
Der St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum e.V. in der Nordstadt von Dortmund möchte aus eigener Initiative heraus seinen Beitrag zur Aufarbeitung von Missständen leisten, die mittlerweile zwar Jahrzehnte zurückliegen, aber immer noch schwer auf den Betroffenen lasten. Darüber hinaus liegt ihnen viel an der selbstkritischen Auseinandersetzung mit Entwicklungsprozessen in der Heimerziehung.
Übergriffe bis zu psychischen Gewaltformen wie Einschüchterung und Demütigung
Der St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum e.V. ist ein freier Träger, dessen Antrieb es ist Menschen ein Zuhause, Schutz und pädagogische Förderung auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu geben. Das Angebot erstreckt sich über stationäre, teilstationäre und ambulante Wohn- und Betreuungsformen für Kinder, Jugendliche, junge Volljährige, Familien und Alleinerziehende.

Unterstütz werden diese Menschen mit psychomotorische und heilpädagogische Förderangeboten. Zudem zählen zwei Förderschulen für emotionale und soziale Entwicklung zum Spektrum des Angebots.
Das St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum unterliegt jedoch seit seiner Entstehung im Jahre 1903 einer wechselvollen Geschichte, geprägt durch das System der Zwangserziehung. In der Zeit der „Schwarzen Pädagogik“ der Heimerziehung im 20. und 21. Jahrhundert wurden Erziehungsmethoden angewandt, die mit Strafen, Kontrolle, Gewalt, Demütigungen oder Einschüchterungen verbunden waren – mit der Absicht, Kinder und Jugendliche völlig unterzuordnen.
Damit eng verknüpft sind oftmals Machtmissbrauch oder die Absicht, sich gegenüber Kindern und Jugendlichen zu erhöhen. Besonders zu Zeiten des Nationalsozialismus waren der Umgang mit Minderheiten extrem schlimm.
Zeitzeugen lassen Geschichten lebendig werden
Ein Ziel der Aufarbeitung ist es offen zu legen, welche gesellschaftlichen, sozialen und institutionellen Bedingungen zurückliegende Grenzüberschreitungen, Verletzungen der Menschenwürde oder der Fürsorgepflicht befördert haben.

Ein weiteres Ziel ist, Lern- und Wandlungsprozesse zu dokumentieren, die den Blick auf die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft der Jugendhilfe öffnen.
Um neben den schriftlichen Quellen auch auf möglichst viele Berichte von Zeitzeug:innen zurückgreifen zu können, geht der St. Vincenz Jugendhilfe-Zentrum e.V. an die Öffentlichkeit und richtet einen Aufruf an ehemalige Bewohner:innen und Mitarbeitende von St. Vincenz, die bereit wären sich für Interviews mit den Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen.
Selbstverständlich werden diese Gespräche unter Wahrung der Vertraulichkeit geführt. Die Geschichte der Einrichtung wird auf Basis dessen mit Hilfe von Frau Dr. Barbara Vosberg und Herrn Professor Andreas Henkelmann, zwei erfahrene Wissenschaftler:innen historisch aufgearbeitet.
Ehemalige mit eigener Geschichte konfrontiert
Eine aus eigener Intention hervorgerufene kritische Auseinadersetzung mit den Entwicklungsprozessen in der Heimerziehung ist sicherlich durch den gesellschaflichen Wandel angetrieben, aber keines wegs selbstverständlich. Der Grundstein hierfür wurde sicherlich durch die Kritik an der Heimerziehung im deutschsprachigen Raum zur Zeit der „Schwarzen Pädagogik“ gelegt.

Erste Impulse der Überlegungen wurden aber letztendlich durch Briefe alter Bewohner:innen angeregt. Viele Ehemalige schienen ihr Leben reflektiert zu haben und zogen Rückschlüsse auf ihre Zeit im St. Vincenz. Dies festigte die Überlegung sich im verantwortlungsvollen Umgang der Geschichte des Hauses zu stellen.
Ehemaligen Mitbewohner:innen soll hiermit eine Möglichkeit geboten werden, sich mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu trauen und diesen Gehör zu verschaffen. Die Idee dahinter ist den Ehemaligen parallel zur Auseinadersetzung mit den Entwicklungsprozessen in der Heimerziehung zu ermöglichen das Erlebte aufzuarbeiten.
Lückenhafte Überlieferung zu Zeiten des Nationalsozialismus
Bei der historischen Aufarbeitung wird auf Professionalität und Ergebnisoffenheit gesetzt. Daher findet die Aufarbeitung unter Berücksichtigung verschieder Perspektiven und Anwendung unterschiedlicher Methoden statt. Zum einen werden Akten, wie Einzelfallakten, aber auch Bau-/ und Sachakten in Archiven gesichtet.

Die lückenhafte Überlieferung bietet jedoch eher eine schlechte Grundlage für die Historiker:innen. Besonders rudimentär ist die Aktenlage aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ein mehr oder weniger vollständiges Bild kann daher nur durch Mithilfe von Zeitzeugen erarbeitet werden.
Der Aufruf richtet sich ausdrücklich an Zeitzeugen, die bis zu den neunziger Jahren Ordensmitglieder und Mitarbeiter:innen oder Bewohner:innen, des Hauses waren, aber auch an ihre Angehörigen. Selbstverständlich werden die Interviews mit den ehemaligen Bewohner*innen autorisiert und unkenntlich gemacht und werden streng vertraulich behandelt.
Die wissenschafliche Aufarbeitung steht gerade in ihren Anfängen und bedarf viel Zeit und Arbeit um ein präsentables, vollständiges Bild vermitteln zu können. Ein genaues Zeitfenster für die Fertigstellung gibt es daher noch nicht.
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