Schulbegleitung in Dortmund: Stadteltern fordern Kontinuität und gute Bezahlung statt prekärer Beschäftigung

Eltern SchülerInnen und Beschäftigte setzten vor dem Schulausschuss ein Zeichen.
Eltern, SchülerInnen und Beschäftigte forderten vor dem Rathaus in Dortmund ein Umdenken.

Dicke Luft vor dem Rathaus: Eltern, SchülerInnen und auch (ehemalige) SchulbegleiterInnen haben auf Initiative der Stadteltern Dortmund vor dem Rathaus für eine bessere Finanzierung der Schulbegleitung und die Weiterbeschäftigung von 51 SchulbegleiterInnen demonstriert. Die AWO hatte die gut ausbildeten Kräfte entlassen müssen, weil die Zwei-Säulen-Finanzierung nicht mehr funktioniert. Die Kräfte müssen  – wenn sie es denn wollen – zu anderen Anbietern wechseln, wo sie allerdings wesentlich schlechter bezahlt werden. 

600 Unterschriften von Eltern und Beschäftigten an Schuldezernentin übergeben

Vor der Sitzung des Schulausschusses – dort stand das Thema allerdings nicht auf der Tagesordnung – übergaben sie rund 600 Unterschriften an Schuldezernentin Daniela Schneckenburger. 

Anke Staar von den Stadteltern überreichte Daniela Schneckenburger 600 Unterschriften.
Anke Staar von den Stadteltern überreichte Daniela Schneckenburger 600 Unterschriften.

Die Grünen-Politikerin musste sich viel Kritik von Eltern und Beschäftigten anhören. Denn diese machten ihrem Frust Luft, dass gut ausgebildete Kräfte nun auf der Straße stehen oder zu deutlich geringeren Löhnen für dieselbe Arbeit bei einem anderen Träger anfangen sollen.

Das Problem: Die AWO hat die Schulbegleitungen unbefristet angestellt und auch durchgängig bezahlt. Zum Einsatz kamen hier unter anderem ehemalige Langzeitarbeitslose, die für die neue Tätigkeit qualifiziert wurden. 

Neben dem eigentlichen Geld für die Erbringung der Dienstleistung der Schulbegleitung von der Stadt hat die AWO auch Eingliederungsmittel für die Beschäftigung von ehemals Langzeitarbeitslosen vom Jobcenter bekommen. Diese Förderung hätte auch jeder andere Arbeitgeber erhalten.  Beide Summen kamen „in den Topf“ – damit konnten die Beschäftigten auskömmlich und vor allem durchgängig beschäftigt werden. 

Das System sieht nur eine prekäre Beschäftigung der SchulbegleiterInnen vor

Das Perfide am Konzept der Schulbegleitung: Wenn die zu begleitenden Kinder krank sind, es Feiertage, oder Ferien gibt, werden die Beschäftigten nicht bezahlt. Das gilt auch dafür, wenn sie selbst krank sind oder Urlaub haben. Bezahlt wird nur die geleistete Stunde. 

Anders bei der AWO: Hier gab es ein festes Gehalt, Urlaub und auch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Zudem wurden die Schulbegleitungen unbefristet – also auch in den Schulferien – beschäftigt. Sie hatten ein faires Einkommen.

Da es jedoch (fast) keine Zuschüsse mehr für die Eingliederung von ehemals Langzeitarbeitslosen gab, entstand eine riesige Lücke im Budget – der Wohlfahrtsverband hat die Reißleine gezogen. Denn auf prekäre Beschäftigungsmodelle wie bei vielen der rund 30 Wettbewerber der AWO wollte der Wohlfahrtsverband nicht umstellen und hat daher die gesamte Abteilung geschlossen. Zehn Beschäftigte wehren sich gerichtlich. Aktuell laufen die Güteverhandlungen.

AWO-Beschäftigte haben bei neuen Arbeitgebern Einbußen von bis zu 50 Prozent

Die meisten ehemaligen AWO-Beschäftigten haben sich jetzt teils nach neuen Arbeitgebern umgesehen – die Enttäuschung dabei ist aber riesig: „Ich habe vorher 1600 Euro brutto verdient. Bei den neuen Arbeitgebern würde ich nur noch zwischen 750 und 800 Euro bekommen – bei gleicher Stundenzahl“, berichtet eine ehemalige AWO-Beschäftigte. 

