Im Gespräch mit dem Leiter der Dortmunder Fachberatungsstelle „ADIRA“:

Micha Neumann über Ängste und die Frage wie wir als Gesellschaft mit Rechtsextremismus umgehen

Micha Neumann leitet seit 2020 die Dortmunder Fachberatungsstelle „ADIRA“ Foto: Katharina Urban

Seit der Correctiv-Recherche, die Mitte Januar 2024 veröffentlicht wurde, finden bundesweit zahlreiche Proteste gegen Rechtsextremismus und das Erstarken der „Alternative für Deutschland“ (AfD) statt. Journalist:innen des Medienhauses hatten über ein geheimes Treffen im November 2023 informiert, bei dem AfD-Kaderfiguren, Mitglieder der Werteunion, Investor:innen und Rechtsextremist:innen die millionenfache Deportation von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund geplant hatten. Micha Neumann, Leiter der Dortmunder „Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus“ (ADIRA) in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Dortmund erklärt im Gespräch, was gegen Angst und Ohnmacht hilft, weshalb das „Geheimtreffen“ nicht mit der Wannseekonferenz zu vergleichen ist und wie wir als Gesellschaft mit Rechtsextremismus umgehen.

NSB: Herr Neumann, die vergangenen Wochen haben viele Menschen in Deutschland erschüttert. Hat Sie die Correctiv-Recherche überrascht? 

MN: Die Recherche von Correctiv hat gezeigt, wie wichtig journalistische Arbeit in Bezug auf die Gefahren des Rechtsextremismus ist und hat zudem offenbart, welche Netzwerke innerhalb der extremen Rechten existieren. Welche Personen dort teilgenommen haben – auch aus dem konservativen Spektrum – war sicherlich überraschend. Der Inhalt des Treffens hat mich jedoch weniger überrascht.

In Dortmund protestierten 30.000 Menschen gegen die AfD und Rechtsextremismus. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Die AfD und auch die Identitäre Bewegung verwenden den Begriff der „Remigration“ schon seit vielen Jahren ganz offen, gerade in der Neuen Rechten ist dies ein bekanntes Schlagwort. Das diese auch ein völkisches Nationalverständnis vertritt und dementsprechend nationale Identität und Zugehörigkeit nicht über die reine Staatsbürgerschaft verhandelt, ist ebenso offenkundig.

Insofern ist es auch wenig überraschend, dass ihre Ziele auf die Abschiebung und Vertreibung von Menschen hinauslaufen, denn dieses völkische Denken gehört zum Kern extrem rechter Ideologie und drückt sich natürlich auch in einer entsprechenden politischen Praxis aus. Das Treffen hat somit die menschenverachtenden Ideen der entsprechenden Akteure offen gelegt. Ich kann daher nachvollziehen, dass viele Menschen davon erschüttert sind, eine neue Entwicklung stellt dies im Rechtsextremismus aber meines Erachtens nicht dar.

NSB: Gleich nach nach der Veröffentlichung des „Geheimtreffens“ in Berlin fanden sich in zahlreichen Medienberichten und den Sozialen Netzwerken Bezüge zur Wannsee-Konferenz, bei der die „Endlösung der Judenfrage“ geklärt werden sollte. Sehen Sie in dem Vorgehen der AfD und der aktuellen Situation Parallelen zur Weimarer Republik und dem Erstarken der Nationalsozialisten? 

MN: Zunächst wundere ich mich über den vielfach verwendeten Begriff eines Geheimtreffens. Wie vorhin aufgeführt, sind die dort verhandelten Ziele und Inhalte eben nicht sonderlich geheim, sondern werden seit geraumer Zeit auch offen so propagiert. Auch stellt sich mir die Frage, warum ein solches Treffen denn hätte öffentlich sein sollen, es ist doch klar, dass man sowas nicht in der Zeitung oder im Internet ankündigt. Den Begriff „Geheimtreffen“ finde ich daher etwas effekthascherisch.

