Bilder von NS-Deportationen sind bis zum 7. Dezember in Dortmund zu sehen

#LastSeen-Ausstellung auf historischem LKW an der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache

Im Zentrum von #LastSeen stehen die Fotos von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945.
Im Zentrum von #LastSeen stehen die Fotos von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945. Foto: Arnd Lülfing

Wer waren die Menschen, die zwischen 1938 und 1945 aus dem Deutschen Reich in Ghettos oder Lager verschleppt wurden? Die sucht nach Bildern von NS-Deportationen und trägt Informationen über diese Fotos zusammen. Heute (25. November) eröffnet sie auf der Ladefläche eines historischen LKW, der an der Gedenkstätte Steinwache geparkt ist. Die mobile Ausstellung ist Teil einer Initiative der Arolsen-Archives und macht bis zum 7. Dezember 2022 in Dortmund Station. Geöffnet ist sie täglich von 10.30 bis 16.30 Uhr.

Freiwillige können sich an der Suche nach Bildern vor Ort beteiligen

Mit der Ausstellung macht die Initiative auf sich aufmerksam, informiert über die NS-Deportationen und bittet Freiwillige, sich an der Suche nach Bildern vor Ort zu beteiligen. Es geht aber auch darum, an die Menschen, ihre Namen und ihre Schicksale zu erinnern und die bislang namenlosen Abgebildeten zu identifizieren.

Markus Günnewig (Leiter der Steinwache) und Historiker Rolf Fischer, im Gespräch.
Markus Günnewig (Leiter der Steinwache) und Historiker Rolf Fischer, im Gespräch. Foto: Katrin Pinetzki für die Stadt Dortmund

Der LKW, auf dem die Ausstellung gezeigt wird, stammt aus den 1950er-Jahren, für den Transport von Verfolgten zu Sammellagern und Bahnhöfen wurden jedoch ähnliche Fahrzeuge genutzt.

Markus Günnewig, Leiter der Steinwache, ist froh darüber, die Ausstellung an der Mahn- und Gedenkstätte zeigen zu können. „In direkter Nachbarschaft der Steinwache wurden die Betroffenen mehrerer großer Deportationen aus Dortmund gesammelt“, sagt er. Das Stadtarchiv Dortmund hat bereits mehrere Fotos zum Projekt #LastSeen beisteuern können.

Zwei dieser Fotos zeigen die Wachmannschaft der Deportation von 791 Jüdinnen und Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg ins polnische Zamość, die am 30. April 1942 am Dortmunder Südbahnhof ihren Anfang nahm. Keiner der Deportierten überlebte den Holocaust. Bisher konnten lediglich zwei der Abgebildeten identifiziert werden.

Mehr Bilder finden, entschlüsseln und verstehen

Im Zentrum von #LastSeen stehen die Fotos von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945. Die meisten der Männer, Frauen und Kinder sind auf den Bildern ein letztes Mal zu sehen – bevor die Nationalsozialisten sie in die Vernichtungslager brachten und ermordeten.

Zwei historische Fotos aus dem Bestand des Stadtarchivs, die 2015 von der Angehörigen eines der abgebildeten Polizisten an die Gedenkstätte Steinwache übergeben wurde. Sie zeigen die Wachmannschaft der Deportation von 791 Jüdinnen und Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg ins polnische Zamość.
Historische Fotos aus dem Bestand des Stadtarchivs, die 2015 von einer Angehörigen eines der abgebildeten Polizisten an die Gedenkstätte Steinwache übergeben wurde. Sie zeigen die Wachmannschaft der Deportation von 791 Jüdinnen und Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg ins polnische Zamość. Fotos: Stadtarchiv Dortmund

Bisher sind Fotos von NS-Deportationen aus etwa 50 Orten bekannt. Überwiegend dokumentieren sie die Verschleppung der Menschen, die vom NS-Regime als Juden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und entrechtet worden waren. Einige wenige Bilder sind von den Deportationen der Sinti und Roma erhalten. Es ist wahrscheinlich, dass es mehr Fotos gibt. Denn die Deportationen fanden in vielen Städten und Gemeinden statt – in aller Öffentlichkeit.

Neben der Suche nach Bildern, geht es bei #LastSeen auch um ein neues Verständnis der Fotos. Viele Fragen, die sie aufwerfen, sind bislang nicht beantwortet: Wer ist abgebildet? Wer hat fotografiert? Wann und wo entstanden die Aufnahmen?

Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen-Archives, erklärt, warum die Mithilfe von Interessierten vor Ort für die Initiative so wichtig ist: „Je mehr Menschen den Historikerinnen und Historikern bei der Suche nach Bildern und Informationen helfen, desto umfangreicher und interessanter werden die Ergebnisse von #LastSeen“.

Digitaler Bildatlas und pädagogisches Programm

Erste Ergebnisse von #LastSeen werden Ende 2022 veröffentlicht und stehen damit sowohl der Forschung als auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Zudem wird aktuell ein interaktives, partizipatives Tool entwickelt, mit dem Schüler:innen das Bildmaterial zu Deportationen lesen und verstehen lernen. Die Arolsen-Archives sind das weltweit umfassendste Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Im Zentrum von #LastSeen stehen die Fotos von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945.
Im Zentrum von #LastSeen stehen die Fotos von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945. Foto: Arnd Lülfing

#LastSeen ist eine Initiative der Arolsen-Archives & Partner: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz; Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur, Kulturreferat der Landeshauptstadt München; USC Dornsife Center for Advanced Genocide Research, Los Angeles und Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin. Projektleiterin ist die Historikerin Dr. Alina Bothe.

Das Projekt wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht gefördert.

Mehr Informationen:

  • #LastSeen. Bilder der NS-Deportationen
  • vom 25. November bis 7. Dezember 2022
  • Historischer LKW an der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Steinstraße 50, 44147 Dortmund
  • Geöffnet dienstags bis sonntags von 10.30 bis 16.30 Uhr, Eintritt frei
  • Internet: lastseen.org
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Reaktionen

  1. Arbeit, Dienst und Führung: Vortrag in der Steinwache über den Nationalsozialismus und sein Erbe (PM)

    Die Deutschen und ihre Arbeit – über diese Beziehung hat Nikolas Lelle ein Buch veröffentlicht, das er am Donnerstag, 8. Dezember, 19 Uhr in der Gedenkstätte Steinwache (Steinstr. 50) vorstellt und zur Diskussion einlädt. Der Eintritt ist frei.

    Lelle schreibt über die lange Geschichte eines überhöhenden Selbstbildes – eine lange Geschichte des Antisemitismus, die der Nationalsozialismus noch einmal radikalisierte. Deutsch sollte eine Arbeit sein, die der Volksgemeinschaft dient. Unter Verweis auf „deutsche Arbeit“ begründete der Nationalsozialismus nicht nur sein antisemitisches Selbstbild, sondern auch Praktiken der Verfolgung und Vernichtung.

    Nikolas Lelle ist Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus bei der Amadeu Antonio Stiftung. Er promovierte an der Humboldt Universität zu Berlin in der Sozialphilosophie. 2018 gab er zusammen mit Felix Axster den Band „,Deutsche Arbeit‘. Kritische Perspektiven auf ein ideologisches Selbstbild“ (Wallstein Verlag) heraus.

    Eine Kooperationsveranstaltung von ADIRA (Antidiskriminierung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus) und der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund.

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