Sie könnten doch aufstocken gehen, hätten mehrere zu hören bekommen, wenn ihnen das Geld nun nicht mehr reiche. „Es kann doch nicht sein, dass die Leute sich besser stehen würden, wenn sie Arbeitslosengeld beziehen würden, als wenn sie den neuen Vertrag unterschreiben“, kritisiert Anke Staar von den Stadteltern. 

Der entscheidende Unterschied: Bei der AWO gab es festes Geld für die geleisteten Stunden – jede Woche identisch. Bei vielen Arbeitgebern wird aber mit Stundenkonten gearbeitet. Sie leisten beispielsweise 35 Stunden, bekommen aber nur 20 bezahlt. Die 15 Stunden gehen auf ein Konto, um damit Ausfalltage oder Ferien zu kompensieren. 

Schulbegleitungen müssen Arbeitszeitkonten oder Arbeitslosigkeit in Ferien hinnehmen

Entsprechend heftig sind die Einbußen. Anderen Schulbegleitungen wird Ende des Schuljahres gekündigt und sie werden (vielleicht) zum Schuljahresbeginn wieder eingestellt. Ob sie zurückkehren können und ob sie dann noch dasselbe Kind betreuen, wissen weder Betreuer noch Eltern.

Daher sind auch die Eltern auf dem Baum, weil Schulbegleitung ein Vertrauensjob ist. Es braucht lange, bis sich ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Kontinuität ist daher besonders wichtig. 

Bei der AWO gab es die Kontinuität. In den Ferien gab es für die Beschäftigten entweder Schulungen oder sie sammelten in den Werkstätten und Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen Erfahrungen. Doch das ist eigentlich vom Konzept nicht vorgesehen. „Eigentlich müssten Sie dumm herumsitzen und nichts tun“, erwiderte Schneckenburger auf den Verweis auf die unbezahlten Sommerferien. Praktika, Schulungen oder Arbeitseinsätze in anderen Abteilungen seien nicht vorgesehen.

„Es ist ein schrecklich schlechtes System“, räumte sie ein. Allerdings sei dies kein Thema der Stadt. Hier sei das Land gefragt. Denn auch die von vielen Schulbegleitungen gemachten Assistenzen im Unterricht – unabhängig vom „eigenen“ Kind – sei eigentlich nicht vorgesehen. Die Schulbegleitung sei eine individuelle Leistung für das Kind. Die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt gehöre eben nicht dazu.  

Elternverbände appellieren an Land und Bund für den Erhalt der Arbeitsplätze

In ihrem nun überreichten Appell fordern die Elternverbände die Sicherung der AWO-Arbeitsplätze und mehr Unterstützung für die Kommunen, um eine qualitativ wertvolle Schulbegleitung zu sichern.

Sie weisen darauf hin, dass der Bedarf in der Zukunft steigen wird und es deshalb unerlässlich sei, die Betroffenen angemessen zu entlohnen. 

Nicht die AWO habe zu viel gezahlt, sondern andere Träger würden einen regelrechten Unterbietungskampf führen, der in prekäre Beschäftigungsverhältnissen mündete, unter denen die Qualität der Arbeit abnehme.

Daher wenden sich die Stadteltern Dortmund, die Landeselternschaft der Förderschulen mit Schwerpunkt geistige Entwicklung NRW e.V. und die Schulbegleitung Interessengemeinschaft NRW mit einem dringenden offenen Appell zum Erhalt der SchulbegleiterInnenstellen an Bund und Land.

Geld aus dem kommunalen Arbeitsmarktprogramm gefordert

Im Land sieht auch Schneckenburger den richtigen Adressaten. Denn die Schulbegleitungen seien nicht dazu da, allgemeine Assistenzdienste in den Schulen zu leisten. Das Land sei gefordert, ausreichen Stellen für LehrerInnen und sozialpädagogische Assistenzstellen zu schaffen. 

„Darüber sprechen wir, aber die Gespräche sind schwierig“, räumt sie ein. Den Eltern reicht das jedoch nicht: Wir brauchen jetzt die SchulbegleiterInnen und nicht erst Personal in zehn Jahren“, betonen die Betroffenen. 

Anke Staar von den Stadteltern überreichte Daniela Schneckenburger 600 Unterschriften.
Anke Staar von den Stadteltern überreichte Daniela Schneckenburger 600 Unterschriften.

Eine Forderung ist, dass die Kommune ein Budget zur Verfügung stellt – zum Beispiel aus dem kommunalen Arbeitsmarktprogramm – um die Lücke bei der AWO oder auch anderen AnbieterInnen zu schließen, die nicht prekär beschäftigen. 