Correctiv beobachtete das geheime Treffen in einer Villa in Berlin. Design: Mohamed Anwar Correctiv

Allerdings drängt sich mir der Vergleich zur Wannsee-Konferenz nicht auf. Hier wurde die industrielle Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden organisatorisch und logistisch geplant, das ist qualitativ und auch von der Systematik sowie den Folgen her etwas deutlich Anderes, als die bei dem jetzigen Treffen verhandelten Ideen. Ebenso sehe ich auch keine historischen Parallelen zur Weimarer Republik, die Situation war hier eine andere. Eine fundierte Bewertung solcher Parallelen würde ich aber fachkundigen Historikern überlassen. Ich kann verstehen, dass man nach Vergleichen sucht, um die Situation zu beschreiben oder zu skandalisieren.

Die Vergleiche mit dem Nationalsozialismus oder sogar der Shoah relativieren selbiges aber aus meiner Sicht und das halte ich für problematisch und falsch. Ähnlich verhält es sich mit Gleichsetzungen der AfD mit der NSDAP sowie weiteren NS-Vergleichen. Auf sowas sollte man besser verzichten und stattdessen die Inhalte auf dem Treffen präzise als das beschreiben, was sie sind: Rassistische und völkische Vertreibungsfantasien und Homogenitätsvorstellungen. Dies kann man auch als Gefahr für unsere Gesellschaft begreifen, ohne sie mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen gleichzusetzen.

NSB: Auf Social Media, besonders auf Kanälen wie TikTok, äußern viele Jugendliche und junge Menschen Angst vor einer rechtsextremen Diktatur, rufen zum Protest auf. Haben Sie Tipps für junge Menschen, wie sie mit dieser Angst umgehen und sich engagieren können?

Auch bei Demonstrationen wurde klar: Viele Menschen fürchten durch das Erstarken der AfD eine erneute Diktatur. Foto: Leopold Achilles

MN: Diese Ängste sind absolut verständlich, insbesondere wenn man bedenkt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft rassistische Einstellungen vertritt und befürwortet. Ich glaube, dass daher die aktuellen Demonstrationen eine wichtiges Zeichen der Solidarität mit potenziell Betroffenen sind. Daneben kann es auch helfen, sich zu organisieren und zusammenzuschließen, damit man mit den Ängsten nicht alleine da steht. Ebenso gibt es – auch in Dortmund –  Beratungsstellen gegen Diskriminierung und rassistische Gewalt, die psychosoziale Unterstützung anbieten und an die sich auch junge Menschen wenden können.

NSB: Ein neuer Trend auf TikTok, bei dem junge Menschen mit Migrationshintergrund Videos posten, in denen sie beispielsweise spaßeshalber Geld für den Wegzug aus Deutschland fordern, traditionelle deutsche Gedichte vortragen oder zeigen, dass ihr Leben „nach der Abschiebung“ eine höhere Lebensqualität hätte, findet seit Mitte Januar großen Anklang und hunderttausenden „Likes“ und „Views“. Wie bewerten Sie diesen neuen TikTok-Trend? Verharmlost dies den Grundgedanken Martin Sellners, der bei dem „Geheimtreffen“ die Deportation von Millionen Deutschen plante? 

Die PoC-Influencerin Liza teilte auf TikTok ein Video, in dem sie das Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ vorträgt und sich an die AfD richtet. Das Video sahen 2,5 Millionen Menschen. Screenshot TikTok

MN: Es kann für potenziell Betroffene eine Umgangsstrategie sein, dem Ganzen mit Humor zu begegnen, für andere mag dies verharmlosend sein. Ich will mir da kein umfassendes Urteil erlauben, das Erleben und die Verarbeitung dessen kann ja sehr individuell sein. Insgesamt halte ich es aber für wichtig, die Ideologie von Personen wie Martin Sellner ernst zu nehmen und auch zu bekämpfen. Auf der anderen Seite ist er aber natürlich politisch nicht in der Lage, seine Pläne auch umzusetzen, weswegen man sein Wirken auch nicht überhöhen sollte.

