Heftiger Streit innerhalb der CDU Dortmund: Parteichef Steffen Kanitz tritt ab – Junge Union zeigt CDU-Vorstände an

Steffen Kanitz ist der Kreisvorsitzende der Dortmunder CDU.

Ein Hintergrund- und Meinungsbeitrag von Alexander Völkel

Nach der verlorenen Wahl eskalieren die Probleme bei der Dortmunder CDU: Parteichef Steffen Kanitz (36) will den Vorsitz abgeben und auch nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Der Grund dafür ist aber nicht (nur) das Wahlergebnis, sondern vor allem seit langem geäußerte Kritik an seiner fehlenden Präsenz vor Ort. Doch mit einem Rücktritt wollte man bis nach der Wahl warten. Das fällt jetzt ungünstigerweise mit den Problemen seiner Parteivize zusammen: Gegen die stellvertretenden Vorsitzenden laufen Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Datenschützern, weil die Junge Union Dortmund Anzeige gegen Thorsten Hoffmann und Claudia Middendorf sowie weitere Vorstandsmitglieder erstattet hat. Das ist der neuste Höhepunkt der schwelenden Probleme.

Scharfe Kritik am Parteivorsitzenden wegen fehlender Präsenz in Dortmund

Kandidatenkür für Andreas Hollstein und Glückwünsche von Claudia Middendorf – Parteichef Steffen Kanitz fehlte auf dem Parteitag.

Seit langen gärt es in der CDU: Nachdem der junge Vorsitzende Steffen Kanitz – einst Hoffnungsträger und Shooting-Star der Dortmunder CDU – sein Bundestagsmandat verloren hatte, musste er sich einen neuen Job suchen. Fündig wurde er bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung in Peine, wo der Dortmunder als einer der Geschäftsführer anheuern konnte.  

Durch die Suche nach einem Endlager für radioaktiven Müll war er in Dortmund kaum noch präsent. Bereits bei der letzten Wiederwahl gab es ein deutlich vernehmbares Murren und  mit knapp 78 Prozent ein verhältnismäßig schwaches Wahlergebnis. Selbst bei wichtigen Parteiveranstaltungen war Kanitz nicht anwesend – so auch beim letzten Kreisparteitag, wo Dr. Andreas Hollstein als OB-Kandidat gekürt wurde. 

Die Kritik daran war heftig – unter anderem schrieb Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft und überzeugter Christdemokrat, einen deutlichen Brief an die Führungsspitzen der Partei, den Kanitz-Kritiker an die Öffentlichkeit brachten. Für viele in der Partei sprach Wegener – er hegt selbst keine eigenen Ambitionen auf den Spitzenposten – aus der Seele. Doch dass das interne Schreiben aus dem inneren Führungszirkel an die Presse durchgestochen wurde, war ein Unding – es passierte quasi zeitgleich mit der Vorstellung des Kommunalwahl-Programms.

Streit um ein die Position des Bürgermeisters zur Hochzeit des Wahlkampfs

Ulrich Monegel (CDU), im Hintergrund Bürgermeister Manfred Sauer, OB Ullrich Sierau und Bürgermeisterin Birgit Jörder.
CDU-Fraktionschef Ulrich Monegel (re.) wollte  Bürgermeister Manfred Sauer (li.) beerben – obwohl dieser weiter machen wollte.

Aber auch in der Fraktion knirschte es mächtig: Denn der bisherige Fraktionsvorsitzende Ulrich Monegel wollte nach der Wahl Bürgermeister werden und machte diese Position damit dem bisherigen Bürgermeister Manfred Sauer streitig. Dieser wollte selbst erneut kandidieren, zog aber zähneknirschend zurück. 

„Die Partei zerfleischt sich selbst – und das in der Hochphase des Wahlkampfs“, ätzten Kritiker wie Unterstützer der CDU gleichermaßen. Nebenbei bemerkt: Diese Streit könnte völlig unnötig gewesen sein. Denn die CDU ist bei der Ratswahl auf dem dritten Platz gelandet und hat damit kaum Chancen auf ein Bürgermeistermandat.

Währenddessen machte Dr. Andreas Hollstein, scheidender Bürgermeister von Altena, unverdrossen und engagiert Wahlkampf, um Oberbürgermeister in Dortmund zu werden. Dass sich kein*e Bewerber*in aus der Dortmunder CDU für diesen Spitzenposten fand, ist ebenfalls einer der Kritikpunkte an Kanitz und seinem innerparteilichen Führungsstil oder Organisationsversagen. 

