Prozess um verletzten BVB-Fan: Vernehmungen der Sicherheitsleute widersprechen den Augenzeugenberichten

Der Vorsitzende Richter Schwengers und die Schöffen.
Am zweiten Prozesstag ließen sich der Vorsitzende Richter Schwengers und die Schöffen rechtsmedizinisch über die Verletzungen des Opfers aufklären und erhielten Einblick in die Polizeivernehmungen. Fotos: Sascha Fijneman

Am zweiten Verhandlungstag am Amtsgericht Dortmund im Prozess gegen den Sicherheitsmann Mohammed A., der den BVB-Fan Marc S. im Rahmen der Bundesliga-Begegnung Borussia Dortmund gegen Werder Bremen im vergangenen Jahr durch einen rohen Angriff lebensgefährlich verletzt haben soll, wurden die zum Tatort berufenen und mit den Ermittlungen betrauten BeamtInnen der Polizei und der Kripo angehört. Zu Beginn der Verhandlung verschaffte eine Sachverständige vom Institut für Rechtsmedizin in Dortmund dem Gericht und dem Plenum einen Überblick über die teils gravierenden Verletzungen des Opfers und erläuterte deren mögliche Ursachen.

Rechtsmedizinerin klärte über die Verletzungen des Opfers auf

Die Sachverständige berichtete, dass sie den Geschädigten am 22. Mai 2017, also zwei Tage nach dem Vorfall, auf der Intensivstation in tief komatösem Zustand angetroffen habe. Aufgrund einer „teigigen Schwellung“ im Kopf-, Hals und Schulterbereich sei eine nähere Untersuchung zunächst nicht möglich gewesen.

Die Prognosen seien zu diesem Zeitpunkt völlig offen gewesen und für den Patienten habe akute Lebensgefahr bestanden. Den verantwortlichen Ärzten sei klar gewesen, dass Marc S. selbst im Falle einer optimalen Genesung dauernde Hirnschäden davontragen würde.

„Sobald ich versuchte den Kopf zu bewegen, schlugen die Vitalparameter von Marc S. aus, so dass wir zunächst Abstand davon nahmen nähere Untersuchungen anzustellen,“ so die Fachärztin. Man habe dem Patienten schon im Vorfeld ihrer Untersuchung in einer sogenannten „Fensterung“ Teilstücke des Schädelknochens auf beiden Seiten entnommen, um den Druck der anschwellenden Hirnmasse und der Einblutungen abzumildern. 

Anhand von Röntgenaufnahmen machte sie dem Gericht und dem Plenum deutlich, dass Marc S. eine rechtsseitige Schädelfraktur mit inneren Blutungen auf beiden Hirnseiten davongetragen habe, was zu einer massiven Hirnschwellung führte. Im Zuge der Schwellung habe sich die Scheitellinie des Hirns um 9 mm nach links verschoben.

„Die einzelnen Verletzungen des Opfers sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten“

Opfer Marc S. wird sein Leben lang unter den Folgen des Angriffs zu leiden haben.
Opfer Marc S. wird sein Leben lang unter den Folgen des Angriffs zu leiden haben.

Neben den Kopfverletzungen stellte die Rechtsmedizinerin Abschürfungen oberhalb der rechten Augenbraue und am rechten Ellenbogen fest, sowie Brillenhämatome, was nichts anderes als blaue Augen, also Veilchen bedeutet.

Rücken und Gesäß seien dem äußeren Anschein nach unverletzt gewesen, was aber nicht heißen solle, dass es keinen Schlag bzw. Tritt in dieser Körperregion gegeben habe. „Für mich ist klar, dass die Verletzungen an Kopf, Augenbraue und Ellenbogen nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind“, so die Rechtsmedizinerin.

Insgesamt könne sie durch diese Erkenntnisse bestätigen, dass als Ursache für die Verletzungen ein Sturz auf die rechte Schädelseite anzunehmen sei, wobei man nicht klar sagen könne, ob das Opfer noch versucht habe, sich abzufangen. Auf Nachfrage von Verteidiger Jan Henrik Heinze musste sie jedoch einräumen, dass es nicht auszuschließen sei, dass die Abschürfungen am rechten Arm und der Augenbraue des Angeklagten auch nach dem Vorfall zum Beispiel beim Umbetten im Krankenhaus ihre Ursache haben könnten.

Die Aussagen der Polizeibeamtinnen bestätigten zum größten Teil die Berichte der Augenzeugen, die bereits am ersten Verhandlungstag ausgesagt hatten. Die Zeugen, die am Tatort erste Hilfe geleistet hätten seien zwar alkoholisiert und „aufgekratzt“ gewesen, hätten jedoch klar und ohne Widersprüche ihre Beobachtungen schildern können.

