Gedenken an sowjetische Kriegsopfer zum Volkstrauertag: SchülerInnen wollen den Opfern ihre Würde zurückgeben

5.095 Friedensbänder haben die SchülerInnen mit den Namen von in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsopfern versehen. Außerdem arbeiten sie bereits seit Jahren deren Schicksale anhand solcher Personalkarten auf und erstellen „Namensziegel gegen das Vergessen“, die auf dem Hauptfriedhof aufgebracht werden. Fotos: Claus Stille

Von Claus Stille

Am kommenden Sonntag (17.November 2019) ist Volkstrauertag. Auch in diesem Jahr gibt es wieder eine zentrale Gedenkstunde der Stadt Dortmund auf dem Hauptfriedhof. Abermals wird sie von SchülerInnen der Europaschule mitgestaltet. 5.095 Friedensbänder haben die SchülerInnen mit den Namen von in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsopfern versehen. Am Volkstrauertag werden sie auf dem Friedhof an diese Menschen erinnern. Die Aktion dient dazu, den Verstorbenen auf diese Weise einen Teil ihrer Würde zurückzugeben und ihnen Respekt entgegen zu bringen.

5.095 Friedensbänder wurden mit Namen und Alter sowjetischer Kriegsopfer beschriftet

Verena Effgen, Bildungsreferentin für den Regierungsbezirk Arnsberg beim Landesverband NRW des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (VDK), erinnerte an die Gedenkstunde der Stadt im vergangenen Jahr: „Damals haben wir 1.000 ewige Lichter in Erinnerung an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren aufgestellt.“

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Die Friedensbänder wurden mit den bekannten Daten über die Toten beschriftet.

Auch in diesem Jahr habe man sich wieder etwas Besonderes ausgedacht, um gegen dass Vergessen der Opfer der schrecklichen NS-Zeit zu wirken.

Bereits zum Evangelischen Kirchentag sei damit begonnen worden, 5.095 kleine, weiße Bänder mit den Namen und dem Alter der auf dem Hauptfriedhof begrabenen sowjetischen Kriegsopfer zu beschriften. Unterdessen hat die Volkshochschule Dortmund mitgeholfen und ebenfalls 1.000 Bänder erstellt.

An diesem Mittwoch nun sind Schulklassen der Europaschule Dortmund – welche sich direkt gegenüber dem Hauptfriedhof befindet, wo die Kriegstoten ruhen – darangegangen, die restlichen gut 2.000 Bänder fertigzustellen. Beschriftet wurden die Bänder mit den bekannten Daten der Toten mit wasserresistenter schwarzer Farbe. 

Für diejenigen Toten, deren Namen bislang unbekannt geblieben sind, werden am Sonntag unbeschriftete weiße Bänder aufgehängt. Es beteiligten sich alle Klassen der Jahrgangsstufen fünf bis zehn. Die Aktion dient dazu, den Verstorbenen auf diese Weise einen Teil ihrer Würde zurückzugeben und ihnen Respekt entgegen zu bringen.

Auch den namenlosen Opfern der NS-Barbarei wird gedacht

Solche Personalkarten helfen den SchülerInnen die Schicksale aufzuarbeiten.

Viele der in Dortmund zu Tode gekommenen ZwangsarbeiterInnen waren Menschen aus der Sowjetunion, darunter Frauen, Männer und sogar Kinder. Die ZwangsarbeiterInnen wurden im Bergbau oder in der Montanindustrie eingesetzt.

Dort mussten sie unter erbärmlichsten, menschenverachtenden Bedingungen Schwerstarbeit verrichten. Sie hausten in primitiven Baracken. Bis zum Jahr 2011 waren diese Kriegsopfer namenlos in Massengräbern auf dem Hauptfriedhof beigesetzt.

Seit mehreren Jahren arbeiten SchülerInnen der dem Hauptfriedhof gegenüberliegenden Europaschule anhand von Personalkarten zu den Schicksalen dieser Menschen und erstellen Namensziegel aus Ton, die auf dem Friedhof aufgebracht wurden. Das Projekt trägt den Namen „Namensziegel gegen das Vergessen“. Die SchülerInnen gestalten über dieses Projekt hinaus die jährliche Gedenkstunde der Stadt Dortmund zum Volkstrauertag mit.

