Vom Bilderverbot zur Bildenden Schreibkunst: Arabische Kalligraphie von Redouane Zouair in der Auslandsgesellschaft

Vernissage in der Auslandsgesellschaft.de: Redouane Zouair zeigt eine Leerstelle für kreativ-künstlerische Interventionen. Fotos: Thomas Engel

Menschen sind auch und vor allem Ausdruckswesen. Ein wichtiges Motiv ist dabei die bildhafte Darstellung ihres verarbeiteten Erlebens. In manchen Kulturräumen jedoch gibt es ein sogenanntes Bilderverbot, d.h. der visuellen Präsentation lebendiger Wesen oder artifizieller Gegenstände: so in den Hauptströmungen des Islam. – Aber aus dieser „Not“ kann eine Tugend werden, denn Verbote schaffen neue Gelegenheiten, Chancen. Dies ist die Geburtsstunde der arabischen Kalligraphie. Sie (nach ihren altgriechischen Wortstämmen) lediglich als „Schönschrift“ zu bezeichnen, wäre deutlich untertrieben. – Wer sich hier gleichsam selbst „ein Bild“ machen, sich orientieren möchte: In der Auslandsgesellschaft.de am Nordausgang des Hauptbahnhofs stellt der italienisch-marokkanische Künstler Redouane Zouair noch bis zum 16. März einige seiner und in seinem Umfeld entstandene kalligraphische Arbeiten aus.

Kunst besonderer Schriftlichkeit: „Eine Art zu schreiben, in der die Buchstaben miteinander kommunizieren“

Kalligraphie? „Das ist eine Art zu schreiben, in der die Buchstaben miteinander kommunizieren“, sagt Redouane Zouair. Der passionierte Kalligraph stammt aus Italien, hat einen marokkanischen Hintergrund.

Er lebt in Mülheim an der Ruhr. Neben seiner Arbeit als Künstler ist er Lehrer der arabischen Sprache. Hocharabisch, versteht sich.

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Mit Vorträgen und in Workshops versucht Zouair, einem vorwiegend westlichen Publikum die arabische Sprache, ihre ästhetischen Ausdrucksformen wie ihre kulturell-gesellschaftliche Bedeutung nahezubringen. Eine faszinierende Welt. Einst eine Sprache der Hochzivilisation. Und sie ist es bis heute. Wo sie nicht teils von fragwürdigen Gestalten für ihre Untaten missbraucht wird.

Die islamische Kalligraphie, von der hier die Rede ist, benutzt stets das arabische Alphabet, weil die Worte des Propheten nur auf Arabisch niedergeschrieben werden können. Denn der Qurʾān (Koran), die heilige Schrift der Muslim*innen, also das geoffenbarte Wort Gottes, darf für streng Gläubige nicht verändert, daher nur so gelesen und gelehrt werden, wie sein Prophet, Muḥammad, es empfing und weitergab: eben auf Arabisch.

Ursprung der arabischen Kalligraphie liegt im religiös begründeten Bilderverbot des Islam

Das Bilderverbot im Islam basiert auf dem auch im Judentum verbreiteten Gedanken, dass Gott gleichsam das Ganz-Andere ist. Unerreichbar, sein Ratschluss unergründlich.

Daher darf Allāh, der Unfassbare, Ewige, das Ein-Unteilbare nicht nur nicht abgebildet werden; jeder Versuch dessen – häretisch wiewohl – wäre von vorneherein eh zum Scheitern verurteilt. Der Mensch reicht mit seinen endlichen Mitteln schlicht nicht zu ihm.

Der Qurʾān selbst kennt freilich kein Bilderverbot im strengen Sinne. In einzelnen Suren richten sich Verse lediglich gegen die Verehrung von Bildern im Sinne eines polytheistisch geprägten „Götzendienstes“, aufbewahrt in der Ikonographie.

Die frühsten Belege über die Zurückweisung bildlicher Darstellungen finden sich erst in der kanonischen ḥadīṯ-Literatur des späten 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts nach unserer Zeitrechnung.

Das Interdikt bildlicher Vergegenwärtigung menschlichen Erlebens entfaltete sich in der islamischen Kultur parallel zu deren geographischer Expansion und wirkt als bilderfeindliche, religiös begründete Paradigmen bis in die Gegenwart.

Daher ist die Kunst der Kalligraphie in jenen Kulturräumen über viele Jahrhunderte häufig die allein zugelassene Form Bildender Kunst. Aus diesem Grund ist sie aber auch hochentwickelt. Denn darf ich etwas bei Strafe nicht tun, denke ich – bin ich treu – über Alternativen nach und gestalte jene – gesegnet von der Macht – gründlich aus.

Kalligraphie als das wesentliche Element Bildender Kunst in einer islamisch geprägten Welt

So bilden Kalligraphien etwa wesentlich die äußeren Strukturelemente in der islamischen Architektur. Entsprechend kunstvoll, komplex, ausdifferenziert erscheint das Ornamentale an Ort und Stelle. Ein kalligraphisches Bild kann aber auch den individuellen Stempel weltlicher Herrschaft wie der eines Sultans darstellen. Der sich wegen seiner sichtlichen Komplexität relativ fälschungssicher gibt.