Auch bei den Aussagen, die die Polizei unmittelbar nach dem Geschehen aufgenommen hatte, waren sich die Zeugen jedoch nicht wirklich sicher, ob das Opfer am Kopf oder am Oberkörper getroffen wurde und ob der beobachtete Angriffssprung mit einem oder mit beiden Beinen voraus vollzogen wurde.

Polizeiliche Aussagen der Sicherheitsleute sind deckungsgleich und beschreiben einen Unfall

Im Falle der vier MitarbeiterInnen der Gülich-Gruppe, die als Sicherheitsleute in die Geschehnisse involviert waren, deckten sich die polizeilichen Aussagen, wobei die weibliche Person sich nicht äußern wollte. Sie sei schockiert und von der Situation überfordert gewesen.

Staatsanwaltschaft Dortmund
Vor dem Amtsgericht wird der Fall verhandelt.

Am ersten Verhandlungstag hatte sie vor Gericht ausgesagt, dass es ihr erster Einsatz dieser Art bei einer Großveranstaltung gewesen sei. Sie bestätigte bei der Polizei lediglich die Aussagen ihrer Kollegen.

Die BeamtInnen der Polizei äußerten, dass diese einhellig ausgesagt hätten, dass Marc S. nach kurzem Handgemenge weiter rückwärts die Treppe der U-Bahn Station hochgelaufen sei, auf dem anschließenden Weg angekommen ins Straucheln geraten und gestürzt sei und sich auf diesem Wege die schweren Verletzungen zugezogen habe. Eine Fremdeinwirkung habe nicht stattgefunden. 

Im Falle eines dieser Sicherheitsleute widerspricht die polizeiliche Aussage seinen Schilderungen vor Gericht am ersten Verhandlungstag. Da hatte er berichtet, dass Mohammed A. sehr wohl in den Geschädigten hinein gesprungen sei. Er beharrte jedoch auf der Feststellung, dass der Angriff frontal erfolgt sei und nicht von hinten in den Rücken. Diese Aussage bestätigt auch ein dem Gericht vorliegender Chatverlauf mit einer Freundin, in dem er ihr vom Geschehen berichtet.

Widersprüchliche Aussagen eines Sicherheitsmannes bei Polizei und vor Gericht

Der Angeklagte beteuert, seine Tat zu bereuen.
Der Angeklagte beteuert, seine Tat zu bereuen.

Ein Beamter der Mordkommision, die in dem Fall ermittelte, berichtete, dass der Zeuge sich bei seiner Aussage verdächtig machte, indem er die Vorfälle zu Beginn der Auseinandersetzung äußerst blumig und detailreich beschreiben konnte.

Ging es jedoch um den Tatvorwurf und die damit verbundene tätliche Handlung, wich er den Fragen aus. Er habe nichts sehen können.

Nachdem der Beamte ihn dann unter Druck gesetzt hätte sei er mit der Formulierung „Ja gut, dann sag ich jetzt die Wahrheit“, herausgerückt und habe so ausgesagt, wie er es auch am ersten Verhandlungstag getan hatte. Letztlich habe er den Angriff bestätigt. Er betonte auch hier, dass dieser frontal erfolgt sei und es keinen Auslöser oder Anlass für die überraschende Attacke gegeben habe.

Der Sicherheitsmann überließ der Kripo sein Handy, so dass diese weitere Daten sichern konnte. So wurden auch Audiodateien eines Chatverlaufes zwischen dem Angeklagten und diesem Zeugen in die Verhandlung eingebracht. Auf den Aufnahmen war zu hören, wie Mohammed A. sich bei dem Zeugen und den anderen KollegInnen für seine Tat entschuldigte. „Ich habe Mist gebaut und Euch alle mit reingezogen. Ich hoffe Du kannst mir verzeihen, Bruder“, war von ihm zu hören. 

Mohammed A.: „Ich wollte nur meinen Job machen.“

Er hatte die Tat ja bereits am ersten Verhandlungstag gestanden und sich beim Opfer mit den Worten entschuldigt: „Es tut mir sehr leid und weh, was ich getan habe. Auch ich leide darunter. Ich wünsche Marc S. Besserung und Gesundheit. Egal, wie das hier ausgeht, ich wünsche ihm alles Gute.“

Bei der Kripo hatte er Schutzbehauptungen von sich gegeben. Er blieb bei der Stolpervariante und antwortete auf die Frage, ob er sein Verhalten für angemessen gehalten habe: „Das war in Ordnung. Dass das so gelaufen ist, tut mir leid. Ich wollte nur meinen Job machen.“ Die Verhandlung wird am 6. November fortgesetzt. Da die Anwälte des Angeklagten weitere Beweisanträge stellen wollen, ist ein zusätzlicher Termin am 16. November sehr wahrscheinlich.

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