Frühere Missstände in der kirchlichen Einrichtung werden untersucht

Kritische Auseinandersetzung und historische Aufarbeitung der Heimerziehung in St. Vincenz

Kritische Auseinandersetzung und historische Aufarbeitung der Heimerziehung in St. Vincenz
Vorsitzende Ute Hanswille, Dr. Barbara Vosberg (Wissenschaftlerin), Prof. Andreas Henkelmann (Wissenschaftler) und Geschäftsführer George Koldewey. Foto: Kyra Usielski für nordstadtblogger.de

Der St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum e.V. in der Nordstadt von Dortmund möchte aus eigener Initiative heraus seinen Beitrag zur Aufarbeitung von Missständen leisten, die mittlerweile zwar Jahrzehnte zurückliegen, aber immer noch schwer auf den Betroffenen lasten. Darüber hinaus liegt ihnen viel an der selbstkritischen Auseinandersetzung mit Entwicklungsprozessen in der Heimerziehung.

Übergriffe bis zu psychischen Gewaltformen wie Einschüchterung und Demütigung

Der St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum e.V. ist ein freier Träger, dessen Antrieb es ist Menschen ein Zuhause, Schutz und pädagogische Förderung auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu geben. Das Angebot erstreckt sich über stationäre, teilstationäre und ambulante Wohn- und Betreuungsformen für Kinder, Jugendliche, junge Volljährige, Familien und Alleinerziehende.

Kritische Auseinandersetzung und historische Aufarbeitung der Heimerziehung in St. Vincenz
Hinter diesen Mauern wurden in der Vergangeheit Kinder und Jugendliche gedemütigt und eingeschüchtert. Foto: Kyra Usielski für nordstadtblogger.de

Unterstütz werden diese Menschen mit psychomotorische und heilpädagogische Förderangeboten. Zudem zählen zwei Förderschulen für emotionale und soziale Entwicklung zum Spektrum des Angebots.

Das St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum unterliegt jedoch seit seiner Entstehung im Jahre 1903 einer wechselvollen Geschichte, geprägt durch das System der Zwangserziehung. In der Zeit der „Schwarzen Pädagogik“ der Heimerziehung im 20. und 21. Jahrhundert wurden Erziehungsmethoden angewandt, die mit Strafen, Kontrolle, Gewalt, Demütigungen oder Einschüchterungen verbunden waren – mit der Absicht, Kinder und Jugendliche völlig unterzuordnen.

Damit eng verknüpft sind oftmals Machtmissbrauch oder die Absicht, sich gegenüber Kindern und Jugendlichen zu erhöhen. Besonders zu Zeiten des Nationalsozialismus waren der Umgang mit Minderheiten extrem schlimm.

Zeitzeugen lassen Geschichten lebendig werden

Ein Ziel der Aufarbeitung ist es offen zu legen, welche gesellschaftlichen, sozialen und institutionellen Bedingungen zurückliegende Grenzüberschreitungen, Verletzungen der Menschenwürde oder der Fürsorgepflicht befördert haben.

Kritische Auseinandersetzung und historische Aufarbeitung der Heimerziehung in St. Vincenz
Mittlerweile bietet der Innenhof des St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrums Schutz für jene, die ihn brauchen. Foto: Kyra Usielski für nordstadtblogger.de

Ein weiteres Ziel ist, Lern- und Wandlungsprozesse zu dokumentieren, die den Blick auf die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft der Jugendhilfe öffnen.

Um neben den schriftlichen Quellen auch auf möglichst viele Berichte von Zeitzeug:innen zurückgreifen zu können, geht der St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum e.V. an die Öffentlichkeit und richtet einen Aufruf an ehemalige Bewohner:innen und Mitarbeitende von St. Vincenz, die bereit wären sich für Interviews mit den Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen.

Selbstverständlich werden diese Gespräche unter Wahrung der Vertraulichkeit geführt. Die Geschichte der Einrichtung wird auf Basis dessen mit Hilfe von Frau Dr. Barbara Vosberg und Herrn Professor Andreas Henkelmann, zwei erfahrene Wissenschaftler:innen historisch aufgearbeitet.

Ehemalige mit eigener Geschichte konfrontiert

Eine aus eigener Intention hervorgerufene kritische Auseinadersetzung mit den Entwicklungsprozessen in der Heimerziehung ist sicherlich durch den gesellschaflichen Wandel angetrieben, aber keines wegs selbstverständlich. Der Grundstein hierfür wurde sicherlich durch die Kritik an der Heimerziehung im deutschsprachigen Raum zur Zeit der „Schwarzen Pädagogik“ gelegt.

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Die Vositzende spricht über die Ehemaligen, die ihr Leben reflektierten und Rückschlüsse auf ihre Zeit im St. Vincenz zogen. Kyra Usielski | Nordstadtblogger

Erste Impulse der Überlegungen wurden aber letztendlich durch Briefe alter Bewohner:innen angeregt. Viele Ehemalige schienen ihr Leben reflektiert zu haben und zogen Rückschlüsse auf ihre Zeit im St. Vincenz. Dies festigte die Überlegung sich im verantwortlungsvollen Umgang der Geschichte des Hauses zu stellen.

Ehemaligen Mitbewohner:innen soll hiermit eine Möglichkeit geboten werden, sich mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu trauen und diesen Gehör zu verschaffen. Die Idee dahinter ist den Ehemaligen parallel zur Auseinadersetzung mit den Entwicklungsprozessen in der Heimerziehung zu ermöglichen das Erlebte aufzuarbeiten.

