Start von „BE:Community“ – ein Orchester will Menschen auf unkonventionelle Weise klassische Musik näher bringen

Musik kennt keine Grenzen – im Projekt BE: Community des Konzerthaus Dortmund werden Workshops angeboten, in denen professionelle MusikerInnen und Laien Klassik neu interpretieren. Fotos: Angelika Steger

Von Angelika Steger

Das Konzerthaus in Dortmund will innovative Wege gehen, Menschen klassische Musik näher zu bringen. Zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven im kommenden Jahr wird es viele Veranstaltungen geben – nicht nur in seiner Geburtsstadt Bonn. Die Dortmunder wollen aber nicht einfach die Sinfonien Beethovens so spielen lassen, wie sie sind, sondern die 9. Sinfonie für Menschen, die vielleicht mit klassischer Musik noch nichts oder nicht viel zu tun hatten, erfahrbar machen. Dazu wird die „BE:Community“ gegründet, ein Orchester aus Laien und Profis des Stegreif.orchesters.

Das Konzerthaus Dortmund will sich neuen BesucherInnengruppen öffnen

Dr. Raphael von Hoensbroech, Geschäftsführer und Intendant des Konzerthauses Dortmund erläutert, wie es zu dieser Idee kam: Nach dem Motto „Musik für alle“ sollte ein neues Format auf die Bühne gebracht werden.

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Eine Umfrage in der Brückstraße hätte ergeben, dass die BewohnerInnen und Menschen, die dort arbeiteten, nicht ins Konzerthaus gehen würden. „Mein Eindruck war: da müssen wir was tun. Musik hat keine Grenzen. An meiner ehemaligen Arbeitsstelle gab es ein Orchester, in dem 30 verschiedene Nationen vertreten gewesen waren.“

Projekt „Community music“ aus Großbritannien wird nun in Deutschland vorgestellt

Es geht darum, klassische Stücke mit spielerischen Improvisationen zu erschließen.

Das Konzept „Community Music“ ist in Großbritannien weit verbreitet, in Deutschland eher unbekannt. Laien musizieren mit Profis und erarbeiten spielerisch und mit freien Improvisationen ein mehr oder weniger bekanntes Stück aus der ‚klassischen‘ Musik.

Warum soll genau Beethovens 9. neu mit dem „Community orchestra“ interpretiert werden? Die Botschaft für Frieden und Brüderlichkeit sei der Grund. In den nächsten Monaten erarbeitet das Berliner Stegreif.orchester zusammen mit Dortmunder BürgerInnen eine neue, an die 9. angelehnte Komposition.

Alle, die ein Instrument spielen können, eine Stimme haben, gern ein Instrument spielen würden oder Lust auf ein Schlagzeug haben sind aufgerufen, mitzumachen. Das Stegreif.orchester macht anhand von bereits durchgeführten Projekten seine Arbeitsweise deutlich: ein Musiker oder Musikerin fragt das Publikum, ob jemand ein Instrument spiele. Zwei MusikerInnen spielen dabei Geige, ein Horn und ein Klavier gibt es. Juri de Marco, Valerie Leopold, Bartosz Nowak und Viola Schmitzer stehen an diesem Abend stellvertretend für die insgesamt 30 Mitglieder des Orchesters.

Ungewöhnliches Auftreten und Arbeiten des Stegreif.orchesters: vor und im Publikum

Die Profis des Berliner Stegreif.orchesters.

Ohne Dirigent bewegen sie sich auf die Bühne, nicht immer ist klar, ob sie noch improvisieren, ihre Instrumente stimmen oder schon mit dem eigentlichen Stück beginnen. Es folgen nach Ende des Stücks Rhythmusübungen, bei denen das Publikum gefordert ist, auch mithilfe von ausgeteilten Drumsticks mitzumachen.

Die Rhythmen würden alle aus der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven stammen. Was bei einigen, vor allem den anwesenden Kindern gut ankommt, erinnert manchen Erwachsenen eher an den frühen Musikschulunterricht, wird bald langweilig.

Der leichte Singsang des Profi-Musikers auf der Bühne wirkt dazu fast, als ob man sich in einem esoterischen Ritual befinden würde. Als einer der Musiker plötzlich nach der Gitarre greift und ein selbstgeschriebenes Lied, das sich wie Beethovens 9. um das Thema „Freiheit“ dreht, denkt man endgültig, in einem christlichen Jugendclub gelandet zu sein. Mit Klassik hat das nichts mehr zu tun, eher mit einem Folkfestival. Dann wird auch noch getrommelt zu dem gesungenen Lied, das Ganze erscheint nun mehr wie ein Kindertheater denn als ein ernstzunehmendes Lied über die Freiheit der Menschen.

Spielerische Elemente sind Teil dieser Projektarbeit zu BE:Community

Das Spiel „Hocket“ bedeutet, das sich zwei gegenüberstehende Leute z. B. einzelne Töne einer Sinfonie vorsingen. Das Ganze klingt aber abgehackt, fast wie Kakophonie, eine Art Plauderlärm, als alle anwesenden Personen dieses Spiel spielen sollen.

