HINTERGRUND: Welche Rolle spielen Neonazis in der Szene?

Jeden zweiten Tag Demo: Was Impfgegner:innen in Dortmund aktuell unternehmen

Bundesweit gehen Impfgegner:innen wieder öfter und in größerer Zahl auf die Straßen – auch in Dortmund. Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Die Szene der Impfgegner:innen ist in Bewegung. Strategien werden verändert, neue Gruppen gründen sich und es wird wieder öfter auf die Straße gegangen. Im Umgang mit Neonazis ist man sich uneinig. Auch der Gegenprotest hat sich nach dem neuen Versammlungsgesetz NRW erstmal verändert. Ein kurzer Überblick, was aktuell wo läuft.

„Spaziergang“ am Wall wurde zur angemeldeten Demonstration

In der vergangenen Woche gab es an jedem zweiten Tag eine Versammlung von Impfgegner:innen in Dortmund. Jede in einer anderen Form und von unterschiedlichen Versammlungsleiter:innen, wenn es denn welche gab. Aufgerufen wird dazu weiterhin meist über Telegram.

Anfang Dezember waren die Montagsversammlungen noch unangemeldet. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Die große Gruppe von „Querdenken 231 Dortmund“ wird nur noch für Veranstaltungswerbung genutzt. Als Veranstalter tritt Querdenken in Dortmund aktuell nicht mehr auf. Dennoch bringen die geltenden Einschränkungen für Ungeimpfte und die Diskussion um eine Impflicht die Impfgegner:innen wieder verstärkt auf die Straßen. ___STEADY_PAYWALL___

Den Demo-Wochenstart macht dabei aktuell montags eine Demonstration auf dem Wall. Bei dem sogenannten „Lichterspaziergang“ liefen in der vergangenen Woche und an diesem Montag jeweils etwa 600 bis 700 Menschen mit Kerzen und Lichterketten um den Wall. Gestartet waren die Kerzenmärsche einige Wochen zuvor als unangemeldete Versammlung mit etwa 100 Teilnehmer:innen. Nachdem dies zu einer angemeldeten Demonstration wurde, stieg die Teilnehmer:innenzahl deutlich.

Seit der ersten angemeldeten Montagsdemonstration sind auch Dortmunder Neonazis dabei. In dieser Woche eine Gruppe aus etwa 20 Personen. Für die Versammlungsleiterin Janine B. sind diese Teilnehmer unerwünscht. Inzwischen sagt sie das auch per Lautsprecher durch. Sie fürchtet, dass die Neonazis ihre eigenen Themen mitbringen und die Bewegung übernehmen wollen. Auf den Aufrufen zur Demo ist nun „Von jeglicher Form gewaltbereiter, rechtsextremistischer & menschenverachtender  Ideologie distanzieren WIR uns.“ zu lesen. Polizeilich ausschließen kann sie die Neonazis aber nicht so einfach. Dazu müssten sie die Ordnung der Versammlung erheblich stören. 

Neonazis fühlen sich trotz Distanzierung durch Versammlungsleitung wohl

Ein Teilnehmer wurde ausgeschlossen, weil er ein Messer mitführte. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Das Mitlaufen der Neonazis war auch mehrfach Thema in einer öffentlichen Telegram-Gruppe in der sich die Teilnehmer:innen des „Lichterspaziergangs“ austauschen. Zum Teil gab es Zuspruch für die Versammlungsleiterin. Einige kritisieren die Distanzierung, weil Neonazis ja auch nur Bürger seien, die mit fürs Thema auf die Straße gingen. Andere werfen Janine B. sogar Spaltung vor. Einig ist man sich bei dem Thema also nicht. In der Gruppe kommentierte B., dass es sie erschrecke, dass es den Menschen so egal sei.

Die „Autonome Antifa 170“ kritisiert den Umgang der Teilnehmer:innen mit den Neonazis. „Dass heute noch mehr Neonazis zur Demonstration gekommen sind, zeigt, dass sich Nazis bei Querdenken wohlfühlen – trotz aller vermeintlichen Distanzierung. Wenn wirklich ein Großteil der Querdenker:innen gegen Nazis wäre, hätten die Kader der rechten Szene ohne Probleme aus der Demonstration ausgeschlossen werden können“, bewertete Kim Schmidt, Pressesprecherin der Autonomen Antifa 170, die Teilnahme der Neonazis am Montag.

Auf der Demonstration am Montag stimmten die Organisator:innen einen „Nazis raus“ Sprechchor an. Die Gruppe Neonazis zeigte sich davon unbeeindruckt. Sie liefen mit im Demonstrationszug – mit einer Ausnahme. Ein 34-jähriger Dortmunder, der bereits bei der Demonstration am vorherigen Montag wegen mitgeführter Bewaffnung von der Versammlung ausgeschlossen wurde, erschien auch dieses mal. Das fiel auch dem Staatsschutz auf und der Teilnehmer wurde vor Ort durchsucht. Dabei fand die Polizei erneut ein Messer. Erneut wurde er von der Versammlung ausgeschlossen, was führende Köpfe der rechten Szene vor Ort bedauerten. Gegen den Teilnehmer wurden strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet.

