Die Frauenberatungsstelle hilft in verschiedensten Notsituationen

Gewalt gegen Frauen: Das unterschätzte Problem hinter den deutschen Wohnungstüren

Foto: Frauenberatungsstelle Dortmund

Schon 1987 machte der Verein „Frauen helfen Frauen e.V.“, zu dem auch die Dortmunder Frauenberatungsstelle gehört, auf häusliche Gewalt aufmerksam – und noch immer ist das Problem tief in der Gesellschaft verwurzelt. Offiziell wurden zwei Frauen im letzten Jahr durch ihre Männer in Dortmund getötet. Diese sogenannten „Femizide“ sind die extremste Form der Gewalt an Frauen. Solche Fälle werden durch Polizeimeldungen und Presseartikel an die Öffentlichkeit getragen, dabei haben Mord und Totschlag nur einen Anteil von 0,2 Prozent an allen Straftaten in Partnerschaften. Berichte über Gewaltdelikte, Stalking oder Nötigung sind jedoch eher selten zu finden: Zwei Mitarbeiterinnen der Dortmunder Frauenberatungsstelle ordnen ein.

126.349 bundesweit erfasste weibliche Opfer von Gewalt in Partnerschaften

126.349 polizeilich erfasste weibliche Opfer von Gewalt in Partnerschaften wurden 2022 bundesweit erfasst, davon 312 versuchte und vollendete Tötungsdelikte zu Lasten von Frauen. Rechnet man alle Körperverletzungen zusammen, kommt man auf über 85.000 Taten.

Zum Vergleich: Zu Lasten von Männern gab es 78 Tötungs- und etwas mehr als 26.000 Gewaltdelikte. Das sind offizielle Zahlen vom Bundeskriminalamt (BKA), die Dunkelziffer, besonders in Partnerschaften, ist vermutlich deutlich höher.

Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Gewalt gegen Frauen e.V. definiert häusliche Gewalt wie folgt: „Häusliche Gewalt oder auch Partnergewalt liegt immer dann vor, wenn es in einer häuslichen Gemeinschaft (z.B. Ehe, Lebenspartnerschaft, Beziehung) zu Gewalt kommt. Es ist auch dann häusliche Gewalt, wenn die häusliche Gemeinschaft gerade aufgelöst wird oder eine Trennung noch nicht allzu lange zurück liegt. Die Tat muss nicht innerhalb der gemeinsamen Wohnung stattfinden.“

Die Frauenberatungsstelle in Dortmund: Ein sicherer Hafen für Betroffene

Teilnehmerinnen setzen sich für Frauenrechte in Dortmund ein
Auf dem globalen Streik „One Billion Rising“ setzten sich auch Beschäftigte der Frauenberatungsstelle bzw. dem Frauenhaus für das Ende von Gewalt an Frauen und Mädchen ein. Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Frauen müssen in Beziehungen viel häufiger Gewalt aushalten – physisch und psychisch. Umso wichtiger ist es, dass es professionelle Hilfsangebote gibt, um in solchen Situationen zu helfen. In Dortmund ist dafür unter anderem die Frauenberatungsstelle an der Märkischen Straße zuständig.

Die Mitarbeiterinnen helfen in den unterschiedlichsten Situationen und Lebenslagen, wie Franca Ziborowius und Martina Breuer im Gespräch erzählen. „In den vergangenen Jahren haben wir jeweils über 600 Frauen beraten – ca. zwei Drittel der Frauen haben zum Thema ‚Gewalt‘ Beratung gesucht“, so Ziborowius.

