„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“ – offenkundiger Klimawandel fordert Handeln

Die Bedeutung des Klimaschutzes hat sich rumgesprochen: die Rohrmeisterei ist gut besucht.

Von Julian Andrej Napierala

Eingeladen von Bündnis90/DieGrünen, zeichnete der Meeresbiologe Dr. Udo Engelhardt in der Schwerter Rohrmeisterei bei seinem Vortrag in dieser Woche ein düsteres Bild: die Welt befinde sich auf einem verheerenden Klimakurs, die weltweiten CO2-Emissionen steigen, die Pariser Klimaziele sind in weiter Ferne. Doch der seit 20 Jahren für den Schutz der Korallenriffe aktive Wissenschaftler weist auch darauf hin, dass es noch nicht zu spät sei, das Schlimmste zu verhindern. Die rund 200 ZuhörerInnen können seinen Ausführungen an diesem Abend eine zentrale Botschaft entnehmen: Wir müssen handeln!

Nicht nur Fakten, sondern Lösungsorientierung braucht die Welt angesichts drohender Katastrophe

Udo Engelhardt hat viele Fakten parat, wenn es darum geht, die Anzeichen des Klimawandels und einer drohenden Katastrophe zu präsentieren, die ein Gebot zum sofortigen Handeln begründen. Vor allem aber auch Lösungsvorschläge, die er als „Kochbuch“ näher vorstellt. Dabei ginge es um Maßnahmen, die die Schäden des Klimawandels minderten und somit eine Art Fahrplan darstellten, an dem sich die weltweite Politik orientieren solle.

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Die von ihm zur Debatte gestellten Eckpunkte zur effektiven Bekämpfung des Klimawandels lauten: Ausbau der Erneuerbaren Energien, keine klimaschädlichen Investitionen, eine CO2-Steuer, Streichung klimaschädlicher Subventionen und Unterbindung von Lobbying der Umweltverschmutzer. Diesen Forderungskatalog erklärt er im Weiteren genauer.

Windenergie im Abwind: Wie ernsthaft ist der bundespolitische Wille zur Energiewende?

In Dortmund sind im Flächennutzungsplan bislang drei Konzentrationszonen für Windenergieanlagen dargestellt; eine Änderung ist nicht vorgesehen.

Erneuerbare Energien auszubauen, bedeute, ihren Anteil relativ zu fossilen Energieträgern mit dem Ziel zu steigern, sie letztendlich überflüssig zu machen. Derzeit lahmt in Deutschland aber gerade der Ausbau der Windenergie. Klagen gegen Windkraftanlagen und suboptimale Ausschreibungsverfahren sorgen für einen Einbruch bei der Installation neuer Anlagen. Deutschlands größter Windkraftanlagenbauer Enercon plant die Streichung von 3.000 Arbeitsplätzen.

Fehlt hier ein politischer Wille? Fakt ist: Weniger als 48 Std. nach dem Schwerter Vortrag von Engelhardt wartet das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium, am Donnerstag, den 14. November, mit einem Gesetzesentwurf auf, wonach der Abstand zwischen Ansiedlungen (mit mehr als fünf Häusern) und Windkrafträdern mindestens 1.000 Meter betragen müsse.

Am selben Tag aber vermeldet das Umweltbundesamt: in diesem Fall verringerten sich die für Windenergie nutzbaren Flächen um 20 bis 50 Prozent – bei einer Reduktion des Leistungspotentials in der Stromerzeugung zwischen 25 und 50 Prozent.

Ein Mehr an nachhaltigen Investitionen bedeutet „Divestment“, wo das Klima geschädigt wird

Investitionen in den Klimaschutz sollen bei der EIB stärker fokussiert werden. Foto: Anna Jiménez Calaf / Unsplash

Der nächste Eckpunkt einer neuen Klimapolitik: „Divestment“. Statt Investitionen bedeutet dies die Abkehr der Finanzierung klimaschädlicher Unternehmen, Projekte, Aktien & Co., die vollzogen werden müsse. Beispielsweise zieht sich der weltweit größte Staatsfonds (Norwegischer Staatsfond) zunehmend aus fossilen Energien zurück.

Auch die größte multilaterale Investmentbank, die Europäische Investitionsbank (EIB), möchte vermehrt nachhaltige Investitionen tätigen. Am Donnerstag (14. November) tagte dazu der Verwaltungsrat der Bank. Es wurde darüber entschieden, ob die EIB ab 2020 noch Gasprojekte finanzieren soll. Über die Position Deutschland, dem größten Anteilseigner der Bank, gab es im Vorfeld keine Klarheit. Der Grund: uneinheitliche Positionen in der Bundesregierung.

Spekuliert wurde über eine mögliche Enthaltung; das war zumindest aus dem verantwortlichen Finanzministerium (Finanzminister Olaf Scholz, SPD) zu vernehmen. Was zu einer Blockade des fälligen Kurswechsels hätte führen können. Am Donnerstagabend kam dann Entwarnung: ab Ende 2021 wird die EIB die Förderung von Projekten zu fossilen Energien wie Kohle, Gas oder Öl einstellen.

