Lockerungen? Fehlanzeige! – Das Berufsverbot für Sexarbeiterinnen bleibt auch nach dem 15. Juni bestehen

Legale Prostitution in angemeldeten Betriebsstätten wie in der Linienstraße ist derzeit nicht mehr möglich.

Von Heike Becker-Sander

Sie ist stolz darauf, dass sie sich in den letzten Jahren etwas aufgebaut hat. Geregeltes Einkommen, Wohnung, Auto, genug Geld zum Leben. Eigentlich alles gut. Bis die Corona-Pandemie auch für Sandra* von einem Tag zum anderen alles bisher Erreichte in Frage stellte. Berufsverbot! Und auch drei Monate nach dem Lockdown ist für die 35-Jährige Dortmunderin kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Sandra arbeitet bzw. arbeitete als Prostituierte, einem der wenigen Berufe, für die es bisher keine Lockerungen der Corona-Vorschriften gibt.

35-jährige Sandra schildert ihre Lebenssituation in der Corona-Krise nach der Schließung der Bordelle

Und das ist etwas, was sie nicht verstehen kann. „Wenn doch für andere körpernahe Berufe wieder mit entsprechenden Hygienevorschriften das Arbeiten möglich ist, warum nicht für uns“, fragt sie sich auch für ihre vielen hundert Kolleginnen, denen es ähnlich geht wie ihr. „Sogar Tätowierer dürfen wieder arbeiten und Massagesalons öffnen. Da ist offenbar die Körpernähe nicht so wichtig. Aber: Wo ist da der Unterschied?“

Abgesehen davon, dass den amtlichen Stellen schon Hygienekonzepte für den Bereich der Sexarbeit vorlägen, gäbe es für den Kontakt mit den Gästen in den Bordellen bereits strenge Regelungen. „Unter anderem die Verpflichtung, Kondome zu benutzen.“

„Natürlich ist es für mich selbstverständlich, dass ich mich an die Verbote in Zeiten der Corona-Pandemie halte, wie alle anderen Betroffenen auch,“ versichert die 35-Jährige. Trotzdem wünscht sie sich, dass es wenigstens ein Zeitfenster gibt, „dass man weiß, wann man wieder anfangen kann.“ In Österreich und sogar in der Schweiz darf in Bordellen wieder gearbeitet werden.

„In Rheinland-Pfalz gab es zumindest eine Planung für eine Wiedereröffnung in diesem Monat“, erzählt Sandra. „Leider ist das wieder zurückgefahren worden.“ Und ab 15. Juni gibt es in NRW gleich einen ganzen Strauß neuer Lockerungen, vom Grillen im Park über Saunabesuche bis zur Öffnung von Bars. Bordelle kommen in den neuen Erlassen allerdings weiterhin nicht vor.

In Dortmund arbeiten rund 2000 Prostituierte in Bordellen und Wohnungen

Tote Hose - so stellt sich die Situation in der Linienstraße aktuell dar.
Tote Hose – so stellt sich die Situation in der Linienstraße aktuell dar.

Und bei den vom Berufsverbot betroffenen Frauen handelt es sich nicht um eine kleine Gruppe. Rund 2000 Prostituierte arbeiten in Dortmund in Bordellen oder angemieteten Wohnungen, schätzt die Dortmunder Mitternachtsmission, die sich um Prostituierte und Opfer von Menschenhandel kümmert. Neben den Frauen in der Linienstraße betreuen die Sozialarbeiterinnen der Beratungsstelle Sexarbeiterinnen in über 30 Wohnungen und acht bordellartigen Betrieben.