NSB: Rechtsextremismus ist die derzeit größte Gefahr für unsere Demokratie. Wie haben sich Ihre Fallzahlen in den vergangenen Jahren entwickelt? Können Sie eine Zunahmen von rassistischen und antisemitischen Vorfällen verzeichnen? 

MN: Die Beratungsstelle ADIRA existiert erst seit 2020, weswegen ich für einen längeren Zeitraum keine Fallzahlen nennen kann, zumal diese auch nicht zwingend abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen sind. Eine deutliche Zunahme von antisemitischen Vorfällen und damit auch gestiegene Beratungsanfragen konnten wir aber in den letzten Monaten verzeichnen.

NSB: Die Lebensrealität von in Deutschland lebenden jüdischen Personen hat sich bereits in den letzten Jahren massiv verschlimmert. Wie ist die Lebensrealität von Jüd:innen seit dem 7. Oktober und dem Angriff der Hamas auf Israel?      

MN: Man kann es nicht anders als eine Zäsur begreifen – es gibt ein davor und ein danach, die (jüdische) Welt ist mittlerweile eine andere. Natürlich ist Antisemitismus auch vor dem 7. Oktober ein kontinuierliches und ein oft gewaltförmiges Problem gewesen, aber der Terrorangriff war noch mal eine andere Dimension und hat die Vernichtungsabsicht des Antisemitismus gezeigt. Insofern ist dieser Angriff eine enorme Belastung und ein tiefer Einschnitt für die gesamte jüdische Community, auch in Dortmund.

Ein aktuelles Beispiel: Das antisemitische Graffiti tauchte kürzlich an der S-Bahn Haltestelle „Dortmund Universität“ auf. Es zeigt einen Davidstern mit einem Hakenkreuz in der Mitte und dem Schriftzug „the irony of becoming what you once hated“, z.D.: „Die Ironie, das zu werden, was du einst gehasst hast“. Es unterstellt Israel denselben Umgang mit Palästinenser:innen, wie den der Nationalsozialist:innen mit Jüd:innen und verharmlost somit den Holocaust. Der Staatsschutz ermittelt. Foto: Karsten Wickern

Ebenso dramatisch hat sich die Situation aber auch durch den massiven Anstieg von Antisemitismus als eine Folge des 7. Oktobers hierzulande verändert. Der Hass auf Israel, den wir in der Öffentlichkeit erleben, richtet sich auch immer wieder direkt gegen Jüdinnen und Juden. Das hat zu vielen Unsicherheiten in der jüdischen Community geführt. Dass dann der antisemitische Terror in Teilen der Gesellschaft auch noch verharmlost oder gar glorifiziert wurde, hat das Problem zusätzlich verschärft.

Man muss sich das also vergegenwärtigen: Erst erfolgt dieser antisemitische Terroranschlag in Israel mit über 1200 Opfern und zahlreichen Verletzten und dann werden hier in Deutschland auch noch jüdische Einrichtungen attackiert, Jüdinnen und Juden angefeindet und auf Demonstrationen Hetze gegen Israel verbreitet. Man muss nicht viel Vorstellungskraft haben, um zu ahnen, was das mit einer jüdischen Community macht. 

NSB: Welche Ängste und Sorgen ergeben sich zusätzlich seit der Correctiv-Recherche für in Deutschland lebende jüdische Personen? 

MN: Der Zentralrat der Juden in Deutschland und ihm angeschlossene jüdische Organisationen haben bereits 2018 in einer Erklärung deutlich gemacht, dass die die AfD ist eine Partei ist, „in der Judenhass und die Relativierung bis zur Leugnung der Shoah ein Zuhause haben“ und die AfD als „antidemokratisch, menschenverachtend und in weiten Teilen rechtsradikal“ beschrieben. Dem schließen wir uns als Beratungsstelle ADIRA an.

