OBS-Studie untersucht wirtschafts- und sozialpolitisches Profil der AfD

Otto-Brenner-Stiftung entlarvt die „soziale Rhetorik“ der AfD als „oberflächliche Fassade“

Die AfD-Fraktion während einer Bundestagssitzung in Zeiten von Corona – mit und ohne Maske. Simone M. Neumann für den Deutschen Bundestag

Die AfD bleibt trotz verstärkter „sozialer“ Rhetorik hinsichtlich ihrer allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Ausrichtung und ihrer konkreten parlamentarischen Arbeit im Bundestag fest in neo- und ordoliberalen Mustern verhaftet. Das ist das zentrale Ergebnis der heute von der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Studie „Soziale Rhetorik, neoliberale Praxis“. Ausgewertet wurden alle Anträge, Gesetzesentwürfe und Redebeiträge der AfD-Fraktion im Bundestag zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen zwischen 2017 und Ende 2020.

Einzige „natürliche Wirtschaftsform“: Für die AfD regelt der Markt alles

Die „Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD“, so der Untertitel der Untersuchung, umfasst darüber hinaus programmatische Texte der Partei (Grundsatz- und Wahlprogramme) und ihre Aktivitäten in den entsprechenden Fachausschüssen des Parlamentes.

„Da die AfD in der Öffentlichkeit vornehmlich als rechtspopulistische Partei wahrgenommen wird, war es überraschend zu sehen, dass sich im Bereich Wirtschaft und Soziales beinahe hinter jedem Argument und jeder Forderung neoliberales Denken verbirgt“, sagt Studienautor Dr. Stephan Pühringer, der die Studie zusammen mit einem engagierten Team am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (Johannes Kepler Universität Linz, Österreich) durchgeführt hat.

Die Forscher zeigen mittels diskursanalytischer Methoden, dass die AfD hinsichtlich ihrer wirtschafts-, handels- und energiepolitischen Ausrichtung und in ihrer Kritik an Euro und Europäischer Zentralbank nahezu ausschließlich auf die Vokabeln neo- und ordoliberaler Wirtschaftsschulen zurückgreift. Freier Handel, Konkurrenz, Entbürokratisierung und Wettbewerbsfähigkeit gelten den RechtspopulistInnen in parlamentarischen Anträgen und Reden als Lösungen fast aller Probleme, heißt es in der Studie.

 Im Bereich Wirtschaft und Soziales der AfD findet sich neoliberales Denken

„Durchgängig betrachtet die AfD Marktmechanismen als einzige ,natürliche Wirtschaftsform‘, weshalb jegliche Formen staatlicher Maßnahmen und Regulierungen grundsätzlich skeptisch betrachtet werden“, bilanziert der Wirtschaftswissenschaftler Pühringer. Ausnahmen zeigen sich allerdings auf den Feldern der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik sowie in der Haltung der Partei zum Wohlfahrtsstaat.

Konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages für die 20. Wahlperiode. Henning Schacht für den Deutschen Bundestag

„Hier weicht die AfD mit ihren Vorschlägen und in ihrer Argumentation hin und wieder von ihrer strikt neoliberalen Ausrichtung ab“, so Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, „allerdings werden ,soziale‘ Forderungen, wie die nach guter Arbeit und höheren Löhnen, durch populistisch-rechtsradikale Gesellschaftsbilder überformt – etwa wenn Sozialleistungsansprüche dann nur ,für Einheimische‘ gelten sollen“.

Selbst auf diesen „Kerngebieten“ rechtspopulistischer Sozialrhetorik bleibe die AfD jedoch in übergeordnete neoliberale Forderungen nach „Leistungsgerechtigkeit“ und „Eigenverantwortung“ verhaftet, so Legrand weiter.

Die Studienergebnisse zum Abstimmungsverhalten der AfD-Abgeordneten untermauern die diskursanalytischen Befunde: Bei Anträgen, die sich mit der grundlegenden Gestaltung des Sozialstaates beschäftigten, stimmten die AfD-Abgeordneten im Untersuchungszeitraum der Studie in 75 Prozent der Fälle wie die Abgeordneten der FDP – und damit fast immer gegen Anträge, die einen Erhalt oder Ausbau sozialstaatlicher Leistungen forderten. Auf der anderen Seite ist der Befund nicht weniger deutlich: Fast immer stimmten die Abgeordneten für Anträge, die Einschränkungen von sozialstaatlichen Maßnahmen forderten.

Rechtspopulistische Sozialrhetorik: Die AfD ist keine Partei der „kleinen Leute“

Zum Vergleich: Die Übereinstimmung mit der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD lag bei weniger als 40 Prozent, während die RechtspopulistInnen in sozialpolitischen Fragen nur jedes zehnte Mal wie Linkspartei oder Grüne abstimmten.

„Der Versuch der AfD, sich als Partei der `kleinen Leute´ darzustellen, ist eine oberflächliche Fassade, die einen immer noch bestehenden neoliberalen, wirtschaftspolitischen Kern verdeckt“, schlussfolgert Legrand.

Auch mit Blick auf Vorhaben der AfD, im betrieblichen Alltag präsenter zu sein und bei den kommenden Betriebsratswahlen stärker Fuß zu fassen, fällt die Einschätzung eindeutig aus: „Die wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen speziell von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von allen Menschen, die sich für mehr soziale Gerechtigkeit engagieren, werden von dieser Partei links liegen gelassen und nicht vertreten“.

Mehr Informationen:

  • Stephan Pühringer/Karl M. Beyer/Dominik Kronberger: Soziale Rhetorik, neoliberale Praxis – Eine Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD, OBS-AP 52, Frankfurt am Main, im Dezember 2021
  • Hier gibt es das Papier zum Download: OBS – AP52_AfD_WiPo_SoPo
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Reaktionen

  1. David Hubertus

    Wer Forderungen nach Leistungsgerechtigkeit und Eigenverantwortung, was die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft sind als neoliberal diffamiert, dessen Beurteilung irgendwelcher Parteien oder Zusammenhänge sollte kein denkender Mensch ernst nehmen.

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