Wollen Neonazis Huckarde als Protestort etablieren?

Nur wenige folgten dem Aufruf zum Huckarder Marktplatz am 5. Januar. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Keine Ermittlungsverfahren gab es hingegen nach einer unangemeldeten Versammlung in Dortmund-Huckarde am vergangenen Mittwoch. Etwa 20 Personen hatten sich auf dem dortigen Marktplatz versammelt. Die Gruppe verteilte sich nach Ansprache durch die Polizei relativ schnell wieder. Ein von rechten Demonstrationen bekannter Transporter samt dazugehöriger Personengruppe verschwand kurz vor dem angekündigten Start der Versammlung wieder. Zu dem Zeitpunkt waren kaum potentielle Teilnehmer:innen erkennbar.

Die zwischenzeitliche Anwesenheit der Neonazis ist allerdings eins von mehreren Indizien, die darauf hindeuten, dass Neonazis hinter dem Versuch stecken könnten, Corona-Märsche in Huckarde zu etablieren. Die Versammlung in Huckarde fand mehrfach Erwähnung bei den „Freien Nordrhein-Westfalen“. Die Gruppe hat der Verfassungsschutz laut einem Bericht der Ruhrbarone im Auge, auch weil sie auf Telegram „ihre demokratiefeindlichen und die Demokratie delegitimierenden Äußerungen“ kommunizierten. Die Gruppe gilt als NRW-Ableger der Gruppe „Freie Sachsen“, in der unter anderem der früher in Dortmund lebende Neonazi Michael Brück eine aktive Rolle spielt. 

Für den heutigen Mittwoch (12.Januar 2022) ist erneut eine Versammlung auf dem Huckarder Marktplatz geplant. Dieses Mal allerdings mit einer Anmeldung bei der Polizei. Das bestätigt die Polizei auf Anfrage. Die Anmeldung sei allerdings erst gegen 15 Uhr am Dienstagnachmittag eingegangen. Regulär müssen Versammlungen 48 Stunden vor der Einladung angemeldet werden. Bewerten konnte die Pressestelle der Polizei die Anmeldung aufgrund der Spontanität noch nicht.

Nordstadt wird ins Visier der Mobilisierung genommen

Im März 2021 verbot die Polizei eine Querdenken-Versammlung in der Nordstadt. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Auf Telegram wird die Versammlung bereits mit einer Grafik beworben. Das Thema der Versammlung laute „Gegen Anmeldepflicht für Spaziergänge“. Maßgeblich beworben wird die Versammlung durch einen Telegram-Nutzer, dessen Benutzername auch als alternative Abkürzung für die verbotene Gruppierung „Nationalen Widerstand Dortmund“ verstanden werden kann. „Wir sind friedlich und bleiben es auch!“ schreibt der Account zum Aufruf. Ob es tatsächlich friedlich bleibt, wird sich am Abend zeigen. Um 18:30 Uhr soll die Versammlung starten.

Auch ein neuer Telegram-Kanal mit Nordstadt-Bezug ruft zu der Versammlung in Huckarde auf. Der Kanal „Nordstadt steht auf!“ hat mit professionellem Netzwerken auf Telegram innerhalb von drei Tagen über 2600 Abonnenten gesammelt. Der Admin pflegt auf Telegram ebenfalls den Kontakt zu den „Freien Nordrhein-Westfalen“. „Wir gelten als multikultureller Hotspot, viele Nationen mit unterschiedlichen Interessen, Fähigkeiten und Kontakten treffen hier täglich aufeinander. Lasst uns das zu unserem Nutzen machen!“, heißt es in der Kanalbeschreibung.

Es ist  nicht der erste Versuch, Menschen in der Nordstadt für die Corona-Proteste zu gewinnen. Im März 2021 plante „Querdenken 231“ eine Versammlung im Hoeschpark unter dem Motto „Kulturelle Vielfalt für gemeinsame Menschenrechte“. Letztlich wurde daraus aber nichts, da der Anmelder Michael Schele nach Ausschreitungen bei einer Demonstration in Kassel nicht mehr als Versammlungsleiter akzeptiert und die Demo kurzfristig durch die Polizei verboten wurde. Danach rief Schele nur noch unregelmäßig zu Autokorsos in Dortmund auf, die andere Personen in Absprache mit ihm durchführten.