Lustig ist das nur, wenn nur zwei Leute auf der Bühne das machen. Wer sind diese MusikerInnen, die trotz ihrer Profession auf so andere Weise musizieren? Viel erfährt man nicht, stattdessen „stellen“ sie sich „vor“ wie vor einer Klasse in der Musikschule z. B. mit der Frage: „Bartoz, wie klingt deine Heimat?“ und der Musiker Bartoz spielt spontan eine improvisierte Melodie auf seinem Instrument. In einem Kinderkonzert wäre das ein schöner, passender Programmpunkt. Wenn aber Erwachsene mitwirken sollen, wirkt die ganze Aktion recht kindisch.

Bewegung ein wichtiger Teil der Orchesterarbeit: nichts für strenge Klassikfans

Die klassische Musik soll aus der elitären Ecke geholt werden.

Die Aufforderungen zu verschiedenen Bewegungen – es gibt im Orchester extra jemanden, der das Publikum zur Bewegung auffordert, still dort sitzen und nur dem Orchester zuhören ist da nicht – erinnern an Aufwärmübungen für die Chorprobe. Wer das nicht kennt, fühlt sich im falschen Film, wenn man aufgefordert wird, seine Arme abzuklopfen oder wahllos Töne zu singen.

Damit man sich den Konzertablauf ungefähr vorstellen kann, wird ein Film gezeigt. Die MusikerInnen laufen dabei scheinbar ziellos umher, hier und da wird improvisiert, bis jemand wieder die Melodie von Brahms` dritter Sinfonie aufnimmt.

Eine Cellistin scheint völlig in andere Sphären abgetaucht zu sein, weil sie nur mit geschlossenen Augen da steht und lauscht. Die Musik von Johannes Brahms erscheint hier wie in einem esoterischen Ritual – und dort gehört sie eigentlich nicht hin. Hat diese Art des Musizierens noch etwas mit musikpädagogischer Arbeit zu tun? Eher nicht.

BE: Community: eine Möglichkeit, dem Elitedenken des Klassikpublikums zu entkommen?

Die Techniken des Orchesters sind sehr intuitiv.

Die Techniken des Stegreif.orchesters sind sehr intuitiv, laden nicht unbedingt die regelmäßigen Konzerthaus-BesucherInnen ein, zum Konzert oder gar zum Mit-Musizieren auf die Bühne zu kommen.

Wer keine großen Ansprüche hat und damit leben kann, dass eine Sinfonie nur auf wenige Töne oder Rhythmen reduziert und daraus neue „Melodien“ und evtl. auch eine Art Tanzbewegung gemacht wird, ist beim Projekt BE:Community“ gut aufgehoben.

Einigen Gästen des Abends, an dem das Projekt vorgestellt wurde, hat es gut gefallen, sie hatten oft Instrumente, die auch ausgeteilt wurden, wenn man keines mitgebracht hatte, in der Hand und machten aktiv mit. Das niederschwellige Angebot zur Mitwirkung in diesem Orchester birgt aber auch die Gefahr, ins Beliebige abzudriften, auch ins Kindische, was man als KonzertbesucherIn nicht mehr ernstzunehmen braucht.

Der Grundgedanke ist richtig, dass man versucht, die klassische Musik aus der elitären Ecke zu holen, zu den einfacheren Menschen zu bringen. Ob das aber wirklich gelingen wird ist fraglich, damit es nicht zu einem Kinder-Quatsch-Orchester verkommt. Die MusikerInnen des Stegreif.orchesters sollten sich genau ansehen, wen sie zu ihrem Projekt zulassen: hier geht es nicht um reine Trommelei, die Lärm macht, hier geht es um eine Neukomposition zu einem komplexen Stück Musik.

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Weitere Informationen:

  • Im Mai 2020 soll dann das Abschlusskonzert des Projekts BE: Community im Konzerthaus Dortmund stattfinden.
  • Wöchentliche Workshops im Konzerthaus Dortmund ab dem 30. November 19: jeden Samstag von 10-12 Uhr
  • Termine BE:Community, Informationen hier.
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Reaktionen

  1. Ludgera Stadtbäumer

    Sowohl den Auftakt als auch den zweiten Probentag des BE: Community-Projektes habe ich komplett anders erlebt: Inspirierende junge Musiker/Innen erarbeiten mit interessierten Dortmundern jeder Altersstufe auf sehr facettenreichen Wegen Grundlagen für ein gemeinsames Konzert mit dem Stegreif-Orchester Berlin. Rhythmus und Klang, Stimme und Bewegung als Basis für Begeisterung und Freude am gemeinsamen Musizieren und Improvisieren haben mir sehr imponiert. Konzentrierte Proben-Atmosphäre sorgte für ein gelungenes Klangerlebnis, das Neugier auf die kommenden Workshops weckte. Die Idee, dass Profi-Musiker Laien durch gemeinsames Singen und Musizieren Grundlagen der Beethoven-Komposition nahe bringen ist deshalb so spannend, weil es eben nicht darum geht, Fertigkeiten und Können mitzubringen sondern gemeinsam etwas zu erarbeiten. Schöne Töne, mehrstimmige Grundmelodien aus Beethovens Sinfonie, die durch vielfältige Rhythmusinstrumente begleitet wurden sowie erste Bewegungen zum Thema „Bühnenpräsenz“ weckten große Vorfreude auf dieses spannende, neue Projekt. Erst kürzlich wurde in Deutschland ein neuer Studiengang „Community-Music“ eingerichtet – schön, dass das Konzerthaus Dortmund als eines der besten Konzerthäuser Europas dieses Thema aufnimmt und für ALLE anbietet.

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