Geschichte zum Anfassen: „Die Schüler gucken diesen Menschen ins Gesicht“

An die roten Personalkarten kam man über den VDK, welche sie wiederum aus Archiven erhalten hatten. Sie enthalten neben den Namen alle Daten zu den jeweiligen Personen sowie ein Passbild. Die Personalkarten wurden kopiert und laminiert. So können sie die SchülerInnen in der Hand halten. 

Etwas Haptisches. Besser, als wenn man darüber nur in Geschichtsbüchern liest oder LehrerInnen die Lebensschicksale der Getöteten referieren. Eine anwesende Kunstlehrerin gab zu bedenken: „Die Schüler gucken diesen Menschen ins Gesicht.“

Bewegende Videobotschaft eines Moskauer Hinterbliebenen an die Europaschule

Zu den Namensziegeln fiel der Kunstlehrerin ein bewegende Geschichte ein, die sie immer wieder aufs Neue zu Tränen rührt – wie überhaupt das schreckliche Schicksal der in Dortmund verstorbenen Kriegsgefangenen. Ein russischer Staatsbürger namens Sergej Pawlowski hatte 2015 mit seiner Frau den Dortmunder Hauptfriedhof besucht, wo sein Onkel begraben liegt. 

Er nahm Kontakt zur Europaschule auf. Später schickte er der Schule eine sehr eindrucksvolle Videobotschaft. Er ist Lehrer an einer Moskauer Schule. Die etwa 130 Tonziegel die die SchülerInnen auf dem Hauptfriedhof an drei Stelen bereits aufgestellt hatten, beeindruckten Herrn Pawlowski sehr. 

So setzte er sich nach seinem Besuch in Deutschland mit der Europaschule in Verbindung, um den SchülerInnen für deren besonderes Engagement zu danken. Er beschreibt dieses als ein besonderes Zeichen von Völkerverständigung und die Arbeit der SchülerInnen hätte in ihm das Gefühl wach gerufen, nicht ein Fremder in dieser Stadt Dortmund zu sein, in der sein Vorfahr unter grausamen Bedingungen leben und sterben musste.

Bürgermeisterin Birgit Jörder beteiligte sich an der Namensbänder-Aktion

Am Mittwoch kam Bürgermeisterin Birgit Jörder zu Besuch an die Europaschule Dortmund. Sie ist Patin des Projektes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ der Europaschule. SechstklässlerInnen schaute sie beim Beschriften der weißen Bänder zu. 

Die Kinder waren mit viel Engagement bei der Sache. Und stellten wissbegierig Fragen. Birgit Jörder ließ sich nicht lange bitten und beschriftete auch eines der Bänder. Ihr nach tat es auch der Direktor der Schule, Jörg Girrulat.

Bürgermeisterin Birgit Jörder merkte gegenüber Nordstadtblogger an, „die Europaschule ist ja in dieser Thematik jetzt schon seit Jahren und Jahrzehnten sehr weit vorne. Nach der Aktion mit den Tontafeln können sie nun an noch mehr Namen erinnern. Ich freue mich, dass die SchülerInnen auf diese Weise das Thema bearbeiten und selber mitmachen. Ich habe auch gern mitgemacht.“

SchuldirektorJörg Girrulat, dankt SchülerInnen und LehrerInnen für ihr Engagement

Schuldirektor Jörg Girrulat lobte das ihnen hoch anzurechnende Engagement der Schülerschaft, sowie das der LehrerInnen. Alle zusammen seien mit großem Engagement bei der Sache. Auf die Mitgestaltung der Gedenkstunde zum Volkstrauertag am kommenden Sonntag (17. November 2019) seitens seiner Schule freue er sich sehr. 