Comeback von DJ Schele verlief holprig

Strafverfahren und einkassiertes Megafon nach Aufruf zum Lauf trotz Verbot. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

In der vergangenen Woche meldete er sich aber wieder groß zurück in Dortmund. Er rief zu zwei parallel stattfindenden Demonstrationen am Sonntag auf. Eine davon sollte ein Aufzug um den Wall werden. Geplant wurde ein „Hop on, Hop off“ Format, wie es die Organisator:innen nennen. Teilnehmer:innen sollten sich auf der Strecke ein- und ausreihen, damit nicht die Maskenpflicht ab 750 Personen greift. Die Stadt Dortmund sah dies als Versuch die Auflagen zu umgehen und verbot die Demonstration. Stattdessen war nur eine Standkundgebung erlaubt.

Auf dieser rief ein Teilnehmer per Megafon dazu auf, trotzdem zu laufen. Die Polizei stellte des Megafon sicher und eröffnete ein Strafverfahren nach dem Versammlungsgesetz NRW gegen den Teilnehmer. Der Versammlungsleiter bekam eine Strafanzeige, weil er trotz Aufforderung der Polizei dagegen nicht vorgegangen war, obwohl dies zu seinen Pflichten als Versammlungsleiter gehört. Die Kundgebung wurde danach beendet und die meisten Teilnehmer:innen schlossen sich dem parallel laufenden Autokorso an.

An dem nahmen schließlich rund 150 Personen in 100 Fahrzeugen teil. An einer Mahnwache der Gruppierung „Studenten stehen auf“ gegen eine Impfpflicht nahmen am Freitag nur rund 15 Personen teil. Im Dezember waren es da noch etwa 80 Teilnehmer:innen.

Gegenprotest wegen neuem Versammlungsgesetz zurückhaltender

Wohl Bild der Vergangenheit: Anfang 2021 blockierten Gegendemonstrant:innen einen Autokorso mit Fahrrädern. Foto: David Peters für Nordstadtblogger.de

Während bei den kleineren Versammlungen nur einzelne Anwohner:innen am Rande der Versammlung Kritik äußerten, gab es an den Montagen größere Gegenproteste. Die vergangenen beiden Montage veranstaltete „Die Partei“ eine Gegendemonstration unter dem Motto „Impformation statt Vervirung“ mit jeweils 70 Teilnehmer:innen. Bislang hatte es aber auch abseits dieser Kundgebung zum Teil unangemeldete Gegenproteste gegeben. Am 3. Januar hatte es sogar eine Sitzblockade auf dem Wall gegeben. Seit dem 7. Januar gilt nun allerdings ein neues Versammlungsgesetzt.

Am 15. Dezember 2021 hatten die Regierungsparteien CDU und FDP das Gesetz im Landtag beschlossen. Zuvor hatte es landesweit Demonstrationen dagegen gegeben. Unter anderem Antifa-Gruppen und Gewerkschaften übten Kritik an dem Gesetz. Ein neues Störverbot ermöglicht Freiheitsstrafen für die Störung von nicht verbotenen Versammlungen.

„Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu behindern oder zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es im Gesetz. Eine Sitzblockade kann also zukünftig hinter Gittern enden. Das neue Gesetz dürfte dazu führen, dass unangemeldeter Gegenprotest seltener wird.

Die Autonome Antifa 170 ärgerte sich am Montag unter anderem über sogenannte „Gefährderansprachen“ der Polizei gegen Gegenprotestant:innen. Das Versammlungsgesetz regelt jetzt klar, dass Personen angehalten werden dürfen, wenn die Polizei annimmt, dass sie gegen Verbote verstoßen werden. Das wurde am Montag angewendet. Die Antifa Gruppe sieht darin eine „Einschüchterung von Gegenprotest“. „Dass die Polizei das neue Versammlungsgesetz gegen linke Gegendemonstrant:innen nutzt und als Drohung ausspricht, zeigt den Geist dieses Gesetzes“, so Schmidt.

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Reaktionen

  1. Kundgebung: „Impformation statt Vervirung“ am Montag (PM „Die Partei“)

    Spazierengehen ist auch nur Mitlaufen. Seit mehreren Wochen finden Montag für Montag die sogenannten Spaziergänge der Querdenkenszene rund um den Wall statt. Unter den Querdenkenden: stadtbekannte Neonazis, Vertreter der fckafd und Mitglieder der Partei Die Rechte. Dagegen haben wir was, eine Kundgebung, unter dem Motto: „Impformation statt Vervirung“. Das nächste mal am 17.1.22 ab 18 Uhr auf dem Platz der deutschen Einheit, gegenüber vom Hauptbahnhof.

    Wir stellen uns entschieden gegen rechtes Gedankengut und jeden Antisemitismus. Dortmund hat keinen Platz für Coronaleugner:innen und antidemokratisches Gedankengut. Daher möchten wir alle Dortmunder Bürger:innen, demokratische Parteien und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse einladen, sich an unserem Protest zu beteiligen oder selbst eine Kundgebung, rund um den Wall, anzumelden.

    Denn um seiner Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, muss man nicht mit Nazis und Verschwörungsideolog:innen „spazieren“ gehen. Gegen jeden Antisemitismus!

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