Vonovia, Modernisierungen und der Zoff um Mieterhöhungen (1): Was taugt das bundesdeutsche Umlagesystem eigentlich?

MieterInnen gegen Kostenumlagen von Vonovia durch Modernisierungen
Bereits 2018, mit der anlaufenden Modernisierung, protestierten Bewohner*innen des Vonovia-Bestandes am Tierpark gegen die Kostenumlagen. Fotos (3): Thomas Engel

Schon im Sommer 2018 stand Tobias Scholz inmitten der Vonovia-Wohnanlage „Am Bahnhof Tierpark“ in Dortmund-Brünninghausen, wo gerade die angekündigten Modernisierungsmaßnahmen Fahrt aufnehmen. Und zwischen nicht wenigen Mieter*innen aus den über zweihundert Wohnungen. Aufgebracht sind sie, u.a. wegen nicht immer nachvollziehbarer Mieterhöhungen. Die sog. Modernisierungsumlage, sagt der damalige Sprecher des Mietervereins Dortmund, sie funktioniere für die Wohnungswirtschaft wie eine Art Gelddruckmaschine. Was nur heißen kann: auf dem Rücken von betroffenen Bewohner*innen. – Doch nun (und für viele unerwartet) scheint nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von Juni 2020 ein zartes Licht am Horizont: Mieter*innen würden mit der höchstrichterlichen Entscheidung entlastet. So sie denn von Vermieterseite überhaupt umgesetzt würde. Was zuweilen umstritten ist. – Nachfolgend betrachten wir am Beispiel von Vonovia SE und in zwei Teilen diese komplexe, aber für viele Menschen eben existentielle Problematik, sofern es hier um das essentielle eigene „Dach über’m Kopf“ geht, das auch nach einer Modernisierung bezahlbar sein will.

Teil gesellschaftlicher Diskurse: Ausmaß von Mieterhöhungen im Fall einer Modernisierung

Ein über Dortmund hinausweisendes, gesellschaftliches Problem: In überschaubaren privaten Budgets sind Mieten sensitive Fixkosten. Erhöhen die sich erheblich, weil durch Modernisierung eine zweifelsfrei nicht kostenneutral zu erreichende Verbesserung der Wohnsituation geschaffen wird, ist dies nämlich nicht nur eine Belastung individueller Lebenslagen vor Ort.
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Sondern in einer offenen, demokratischen Gesellschaft können immer Fragen nach Legitimität wie Legalität hinsichtlich des Umfangs debattiert werden, mit dem sich die veranlassten Modernisierungsmaßnahmen im neuen Mietzins widerspiegeln dürfen, den es fortan für Mieter*innen zu stemmen gilt. Zumal das sog. Umlagesystem nicht gerade unterkomplex ist und daher Interpretationsspielräume offen lässt.

„Am Bahnhof Tierpark“: ein Vonovia-Wohnkomplex in Dortmund-Brünninghausen

Vielerorts ein Dauerthema in diesem Zusammenhang: die Vonovia SE. Vormals als Deutsche Annington gegründet, ist das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Bochum gegenwärtig der größte private Vermieter europaweit – in der Bundesrepublik mit einem Bestand von etwa 350.000 eigenen oder für Dritte verwaltete Wohnungen.

Quelle (2): Mieterverein Dortmund

In Dortmund beträgt ihr Ensemble über 20.000 Wohneinheiten. Dazu gehört heute der Brünninghausener Wohnkomplex „Am Bahnhof Tierpark“, 28-38, mit einer Gesamtwohnfläche von 7.689 Quadratmetern – schrittweise errichtet in den Jahren 1970/71 von der (staatlichen) Gemeinnützigen Deutschen Wohnungsbaugesellschaft.

Die dort 2018 begonnenen Modernisierungsvorhaben befinden sich mittlerweile auf der Zielgeraden. Doch es läuft offenbar immer noch nicht alles rund, die Proteste halten an.

