
Am „Tag der Apotheke“ am 7. Juni macht die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände jährlich auf die zentrale Rolle der Apotheken in der Arzneimittelversorgung aufmerksam. Die Kehrseite: In Deutschland schließt inzwischen im Schnitt täglich eine Apotheke. Dortmund verzeichnet dabei nach Essen den zweithöchsten absoluten Apothekenrückgang in NRW. Der Dortmunder Apotheker Michael Beckmann erklärt im Gespräch, was das für das Gesundheitswesen bedeutet und wie sich die Entwicklung erklären lässt.
Langjährige Begleitung von Menschen im Apothekenalltag
Es ist eine Apotheke mitten in Dortmund-Aplerbeck, die bereits in den frühen Morgenstunden viele Kund:innen willkommen heißt und zur Hilfe steht. Mitten im Trubel befindet sich Michael Beckmann, der seit 1999 Inhaber der Markt-Apotheke ist. Er habe sich damals aus Überzeugung für den Beruf entschieden , wie er erzählt

„Ähnlich wie bei Ärzten geht es darum, für Menschen da zu sein. Gesundheit wird oft erst dann wirklich bewusst, wenn man selbst oder nahe Angehörige krank werden. Deshalb finde ich es schön, in einem Beruf zu arbeiten, der Menschen in allen Lebensphasen begleitet.“
Da seine Eltern bereits in dem Beruf tätig waren, kennt er viele Kund:innen schon lange persönlich. „Ich begleite viele von ihnen schon seit Jahren“, erzählt er. „Manche kenne ich sogar noch aus der Zeit, bevor ich selbst studiert habe. Damals habe ich ihnen schon mit dem Fahrrad dringend benötigte Medikamente gebracht. Diese persönliche Beziehung hält im Idealfall über Jahrzehnte, und das ist etwas sehr Schönes.“
Auch Dortmund ist vom Apothekensterben betroffen
Das langjährige Begleiten wäre in dem Beruf der Idealfall, wie Beckmann beschreibt – Idealfall, weil es zunehmend eine Entwicklung gibt, die das in der Realität immer weniger möglich macht. Immer mehr Apotheken in Deutschland schließen. Genauer gesagt wurde im Jahr 2024 deutschlandweit die höchste Zahl an Apothekenschließungen seit Jahrzehnten verzeichnet.

Auch in NRW zeigt sich dieser Trend deutlich: Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Apotheken hier um rund 1.170 beziehungsweise 24 Prozent gesunken. Im Jahr 2000 lag die Anzahl derer noch bei 4.821, im Jahr 2024 hingegen bei 3.651.
Besonders stark war der Rückgang in den letzten Jahren: Im ersten Halbjahr 2024 wurden in NRW 68 Apotheken geschlossen. Allein im Kammerbezirk Westfalen-Lippe lag der Nettoverlust im Jahr 2024 bei 57 Apotheken, da 65 schlossen und nur acht neu eröffnet wurden.
In Dortmund ist die Entwicklung ähnlich: Zwischen 2012 und 2024 sank die Zahl der Apotheken von 143 auf 109, was einem Rückgang von etwa 24 Prozent entspricht. Damit zählt Dortmund zu den Städten mit dem zweithöchsten absoluten Apothekenrückgang in NRW. Noch gibt es in NRW keine Kommune ohne Apotheke, doch die Zahl der Städte und Gemeinden mit nur noch einer Apotheke ist seit 2012 von 27 auf 41 gestiegen.
Rückgang hat weitreichende Folgen für Patient:innen
Eine bedenkliche Entwicklung, wie Beckmann findet. Das Apothekensterben sei nicht nur eine Zahl, sondern betreffe vor allem die Menschen vor Ort. Viele Kund:innen würden dadurch ihre vertraute Anlaufstelle verlieren. Gerade ältere Menschen, die häufig mehrere Medikamente einnehmen, seien auf eine persönliche Beratung angewiesen. „Sie brauchen jemanden, der ihre Krankengeschichte kennt, Wechselwirkungen erkennt und sie zuverlässig begleitet“, sagt er.