Insofern wird das Erstarken der AfD auch von großen Teilen der jüdischen Community mit Sorge betrachtet. Hinzu kommt, das eine Vielzahl von Jüdinnen und Juden in Deutschland aus der ehemaligen Sowjetunion stammt oder Nachfahren von jüdischen Migrant:innen sind. Sie wären also auch aus rassistischen Gründen von den „Remigrations“-Plänen betroffen.

NSB: Auf der diesjährigen „Jagd und Hund-Messe“ hat die rechtsextreme „Deutsche Burschenschaft“ (DB) einen Stand bespielt, mit dem Ziel Jäger:innen als Keilgäste zu gewinnen. Wie bewerten sie dies? Sehen Sie darin eine Gefahr?

DIe „Deutsche Burschenschaft“ betrieb erstmals einen Stand bei der Jagdmesse. Foto: Leopold Achilles

MN: Es ist immer eine Gefahr, wenn rechtsextreme Organisationen eine Öffentlichkeit erhalten und somit auch normalisiert werden. Die „Jagd und Hund“ Messe muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, dies mit der Standvergabe an die DB zu begünstigen.

NSB: Unter den Betreibern des Standes war auch ein Burschenschafter, der 2022 wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu acht Monaten Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteilt wurde. Er verprügelte einen Keilgast aufgrund seiner jüdischen Abstammung schwer und beleidigte ihn als „Judensau“. Die Aussteller von den umliegenden Ständen äußerten zwar Unverständnis für den Stand der „DB“, teilten aber mit, die Burschenschafter seien stets freundlich. Wo besteht darin die Problematik? 

MN: Auch antisemitische Gewalttäter können freundlich auftreten, das muss kein Widerspruch sein. Der Umgang mit solchen Personen sollte sich demnach nicht am freundlichen oder unfreundlichen Verhalten bemessen, sondern an den vertretenen Inhalten. Und wer wegen Körperverletzungen und antisemitischen Beleidigungen verurteilt wurde, sollte dementsprechend Widerspruch erfahren und nicht offiziell auf Messen einen Stand betreuen. Auch sowas normalisiert derartige Positionen und sendet zudem ein fatales Signal an Betroffene von antisemitischer Gewalt.

NSB: Die Dortmunder Westfalenhalle erklärt, sie sei nach dem Gleichbehandlungsgesetz dazu verpflichtet, die „DB“ an der Jagdmesse teilnehmen zu lassen, womit deutsche Gesetzte Rechtsextremen den Weg zur Normalisierung ebnen. Wie bewerten Sie dies?

MN: Ich sehe nicht, dass hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Anwendung finden kann. Denn dieses verbietet zwar eine Benachteiligung auch aufgrund der Weltanschauung, aber damit ist nicht gemeint, dass man einer rechtsextremen Organisation einen Messestand zur Verfügung stellen muss. Falls sich die Betreiber der Westfalenhalle tatsächlich hierauf berufen sollte, wäre das m.E. irritierend und auch eine falsche Auslegung, da das AGG Betroffene von Diskriminierung schützen soll und nicht als Ausrede für die Beteiligung von Rechtsextremen herhalten soll.

Werbung für die Veranstaltung auf Westfalenhallen.de
Werbung für die Veranstaltung des Verschwörungstheoretikers Daniele Ganser auf Westfalenhallen.de Foto: Screenshot

Insgesamt beobachten wir hier, dass die Westfalenhalle leider zum wiederholten Mal problematischen Personen eine Bühne bietet, denn auch der Verschwörungsideologe Daniele Ganser konnte dort ja im vergangenen Jahr auftreten. Ebenso tritt im Februar die Kabarettistin Lisa Eckhart dort auf, die in der Vergangenheit durch antisemitische Witze aufgefallen ist und deren letzten Auftritt in Dortmund wir mit ADIRA bereits deswegen kritisiert haben.