„Es gibt verschiedene Zugangswege“, schildert ihre Kollegin Martina Breuer: „Frauen können von sich aus Kontakt zu uns aufnehmen und einen Beratungstermin vereinbaren. Als Fachberatungsstelle beraten wir auch weibliche Betroffene nach einem Polizeieinsatz zu häuslicher Gewalt.“

Häusliche Gewalt beginne oft mit schleichendem Prozess von Grenzüberschreitungen

Ist letzteres der Fall, sei das Vorgehen ein anderes: „Da erhalten wir, wenn die Frau dem zugestimmt hat, ein Fax von der Polizei, dass es einen Einsatz gab und wir nehmen dann proaktiv Kontakt mit der Frau auf. In der Regel wurde der Partner für zehn Tage der Wohnung verwiesen. In dieser Situation hat die Frau besondere rechtliche Möglichkeiten im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes.“

Franca Zibororowius (Frauenberatungsstelle)
Franca Zibororowius arbeitet in der Frauenberatungsstelle. Die Botschaft: „Nein heißt Nein!“ Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Innerhalb dieser zehn Tage könne sich die Frau dann überlegen, ob sie möchte, dass der Partner zurückkommt. „Wenn Sie das nicht möchte, kann sie beim Amtsgericht einen Antrag auf Wohnungszuweisung stellen.“

„Nicht in jeder Gewaltbeziehung kommt es direkt zu körperlicher Gewalt. Oft fängt es viel subtiler an und es ist ein schleichender Prozess von Grenzüberschreitungen, die von den Betroffenen nicht unbedingt als psychische Gewalt erkannt werden. Frauen werden zum Beispiel niedergemacht, abgewertet und beleidigt. Es kommt aber auch zu Einschüchterungen und Bedrohungen. Häufig kontrollieren Partner auch die Aktivitäten und Kontakte der Frauen“, erklärt Franca Ziborowius.

Recht auf Umgang der Väter mit den Kindern gehe häufig über den Gewaltschutz

Bei dem Thema des rechtlichen Umgangs mit häuslicher Gewalt bestehe dringender Handlungsbedarf, findet Martina Breuer. Komme es zu Gerichtsprozessen, gehe das Recht auf Umgang der Väter oft über den Gewaltschutz.

Die Beratungsstelle kurz vor der Eröffnung 1981. Foto: Frauenberatungsstelle Dortmund

Der Kontakt mit den Kindern werde von den Männern häufig genutzt, um weiter Gewalt oder Macht und Kontrolle auszuüben. „Es gibt natürlich die Möglichkeit des begleiteten Umgangs, aber eigentlich wäre es in vielen Fällen tatsächlich das Beste, den Umgang erst mal ganz auszusetzen.“

„Bei Frauen, die nicht unmittelbar nach dem Polizeieinsatz kommen, da ist das Thema Gewalt nicht immer gleich klar und benannt. Manche Frauen formulieren zum Beispiel, dass es Probleme in der Partnerschaft gibt. Erst im Laufe des Beratungsgesprächs wird deutlich, dass es sich hierbei um Gewalt handelt.“

Zeit der Trennung für viele Frauen die Gefährlichste

Die Zeit der Trennung sei für betroffenen Frauen oft die Gefährlichste, erklärt „Frauen helfen Frauen“ e.V. auf der vereinseigenen Website: „Hier erfolgen die meisten Misshandlungen und Tötungen.“ Bei Femiziden gehe die Öffentlichkeit meist davon aus, dass die Taten im Affekt passieren, „die Studienlage gibt aber andere Erkenntnisse, auch, dass es eher um planvolle Taten geht, die sehr überlegt ausgeführt werden,“ ordnet Martina Breuer aus der Frauenberatungsstelle ein.

Quelle: Polizei Dortmund, Darstellung: Julius Obhues

Im Zuge dieses Artikels haben wir auch die Dortmunder Polizei um genauere Fallzahlen aus der Kriminalstatistik gebeten. Leider werden die Täter-Opfer-Beziehungen nicht genauer ausgewertet, sodass in der Kategorie „Beziehungen“ Partnerschaften, Familien und informelle soziale Beziehungen inkludiert sind. Dazu zählt unter anderem auch eine flüchtige Bekanntschaft. 15 Delikte mit Todesfolge gab es in dieser Kategorie 2022, wegen Körperverletzung wurden 1031 Strafanzeigen gefertigt.

