Erinnerung an die Morde in Bittermark und Rombergpark: Ernst Söder ist in Gedanken dabei, Ulrich Sander ist vor Ort

Ernst Söder auf der Gedenkveranstaltung am Mahnmal in der Bittermark 2019.

An Karfreitag ist es das zweite Mal innerhalb von 65 Jahren, dass Ernst Söder nicht an der Gedenkfeier für die im März 1945 in der Bittermark und im Rombergpark ermordeten Frauen und Männer teilnehmen kann: 1960 nahm er über Ostern an einer Gruppenfahrt zum Konzentrationslager Auschwitz teil, 2020 sind es behördliche Verbote angesichts einer Pandemie, die diese stets gut besuchte Veranstaltung untersagen.

Ein Leben für die Völkerverständigung und die Menschenrechte – weltweit

Ernst Söder, langjähriger Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache und nach dem Zusammenschluss mit dem Internationalen Rombergpark-Komitee weiter in dieser Position bis zur letzten Vorstandswahl Anfang des Jahres, erinnert sich auf andere Weise: „Ich lese das Buch ,Mörderisches Finale‘ und gucke mir im Internet das Video an, das die Botschafter der Erinnerung am Freitag um 15 Uhr zeigen werden.“

Ernst Söders biografische Daten können Seiten füllen und haben das auch: In seinem Buch „Es gibt für alles eine Zeit“ schreibt er seine Geschichte und die der Stadt, die der Politik und die der Völkerverständigung.

Egal ob als Lehrling bei der Stadt oder als Sachbearbeiter im Lastenausgleichsamt, ob als DGB-Kreisvorsitzender oder als Kommunalpolitiker, ob als Vereinsvorsitzender oder Vorstandsmitglied – der heute 81-Jährige hat sich stets für Demokratie, Menschenrechte, Gleichberechtigung und Toleranz eingesetzt, und das weltweit.

Als Ehrenvorsitzender ist Ernst Söders Meinung immer gefragt

Ernst Söder (links) und Norbert Schilff, sein Nachfolger als Vorsitzender. Foto: Verein
Ernst Söder (links) und Norbert Schilff, sein Nachfolger als Vorsitzender. Foto: Verein

Als 1955 die Stadt zur ersten Gedenkfeier für die Ermordeten in der Bittermark einlud, stand Ernst Söder mit vielen anderen auf der Wiese vor dem damaligen Mahnmal.

Auch in den vier folgenden Jahren, als das Ehrenmal bereits in Bau war, gedachte er der Frauen und Männer. Am Karfreitag 1960 wurde das vom Bildhauer Professor Karel Niestrath und dem Architekten Will Schwarz geschaffene Ehrenmal offiziell eingeweiht und Söder, 21 Jahre alt, erinnerte sich am selben Tag an all die Toten in Auschwitz.

Und das tut er auch heute. Es ist nach 20 Jahren der erste Karfreitag, an dem er nicht mehr Vorsitzender des Fördervereins Steinwache ist. „Mit 80, so war mein Ziel, gebe ich alle Funktionen ab.“ So ganz klappt das wohl nicht. Als Ehrenvorsitzender des Vereins, sein Nachfolger ist Norbert Schilff, will man gerne hören, wie er über viele Angelegenheiten denkt.

Buchvorstellung von „Mörderisches Finale“ wegen Corona-Ansteckungsgefahr abgesagt

Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA. Archivbild 2017: Klaus Hartmann.

Das Buch, das Ernst Söder heute liest, hat Ulrich Sander geschrieben. „Mörderisches Finale“ ist der Titel und sollte in diesen Tagen während verschiedener Termine vorgestellt werden. Damit ist nun nichts.

Diese neue Auflage des Buches – es erschien bereits vor gut zehn Jahren unter derselben Überschrift – enthält weitere Berichte über die Morde an Antifaschist*innen und Widerstandskämpfer*innen, KZ-Insass*innen und Zwangsarbeiter*innen kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs.

Herausgegeben hat das Buch das Internationale Rombergpark-Komitee/Förderverein Gedenkstätte Dortmunder Steinwache zusammen mit der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Bund der Antifaschisten). Kein Wunder also, dass Ernst Söder zusammen mit Ulrich Sander, dem Bundessprecher der VVN, das Vorwort geschrieben hat. Sander sitzt zudem im Vorstand des Fördervereins Steinwache.