Dass Hollstein zumeist ohne Kanitz unterwegs war, verwunderte nicht. Dies war auch intern kommuniziert und Kanitz war auch nicht der „Wahlkampf-Manager“. Dass aber auch die Partei-Vize eher selten zu sehen waren, verwunderte Außenstehende und Parteibasis da schon mehr. Dies war ein deutliches Indiz für Spannungen zwischen Parteiführung und Spitzenkandidat, der unter der Hand keinen Hehl daraus machte, dass es viele inhaltliche und personelle Differenzen gab.

Offenbar gab es viele Differenzen zwischen der Dortmunder Parteiführung und dem OB-Kandidaten

Dr. Andreas Hollstein (CDU), Bürgermeister von Altena
Die Amtszeit von Dr. Andreas Hollstein als Bürgermeister von Altena endet in diesen Wochen.

Bei der Parteibasis kam der Kandidat von außen an: 98,5 Prozent Zustimmung und stehende Ovationen für den Bürgermeister aus Altena waren offensichtlich auch für den OB-Kandidaten überraschend. Hollstein gab gegenüber Vertrauten unumwunden zu, dass es es ihn wunderte, dass er mehr als 70 Prozent Zustimmung bei der Nominierung bekam.

Denn eigentlich passe er nach eigener Einschätzung nicht zur Dortmunder CDU, war aus Kreisen von Hollstein-Vertrauten zu hören. Stattdessen machte sich Hollstein selbst und mit Unterstützung anderer Multiplikatoren statt der Parteispitze in der Stadt bekannt – und dabei oft auch eine gute Figur. 

Dass er in die Stichwahl gegen SPD-Kandidat Thomas Westphal kam, verwunderte daher nicht. Hollstein dankte der Basis für die gute Unterstützung, bemängelte aber die fehlende Vernetzung innerhalb der Partei, sowie auch die nicht sehr ausgeprägte Unterstützung und Wertschätzung für die jungen Parteimitglieder, die sich im Wahlkampf stark engagiert haben. 

Dr. Andreas Hollstein (CDU), Bürgermeister von Altena

Er war am Wahlabend sichtlich enttäuscht, dass es für ihn nicht gereicht hatte, obwohl er im Vorfeld erklärt hatte, dass er „nichts zu verlieren“ habe. Allerdings gibt es bisher auch keinen Plan B. In Altena ist für ihn nach mehr als 20 Jahren als Bürgermeister Schluss – in diesen Wochen räumt er seinen wuchtigen Schreibtisch im historischen Amtshaus – mit Blick auf die Burg Altena. „Ich habe auf Risiko gespielt“ sagt er mit Blick auf seine Kandidatur in Dortmund.

Dass der CDU-Kreisvorsitzende am Abend der entscheidenden Stichwahl nicht im Dortmunder Rathaus war, ist eine weitere Fußnote. Doch das hatte berufliche Gründe: Steffen Kanitz stellte am nächsten Morgen in Berlin die Pläne zur Suche nach einem Atommüllendlager vor.

Erneut kam seine Berufsausübung seinem politischen Ehrenamt in Dortmund in die Quere. Daher verwundert der Schritt zum Rückzug nicht, wozu sich Kanitz aber auch derzeit nicht öffentlich erklären will.

Kritik: Wurden viele CDU-Positionen aus wahltaktischen Gründen aufgegeben?

Steffen Kanitz stellte am Morgen nach der Stichwahl in Berlin die Pläne zur Suche nach einem Atommüllendlager vor.
Steffen Kanitz stellte am Morgen nach der Stichwahl in Berlin die Pläne zur Atommüll-Endlagersuche vor.

Stärker wiegt aber die Kritik von vielen Seiten, dass in den Verhandlungen mit den Grünen diverse CDU-Positionen mehr oder weniger leichtfertig aus machtpolitischen Erwägungen heraus aufgegeben wurden, um die Unterstützung der Grünen für die Stichwahl zu bekommen.

Mehr als deutlich wurde das, als zwei Tage nach der Stichwahl ein Positionspapier der CDU-Fraktion den Dortmunder Tageszeitungen beilag, in dem sich die Partei für viele Positionen aussprach, die zuvor im Papier mit den Grünen aufgegeben wurden. Sie waren entweder inhaltlich überholt oder die Absprachen mit den Grünen seien nur wahltaktische Lippenbekenntnisse gewesen, wurde der CDU vorgehalten.