Umso wichtiger ist es, Betroffene zu schützen. Dazu erklärt die Dortmunder Polizei: „Wir sensibilisieren immer, dass Bürgerinnen und Bürger, die Opfer einer Straftat geworden sind, die Tat bei der Polizei anzeigen. Denn nur so können wir Maßnahmen ergreifen und Ermittlungen einleiten. Auch wenn sie die Polizei nicht aufsuchen können, besteht immer die Möglichkeit einer Online-Anzeige.“

„Jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt“

Dennoch sind nach wie vor viele Frauen betroffen. „In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner“, so das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Demonstration unter dem Motto: ‚Da hört der Spaß auf! Nein zu sexueller Gewalt‘. Foto: Leopold Achilles
Demonstration unter dem Motto: ‚Da hört der Spaß auf! Nein zu sexueller Gewalt‘. (Archivbild) Foto: Leopold Achilles

Trotz der erlebten Gewalt fällt vielen eine Trennung schwer: „Auch geschlechtsspezifische Sozialisationserfahrungen tragen zur Aufrechterhaltung der gewalttätigen Beziehung bei. Dazu gehört, wenn Mädchen und Frauen in ihrer Sozialisation vermittelt wird, dass ihr Wert von ihrer Beziehung zu Männern abhängt oder dass sie in Beziehungen nachgiebig und passiv zu reagieren haben“, erklärt der Verein „Frauen gegen Gewalt e.V.“.

„Außerdem können rechtliche Faktoren wie z.B. aufenthaltsrechtliche Bestimmungen oder ökonomische Abhängigkeiten die Gewaltbeziehung stabilisieren“. Für Frauen mit Aufenthaltsgenehmigung bedeutet das: Entweder die Beziehung verlassen, dabei auch gesellschaftliche geächtet zu werden und in vielen Fällen die Abschiebung zu riskieren oder bei dem Mann bleiben – ein Teufelskreis.

Viele Gründe die Beziehung nicht zu beenden

Auch „Angst vor der Reaktion auf einen Trennungsversuch, Angst vor gesellschaftlichen Abwertungen und Schuldzuweisungen oder Angst vor dem Verlust der Kinder sind Gründe, gewalttätige Beziehungen nicht zu verlassen“, erklärt „Frauen gegen Gewalt e.V.“.

Und wenn doch beginnt ein neues Problem: Betroffene von häuslicher Gewalt müssen – oft monatelang – nach einer bezahlbaren Wohnung suchen. Außerdem erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, in Armut abzurutschen deutlich – auch durch die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen. Betroffene leiden also nicht nur unter der direkten Gewalt der Männer, sondern auch an der daraus resultierenden Perpektivlosigkeit.

Alle Menschen in der Gesellschaft müssen wachsam sein

Valentinstag ist Streiktag gegen Gewalt an Frauen
Valentinstag ist Streiktag gegen Gewalt an Frauen Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Um gegen Gewalt an Frauen zu sensibilisieren, müsse das Thema auch Inhalt von verschiedensten Ausbildungen und Studiengängen sein, erklärt Franca Ziborowius aus der Frauenberatungsstelle. Sie zählt auf: Polizist:innen, Jurist:innen, Ärzt:innen, Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen und viele mehr – sie alle müssen geschult sein: „auch wenn es manchmal nur darum geht, einen Flyer zu reichen“. „Man kann eigentlich davon ausgehen, dass wir Alle von Gewalt Betroffene kennen und dementsprechend auch Täter“, so Ziborowius.

Das Thema gehe nicht nur Frauen an, fügt Martina Breuer hinzu: „Ich finde es total wichtig, dass sich auch Männer für das Thema interessieren und sich solidarisieren.“ Konkret heißt das: Wachsam sein – als Nachbar, Kollege oder Freund. Seit 2013 gibt es zudem den alljährlichen globalen Streik „One Billion Rising“ am 14. Februar, der sich für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen einsetzt.

Mehr Informationen:

Falls Sie betroffen sein sollten oder Betroffene kennen, finden sie unter den folgenden Telefonnummern Hilfe:

 

  • Die Aktion „One Billion Rising“ thematisiert die Gewalt gegen Frauen. Alle Infos zur Initiative in Deutschland unter onebillionrising.de
  • Zur kriminalstatistischen Auswertung des BKA zu Partnerschaftsgewalt gibt es hier detaillierte Informationen.

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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