Die 35-Jährige Sandra, die normalerweise in einem dieser Bordellbetriebe arbeitet, ist sich bewusst, dass das Gros der Arbeitnehmer die Probleme der arbeitslosen Prostituierten eher als unwichtig betrachtet. „Obwohl wir genauso unsere Steuern und Abgaben zahlen wie andere, die einem Beruf nachgehen.“ Aber, versichert sie: „Das ist bestimmt kein Luxusproblem von uns.“

Genau wie bei anderen Arbeitnehmern, die von den Corona-Einschränkungen betroffen sind, laufen bei ihr und ihren Kolleginnen viele Kosten weiter, die regelmäßig bezahlt werden müssen. Von der Krankenversicherung bis zum Ratenkredit. Das Geld dafür fehlt jetzt. „Ich bin wirklich dankbar, dass ich Hartz IV in Anspruch nehmen kann, um mich über Wasser zu halten, aber ich möchte so schnell wie möglich wieder selbst für meinen Unterhalt sorgen und mein eigenes Geld verdienen. Ich kann mir nicht vorstellen, längere Zeit so zu leben.“

Gerade die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, die sie durch ihre Arbeit in der Prostitution habe, sei ihr wichtig. „Ich entscheide selbst, was und wie ich arbeite und bin nicht weisungsgebunden.“ Der jetzige Stillstand und die Abhängigkeit von öffentlichen Stellen ist auch für Sandra nur schwer zu ertragen.

„Die meisten Frauen in der Prostitution sind keine Opfer – sie arbeiten aus freien Stücken“

Dass das Berufsverbot in Corona-Zeiten die alte Diskussion um ein generelles Verbot der Prostitution wiederaufleben lässt, stößt bei der 35-Jährigen, die seit zehn Jahren in dem Beruf arbeitet, ebenfalls auf Unverständnis. „Die meisten Frauen, die in der Prostitution arbeiten, tun das aus freien Stücken. Das sind keine Opfer, die gerettet werden müssen.“ Ausnahmen gäbe es natürlich. Ihrer Meinung nach würden Verbote aber nichts bringen. Die Frauen würden in die Illegalität gedrängt und dann würde Prostitution wieder unkontrollierbar.

„Dass Prostitution in geregelten Bahnen laufen kann, sieht man in Dortmund“, sagt sie. „Hier ist alles organisiert und die Behörden kontrollieren regelmäßig in den einzelnen Betrieben. Und da wird genau hingeguckt und auch nicht mal ein Auge zugedrückt.“ Trotzdem fühle sie sich akzeptiert. „Wenn es Probleme gibt, haben wir Ansprechpartner, mit denen wir reden und Lösungen finden können.“

Statt immer wieder auf ein Verbot der Prostitution zurückzukommen, fände Sandra es besser, dafür zu sorgen, dass die Frauen, die in diesem Beruf arbeiten wollen, mehr Unterstützung im alltäglichen Leben bekommen. „Zum Beispiel einen generellen Zugang zu Krankenversicherungen auch für Frauen aus dem Ausland.“

Die 35-Jährige hofft nun, dass zumindest im Laufe des Sommers auch in NRW die Bordellbetriebe wieder öffnen können. Damit sie wieder ihr eigenes Geld verdient und keine finanzielle Unterstützung mehr braucht. Einfach so, wie es vor Corona und dem Berufsverbot war.

(*Name von der Redaktion geändert)

 

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Reaktionen

  1. David Glaeser

    Hallo Zusammen,
    Ja es ist schon bemerkenswert. Was so in der Krise geschieht. Vor allem was relevant ist und was nicht. Über Moral will ich hier nicht schreiben, das Thema wurde schon vor Jahren Ausgelutscht.
    Heute muss man sich doch eher fragen warum dies nicht gehen soll mit den Prostitutionsgaststätten, Bordelle usw.
    Das man eher wieder zum Tätowierer darf(bin selbst Tätowiert), zum Masseur, zum Friseur und neulich erst gesehen das den Kunden auch der Bart wieder geschnitten wird.
    Dann an Wochenenden die Leute nicht den Abstand einhalten können(tragen ja ne Maske) manch mal zumindest.
    Komisch das dass unsere EU Nachbarn nicht groß interessiert, erst vor 2 Tagen in Tschechien gewesen:
    – Restaurant keine Kontaktdaten aufgenommen
    – offene Küche kein Personal in der Küche mit Maske nur die Bedienung
    – Bordelle usw. Offen Gäste nach den Kennzeichen alle aus DE
    – Österreich und die Schweiz ebenso
    – Ungarn nicht besser

    Wien ist bei Nacht auch Reizvoll. Den Kiez lässt man sterben.
    Es gab vor 2 Jahre die Debatte Deutsches Kulturgut. Da gehört der Kiez für mich auch dazu. Und unsere Nachbarländer die freuen sich nun über den Zulauf und den zusätzlichen Steuer Einnahmen.