So hat der Mieterverein Dortmund aktuell für knapp 50 Mieter*innen Widerspruch gegen die von Vonovia ausgewiesenen Mieterhöhungen eingelegt und fordert von dem Unternehmen entsprechende Kalkulationsbelege. Ein für den bundesrepublikanischen Mietwohnungsmarkt nicht ganz untypischer Vorgang. Doch wieso?

Kosten für Verbesserung der Wohnsituation werden durch „Modernisierungsumlage“ weitergereicht

Grundsätzlich kann der bundesdeutschen Gesetzgebung wenig daran gelegen sein, eine Aufwertung des Wohnens durch Modernisierung zu behindern: Investoren dürfen daher auf den entstandenen Kosten nicht hängen bleiben, sondern können sie mit der Miete über die sog. Modernisierungsumlage weiterreichen, „umlegen“. Der Mietzins steigt, darf es in gewissen Grenzen. Das ist insofern nachvollziehbar, als es ja zunächst die einzelnen Mieter*innen sind, die zuallererst von einer Verbesserung ihrer Wohnsituation profitieren.

Das erste 1970 errichtete Wohnhaus wird auch noch modernisiert werden.
Das erste 1970 errichtete Wohnhaus in dem Gebäudekomplex – so wie es 2018 vor der Modernisierung noch aussah.

Deutlicher denn je werden heute ebenfalls gesellschaftliche Interessen an einer gründlichen Modernisierung von Mietwohnungsbeständen – denn wichtige Umweltaspekte geraten in den Blick. Klimafreundlicher, nachhaltig wird es, wie sich von selbst versteht. Wir denken an die Zukunft, unsere Kinder, die darauffolgenden Generationen – das ist der richtige Weg: Mir geht es besser in meiner Wohnung, der Allgemeinheit wird angesichts endlicher Ressourcen mit einem Mehr an Energieeffizienz geholfen. Passt also.

Wie in Dortmund-Brünninghausen. Die Presseabteilung von Vonovia informiert, dass es „sich bei der Siedlung am Tierpark um eine normale energetische Modernisierung“ handele, deren Bauarbeiten weitgehend abgeschlossen seien und nun das Wohnumfeld noch fertiggestellt würde. Und verweist zudem auf die natürlich erwünschten Folgen der getroffenen Maßnahmen für die Bewohner*innen: „Die Wohnsituation dort wird für unsere Mieterinnen und Mieter schöner und besser.“ Soweit, so gut.

Gretchenfrage nach Bestandsmodernisierung: Wie genau hältst Du’s denn mit der Mieterhöhung?

Warum dann also die ganze Aufregung? Warum die bis heute anhaltenden Proteste von Mieter*innen aus dem Wohnkomplex? Und das in der Angelegenheit ziemlich hartnäckige Engagement des Mietervereins Dortmund?

Tobias Scholz, Sprecher des Dortmunder Mietervereins
Vormals Sprecher des Mietervereins Dortmund, ist Tobias Scholz heute sein Geschäftsführer. Archivfoto: Karsten Wickern

Nicht zum ersten Mal erklärte der sich nun zur Sache – bei einem in dieser Woche zusammen mit dem Deutschen Mieterbund organisierten Pressegespräch.

Aufgehängt an der konkreten Konfliktlage: Vonovia, Dortmund, Wohnanlage Bahnhof Tierpark – und im Weiteren zu diesem Schlüsselthema aus der Lebenswirklichkeit rund ums Wohnen, das den Kern der Streitigkeiten in Brünninghausen bildet: Mieterhöhungen nach Modernisierung, näherhin deren Umfang. Konkreter Anlass für die PK war die für heute, den 16. April, anstehende Hauptversammlung des börsennotierten Unternehmens.

Vorab: Uneinigkeit zwischen den Interessenvertretungen von Mieter*innen und Vonovia SE herrscht nicht wegen der prinzipiellen Erhöhung des Mietzinses infolge der Modernisierungsmaßnahmen an und in den Immobilien. Sondern der Schuh drückt, wo es um die Frage geht, welcher Anteil der getätigten Investitionen auf Mieter*innen im Sinne des Gesetzes umgelegt werden darf. Was also am Ende für die Bewohner*innen als Mehrbelastung dabei herauskommt.