Für junge Menschen sei es heute oft selbstverständlich, das Rezept einfach in der nächstbesten Apotheke einzulösen, ohne großen Wert auf individuelle Betreuung zu legen.
Doch mit steigendem Alter werde die Versorgung deutlich umfassender und vielschichtiger. Dann Bedarfe es nicht nur die die schnelle Abgabe von Medikamenten, sondern auch eine umfassende, persönliche Beratung.
„Der Gesetzgeber legt großen Wert darauf, dass Apotheker ihre Kunden kennen und vor Ort präsent sind, denn nur so können wir eine sichere und individuelle Beratung gewährleisten“ so Beckmann. Dieses System gerät jedoch zunehmend unter Druck, „wenn immer mehr Apotheken schließen und die Nähe zum Kunden verloren geht.“
Geringe Löhne trotz steigender Anzahl der Beschäftigten
Dennoch ist das keine Überraschung für den langjährigen Apotheker, denn die Gründe für Apothekenschließungen sind meist vielschichtig. Vor allem die unzureichende Bezahlung für die erbrachte Dienstleistung ist in den Apotheken deutlich spürbar. „Seit über 20 Jahren erhalte ich nahezu dieselbe Vergütung pro Arzneimittelpackung, trotz stark gestiegener Lebenshaltungskosten, Energiepreise und steigender Löhne“, sagt der Apotheker.

Hinzu kommt, dass die immer größer werdende Bürokratie dazu führt, dass mehr Personal benötigt wird, um alle Dokumentations- und Auflagenpflichten zu erfüllen. „Die Bürokratie wächst enorm, trotz aller politischen Versprechen, sie zu reduzieren.“ Zugleich führen mehr Mitarbeiter:innen nicht automatisch zu mehr Geld: „Mehr Personal heißt mehr Ausgaben, aber nicht mehr Einnahmen. Trotzdem muss ich Mitarbeiter beschäftigen, sonst schaffe ich die Auflagen nicht und kann meine Kunden nicht versorgen.“
In NRW ist die Anzahl der Beschäftigten in Apotheken in den letzten zehn Jahren zwar von rund 32.800 im Jahr 2014 auf über 40.500 im Jahr 2024 gestiegen. Dennoch kann der Bedarf an Personal kaum gedeckt werden, denn die durchschnittliche Beschäftigtenzahl pro Apotheke ist deutlich gestiegen. Ehemals waren es 6,9 Mitarbeiter:innen, nun sind es 10,8 pro Apotheke, was einen Anstieg von 57 Prozent ergibt.
Ungleiche Bedingungen zwischen örtlichen- und Online-Apotheken
Der wachsende Trend von Onlineapotheken belasten zusätzlich örtliche Apotheken, wenn auch es einer der sekundären Gründe ist. Denn für viele Menschen sei die Onlinebestellung die schnellste und günstigste Lösung. „Doch man muss sich das zwischendurch mal klarmachen: Die Apotheke vor Ort gibt es nur, wenn jemand dort einkauft.“ Dass die Onlinebestellungen immer einfacher seien ist aus Beckmanns Sicht zu kurz gedacht.

„Wenn ich ein Problem habe, gehe ich dahin. Nicht nur um schnell eine Packung abzuholen. Ein Kunde mit gesundheitlichen Fragen benötigt persönliche Beratung, das ist zeitaufwendig und kostet mich auch mehr.“
Ein großer Nachteil sei dabei die ungleiche steuerliche Handhabung. „Wenn eine Versandapotheke im Ausland sitzt, zum Beispiel in den Niederlanden mit 6 Prozent Mehrwertsteuer, und ich hier in Deutschland 19 Prozent, dann ist das ein riesiger Nachteil für die Apotheken vor Ort. Diese ungleichen Bedingungen empfinde ich als unfair.“
Wettbewerb sei für den Apotheker wichtig, aber nicht, wenn keine ähnlichen Rahmenbedingungen vorliegen. Außerdem leisten die örtlichen Apotheken Notdienste rund um die Uhr und bieten persönliche Beratung, was Online-Anbieter nicht leisten können. Wenn diese nur in Anspruch genommen werden, weil beispielsweise die Versanddauer zu lang sei, fehle laut Beckmann die Wertschätzung für die Arbeit des Apothekers.
Gute Versorgung benötigt ausreichende Investitionen
Klar ist, dass das deutsche Gesundheitssystem viel Geld koste. Doch für Beckmann is dies nebensächlich, solange die Versorgung umfassend und auf einem qualitativ hohen Niveau sei. „Wir haben eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, aber auch eines der besten“, sagt er.

In Anbetracht dessen, dass Gesundheit für den Apotheker ein wichtiges Gut darstellt, ist eine entsprechende Investition auch gerechtfertigt.Gleichzeitig kritisiert er, dass die politische Debatte über die Verteilung oft zu kurz käme.
Apotheken hätten gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig ihre Arbeit für die Gesellschaft sei. „Was wir jeden Tag deutschlandweit leisten, rechtfertigt eine angemessene Vergütung“, plädiert Beckmann.
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