    Ich finde es Boden los, das hier nicht ein Datum in Aussicht gestellt wird.
    Hygiene Konzepte haben viele schon vorgestellt und trotz diesem kam es zu der einen oder anderen Ansteckung. Wenn man nicht probiert kann man auch nicht wissen ob es funktioniert.

    So und seit der Krise habe ich das Gefühl ganz Deutschland ist ein einziger Fußball Fan. Ich schaue mir auch mal gern ein Spiel an so ist das nicht. Aber das kann und darf doch nicht das einzige Thema sein, das die anderen Themen dann verdrängt.

    Nur weil so mancher bei diesem Thema in der Öffentlichkeit immer noch ne rote Lampe bekommt. Wie bemitleidenswert.

  2. TERRE DES FEMMES Städtegruppe Dortmund begrüßt, dass die Bordelle in NRW geschlossen bleiben (PM)

    TERRE DES FEMMES Städtegruppe Dortmund begrüßt, dass die Bordelle in NRW geschlossen bleiben

    Die Städtegruppe Dortmund von TERRE DES FEMMES begrüßt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 25.06.2020, dass durch die Corona Schutzverordnung keine „sexuellen Dienstleistungen“ in Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen erbracht werden dürfen. Das heißt, dass die Bordelle in der Linienstraße nach wie vor geschlossen bleiben.

    Wir nehmen dies zum Anlass und bieten einen Info-Stand am Samstag, dem 04.07.2020, in der Zeit von 12.00 bis 14.00 Uhr in der Linienstraße an.

    In der letzten Zeit interessieren sich die Medien für die Situation der Frauen in der Prostitution. Oft ist der Berichterstattung zu entnehmen, dass in Zeiten von Corona die Frauen in der Prostitution um ihre Existenz fürchten, da die Bordelle geschlossen sind und Prostitution verboten ist. Dabei wird übersehen, dass der größte Teil der Frauen schon zuvor keine Existenz hatte. Viele von ihnen hatten keine Wohnung, keine Krankenversicherung, waren 24 Stunden sieben Tage die Woche im Bordell und hatten außerhalb so gut wie keine sozialen Kontakte.

    Die Öffnung von Bordellen hätte hauptsächlich den Freiern, den Zuhältern und den Bordellbetreibenden genutzt.

    Oft ist von der Forderung nach Einführung des Nordischen Modells oder von einem Sexkaufverbot zu lesen. Dabei wird oft nicht zwischen einem Sexkaufverbot und Verbot der Prostitution differenziert. Ein Sexkaufverbot führt nicht zu einem Verbot der Prostitution, sondern es verbietet den Männern, eine Frau für Sex zu kaufen bzw. zu benutzen. Der Freier macht sich strafbar, die Frau bleibt straffrei. Es erschreckt, dass immer wieder betont wird, dass das Sexkaufverbot die Frauen in die Illegalität zwingt. In der Illegalität hat sich der größte Teil bereits jetzt schon befunden. Außerdem geht das Sexkaufverbot einher mit Ausstiegshilfen und Unterstützungsangeboten für die Frauen in der Prostitution. Ein Sexkaufverbot fördert den gesellschaftlichen Perspektivwechsel: Es ist nicht in Ordnung, wenn ein Mann einen anderen Menschen zur sexuellen Benutzung kauft. Mit der Freierbestrafung soll die Nachfrage reduziert werden. Bereits im Jahr 2014 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution zugunsten des Nordischen Modells und hielt die Mitgliedsstaaten dazu an, die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen zu kriminalisieren.

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