Interessenvertretungen von Mieter*innen: BGH-Urteil von 2020 wird missachtet!

Ein weites Feld, wo Geister sich scheiden. Nicht erst seit gestern, und nicht allein in Dortmund, wie während der virtuellen PK verschiedentlich deutlich wurde, sondern bundesweit. Zumindest was Vonovia betrifft, sieht Daniel Zimmermann (Koordinationsstelle Große Wohnungsunternehmen des Deutschen Mieterbunds) hier ein Handlungsmuster seitens des Unternehmens.

Die Modernisierungsarbeiten „Am Tiergarten“ waren bereits 2018 in vollem Gange.

Der Brünninghausener Konflikt am Tiergarten ist für den Experten mitnichten ein Einzellfall, sondern vielmehr Ausdruck einer verbreiteten Praxis des Riesen auf dem bundesdeutschen Wohnungsmarkt.

Die da wäre? – Im Kern werfen die Zusammenschlüsse von Mietervertretungen Vonovia vor, bei ihren modernisierungsbedingten Anhebungen des Mietzinses ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 17. Juni 2020 zu missachten, in dessen Konsequenz aus Mietersicht zudem die Marge, was von den entstandenen Kosten einer Modernisierung auf die Miete umgelegt werden kann, in den allermeisten Fällen geringer ausfallen dürfte, als dies bislang der Fall war.

Einen ganz anderen Blick auf die Dinge hat freilich das größte bundesdeutsche Wohnungsunternehmen selbst. Ein Pressesprecher von Vonovia bedeutet auf Nachfrage gegenüber Nordstadtblogger, wenig überraschend: Wir halten uns an das BGH-Urteil!

Potentieller Konfliktpunkt: Wie errechnen sich Modernisierungsmieterhöhungen?

Wäre dem so, müssten nun nach Ansicht des Dortmunder Mietervereins wie seiner Dachorganisation, dem Deutschen Mieterbund, seit dem Urteil Mietpreiserhöhungen wegen Modernisierung allerdings anders berechnet werden, als dies bei Vonovia scheinbar üblicherweise geschieht.

Im Endeffekt lautet ihr Vorwurf: Daher, also gerade weil das Karlsruher Urteil vom Unternehmen schlicht nicht berücksichtigt würde, käme es zu überhöhten Aufschlägen bei der Miete. – Der Vonovia-Sprecher wiederum weist solche Vorwürfe energisch zurück. „Wir agieren korrekt nach den rechtlichen Regelungen“, heißt es aus der Bochumer Zentrale.

Wie dem auch sei. (Näheres dazu im zweiten Teil dieses Beitrages.) Vieles spricht jedenfalls dafür, dass in dem Umlagesystem für die Modernisierung von Mietwohnungen gewissermaßen Blindstellen verbaut sind. Es sind quasi versteckte Prämissen in jenen Berechnungsgrundlagen, mit denen am Ende des Tages der vom Gesetz erlaubte Aufschlag auf die Bestandsmieten bestimmt werden soll. Und die, wie sich zeigen wird, beim Streit um die Umsetzung der (noch zu erläuternden) BGH-Vorgaben zur Bestimmung der Umlagenhöhe auf den Mietzins eine gewichtige Rolle spielen.

Modernisierungsbedürftigkeit der Wohnanlage am Tierpark stand außer Frage

Hinzukommt: Was sich nun in dieser abstrakten Problemdimension lediglich wie „graue Theorie“ ausnimmt, hat praktisch allemal gewichtige Folgen. Denn besagte, quasi systemimmanente Intransparenz führt bei den Konfliktparteien – je nach Interessenlage – teils zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen, wenn es um die Festlegung von angemessenen Modernisierungsmietpreiserhöhungen geht.