Das Problem war jedoch weit profaner und organisatorischer Natur: Die CDU-Fraktion hatte schlicht nicht berücksichtigt, dass die Fraktion keine Wahlwerbung machen darf. Dies dürfen nur Parteien. Daher durfte das teuer produzierte und ebenfalls teuer verteilte Heft der Fraktion mit der „Leistungsbilanz“ und den Wahlzielen erst nach der Wahl unters Wahlvolk gebracht werden.

Jüngste Eskalation: Junge Union erstattet Anzeige gegen prominente Parteimitglieder

Doch der neuste und wahrscheinlich größte Eskalationspunkt  – und ein bisher beispielloser Vorgang – ist die Anzeige, die die Junge Union gegen die beiden Parteivize Claudia Middendorf und Thomas Hoffmann sowie zwei weitere Vorstandsmitglieder erstattet hat. Sowohl der Landesdatenschutzbeauftragte als auch die Dortmunder Staatsanwaltschaft prüfen die Anschuldigungen der Jungen Union.

Wahlkreisvertreterversammlungen zur Aufstellung der CDU-Kandidaten für die Landtagswahl 2017 im Helmholtz-Gymnasium. Sarah Beckhoff, 113/Dortmund III
JU-Vorsitzende Sarah Beckhoff. Foto: Klaus Hartmann

Die Vorwürfe wiegen schwer: Die betreffenden CDU-Funktionäre sollen sich in der Kreisgeschäftsstelle unerlaubt Zugriff auf Kontaktdaten von Mitgliedern der Jungen Union verschafft haben, um Einfluss auf die Vorstandswahlen der Jugendorganisation der Partei auszuüben. Man hat offenbar versucht, die Wiederwahl von Sarah Beckhoff zu torpedieren, in dem man einen Gegenkandidaten ins Spiel brachte. 

Am Tag vor der Wahlsitzung meldete ein JU-Vorstandsmitglied in der verbandseigenen WhatsApp-Gruppe seine Bewerbung für den Vorsitz an. Zudem bekamen mehrere Mitglieder auch Anrufe. „Darunter auch viele Karteileichen, deren Kontaktdaten er eigentlich nicht haben konnte“, erklärt Sarah Beckhoff auf Nachfrage von Nordstadtblogger den ominösen Vorgang.

Diese „Karteileichen“ meldeten sich anschließend beim Vorstand und zeigten sich verwundert, dass sie Anrufe bekamen, bei denen für den Gegenkandidaten geworben wurde. Doch die Anrufenden konnten diese Nummern und Namen eigentlich nicht haben – allerdings gab es diese in den Parteiakten.

Der Gegenkandidat zog kurz vor der Wahlsitzung seine Bewerbung zurück, doch der Vorgang hallte nach: „Da waren einige Mitglieder relativ schockiert, daher sind die juristischen Schritte gerechtfertigt“, betont Beckhoff. „Wir schreiben den Datenschutz groß, daher wollen wir Aufklärung durch die Behörden.“

„Heißer Herbst“: Die CDU muss sich eine neue Führungspitze suchen

Thorsten Hoffmann ist Polizeibeauftragter des Landes NRW.
Ex-MdB Thorsten Hoffmann (li.) ist mittlerweile Polizeibeauftragter des Landes NRW.

Das Pikante: Sowohl Claudia Middendorf als auch Thorsten Hoffmann stehen nach dem Verlust ihrer Landtags- bzw. Bundestagsmandate auf der Gehaltsliste des Landes: Middendorf ist Patientenbeauftragte sowie Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der Landesregierung, der frühere Polizeibeamte Hoffmann ist mittlerweile Polizeibeauftragter des Landes NRW.

Was an den Vorwürfen dran ist, ist offen. Noch laufen die Prüfungen seitens der Behörden. Weder der scheidende Vorsitzende noch die kritisierten Vorstandsmitglieder wollen sich äußern – zumindest nicht gegenüber Nordstadtblogger. Kanitz will sich erst mit dem seinem Parteivorstand beraten, bevor er sich öffentlich äußert. Die Sitzung ist am 12. Oktober.

Auch Middendorf und Hoffmann wollen sich derzeit nicht äußern: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir während des laufenden Verfahrens nichts sagen möchten“, teilten sie Nordstadtblogger schriftlich mit. Dass das Thema schnell vom Tisch ist, ist unwahrscheinlich. Denn so oder so muss sich die CDU um eine*n neue*n Vorsitzende*n kümmern. Ob aber auch weitere Führungsposten neu zu besetzen sein werden, ist offen. Der CDU steht ein „Heißer Herbst“ bevor.

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