Lückenhafte Überlieferung zu Zeiten des Nationalsozialismus

Bei der historischen Aufarbeitung wird auf Professionalität und Ergebnisoffenheit gesetzt. Daher findet die Aufarbeitung unter Berücksichtigung verschieder Perspektiven und Anwendung unterschiedlicher Methoden statt. Zum einen werden Akten, wie Einzelfallakten, aber auch Bau-/ und Sachakten in Archiven gesichtet.

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Aufruf an ehemalige Ordensmitglieder, Mitarbeiter:innen, Bewohner:innen und Angehörige. Foto: Kyra Usielski für nordstadtblogger.de

Die lückenhafte Überlieferung bietet jedoch eher eine schlechte Grundlage für die Historiker:innen. Besonders rudimentär ist die Aktenlage aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ein mehr oder weniger vollständiges Bild kann daher nur durch Mithilfe von Zeitzeugen erarbeitet werden.

Der Aufruf richtet sich ausdrücklich an Zeitzeugen, die bis zu den neunziger Jahren Ordensmitglieder und Mitarbeiter:innen oder Bewohner:innen, des Hauses waren, aber auch an ihre Angehörigen. Selbstverständlich werden die Interviews mit den ehemaligen Bewohner*innen autorisiert und unkenntlich gemacht und werden streng vertraulich behandelt.

Die wissenschafliche Aufarbeitung steht gerade in ihren Anfängen und bedarf viel Zeit und Arbeit um ein präsentables, vollständiges Bild vermitteln zu können. Ein genaues Zeitfenster für die Fertigstellung gibt es daher noch nicht.

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Reaktionen

  1. SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Arbeit und Gebet bestimmten den Alltag im Vincenzheim – Nordstadtblogger

    […] Kritische Auseinandersetzung und historische Aufarbeitung der Heimerziehung in St. Vincenz […]

    • Annegret Kalaitzis

      Ich war von 1984 bis 1991 im Vincent von Paul Heim in Dortmund geführt von den Schwestern. Klar war es erst schwer sich ein zu gewöhnen, eine Menge neue Regeln. Ich habe aber erkannt das die Schwestern mir nichts böses wollen sondern nur helfen. Ich habe mich 7Jahre da wohlgefühlt, habe meine Schule abgeschlossen und anschließend meine Ausbildung absolviert. Ich habe nie wieder so viel Liebe erfahren wie in dieser Zeit.ich habe in dieser Zeit viele Mädchen kennengelernt die dort nicht klar kamen, es lag aber nicht an den Schwestern sie haben sich um jede einzelne bemüht. Man kann auch jemanden anderen die Schuld geben wenn man in Leben nicht klar kommt.

  2. Stolze

    Ich habe an entsprechenden Interviews, teilgenommen.
    Also ich bin keineswegs der Meinung, daß die Befragung von unabhängigen Interviewer/in durchgeführt worden! Frau Barbara Vosberg und Herr Henkelmann, sind sehr regelmäßig für das Erzbistum Paderborn, tätig, bzw. halten regelmäßig in Paderborn, Vorträge. Also man kennt/ kannte sich schon vorher gut! Alles nach kurzer Recherche, herausgefunden…… Frau Vosberg gehört zudem noch einem Ritterorden an. Über diesen wurde 1994 eine Dokumentation, gemacht. Aufgrund von meiner eigenen Erfahrung, im Zusammenhang der Interviews, hätte ich besser gefunden, wenn traumatageschulte das Ganze, begleitet hätten, insbesondere die jeweiligen Befragungen. Ich selbst hatte im Vorfeld sowohl die Interviews, als auch was das Sitzen in den Räumlichkeiten ( Also das das viel mit mir gemacht hat), unterschätzt. Auf einmal war ich so tief in den jeweiligen Situationen, die ich beschrieb, daß ich mich wie damals auch fühlte. Ich hatte keine Möglichkeit, da während der Interviewzeit, herauszukommen. Ich war 3 Monate “ durch den Wind). Das war wie flashbacks, zu haben.
    Einige Fragen haben mich getriggrt, bzw. das es mir nicht gut ging. Ich bin heutzutage noch in “ Bedarfstherapie/ psychologischer Behandlung)
    …. Die Aussage Dr Interviewerin, ich hätte noch nicht alles aufgearbeitet, hat in mir ausgelöst: Schuldgefühle und: “ haben Sie es immer noch nicht geschafft, alles aufzuarbeiten.“ ich will damit nicht sagen, da§ der Satz der Interviewerin darauf abzielt, Schuldgefühle auszulösen. Ich denke, die Interviewerin, hat sich schlichtweg nichts dabei gedacht und konnte nicht erahnen, was bestimmte Fragestellungen, in traumatisierten Menschen auslösen kann. Wenn ich auch während der Interviewzeit, keine psychologische Unterstützung gehabt hätte, und vorher schon nicht,therapieerfahren gewesen wäre, hätte das böse ausgehen können. In meinem Fall, bereue ich trotzdem nicht, daß ich mitgemacht habe. Bot es eine Gelegenheit, zu sagen, was meiner Ansicht nach wo schiefgelaufen ist, während der Zeit im Vincenzheim und anderen Heimen,/Pflegefamilien , Verantwortliche des Jugendamtes, der damit verbundenen Strukturen. Ich bin ohne Erwartungen an die Sache herangegangen, habe ich in der Vergangrnheit gesehen, daß immer noch Verleumdung, Vertuschungen/ Verdeckungen, im Zussmmenhang mit Mißbrauch jeglicher Art ( wenn dieses aufgedeckt wird), stattfindet. Bin mal gespannt auf das Ergebnis, derwissenschaftlichen Aufarbeitung…

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