Die einzelnen Zeichen (in der arabischen und persischen Kalligraphie) sind dabei manchmal zu Pflanzen oder Tierfiguren angeordnet, so dass neben dem semantischen Gehalt zugleich eine visuelle Botschaft – quasi durch die Hintertür – übermittelt wird. Speziell in der arabischen Kalligraphie kann die Zeichenkonfiguration zudem nach mathematischen Kriterien aufgebaut werden und auf diese Weise in sich vollendet sein.

„Es ist die Kunst des schönen Schreibens von Hand“, erklärt Redouane Zouair zunächst. Doch dann: „Die Form der Buchstaben erzählt eine Geschichte, in der die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Seele des Kalligraphen sichtbar wird.“ Die Botschaft kalligraphischer Kunst ist mithin Ausdruck im Doppelsinne: des menschlich Besten im darstellenden Künstler wie des Vorscheins von Mehr oder Höherem inmitten unter uns: sei es weltliche Dichtung oder der Verweis aufs Göttliche.

Schreiben als Medium der Inspiration – Schriftbild als Vermittlung zwischen religiösen und säkularen Inhalten

Geschrieben wird mit einem Reed-Stift – ein Schreibgerät, hergestellt durch das Schneiden und Formen eines einzelnen Schilfhalms oder einer Bambuslänge, an dessen Ende sich ein in einem Winkel geschnittener Punkt befindet.

Kalligraphische Utensilien. Quelle (2): Redouane Zouair

Dies erzeugt einen dicken Abwärts- und einen dünnen Aufwärtsstrich, mit vielfältigen Möglichkeiten von Abstufungen zwischen ihnen.

Häufig – aber nicht nur – werden religiöse Inhalte in kunstvollen Schriftzügen dargestellt. So kann die Kalligraphie als Medium dienen, dessen Kraft aufseiten des Künstlers inspiriert. Sei es, um die Größe Gottes zu vermitteln, oder, säkular gewendet, als eine Kombination von Linienführung mit poetisch vermittelten Bedeutungen, um ästhetische Erfahrungen bei den Betrachter*innen zu erzeugen.

Wie im Hebräischen wird das Arabische grundsätzlich von rechts nach links niedergeschrieben. Dennoch können Einzelcharaktere der konventionellen Schreib- und Leserichtung zuwiderlaufen, solange durch ihre Anordnung das Verständnis des intendiert transportierten Sinns nicht beeinträchtigt wird.

Schriftkunst: unter anderem auf Grabmarkierungen, Gebäuden, in Teppichen oder zu Lamellen arrangiert

Die arabische Sprache besteht weitgehend aus Grundkonsonanten. Kurze Vokale werden nicht als Buchstaben geschrieben, sondern als einfache Kennzeichen über oder unter, manchmal neben ihnen dargestellt. Der Stil ist im Allgemeinen kursiv, was auch mit der Handhaltung bei Rechtshändern durch die Schreibrichtung von rechts nach links zusammenhängt.

Arabische Schriftzeichen: präzise Regeln, die dennoch Freiheit zur Interpretation erlauben.

Die Buchstaben sind weitgehend untereinander verbunden; Groß- und Kleinschreibung werden nicht unterschieden. Dafür gibt es einige grammatikalische Spezialitäten: beispielsweise unterscheidet das Arabische neben dem Singular und Plural einen Dual. Der ist entweder männlich wie weiblich – wobei im Zweifelsfall selbstverständlich die männliche Form gebraucht wird.

Das Arabische ist eine sehr komplizierte, eine semitische Sprache. Von wegen „Deutsche Sprache, schwere Sprache!“ In solchen Feststellungen drücken sich lediglich Ignoranz, Engstirnigkeit, ja, die Hilflosigkeit postkolonialer Selbstvergewisserung aus.

Jede kallegraphische Figur des Arabischen ist wie ein plastisches Bild behandelt – in der Absicht, durch den künstlerischen Akt Harmonie, Schönheit, auch Anmut zu vermitteln. Das Wort bzw. Bild muss drei Kriterien erfüllen: eine Bedeutung vermitteln (Semantik), Laute darstellen (Phonetik) und eine eigene Autonomie wie Integrität als Form im Raum besitzen (Ästhetik).

Die frühsten Schriften seien vielleicht auf Keramik aufgetragen worden, sagt Zouair. Texte können in Stein gemeißelt sein – wie auf Grabmarkierungen oder auf Gebäuden – oder in Metall eingeätzt werden. Oder wie bei der Teppichherstellung sind sie zu Stoffen verwoben. Oder wurden etwa zu Lamellen arrangiert, die ganze Türen oder Fenster bilden.

Die noch bis zum 16. März in der Auslandsgesellschaft geöffnete Ausstellung veranschaulicht diese faszinierende Welt beispielhaft. Veranstalter ist die Deutsch-Marrokanische Gesellschaft e.V. (DMG).

 

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Weitere Eindrücke – Ausstellung „Arabische Kalligraphie“:

 

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