Vonovia-Berechnung für Mieterhöhungen von Wohnungen am Bahnhof Tierpark 28-38.

Festzuhalten ist hier: für Mieter*innen kann es richtig teuer werden. Bis zu knapp zwei Euro Aufschlag pro Quadratmeter sind es, die Vonovia – nachdem das Unternehmen 2018 pflichtgemäß die Mieterhöhungen angekündigt hatte – als Modernisierungsumlage verlangt. Das geht aus einer Reihe der seit Ende letzten Jahres verschickten Schreiben hervor, in denen auch mit einer tabellarischen „Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung“ einzelne Posten als hierfür maßgebliche Faktoren aufgeschlüsselt werden.

Konkret würden beispielsweise für die Mieter*innen der Vonovia-Wohnanlage am Tierpark ca. 40 Euro monatlich für neue Fenster, 47 Euro für die neue Heizung fällig, die Vonovia also umlege, erklärt Markus Roeser, Wohnungspolitischer Sprecher des Mietervereins. Und was dort ersetzt wurde, hatte offenbar seine besten Tage auch hinter sich. Die faktische Modernisierungsbedürftigkeit von Wohneinheiten des Gebäudekomplexes stand außer Frage, auch für viele Mieter*innen.

Susanne Dirkner, seit Langem Mieterin in dem Wohnkomplex, erklärt: 33 Jahre alt seien ihre Fenster zum Zeitpunkt des Austausches gewesen; bei der Heizung waren es sogar 50 Jahre. Derlei Stimmen sind häufiger zu hören. Wenn etwa der ebenfalls langjährige Mieter Alwin Bartsch ergänzt: mit seinen alten Heizkörpern – manchmal eine Hälfte warm, die andere kalt – habe er in der Wohnung maximal noch 19 bis 20 Grad erreicht.

„Diese Sondermöglichkeit, das Geld vom Mieter reinzuholen, wollen wir nicht aufrechterhalten“

Aus dem qualifizierten Dortmunder Mietspiegel (für 2021/2022), Mietspannen nach Baujahr. Ist dieses Vergleichssystem bei Modernisierungen eine veritable Alternative zum gegenwärtigen Umlagesystem?

Was praktisch bleibt, für viele Bewohner*innen, jetzt, da die meisten Arbeiten abgeschlossen sind, das ist ihre „Rechnung“. Wie sie zustande gekommen ist, ob den gesetzlichen Vorgaben dabei entsprochen wurde. Und hier liegen die Meinungsbilder der involvierten Parteien eben weit auseinander. Können es allein schon wegen der Komplexität des Systems und der ihm deshalb innewohnenden Interpretationsspielräume bei unterschiedlichen Interessen auch gar nicht anders. Darüber werden wir detaillierter im zweiten Teil dieses Beitrags berichten.

Nach Ansicht des Deutschen Mieterbundes (DBM) jedenfalls gehört dieses ganze Umlagesystem für Modernisierungen auf den Prüfstand. Mehr noch: Auf jedem seiner Mietertage der vergangenen Jahre habe der DBM beschlossen, „dass wir dieses Umlagesystem abschaffen wollen“, so dessen Präsident, Lukas Siebenkotten. Die Modernisierungsumlage, „diese Sondermöglichkeit, das Geld vom Mieter reinzuholen, wollen wir nicht aufrechterhalten“, stellt er klar.

Konkret solle der einschlägige Paragraph im BGB (§ 559) „in die Mottenkiste der Geschichte wandern“. Das hätte einen weiteren Effekt: Dann stellten sich nämlich die vielen komplizierten Berechnungsfragen gar nicht mehr. „Weil Mieterhöhungen dann nur noch im Rahmen des Vergleichsmietensystems möglich wären“, so der Chef des Mieterbunds. Entscheidend würde dann der jeweilige Mietspiegel: Was lässt der zu, was nicht? „Das ist eigentlich das, worauf wir hinaus wollen.“

Weitere Informationen:

  • Modernisierungsumlage (Wiki); hier:
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