Staatliche Kehrtwende in der Umweltpolitik durch Reallokation von Subventionen in fossile Energie

Auf dem Erlebnispfad Natur und Technik wandeln die BesucherInnen auf den Spuren von Kohle zu Koks und erfahren an einzelnen Stationen den Produktionsverlauf. Foto: Markus Bollen
Ehemalige Kokerei Hansa, heute als lokaler Umweltgau gesehen und Industriegeschichte. Foto: Markus Bollen

Die neue Kreditpolitik im Energiebereich, die zukünftig verstärkt auf Investitionen in den Klimaschutz setzt, sei nach längerer Diskussion im Verwaltungsvorstand mit „überwältigender“ Unterstützung beschlossen worden, hieß es am Abend.

Auch bei den staatlichen Subventionen müsse es hier zu einer Umorientierung kommen, bedeutet Engelhardt: staatliche Finanzmittel dürften nicht mehr für klimaschädliche fossile Energieträger und andere Klimaschädlinge eingesetzt werden. Der Bund subventioniert hier jährlich in Höhe von 57 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Das Klimapaket der Bundesregierung beläuft sich auf 54 Milliarden Euro, insgesamt. Engelhardt nennt Zahlen, nach denen der Internationale Währungsfonds (IWF) berechnet habe, dass weltweit die CO2-Emissionen beim Wegfall aller klimaschädlichen Subventionen um 28 Prozent zurückgingen und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3,8 Prozent steige.

Sozialverträgliche CO2-Abgabe zur Emissionsreduktion und Unterbindung des Lobbying gefordert

Eine progressive, sozial verträgliche Besteuerung von CO2 sei ebenfalls ein wirksamer Bestandteil im Kampf gegen den Klimawandel, so der Meeresbiologe, der seit 20 Jahren wissenschaftlicher Direktor von Reefcare International Pty Ltd ist.

Wenig Zukunft für Benzinschleudern

Auch der ehemalige Präsident der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, plädierte beim Weltwirtschaftsforum in Davos für eine weltweite CO2-Steuer. Ebenso hatten sich in der Vergangenheit zahlreiche Ökonomen, darunter Nobelpreisträger Robert Solow und George Akerlof, hinter eine solche Steuer gestellt.

Das Bundeskabinett beschloss letzten Oktober im Rahmen des Klimapaketes die Einführung einer Abgabe auf CO2. Es hagelte aber auch Kritik: KlimaschützerInnen ging der Maßnahmenkatalog nicht weit genug, Lobbys monierten die zu erwartenden Preissteigerungen, beispielsweise für Verbraucher.

In diesem Zusammenhang fordert Engelhardt unmissverständlich: Unterbindung des Lobbying. Der Zugang von Vertretern der fossilen Industrie zu Politikern etwa solle unterbunden werden, um die genannten Maßnahmen des Kochbuchs bestmöglich durchsetzen zu können.

Engelhardt zu Leugnern des Klimawandels: „Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“

Zum Kochbuch präsentierte Engelhardt den ZuhörerInnen quasi vollendete Tatsachen. Derzeit ist globale mittlere Durchschnittstemperatur um 1,1 Grad Celsius höher als im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Laut Engelhardt steuere die Welt bis 2050 auf eine Erhitzung der Erde um durchschnittlich 2 Grad und bis Ende des Jahrhunderts auf einen Anstieg um 4 Grad zu.

Dortmund im März diesen Jahres: es ist schon lange Schluss mit lustig. Foto: Klaus Hartmann

Für Engelhardt sind die nächsten Jahre entscheidend, ob die Kipppunkte des Ökosystems, also unabänderliche Veränderungen, die weitreichende ökologische Folgen mit sich bringen, eintreten werden. Bei diesen Kipppunkten handelt es zum Beispiel um das Auftauen des Permafrostbodens, Gletscherschmelzen, Korallensterben und das Schmelzen des Polareises. Den Zeitraum, in dem das Eintreten dieser Kipppunkte noch verhinderbar ist, beziffert der Wissenschaftler auf die nächsten fünf bis zehn Jahre.

Kürzlich kamen auch Forscher des „Brown-to-Green-Reports“ zu beunruhigenden Schlüssen: 2018 wuchsen die CO2-Emissionen der G20-Staaten, die für rund 80 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich seien, um 1,8 Prozent an. Es befinde sich keine der 20 größten Volkswirtschaften auf dem Kurs, die Pariser Klimazeile, die eine Begrenzung des Temperaturanstiegs von deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad vorsehen, einzuhalten.

Die Zeit des Handelns ist für Dr. Udo Engelhardt längst gekommen, und es reiche nicht, nur alle vier Jahre ein Kreuz zu machen. Er wolle seine Energie auch nicht mehr mit KlimawandelleugnerInnen oder dem Relativieren des menschengemachten Klimawandels verschwenden. Engelhardts Leitsatz: „Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.

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