Denn statt mit Aufstocker-Leistungen die Geschäftsmodelle „ausbeuterischer Anbieter“ und „Dumping-Modelle“ zu alimentieren, solle die Stadt lieber für eine auskömmliche und faire Bezahlung der Beschäftigten sorgen. Denn zahlen müsse die Stadt doch so oder so – auf die eine oder andere Weise. 

Eine Argumentation, die die Schuldezernentin so aber nicht stehen lassen wollte. Denn während die Kommune diese „Lücke“ komplett aus eigener Tasche zahlen müsste, werden die Aufstocker-Leistungen zwar von der Stadt ausgezahlt, aber zum überwiegenden Teil vom Bund refinanziert. Die Stadt muss „nur“ die Kosten der Unterkunft tragen – immerhin 150 Millionen Euro im Jahr. „Wir können aber nicht für Bund und Land in die Bresche springen“, argumentiert Schneckenburger.

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Schlechte Nachricht für Beschäftigte, Kinder, Eltern und Lehrer: AWO muss die Schulbegleitung in Dortmund beenden

HINTERGRUND

Was sind die Anforderungen an die Schulbegleitung ?

  • Um körperlich, geistig oder seelisch behinderte Kinder in den normalen Schulalltag zu integrieren, ist es wichtig, dass sie individuell betreut werden.
  • Die sogenannten SchulbegleiterInnen benötigen hierfür neben dem Fachwissen über den Umgang mit behinderten Menschen auch eine gehörige Portion Sozialkompetenz. 
  • Sie müssen körperlich und seelisch belastbar sein und ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Schützling aufbauen, damit immer ein/e AnsprechpartnerIn in der zunächst fremden Umgebung Hilfestellung leisten kann. 
  • Sie sind Erzieher, Freund, Berater und tragen Verantwortung. Trotz dieser hohen Anforderungen steht das Projekt Schulbegleitung in Dortmund nun aus finanziellen Gründen vor dem Aus.
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Reaktionen

  1. Antrag auf Schulbegleitung muss vereinfacht werden (PM SPD)

    Antrag auf Schulbegleitung muss vereinfacht werden

    Die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund hat zum Thema Schulbegleitung klare Forderungen an die zukünftige Ausgestaltung des Antragsverfahrens für die betroffenen Erziehungsberechtigten/Eltern und ihre Kinder:

    Der Begriff „Schulbegleitung“ umschreibt eine Situation, die im Verwaltungsdeutsch auch als Form der „Eingliederungshilfe für behinderte Menschen“ bezeichnet wird. Letztlich geht es um eine Begleitung von Schülerinnen oder Schülern mit einem besonderen Betreuungsbedarf. Nach Ansicht der SPD-Fraktion ist es dringend erforderlich, dass Antragsformulare zur Gewährung von Schulbegleitung im Internet zur Verfügung gestellt und Leistungen zügig beantragt werden können.

    „Antragswege zu städtischen Leistungen müssen für die Bürger dieser Stadt im Internet barrierefrei und leicht verständlich abrufbar sein. Dabei können auch die rechtlichen Rahmenbedingungen in verständlicher Form zugänglich gemacht werden. Bei so komplexen Zuständigkeitsverfahren mit mehreren Fachbereichen empfiehlt sich darüber hinaus eine automatisierte Zuständigkeitsklärung durch die antragsaufnehmende Dienststelle. Um eine Betreuungskontinuität für die betroffenen Kinder und Eltern sicherzustellen, ist es wichtig, dass eine zeitnahe Bearbeitung der Anträge gewährleistet wird. In diesem Sinne sollte eine einheitliche Beschreibung und Behandlung des Wortes „Schulbegleitung“ auf den Seiten aller drei beteiligten Fachbereiche – Jugend, Soziales, Schule – selbstverständlich sein“, sagt der schulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Roland Spieß.

  2. GEW Dortmund befürchtet: Neuregelung der Schulbegleitung gefährdet die Inklusion (PM)

    GEW Dortmund befürchtet: Neuregelung der Schulbegleitung gefährdet die Inklusion

    Jahrelang unterstützen mehr als 1000 „Schulbegleiter*innen“ Schüler*innen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen dabei, an Dortmunder Schulen erfolgreich am Unterricht teilzunehmen. Im Rahmen des Modellprojektes „SchuBiDo“ hatte die Stadt Dortmund Leistungen des Sozialgesetzbuches und der Jugendhilfe zusammengefasst und dadurch praxisorientiert betroffenen Schüler*innen als auch den Schulen Hilfe bei der Umsetzung der schulischen Inklusion gegeben.

