Dortmund gedenkt der Reichspogromnacht: Gemeinsames Eintreten gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus

Gedenken an die Pogromnacht in Dorstfeld. Stadttheater mit Brecht-Lesung
Gedenken an die Pogromnacht in Dorstfeld – das Stadttheater mit einer szenischen Brecht-Lesung.

Von Claus Stille

Anlässlich des 78. Jahrestages der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 hatte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau in das Foyer des Opernhauses des Theater Dortmund eingeladen. Der erste Mann der Stadt begrüßte die Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde, Mitglieder aus der Dortmunder Zivilgesellschaft sowie der Verwaltungsspitze, um der schrecklichen Ereignisse in der Pogromnacht zu gedenken, die sich seinerzeit in Nazi-Deutschland ereigneten.

Die Novemberpogrome als vorläufiger Höhepunkt der judenfeindlichen Politik

OB Ullrich Sierau
OB Ullrich Sierau

Von den Faschisten aufgehetzte Menschen hatten den inszenierten Zorn auch in Dortmund gegen die jüdische Bevölkerung der Stadt gerichtet, erinnerte Sierau. Deren Geschäfte seien beschädigt, ihre Wohnungen zerstört, Synagogen und Betstuben in Brand gesetzt, Menschen misshandelt oder in den Selbstmord getrieben worden.

Die Ausschreitungen in der sogenannten Reichspogromnacht, so Ullrich Sierau weiter, seien der vorläufige Höhepunkt der judenfeindlichen Politik der Nationalsozialisten, gewesen, die mit der Machtübernahme Adolf Hitlers im Jahr 1933 ihren Ausgang gehabt hätten: „Menschen, die damals dachten, mit dem 9. November 1938 sei das Schlimmste überstanden, irrten leider.“

Denn dies sei nur der Punkt einer Entwicklung gewesen, die den Übergang von der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung hin zu deren existenziellen Vernichtung in Deutschland  markierte. Im Holocaust, dem systematischen Völkermord an den Juden Europas  habe diese Entwicklung letztlich gegipfelt. Auch vor Dortmund hätten diese schrecklichen Verbrechen nicht halt gemacht und etwa 2000 Jüdinnen und Juden zu Opfern gefordert.

Verstehen wie es zur Machtergreifung der Nazis hat kommen können

Kranzniederlegung auf dem Platz der alten Synagoge vor dem Opernhaus.
Kranzniederlegung auf dem Platz der alten Synagoge vor dem Opernhaus.

Sierau versicherte den Anwesenden, dieser Gedenktag sei für ihn von großer Bedeutung und obendrein Teil der Erinnerungskultur in Dortmund.

Er sei keineswegs ein bloßes Ritual, sondern ebenso wie der Holocaust-Gedenk- und der Antikriegstag oder das Karfreitagsgedenken in der Bittermark und dem 8. Mai als Ende des Zweiten Weltkrieges ein Tag auch des Nachdenkens.

Darüber etwa, wie es zur Machtergreifung der Nazis hat kommen können. Oder warum die, um die Frage zu beantworten warum die  Zivilgesellschaft damals so hat versagen können. Und wie heutzutage so etwas verhindert werden könne.

Der Oberbürgermeister hob damit auf die bedenkliche Entwicklung nach Rechts in Europa wie auch in Deutschland ab. Gegen Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Antisemitismus gelte es Flagge zu zeigen.

Sierau will Nazis nicht das Feld überlassen: „Nazis sind nicht anschlussfähig in Dortmund“

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper.
Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper.

Leider träten auch in Dortmund immer wieder Ewiggestrige mit Aufmärschen auf den Plan. Hetze und Hass im Internet, reichend bis hin zu Morddrohungen gingen von ihnen aus. Sierau: „Die Hemmschwelle sinkt.“

Ein kleiner Teil vom extremen rechten Rand der Gesellschaft unserer Stadt sei das. Die Zivilgesellschaft sei gefordert ihnen entschieden entgegenzutreten. Sierau: „Wir dürfen ihnen das Feld nicht überlassen.“

Das Stadtoberhaupt zitierte den britisch-irischen Schriftsteller und Politiker Edmund Burke, von dem folgender Satz stammt: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“

Ein breite Allianz gesellschaftlicher Kräfte im Bunde mit der Polizei lasse im Kampf  gegen Hass und Gewalt nicht nach. „Nazis“, unterstrich der Oberbürgermeister ausdrücklich, „sind nicht anschlussfähig in Dortmund“.