Ich würde es daher begrüßen, wenn die Verantwortlichen der Westfalenhallen hier in Zukunft sensibler und mit kritischerem Blick mit entsprechenden Veranstaltungen in ihrem Haus umgehen. Denn ich glaube, dass man im Vorfeld sehr wohl genau darauf schauen kann, wen man sich dort reinholt und dies dann auch besser bewerten kann – gegebenenfalls auch unter Einbeziehung externer Expertise. Das wäre dringend nötig, denn wenn die Verträge schon geschlossen sind, ist es tatsächlich rechtlich schwierig, entsprechende Personen auszuschließen oder Veranstaltungen wieder abzusagen.

NSB: Was wünschen Sie sich von der Dortmunder Zivilgesellschaft?

MN: Die Dortmunder Zivilgesellschaft positioniert sich oft und aktiv gegen Rechtsextremismus, das ist sehr wichtig, ebenso wie die aktuellen Demonstrationen. In der Vergangenheit konnten auf verschiedenen Wegen wesentliche Erfolge in der Bekämpfung von Neonazis in Dortmund erzielt werden. Wichtig wäre aus meiner Sicht, dass man jetzt am Ball bleibt und sich auch vermehrt Wissen über Rassismus, Antisemitismus und die extreme Rechte aneignet. Das bedeutet, dass wir auch die politische Bildung zu diesen Themen intensivieren müssen.

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel fand in der Dortmunder Innenstadt eine Soldiaritätskundgebung statt. Foto: Karsten Wickern

Als Leiter einer Beratungsstelle mit dem Schwerpunkt Antisemitismus würde ich mir zudem ein entschlosseneres Vorgehen gegen Antisemitismus wünschen. Auf der Solidaritätskundgebung nach dem Angriff auf Israel am 10. Oktober in Dortmund waren knapp 400 Menschen, also deutlich weniger als bei den derzeitigen Demonstrationen. Natürlich betreffen viele Entwicklungen des Rechtsextremismus in Deutschland die Menschen unmittelbarer, aber nach der schwersten antisemitischen Gewalttat nach 1945 hätte ich mir schon ein deutlicheres Signal gewünscht, vor allem weil antisemitische Vorfälle aktuell alltäglich sind.

Ebenso müssen wir konstatieren, dass sich auch in progressiven Milieus antisemitische Einstellungen finden, die teilweise auch auf den großen Demonstrationen gegen Rechts artikuliert wurden. Da muss es eine klare Abgrenzung geben. Letztlich sollte der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zusammengedacht werden, ohne beide Phänomene gegeneinander auszuspielen.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Ulrich Sander

    Als alter Mann sei mir doch ein historischer Rückblick erlaubt. Zunächst: Oft wird behauptet, die Enthüllung von Correctiv vom Geheimtreffen am 25. November 2023 bedeutete lediglich man habe Altbekanntes formuliert. es „sollen“ Deportationspläne „diskutiert worden“ sein. Dort wurde aber wohl nicht nur diskutiert, sondern ganz konkret ein „Masterplan“ beschlossen, der nach der Machtübernahme von AfD, Werteunion und neonazistischen Gruppen in Kraft treten soll. Der Vergleich mit der Wannseekonferenz wird mehrfach abgelehnt – und man übersieht dann Äußerungen von Heydrich und Hitler, welche die „Endlösung der Judenfrage“ auch nur als „Abschiebungen“ darstellten. Eben. Konkretes wird allerdings im NSDAP-Parteiprogramm von 1920 angekündigt: Deutscher Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes und kein Jude ist. Zweitens: Es wird die Frage gestellt, warum die Enthüllung so lange liegen blieb, um dann erst im Januar veröffentlicht zu werden? Hätten die Rechercheure sofort Alarm geben sollen, nachdem sie an der Tür gelauscht haben? Verlangt nicht jede Recherche eine gute Nachrecherche? Es geht ja um Fakten, deren Veröffentlichung zu Mord und Totschlag führen können – im Wortsinne. Oder ganz einfach gefragt: Was hätte eine frühere Veröffentlichung gebracht? Kaufrausch zu Weihnachten und dann das? Die Kirche sieht mit dem Heiligen-Drei-Königstag am 6. Januar die Weihnachtszeit als beendet an. Erst dann konnte mit gewisser öffentlicher Beachtung der Recherche gerechnet werden.

