Kommentar von Bastian Pütter: „Wen Armut nur stört, weil sie vermeintlich Shopping-Erlebnisse beeinträchtigt, hat ein Bild von Stadt und Gesellschaft, das wir nicht teilen können“

Armut in Zeiten von Corona: Bettler mit Schutzmaske und Spezialsammelbecher am Stock. Foto: Klaus Hartmann

Der Einzelhandel in Dortmund ist nicht erst seit Corona unter Druck. Stadt Dortmund und Cityring setzen sich dafür ein, dass die City weiterhin ein attraktiver Ort zum Einkaufen bleibt. Das machte auch der Vorsitzende des Cityrings, Dirk Rutenhofer, beim WDR5-Stadtgespräch „Corona und das Kaufhausssterben“ deutlich. Doch der Vorschlag, obdachlose Menschen aus der Innenstadt „zu exkludieren“, stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung. Im Gegenteil – er erntet wegen Inhalt und Wortwahl auch heftige Kritik. Wir haben Bastian Pütter, Redaktionsleiter der Dortmunder Obdachlosenzeitung „BODO“, um einen Gast-Kommentar für Nordstadtblogger gebeten.

Ein Gast-Kommentar von Bastian Pütter (BODO)

„Als Organisation, die selbst in der Dortmunder Innenstadt einen Buchladen betreibt, teilen wir die Sorgen des niedergelassenen Einzelhandels angesichts der Folgen der Pandemie. Die Schlüsse, die Dirk Rutenhofer als Vorsitzender des Cityrings im WDR-Tagesgespräch zieht, irritieren uns jedoch nachhaltig.  

BODO-Redaktionsleiter Bastian Pütter

Eine einseitige Schuldverschiebung für das Ausbleiben von Kundschaft auf Wohnungslose finden wir empörend. Die kaum verklausulierte Forderung nach Vertreibung sichtbarer Armut aus den Konsumzonen der Innenstadt erleben wir als Dammbruch in einer gesellschaftlichen Debatte.

Wen Armut nur stört, weil sie vermeintlich Shopping-Erlebnisse beeinträchtigt, hat ein Bild von Stadt und Gesellschaft, das wir nicht teilen können. Dass das Reden über die Menschen, die für eine Innenstadt „schädlich“ seien, mit einem Bibelzitat eingeleitet wird, möchten wir gar nicht kommentieren.

Weil sich Herr Rutendorfer bisher nicht sonderlich für die Ursachen der Zunahme sichtbarer Armut und Wohnungslosigkeit in der Innenstadt interessiert zu haben scheint, vielleicht eine kurze Erklärung: Im Gegensatz zu den Geschäften des Cityrings ist ein Großteil der Dortmunder Tages- und Versorgungseinrichtungen für Wohnungslose weiterhin geschlossen. Seit März. 

Die Zahl der Betroffenen, die unter den geltenden Hygienevorschriften unsere Einrichtungen betreten dürften, ist so gering, dass eine Versorgung dort nicht möglich wäre. Hunderte NutzerInnen dieser Einrichtungen verbringen seit Monaten die Tage stattdessen draußen. Die Ausgabe von Mahlzeiten findet bei jedem Wetter unter freiem Himmel statt, oft nach einstündiger Wartezeit. Gegessen wird auf dem Bordstein. Ein Großteil der zugänglichen Toiletten ist für diese Menschen weggefallen, ein Großteil der Beratungskontakte findet mehr schlecht als recht unter freiem Himmel statt.

Viele Angebote sind wegen Corona noch nicht wieder oder nur eingeschränkt geöffnet. Das Hygienezentrum hilft.
Viele Angebote sind wegen Corona noch nicht wieder oder nur eingeschränkt geöffnet. Das Hygienezentrum hilft.

Neben diesem offensichtlichen Grund für die erhöhte Sichtbarkeit ist zweite die zunehmend verzweifelte Lage der Betroffenen. Während vieles wieder seinen gewohnten Gang geht, erleben viele Hundert Wohnungslose sich als von der Stadtgesellschaft Vergessene.

Dank Äußerungen wie der von Herrn Rutendorfer (begleitet von einer Anwohnerprotestkampagne der RuhrNachrichten) gar als Schuldige. Vielen Menschen, die wir treffen, ist es infolgedessen zunehmend gleichgültig, wo sie schlafen, wie sie betteln usw.