Und er hoffe, obwohl die Veranstaltung an einem Sonntag stattfinde und keine schulische, sondern eine freiwillige sei, trotzdem auf eine hohe Beteiligung seitens der Lehrerschaft und der Schülerinnen und Schüler an diesem wichtigen Gedenken. Er würde sich, wie er ausdrücklich unterstrich, ebenfalls sehr darüber freuen, wenn viele DortmunderInnen – mehr als in den letzten Jahren – den Weg hin zum Gedenken auf den Hauptfriedhof fänden. 

Neonazis, die, wie zu befürchten sei, auch wieder zum Gedenken kämen, um nach der offiziellen Veranstaltung ihr Süppchen zu kochen, müsse gezeigt werden, dass sie eine kleine Minderheit innerhalb der Dortmunder Stadtgesellschaft sind.

Zentrale Gedenkstunde der Stadt Dortmund zum Volkstrauertag auf dem Hauptfriedhof Dortmund 

Die zentrale Gedenkstunde am 17. November zum Volkstrauertag findet auf dem Dortmunder Hauptfriedhof statt. Beginn ist um 11 Uhr am Mahnmal in der Nähe des Parkplatzes Leni-Rommel-Straße. Bürgermeisterin Jörder wird eine Gedenkrede halten, Finn und Jonas Ulrich gestalten musikalisch und die Schulen am Marsbruch und die Europaschule gestalten den zweiten Teil der Veranstaltung am sowjetischen Mahnmal. Dort werden auch die 5.095 Bänder aufgehängt.

Weitere Informationen:

Ablauf der Gedenkveranstaltung am 17. November 2019:

Teil 1: Mahnmal für die deutschen Kriegsgräber (Nähe Parkplatz Leni-Rommel-Straße) 

  • 11.00 Uhr Musikalischer Beitrag (Männergesangsverein) 
  • 11.05 Uhr Ansprache Bürgermeisterin Birgit Jörder 
  • 11.15 Uhr Grußwort des Polizeipräsidenten Gregor Lange 
  • 11.20 Uhr Kranzniederlegung Bürgermeisterin Birgit Jörder, Dr. Stefan Mühlhofer, Leiter des Stadtarchivs,Oberstleutnant Rosarium (Bundeswehr) 
  • 11.25 Uhr Musikalischer Beitrag (Männergesangsverein) 
  • 11.35 Uhr „Friedensmarsch“ zum Friedhof am Rennweg (für BesucherInnen, die nicht zu Fuß gehen können, besteht ein Bustransfer vom Parkplatz Leni-Rommel-Straße)

Teil 2: Mahnmal für die sowjetischen Kriegstoten (Friedhofsteil am Rennweg) 

  • 12.00 Uhr Wortbeitrag zum Projekt „Namensziegel gegen das Vergessen“ und der digitale Parcours: „Gegen das Vergessen“ (EuropaschülerInnen) 
  • 12.10 Uhr Musikalischer Beitrag (Finn und Jonas Ulrich „Winter“) 
  • 12.15 Uhr Wortbeitrag zum Thema Frieden („Friedenszauber“ Schule am Marsbruch), Musikalischer Beitrag: Marina Kalmykova „´s brennt“ von Mordechaj Gebirtig 
  • 12.20 Uhr Blumenniederlegung: Bürgermeisterin Birgt Jörder
  • 12.25 Uhr Totengedenken (EuropaschülerInnen 
  • 12.30 Uhr Schweigeminute 
  • 12.31 Uhr Musikalischer Beitrag: Finn und Jonas Ulrich („war girl“) 
  • 12.35 Uhr Veranstaltungsende 

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Reaktionen

  1. Cousin Bernard

    Vielen Danke , Frau VERENA EFFGEN -DALHAUS

    aus VDK Essen. NRW

    Weihnachts Frieden 1914 Erinnerung 2008 mit VDK und Welsh

    Nochmal DANKE VERENA !

    Vielen Dank für Ihre großartige Arbeit für den Frieden

    Mit respektvoller und herzlicher Freundschaft .

    Bernard Cousin

    Aus Frankreich, Frelinghien -59236

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