    Ich erinnere an die große vergleichbare Recherche zur Wiederaufrüstung 1950/1951. Wie war das? Im Buch und Film der DDR zu „Das unsichtbare Visier“ (Filmtitel „Wasserschloss“) ging es mit Ruck-Zuck ran an die Veröffentlichung. In Wirklichkeit ist es nicht so schnell gelaufen. Die Himmeroder Tagung der Nazigeneräle vom 4. bis 9. Oktober 1950 im Eifelkloster Himmerod war zwar zuvor von Martin Niemöller als mutmaßlich bevorstehend angekündigt worden. Der Inhalt der Geheimtagung der Hitlergeneräle fand jedoch erst zehn Monate den Weg in die DDR-Presse. Und zwar am 11. August 1951. Man sprach von einem „Weißbuch über die amerikanisch-englische Interventionspolitik in Westdeutschland und das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus“ (aus: Chronik der Arbeiterbewegung). In dem genannten spannenden Krimi des DDR-Militärverlags aus dem Jahr 1975 mit dem Titel „Das unsichtbare Visier“ wird ausführlich geschildert, wie die Wiederherstellung einer deutschen Wehrmacht geplant wurde, um „unter Führung der USA die Vormachtstellung in Europa“ zu erlangen. 1999 hat dann diese Wehrmacht Belgrad bombardiert und wurde dann international und verfassungswidrig kriegerisch aktiv.. Es ist zu hoffen, dass der Masterplan des Geheimtreffens rechter Akteure in Potsdam“ nie so verwirklicht wird, wie jener des Treffens im Eifelkloster Himmerod. Mögen die Massenproteste noch wachsen, um das Unheil zu verhindern.

  2. „Die Mitte“ auf der rechten Spur: Podiumsdiskussion mit Kommunalpolitiker*innen und Vortrag im Dietrich-Keuning-Haus (PM)

    Wie wirken sich rechte Politiken in der Kommune und im Stadtleben aus? Diese Frage diskutieren Ratsmitglieder der Stadt Dortmund bei der Veranstaltung „“Die Mitte“ auf der rechten Spur“ am Dienstag, 19. März 2024, um 19 Uhr. Die ursprünglich für Dezember geplante und aus Krankheitsgründen in den März verschobene Podiumsdiskussion wird vom Multikulturellen Forum e.V. in Kooperation mit dem Dietrich-Keuning-Haus und dem Bildungswerk Multi-Kulti organisiert.

    Die Zustimmungswerte für rechte Politik sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnte sie sogar Mehrheiten finden. Spätestens seit den Correctiv-Enthüllungen ist die Gefahr, die von rechts ausgeht, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn „Die Mitte“ auf die rechte Spur gerät? Wie können sich rechte Politik(en) auf das Stadtleben auswirken? Was passiert mit dem gesellschaftlichen Leben und dem Schutz des Einzelnen? Was können die Demonstrationen bewirken und was muss auf sie folgen?

    Nach einem Einführungsvortrag von Politikwissenschaftler Prof. Dierk Borstel diskutieren Kommunalpolitiker*innen aus Dortmund über die reche Gefahr. Mit dabei sind Şaziye Altundal-Köse (Bündnis 90/Die Grünen), Emmanouil Daskalakis (CDU), Dominik de Marco (SPD), Armel Djine (Bündnis 90/Die Grünen), Fatma Karacakurtoğlu (Die Linke) und Cüneyt Karadas (SPD).

    Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos. Eine Anmeldung ist erforderlich unter anmeldung-bw@multikulti-forum.de. Einlass ist ab 18:30 Uhr.

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert