Neonazis greifen Journalisten in Dortmund an: Übergriffe bei verbotener Kundgebung gegen Corona-Maßnahmen

Eine ungute Melange von Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen, Impfgegner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen versammelte sich auf dem Alten Markt. Unter sie mischten sich Neonazis. Foto: Alex Völkel
Eine Melange von Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen, Impfgegner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen versammelte sich auf dem Alten Markt. Unter sie mischten sich Neonazis.

In den vergangenen Tagen machten Angriffe auf Fernsehteams der ZDF-Heute-Show und der ARD bundesweit Schlagzeilen. Da wollte offenbar die rechtsextreme Szene in Dortmund nicht hinten anstehen und instrumentalisierte am Wochenende nicht nur die Proteste von Impfgegner*innen, Verschwörungstheoretiker*innen, besorgten Bürger**innen und Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen für ihre Zwecke, sondern attackierten auch in Dortmund Medienvertreter.

Neonazis wollen die Kritik an den Corona-Maßnahmen instrumentalisieren

Die führenden Neonazis - Sascha Krolzig und Michael Brück - verteilten Grundgesetze. Eine gezielte Provokation, da das Verteilen von was auch immer aus Infektionsschutzrechtlichen Gründen untersagt wurde. Die Beschlagnahme der Grundgesetze schlachteten die Neonazis natürlich medial aus.
Die führenden Neonazis – Sascha Krolzig und Michael Brück – verteilten Grundgesetze. Fotos: Alex Völkel

Schon im Vorfeld der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in der Innenstadt am vergangenen Wochenende (10. Mai 2020) warnte die Polizei, dass Anzeichen dafür vorliegen würden, dass die Neonazi-Szene in Dortmund die Proteste in ihrem Sinne zu nutzen suche, um ihr gefährliches Gedankengut zu verbreiten. ___STEADY_PAYWALL___

„In der besonderen Belastung durch das Coronavirus erkennen die Extremisten im öffentlichkeitswirksamen Umfeld von Demonstranten das Potenzial, den über Jahre nicht gelungenen Anschluss an die Gesellschaft herzustellen. Sie wollen die Kritik an der Corona-Schutzverordnung für eine eigene Kampagne missbrauchen und ihr rechtsextremes Gedankengut verbreiten“, hieß es in einer Pressemitteilung der Polizei im Vorfeld der angekündigten Demonstrationen.

Bekannte Neonazis – darunter auch Sascha Krolzig und Michael Brück – waren dabei. Sie verteilten auch Grundgesetze. Eine gezielte Provokation, da das Verteilen – von was auch immer – aus infektionsschutzrechtlichen Gründen untersagt wurde. Die darauf folgende Beschlagnahme der Grundgesetze schlachteten die Neonazis natürlich medial aus – als Angriff auf Grundrechte.

Attacken von Neonazis gegen Medienvertreter*innen – WDR und Nordstadtblogger betroffen

Fotograf Leopold Achilles im Interview mit dem WDR-Reporter Christof Voigt.
Fotograf Leopold Achilles im Interview mit dem WDR-Reporter Christof Voigt. Foto: Thomas Engel

Bezogen auf die Arbeit der Presse betonte der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange, dass das Grundrecht auf freie und unabhängige Berichterstattung ein hohes demokratisches Gut sei. Wer Journalist*innen Gewalt androhe oder gar gegen sie anwende, ziele darauf ab, diese Art der Berichterstattung und damit die Pressefreiheit grundsätzlich zu beeinträchtigen oder zu verhindern.

Sensibilisiert durch die Angriffe auf Kamerateams kündigte die Sicherheitsbehörde im Vorfeld an, ein besonderes Augenmerk auf die Pressefreiheit für Journalist*innen zu legen. Dennoch konnte sie Übergrifflichkeiten der Rechtsradikalen auf zwei Journalistenteams nicht verhindern.

Während einer durch die Stadt Dortmund verbotenen „Spontanversammlung“ im Bereich Alter Markt als auch im Anschluss nach deren Auflösung in der Hansastraße kam es zu Bedrohungen und Angriffen auf Medienvertreter*innen durch Aktive der rechtsextremen Szene. Der Angriff auf dem Alten Markt richtete sich gegen einen Fotografen von Nordstadtblogger. 

Leopold Achilles war mit zwei weiteren Nordstadtbloggern vor Ort, um über das Geschehen zu berichten. Dazu kam er gar nicht: Nur zwei bis drei Minuten nach den ersten Aufnahmen hätten die Auseinandersetzungen begonnen.

Als dem Medienvertreter bekannte Rechtsextremisten am Alten Markt entgegen gekommen seien, hätten sie ihn direkt erkannt und „kritisch beäugt“. Unmittelbar seien Beleidigungen ausgesprochen worden und die Neonazis aggressiv auf ihn zugekommen. Als er zurückwich, seien sie auf ihn zugerannt.

Fotograf wurde von Rechtsradikalen über den Alten Markt gejagt

„Ich bin von zwei stadtbekannten Rechtsextremisten über den Alten Markt gejagt worden“, berichtet Leopold Achilles von dem Vorfall. Er habe sich in die Obhut der Polizei geflüchtet. „Das war kein gutes Gefühl.“ Am meisten zu schaffen machte dem Fotografen die Spontanität des Angriffes – er kam aus heiterem  Himmel ohne einen konkreten Auslöser.

Außerdem sei es vor Ort schwierig gewesen, Hilfe zu bekommen. Der Platz war laut Augenzeugen von weitaus mehr Leuten besucht, als von der Polizei vermeldet. Während die Behörde von rund 150 Demo-Teilnehmer*innen sprach, berichten Augenzeugen und Medienvertreter*innen von rund 300 Personen – allerdings nicht alles Versammlungsteilnehmer*innen.

Auf dem Alten Markt sei die Polizei zunächst lediglich mit vereinzelten Einsatzkräften am Rand des Geschehens präsent gewesen.

Erschreckende Solidarität der Demonstrant*innen mit den Angreifern

„Ich habe laut geschrien, um die Anwesenden und die Polizei auf die Situation aufmerksam zu machen“, so Achilles. Allerdings hätten sich viele Anwesende  erschreckenderweise sehr solidarisch mit den Angreifern gezeigt. „Ich und andere Medienvertreter wurden verbal angegriffen und mit Gewalt bedroht.“

„Packt doch einfach die Kamera weg, dann passiert auch nix“, gab es aus den Reihen der Demonstrant*innen zu hören. „Eigentlich war das im Nachhinein noch viel erschreckender für mich als die Jagd über den Platz“, so der Fotograf.

Obwohl man an einem Einsatzfahrzeug Schutz gesucht habe, hätte man hier trotzdem nochmal fünf bis sechs Minuten in Sorge verbringen müssen. Erst als die von den Einsatzkräften vor Ort angeforderte Verstärkung der Polizei eingetroffen sei, habe sich die Lage für die Medienvertreter*innen einigermaßen entspannt.

Zweiter Angriff auf ein Kamerateam des WDR folgte auf der Hansastraße

Reporter Christof Voigt filmte für den WDR und wurde attackiert.
Reporter Christof Voigt filmte für den WDR und wurde attackiert.

„Die Beamten haben dann auch dafür gesorgt, dass wir wieder unsere Arbeit machen konnten, ohne dass irgendjemand mit erhobener Faust vor einem gestanden hat. Es war alles sehr skurril und beängstigend“. Außerdem hätten die Polizeibeamt*innen den Rädelsführer der Aktion und weitere Beteiligte aus der Menge der Demonstrant*innen gefischt.

In Höhe der Hansastraße kam es im Anschluss zu einem regelrechten Angriff auf Medienvertreter. Ein Neonazi schlug mit Wucht gegen die Kamera von WDR-Reporter und Rechtsextremismus-Experte Christof Voigt , so dass diese seinem Nebenmann ins Gesicht schlug. Dabei wurde der Kollege leicht verletzt. Polizeikräfte hätten die Situation erkannt und umgehend eingegriffen. Der Neonazi kam in Polizeigewahrsam.

Zuvor hatte sich Voigt Sprüche wie „Pack die Kamera weg, du Fotze“ gefallen lassen müssen, woraufhin sich ein kurzes Wortgefecht ergeben hätte. Anschließend kam die Attacke gegen die Kamera, die seinem Kollegen ins Gesicht schlug. Der eigentliche Angriff habe lediglich rund zwei bis drei Sekunden gedauert, aber die Eigendynamik, die solche Ereignisse entwickeln würden, seien für die Pressevertreter*innen das eigentlich Beängstigende.

DJV-NRW fordert allumfassenden Schutz für Journalist*innen

Der DJV-Landesvorsitzende Frank Stach
Der DJV-Landesvorsitzende Frank Stach.

Journalist*innen-Verbände bundesweit verurteilen die Angriffe aufs schärfste und leiten Forderungen aus den Geschehnissen ab.

„Der Deutsche Journalisten-Verband NRW (DJV-NRW) verurteilt die hinterhältige Attacke eines stadtbekannten Rechtsextremisten auf Journalisten in der Dortmunder Innenstadt. Der Verband fordert die Sicherheitsbehörden auf, Journalist*innen umfassend zu schützen“, heißt es in einer Stellungnahme.

„Das war ein feiger Angriff auf Journalisten, die ihrer Aufgabe nach Berichterstattung nachgekommen sind. Solche Überfälle sind eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Kolleg*innen und ein Angriff auf die Freiheit und Unabhängigkeit von Presse und Rundfunk. Gerade weil sich Angriffe wie diese in den vergangenen Tagen häufen und sich extremistische Gruppen zunehmend gewaltbereit gegenüber Journalist*innen zeigen, müssen sie mit größtmöglichem Fahndungsdruck geahndet werden.“, fordert Frank Stach, Landesvorsitzender des DJV-NRW aus Dortmund.

In dieselbe Kerbe schlägt Alexander Völkel, ehrenamtlicher Redaktionsleiter von Nordstadtblogger und Vorsitzender der Journalist*innen-Union in ver.di für Westfalen und Südwestfalen. Er und seine Kolleg*innen wollen sich die Attacken nicht länger gefallen lassen. Mittlerweile sei es „traurige Normalität“, als Medienvertreter*innen auf Kundgebungen beleidigt, bespuckt und bedroht zu werden – oder auch körperlich attackiert.

Dagegen würden die Nordstadtblogger nun entschlossen vorgehen und jeden Vorfall zur Anzeige bringen. Dazu rät der Journalist und Gewerkschafter auch allen Kolleg*innen – ein Vorgehen, welches von der Dortmunder Polizei ausdrücklich begrüßt wird.

 

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Reaktionen

  1. Detlef S

    Das ist das letzte, und das diese Sache von den Nazis angestachelt wurde, ist doch klar, aber das sich nun auch noch andere Bürger diesen Dummköpfen anschließen, das ist das letzte! Ich hoffe, dem Reporter ist nicht viel passiert.

  2. GRÜNE Dortmund solidarisieren sich mit Journalist*innen (Pressemitteilung Bündnis 90/Die Grünen Dortmund)

    GRÜNE Dortmund solidarisieren sich mit Journalist*innen in Dortmund und rufen zum Schutz der Pressefreiheit auf

    Nachdem am 1. Mai journalistische Teams des ZDF und der ARD bei Demonstrationen von Gegner*innen der aktuellen Corona-Maßnahmen angegriffen wurden, fanden am vergangenen Samstag in Dortmund ebenfalls mehrere Angriffe auf Journalist*innen bei einer Demo statt. Sowohl Mitarbeiter*innen des WDR, als auch ein Fotograf der Nordstadtblogger waren betroffen.

    „Bei Gewalt gegen Journalist*innen ist die Grenze lange überschritten. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Berichterstattung sind Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, welche hier auf dem Spiel stehen“, sagt Julian Jansen, Sprecher der Dortmunder GRÜNEN.

    Bei der Demo waren – wie vorher von ihnen angekündigt – Vertreter*innen der Dortmunder Naziszene anwesend und versuchten den Protest gegen Corona-Maßnahmen zu instrumentalisieren. „Es ist nicht das erste Mal, dass Nazis der Partei „Die Rechte“ ihr Kommen öffentlich ankündigen und anschließend massiv Gewalt ausüben“, sagt Katja Bender, Sprecherin des Dortmunder Kreisverbandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

    In Dortmund wurden in der Vergangenheit im Zuge von Demonstrationsgeschehen schon mehrfach Migrant*innen, politisch Andersdenkende und Journalist*innen von Rechtsextremen körperlich angegriffen.

    „Wir als GRÜNE Dortmund solidarisieren uns mit den betroffenen Journalist*innen. Wir werden nicht aufhören, uns für die freie Berichterstattung stark zu machen. Außerdem rufen wir die Sicherheitsbehörden dringend auf, die freie Arbeit der Presse zu gewährleisten und zu schützen“, ergänzt Julian Jansen.

    „Nicht erst dann, wenn Vertreter*innen der Presse angegriffen werden, sondern präventiv: Es braucht konkrete Konzepte zum Schutz der Pressefreiheit in Dortmund“, sagt Katja Bender.

  3. Franz Ott

    Ich hoffe, Ihr habt weiterhin die Kraft weiter zu machen! Es ist wirklich das schrecklichste, das der „normale“ Bürger
    darin ein Horn sieht, in das er auch mal blasen kann. Die vielen, die mit einem „PerSilschein“ in diesem Land rum kriechen. Dann sieht man ein Foto, auf dem eine „Demostrantin“ ein Plakat hält, mit einem Spruch, den wir früher auch hoch gehalten haben.

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