Kurz: Die Zunahme sichtbarer Armut in der Innenstadt ist ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit von oft ehrenamtlich getragenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe vor Corona – und der massiven Einschränkung unserer Möglichkeiten durch die Pandemie. Vertreibung und Schuldverschiebung auf die Schwächsten löst keins der Probleme.

Ein konstruktiver Vorschlag: Herr Rutendorfer, unterstützen Sie uns bei der Suche nach corona-kompatiblen Lösungen, nach ausreichend großen Räumen – oder Zelten – in denen wir den Winter über unsere Arbeit machen können. Zum Wohl der Ärmsten, aber auch zum Wohl der ganzen Stadt.“


Hier gibt es das WDR5- Stadtgespräch auf dem Hansaplatz  zum Nachhören (bis 10.09.2021):

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/stadtgespraech/corona-kaufhaussterben-100.html
(Die Äußerungen von Dirk Rutenhofer gibt es ab Minute 48:00).

 

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Reaktionen

  1. CDU fordert ein Soforthilfeprogramm „Wohnungs- und Obdachlosigkeit“ – Gewährleistung der Grundversorgung von wohnungs- und obdachlosen Menschen in der Winterzeit (Offener Brief als PM)

    CDU fordert ein Soforthilfeprogramm „Wohnungs- und Obdachlosigkeit“ – Gewährleistung der Grundversorgung von wohnungs- und obdachlosen Menschen in der Winterzeit

    Sehr geehrte Frau Zoerner,

    mit diesem Schreiben wende ich mich als sozialpolitische Sprecherin im Namen der CDU-Fraktion mit der eindringlichen Bitte an Sie, die aktuell extrem angespannte Situation im Bereich der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Dortmund durch die Auflage eines städtischen Soforthilfeprogramms – insbesondere: Die kurzfristige Identifizierung, Instandsetzung und kostenfreie Bereitstellung geeigneter Räumlichkeiten in Innenstadtnähe zur Sicherstellung einer menschenwürdigen Grundversorgung – zu entzerren.

    Denn infolge der Corona-Pandemie hat sich die allgemeine Versorgungssituation von wohnungs- und obdachlosen Menschen in Dortmund dramatisch verschlechtert. Die fehlenden Aufenthaltsmöglichkeiten lassen sich mitunter an der zuletzt stark gestiegenen Zahl obdachloser Menschen ablesen, die sich tagsüber dauerhaft im Innenstadtbereich aufhalten. Auf die besorgniserregende Verschlechterung der allgemeinen Hygienesituation bei obdach- und wohnungslosen Menschen, unter anderem hervorgerufen durch die Schließung einer Vielzahl öffentlicher Sanitäranlagen, sowie den dringenden Handlungsbedarf hat unsere Fraktion bereits per Antrag (Drucksache Nr. 18241-20-E1) in der letzten Sitzung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheit hingewiesen.

    Nun steht die kalte Jahreszeit vor der Tür und es bleibt zu befürchten, dass sich die derzeit unhaltbare Lebens-, Hygiene- und Versorgungssituation von obdach- und wohnungslosen Menschen in Dortmund mit den sinkenden Temperaturen weiter verschlechtert. Aus diesem Grund gilt es nun, kurzfristig beheizte Aufenthaltsmöglichkeiten in City-Nähe für tagsüber zu schaffen, mehr bzw. weitere Sanitäranlagen (Duschmöglichkeiten, Toiletten) zugänglich zu machen sowie eine stabile Grundversorgung mit der regelmäßigen Ausgabe von Lebensmitteln und Hygieneartikeln an zentralen Orten zu gewährleisten.

    Die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund regt daher an, dass die Stadt Dortmund unverzüglich ein kommunales Soforthilfeprogramm „Obdach- und Wohnungslosigkeit“ auflegt und in enger Abstimmung/ Zusammenarbeit mit den hiesigen, ehrenamtlichen Hilfsorganisationen (Wärmebus, Kana Suppenküche, Gast-Haus statt Bank, Bodo) unter anderem folgende Ideen gewissenhaft auf die Möglichkeit einer kurzfristigen Umsetzbarkeit hin prüft:

    1. Bereitstellung von eingelagerten Zelten, Containergebäuden, Toilettenanlagen und anderen nützlichen „Artefakten“, die während der Flüchtlingskrise im Einsatz waren und die in den kommenden Wintermonaten zur (mobilen) Versorgung von wohnungs- und obdachlosen Menschen in Dortmund eingesetzt werden könnten.

