.

Genau der Punkt ist uns wichtig. Es geht natürlich auch darum in Dortmunder Clubs nach und nach solche Teams zu etablieren. Der Tresor fängt zum Beispiel damit an die erste Clubtür zu haben, an der Frauen die ersten Ansprechpartnerinnen sind. Gerade der Austausch über dieses Thema ist auch in vielen Diskussionen der Konferenz Schwerpunkt.

Nächtliches „Möllern“ auf der Möllerbrücke und im Westpark – Polizei und Ordnungsamt waren regelmäßig im Einsatz. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Ein weiteres Stichwort: „Dortmund-Guides“. Ein Team, dass im Bereich des Westparks und des Dortmunder U’s für Austausch und Sicherheit sorgt. Damit alle im Bilde sind hatte ich vorab viele Gespräche mit der Polizei und dem Ordnungsamt. Seit dem es die Dortmund-Guides gibt, haben diese viel weniger Einsätze und alle sagen: „Muss weiter laufen“.

Obwohl Polizei und Ordnungsamt anfangs nicht begeistert waren, weil sie einfach nicht daran geglaubt haben, dass man auf der Ebene was erreichen kann. Und das war ja auch nicht klar, aber es läuft. Wenn es Stress gibt sind die Guides raus. Sie sollen sich nicht in Gefahr begeben, sondern auf Augenhöhe agieren. Seit dem die Guides da sind fühlen sich auch die Anwohner:innen besser abgeholt.

Es ist vielleicht genau so laut wie vorher, aber jeder fühlt sich gehört und viele scheinen happy. Wenn man mit allen spricht und alle mitnimmt ist die Toleranz einfach groß und das hat lange gefehlt. Die Guides holen aber auch die Menschen ab, die nicht wissen was, wann wo geht. Aber vor allem sollen sie für Sicherheit, Sauberkeit und ein gutes Miteinander sorgen. Der Ausbau dieses Konzepts ist natürlich Thema.

Auch das Jugendamt Dortmund hat ein Konzept gekauft. Gerade für Frauen die allein im Club unterwegs sind und ein Problem haben, dass sie sagen „Wo ist Laura“. Damit allgemein klar ist, dass jemand Hilfe benötigt. Da ist es meine Aufgabe natürlich, dass wir das in allen Clubs etablieren.

Viele junge Menschen sind aktiv und starten Projekte. Eins davon ist das Label „Church Club Records“, die Events und Projekte auf die Beine stellen. Auch im Bereich Digitalisierung zeigt sich Initiative durch die App „Night-Live“. Inwiefern sind Förderungen der Ideen und Projekte junger Köpfe des Nachtlebens Thema?

Wir arbeiten selbst seit einem Jahr an der App: „Dortmund Smart City App“. Das wird eine interaktive App sein. Es gibt auch Leute, die die Night-Live App machen. Das sind Leute von außerhalb, die fürs Studium hier hin gezogen sind und eben nicht wussten, wo was ist und genau das ist der Punkt.

Viele Leute wissen einfach nicht, was in der Stadt los ist und das muss man definitiv besser transportieren. Da ist die Stadt dran und das kommt sehr bald.

Church Club Records unterstütze ich insofern, dass ich mich neulich mit Church Club zusammengesetzt habe und wir das Konzept „DJ School“ dem Kulturdezernenten vorgestellt haben. Wir waren also schon bei der Stadtspitze mit dem Thema und gucken, was da geht und wie wir das unterstützen können. Das sind alles Dinge, die wir auf dem Schirm haben.

Wird auch der Einschlag durch Corona auch lösungsorientiert besprochen?

Ein wichtiger Punkt. Das Ausgehverhalten ist extrem anders geworden. Bei 18 bis 25-jährigen laufen die Formate die angeboten werden. Aber alle andern Clubs sind relativ tot.

Ukrainekrieg. Gaskrise. Leute wissen nicht was kommt. Sind vorsichtig. Corona. Da haben ja auch viele noch Angst und ist der Grund dafür, dass viele nicht mehr rausgehen.