Neue Polizeitaktik ging auch beim Gedenken in Dorstfeld wieder auf

Gedenken an die Pogromnacht in Dorstfeld.
Gedenken an die Pogromnacht in Dorstfeld.

Der OB lobte eine neue Polizeitaktik, die in Dorstfeld gegenüber Nazis angewandt werde und zunehmend  aufgehe. Die Nazis reagierten mit erhöhter Aggressivität. Beim Gedenken an die Novemberpogrome am Nachmittag in Dorstfeld  habe man das einmal mehr erleben müsse.

Die Polizei habe entsprechend reagiert und so den Ablauf des Gedenkens garantiert. Neonazis hatten mehr oder weniger erfolglos versucht, die dortige Gedenkveranstaltung im Zentrum das Stadtteils zu stören.

Gemeinschaftlich dürften wir darin nicht nachlassen, uns für eine vielfältige, tolerante und demokratische Gesellschaft einzusetzen. Damit bezeugten „wir unseren Respekt vor den Opfern und“ übernähmen gleichzeitig Verantwortung für die Zukunft. Oberbürgermeister Sierau schloss seine Ansprachen mit „Shalom! Friede sei mit Euch!“

Rabbiner Babaev: Kein Volkszorn, sondern ein „bis ins letzte Detail geplanter Gewaltakt“

Rabbiner Baruch Babaev
Dortmunds Rabbiner Baruch Babaev.

Auch Rabbiner Baruch Babaev von der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund erinnerte in seiner Ansprache an die Nacht vom 9. zum 10. November. Sowie den nie zuvor dagewesenen Hass und die Gewalt gegen Juden in dieser Stadt sowie in ganz Deutschland.

Er beschrieb den Weg dorthin, beginnend mit der Machtergreifung Adolf Hitlers. Babaev sprach über die Diskriminierung und die systematische Ausgrenzung der Juden, den landesweiten Juden-Boykott, die Auswirkungen des Berufsbeamtengesetzes – welches tausenden jüdischen Menschen ihre Existenzgrundlagen genommen habe –, die Folgen der Nürnberger Rassengesetze sowie der Zwangsarisierungen der Wirtschaft ab 1937.

Keineswegs habe es sich damals ein spontaner  Volkszorn gegen die jüdische Bevölkerung entwickelt, wie die Nazi-Propaganda  behauptete. Vielmehr habe es sich um einen „bis ins letzte Detail geplanten Gewaltakt“ gehandelt.

Dortmunder Synagoge schon vor den Pogromen abgerissen

Der Rabbiner wies auf ein historisches Geschehnis Dortmund betreffend hin, welches nur noch auf Nürnberg und München zutraf: Die Dortmunder Synagoge, an welche jetzt nur noch die Bezeichnung Platz der Alten Synagoge erinnert, sei bereits vor der Pogromnacht abgerissen worden. Die Jüdische Gemeinde war gezwungen worden, den Abriss des eindrucksvollen Gotteshauses zu bezahlen. Am historischen Ort fand auch die Gedenkfeier statt.

Babaev: Antisemitismus heute auf  höchstem Punkt nach dem Zweiten Weltkrieg 

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper.
Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper.

Mit Blick auf die Gegenwart konstatierte Rabbiner Babaev, dass der Antisemitismus heute den höchsten Punkt nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht habe: „Die Flüchtlingswelle aus den umkämpften Gebieten im Nahen Osten hat zudem einen Rechtsruck innerhalb unserer Gesellschaft verursacht“, meinte der Rabbiner.

Der jüdische Geistliche skandalisierte, dass „ein Staat der Ayatollahs“ die Zerstörung Israels nicht nur öffentlich predige, sondern auch die Ausbildung von Terroristen fördere, „bis hin zur Entwicklung von Atomwaffen“.

„Leider sogar mithilfe der Wirtschaft europäischer Staaten“, so Baruch Babaev. „Und die Welt hält still wie im Jahre 1938.“

Jüdische Einrichtungen hierzulande nur sicher durch tagtäglichen Schutz der Polizei

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper.
Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper.