    2. Kurzfristige Identifizierung ehemaliger, mittlerweile geschlossener Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) in Innenstadtnähe und Herrichtung als zeitweilige Ankerzentren zur Versorgung von wohnungs- und obdachlosen Menschen unter Leitung der vorgenannten Hilfsorganisationen.

    3. Prüfung, inwieweit die Stadt Dortmund – neben der Bereitstellung räumlicher Kapazitäten und organisatorisch-logistischer Hilfen – zusätzlich finanzielle Mittel und/oder personelle Ressourcen zur Unterstützung der überwiegend ehrenamtlichen Hilfsorganisationen aufzubringen vermag.

    Wir hoffen, dass Sie unsere vorgenannten Anregungen sorgfältig, aber angesichts der Dringlichkeit des Problems auch mit der nötigen Verve, prüfen werden und einer kurzfristigen Realisierung der vorgeschlagenen Soforthilfemaßnahmen wohlwollend gegenüberstehen. Die Zeit drängt!

    Für Ihre Mühen bedanke ich mich Voraus und verbleibe

    Mit freundlichen Grüßen

    Justine Grollmann
    Sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion

  2. GRÜNE unterstützen Forderung nach zusätzlichem Aufenthalt für Obdachlose (PM)

    GRÜNE unterstützen Forderung nach zusätzlichem Aufenthalt für Obdachlose

    Die GRÜNE Ratsfraktion setzt sich dafür ein, kurzfristig eine zusätzliche innenstadtnahe Möglichkeit zur Essenausgabe und als Aufenthaltsort für wohnungslose Menschen zu suchen und zu realisieren. Dabei ist insbesondere der Vorschlag einer Großzeltlösung auf dem Parkplatz gegenüber des Gast-Hauses an der Rheinischen Straße zu prüfen. Das sieht ein Antrag der GRÜNEN für die Sitzung des Rates am 8. Oktober vor. Hintergrund ist ein Schreiben der vier Wohnungsloseninitiativen Gast-Haus e.V., BODO e.V., Wärmebus und Kana-Suppenküche e.V. an Verwaltung und Politik.

    „Das ist ein echter Hilferuf der Wohnungslosenhilfe. Für wohnungslose Menschen hat die Corona-Krise zu drastischen Verschärfungen ihrer Situation geführt. Die meisten Anlaufstellen und Versorgungseinrichtungen können aufgrund der geltenden Bestimmungen weiterhin nicht öffnen. Und die vorübergehenden Not-Lösungen für die Versorgung mit Lebensmitteln sind nicht wetterfest. Deshalb braucht es gerade in den nun kommenden kälteren Monaten einen zusätzlichen innenstadtnahen und überdachten Ort“, bewertet der Fraktionssprecher der GRÜNEN, Ulrich Langhorst, die Situation

    In ihren Schreiben führen die Initiativen der Wohnungslosenhilfe aus, dass es durch die Corona -Beschränkungen zu langen Aufenthalts- und Wartezeiten bei der Lebensmittelausgabe kommt. Viele Betroffene sehen sich dazu nicht imstande, so dass es zu Unterversorgungen kommt. Zusätzlich leidet dabei die Akzeptanz der Anwohner*innen. Besonders drastisch sind die Folgen des Wegfalls beinahe aller zugänglichen Toiletten. Da nicht nur die sanitären Einrichtungen in vielen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe nicht genutzt werden können, sondern auch die in vielen öffentlichen Einrichtungen, (Schnell-)Restaurants und Kaufhäusern erhöhte Zugangsschwellen haben oder weiterhin nicht zugänglich sind, hat das die Lebenssituation auf der Straße – und die Konflikte mit Anwohner*innen – deutlich verschärft. Die aktuellen Räumlichkeiten von Gast-Haus und Kana Suppenküche sind nach ausführlicher Prüfung nicht nutzbar, die notwendigen Hygienemaßnahmen können dort nicht eingehalten werden.

    „Es besteht also dringender Handlungsbedarf für einen ausreichend großen, innenstadtnahen überdachten Ort zur Essensausgabe. Als temporärer Aufenthaltsort sollte er auch mit einer Toilettenanlage ausgestattet sein. Eine Möglichkeit könnte dabei die von den Initiativen vorgeschlagene Großzeltlösung gegenüber vom Gast-Haus sein. In unserem Antrag wird die Verwaltung aufgefordert, gemeinsam mit der Dortmunder Wohnungslosenhilfe kurzfristig eine Lösung zu realisieren“, fasst Ulrich Langhorst zusammen.

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