Irgendwie haben sich alle umgewöhnt, weil ich zwei Jahre nicht konnte. In der Zeit haben viele andere Dinge gefunden, mit denen sie sich beschäftigen. Jetzt ist alles wieder offen und einfach wie vorher ist eben nicht. Es ist jetzt einfach eine neue Zeitrechnung, ein neues Weggehverhalten – und keine Ahnung wie das weiter geht.

Wie siehst du der Zukunft des Dortmunder Night-Live entgegen?

Das Nachtleben läuft erst langsam wieder an. Die Aufhebung der Sperrstunde soll helfen.
Tanzende Menschen in der Diskothek Nightrooms – lange vor der Corona-Pandemie. Archivfoto: Alexander Völkel

Ich höre immer: ,Woanders ist alles super und hier ist alles scheiße.‘ Bermuda-Dreieck Bochum, früher gab es das Thier-Gelände. Das sind aber alles Sachen, die von gestern sind. Das Ausgehverhalten ist aber aus gutem Grund nicht mehr so, wie es vor 15 Jahren mal war.

Ich finde, dass wir hier gerade mit den Quartieren, das eben nicht alles so zentral ist gut aufgestellt sind. Ich habe eine jüngere Tochter und wenn ich durch das Hafenquartier laufe und sehe wie sich die Speicherstraße entwickelt, freue ich mich für sie, dass es dort in Zukunft echt super sein wird.

Die Nordstadt mit dem Junkyard, also hier passieren ja auch echt tolle Sachen. Allein, dass es diese Stelle des Nachtbürgermeisters überhaupt gibt, zeigt ja, dass die Relevanz des Nachtlebens gesehen wird. Auch mit dem Dortmund- Guide-Prinzip haben wir die Nase vorne und Beauftragte aus anderen Städten schauen auf dieses Prinzip.

Der Aufschrei der Dortmunder:innen nach „Outdoor- Veranstaltungen“ ist groß. Was hat Dortmund da geplant?

Menschen auf dem Juicy Beats Festival – nach zwei Jahre Pause ging es dieses Jahr wieder zur Sache. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Daran wird gearbeitet. In Bremen gibt es zum Beispiel ein Freiluftgesetz. Wir gucken, dass wir zwei, drei öffentliche Flächen aussuchen, die im Sommer auf ganz kurzen Dienstwegen, für nicht kommerzielle Veranstalter zur Verfügung gestellt werden.

Du siehst: Mittwoch und Samstag ist das Wetter gut, dann kannst du deine Veranstaltung bei der Stadt ohne großen bürokratischen Aufwand anmelden.

Die Auflagen hierzu beschränken sich dann eher auf die Lautstärke und Sauberkeit. Das sind so Sachen, wo wir als Stadt Dortmund austauschen. Das haben wir auf dem Schirm und wollen das ab nächstem Jahr anbieten.

Wenn ich in der Dortmunder Innenstadt lebe bin ich gut aufgestellt, in den Randbezirken ist das Angebot eher weniger verlockend beziehungsweise nicht vorhanden. Wird an diesem Punkt auch angesetzt?

Foto: Leopold Achilles Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Definitiv muss sich in den Randbezirken etwas tun. Es ist so, dass in den Vorworten ja wirklich kaum was ist und das wollen wir ändern.

Idee ist, das wir dort vielleicht kleine Festivals planen und dafür die Kneipen vor Ort zusammen kriegen. Die Kids müssen ja alle immer in die Stadt fahren und da finde ich, dass man da auch Angebote schaffen muss.

Es ist ja nicht nur so, dass Menschen vom Stadtrand in die City müssen. Abends müssen selbstverständlich auch irgendwie wieder nach Hause. Was tut sich im Thema Nahverkehr?

Das ist natürlich nicht nur von der Stadt umzusetzen, sondern auch von den Betreibern. Das ist nicht von heute auf morgen erledigt, aber ist auf jeden Fall Thema der Konferenz.  Alle Busse starten zentral, aber es wäre natürlich gut, wenn zum Beispiel immer alle Clubs abgefahren werden. Durch die Pandemie musste man aber Prioritäten setzen. Die größte Priorität war natürlich erstmal die Clubs an die Hand zu nehmen und durchzukriegen.

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