    Modellprojekte, wie Budgetschulen an Standorten mit hohen Bedarfen an Schulbegleitung, gaben den Schulen die Möglichkeit die Schulbegleitungen zielführend in den Klassen einzusetzen. Die Bedarfe wurden von SchuBiDo erkannt und es wurden Lösungen gesucht. Diese Maßnahmen sind ein wichtiger Bestandteil in den Schulen, um eine inklusive Bildung aller Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten und somit auch der Bildungsregion Dortmund in seiner Vorreiterrolle im Bereich der Entwicklung eines inklusiven Schulsystems gerecht zu werden.

    Die GEW Dortmund hat diese Herangehensweise immer begrüßt. Durch die gesetzlich geänderten Voraussetzungen des Bundesteilhabegesetzes musste nun die Schulbegleitung in Dortmund neu geregelt werden.

    Martin Roth von der GEW-Fachgruppe sonderpädagogische Berufe stellt dazu fest: „Hilfen in der Hofpause, die Organisation des Arbeitsplatzes, Unterstützung zur Teilhabe am Unterrichtsgeschehen, bei Ausflügen oder im Bereich der Hygiene sind für die betroffenen Kinder und Jugendlichen unerlässliche Unterstützungen, ohne die eine erfolgreiche Beschulung sehr schwierig umzusetzen sein wird.‘“

    Die Änderungen bei der Finanzierung und Organisation der „Schulbegleitung“ wurden bereits letzte Woche in Schulleitungs-Informationsveranstaltungen für Grund- und Förderschulen seitens der Stadtvertreter*innen beschrieben und führten zu vielen Fragen, die nicht geklärt werden konnten. Anlass für die GEW Dortmund, dieses Thema in einem weiteren Kreis mit Vertreter*innen der Stadt Dortmund und über 90 Teilnehmer*innen am vorherigen Montag online zu diskutieren. Die Befürchtungen, dass es zu einer massiven Reduzierung der genehmigten Schulbegleiter*innen kommt, wurden auch hier nicht ausgeräumt.

    Frau Dr. Frenzke-Kulbach vom Jugendamt und Herr Hagedorn vom Schulamt beschrieben den teilnehmenden Lehrkräften, wie die Stadt Dortmund nun die Antragstellung und Organisation der Schulbegleitung völlig neu strukturieren will. Dabei blieben viele Fragen offen, auf beschriebene Ängste, dass viele betroffene Eltern kaum in der Lage sein werden, die Anträge auf Schulbegleitung selbstständig zu stellen, gab es seitens der Stadtvertreter*innen keine zufriedenstellenden Antworten.

    So bleibt aus Sicht der GEW Dortmund zu befürchten, dass eine zu erwartende Reduzierung der genehmigten Schulbegleitungen für viele Schüler*innen eine Gefährdung der schulischen Inklusion bedeuten könnte und auch zu mehr Sanktionen und Ordnungsmaßnahmen führen könnte, die genau die Kinder treffen könnte, die am meisten Unterstützung benötigen.

    Die neu geschaffene dritte Säule der Stadt „Starke Bildung in Dortmund“ wird diese Problematik nicht auffangen können, da es sich hierbei nicht um Unterstützung im Unterricht handelt. Genau diese benötigen aber manche Kinder, um erfolgreich am Unterricht teilnehmen zu können. „Die Corona-Pandemie trifft grundsätzlich schon die Menschen, die sozial benachteiligt sind, in dieser Stadt am meisten. Eine Reduzierung der Schulbegleitungen durch ein nicht barrierefreies Antragsverfahren führt zu weiteren Ungleichheiten und muss vermieden werden“, formuliert Biggi Scholten, sonderpädagogische Lehrkraft und für die GEW im örtlichen Personalrat Grundschule deutlich die Befürchtung.

    Deshalb fordert die GEW Dortmund die Stadt auf, die Sorgen und Ängste der Schulen, allen Kindern eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht ermöglichen zu können, ernst zu nehmen. Es gilt Wege zu finden, die durch „SchuBiDo“ bereits geschaffene Grundqualität in der inklusiven Bildung weiter zu gewährleisten. “Hierzu muss die Stadt die Bedürfnisse der Kinder ernst nehmen, mit den Schulen ins Gespräch gehen, um gemeinsam gute Lösungen zu finden – für die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt!“

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