Außerdem beklagte er, dass sich die jüdischen Gemeinschaften hierzulande eine Sicherheit nur noch durch zusätzlichen polizeilichen Schutz vorstellen könnten. Der Rabbiner dankte der Dortmunder Polizei für ihren tagtäglichen Schutz und die Verhinderung von Anschlägen.

Unverständnis äußerte Babaev für das Unvermögen. „die furchtbare Schrift Hitlers aus unserer Mitte zu verbannen“. Die UNESCO griff der Rabbiner für deren Annahme einer Resolution an, „dass die historische und politische Hauptstadt der Juden“ allein moslemisches Kulturerbe sei.

Die schreckliche Vergangenheit dürfe nicht vergessen werden, weil die Gefahr einfach zu groß sei, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Dennoch müsse bedacht werden, dass schon seit fast 1700 Jahren – solange leben Juden in Deutschland – „trotz der Bedrängung und Terrorgefahr haben die Juden noch nie so sicher und gut leben können wie gerade jetzt“.

Nicht zuletzt, „weil es in unserer Mitte Menschen gibt, die mahnen, die denken und erinnern“.  Die Erinnerung bezeichnete der Rabbi als Geschenk und das Vergessen als Fluch.

BVB und Steinwache organisieren Gedenkstättenfahrten nach Polen

Björn Hegemann, Fanbeauftragter des BVB und Markus Günnewig von der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache
Björn Hegemann, Fanbeauftragter des BVB und Markus Günnewig von der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache.

Björn Hegemann, Fanbeauftragter des BVB und  Markus Günnewig von der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache informierten die Gäste über die BVB-Gedenkstättenfahrten nach polnischen Orten – zu heutige Gedenkstätten –  wo die deutschen Nazis damals an Ort und Stelle u.a. auch Dortmunder Juden drangsalierte und den Vernichtungslagern zuführte.

Die musikalischen Beiträge hatten Instrumentalisten der Musikschule Dortmund übernommen. Zum Abschluss des Gedenkens an die Novemberpogrome sprach Kantor Arie Mozes von der Jüdischen Kultusgemeinde ein Gebet, dem auf dem Platz an der Alten Synagoge vor dem Dortmunder Opernhaus eine Kranzniederlegung folgte.

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Reaktionen

  1. Westfalenkolleg

    Gedenkfeier zur Pogromnacht am 9. November im Westfalen-Kolleg:
    Reinigung der Stolpersteine an der Rheinischen Straße

    Im Westfalen-Kolleg fand eine Gedenkfeier anlässlich des 78. Jahrestages der Pogromnacht am 9. November 1938 statt. Im Sinne des Projektes „Den Vergessenen ihre Namen zurückgeben“ wurde insbesondere der Shoahopfer in der Rheinischen Straße, nämlich Auguste und Aaron Jordans sowie der Familie Neugarten und Frieda Sterns, gedacht, für die das Westfalen-Kolleg Stolpersteine verlegt hat.

    Studierende und Lehrende lasen Fragmente aus den Erinnerungen der beiden Familien vor. Eine von Kerzen umrandete zusammengefaltete Decke in der Raummitte symbolisierte den winzigen Platz, den die Menschen auf der Deportation zur Verfügung hatten.

    Nach der Gedenkfeier und Lesung machten sich zahlreiche Studierende und Lehrende des Westfalen-Kollegs auf den Weg, um die Stolpersteine entlang der Rheinischen Straße zu putzen, damit das Geschehene nicht in Vergessenheit gerät.

    Das Westfalen-Kolleg Dortmund ist eine Schule des Zweiten Bildungsweges. Das „Abitur nachholen“ kann man hier zwei Mal im Jahr, zum Sommertermin (gemeinsam mit den Gymnasien) und zum Wintertermin, zu dem nur an Weiterbildungskollegs das Abitur erlangt werden kann. Zum nächsten Semesterbeginn am 1. Februar 2017 sind sowohl in den Bildungsgängen „Abendgymnasium“ und „Kolleg“ als auch in „abitur-online“ noch Plätze frei. Informationen finden Sie unter: http://www.westfalenkolleg-dortmund.de oder 0231/139050.

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