Neuauflage des Buches erinnert an weitere Morde kurz vor Kriegsende

Neben den schon lange bekannten und erinnerten Morden in Dortmund, Solingen und Penzberg beschreibt das Buch weitere Orte, an denen die geschichtliche Aufarbeitung begann. Hatten sich bis zum ersten Erscheinen des Werkes hauptsächlich Verbände mit den Taten befasst, interessierten sich nun auch Historiker*innen für das Geschehen in den Monaten März und April 1945. Das 228 Seiten umfassende Buch ist im PapyRossa Verlag erschienen und kostet zehn Euro plus Versand.

Ulrich Sander: „Es ist auch wichtig, Dinge sichtbar zu machen und sich zu äußern“

Denkmal für die Opfer der Karfreitagsmorde. Foto: Roland Klecker

Ulrich Sander, gebürtiger Hamburger, lebt seit 1968 in Dortmund, arbeitete als Redakteur bei elan, Unsere Zeit und im Pressebüro gegen Rassismus. Seitdem 1968 ist er jedes Jahr am Karfreitag in der Bittermark gewesen.

An Karfreitag wird es nicht anders sein. Mit seiner Frau und entsprechendem Abstand zu Freund*innen will er den Weg zum Ehrenmal gehen. „Es ist auch wichtig, Dinge sichtbar zu machen und sich zu äußern.“

Den Kranz, den Förderverein/Rombergpark-Komitee ablegen werden, hat die Firma, die den Kranz der Stadt Dortmund zum Ehrenmal bringt, dann schon längst an Ort und Stelle gebracht.

 

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Reaktionen

  1. Stadt Dortmund (Pressemitteilung)

    Karfreitagsgedenken: Oberbürgermeister Ullrich Sierau legt Kranz am Mahnmal in der Bittermark nieder

    Am heutigen Karfreitag hat Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau einen Kranz am Mahnmal in der Bittermark niedergelegt, um jener Menschen zu gedenken, die noch in den letzten Wochen und Tagen vor Ende des Zweiten Weltkriegs dem nationalsozialistischen Terror in der Bittermark, im Rombergpark und in Hörde zum Opfer gefallen sind. Begleitet wurde der Oberbürgermeister von Dr. Stefan Mühlhofer, Direktor des Stadtarchivs und in seiner Funktion als Vorsitzender der Regionalen Arbeitsgemeinschaft „Gegen das Vergessen – Für Demokratie e.V.“ ein Bindeglied zur Zivilgesellschaft.

    Seit April 1960 findet das Karfreitagsgedenken am Mahnmal in der Bittermark statt. Seitdem kommen jährlich nicht nur Dortmunderinnen und Dortmunder, sondern auch zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland zu dieser Gedenkfeier zusammen und geben ein beeindruckendes Zeichen für eine lebendige Erinnerungskultur.

    Vor der Hintergrund der Corona-Situation in diesem Jahr ist eine öffentliche Veranstaltung nicht möglich. „Trotzdem wollen wir auch an diesem Karfreitag innehalten, um an jene Menschen zu erinnern, die im Jahr 1945 kurz vor Kriegsende ermordeten wurden“, so OB Ullrich Sierau. Über 300 Frauen und Männer – Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Widerstandskämpfer – Menschen aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Polen, dem ehemaligen Jugoslawien, der damaligen Sowjetunion und Deutschland wurden auf grausame Weise umgebracht. „Diese Verbrechen und den sinnlosen Tod dieser Menschen können wir nicht ungeschehen machen“, so Sierau. „Aber wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie nicht vergessen werden und sich diese Verbrechen nicht wiederholen. Auch in den schwierigen aktuellen Zeiten wollen wir die Erinnerung wachhalten. Sie ist ein Zeichen unseres Respekts gegenüber den Ermordeten und ihren Hinterbliebenen.“

    Das Karfreitagsgedenken ist auch in diesen Tagen kein rückwärtsgewandtes Ritual, sondern fester Bestandteil der Dortmunder Erinnerungskultur. Über Jahrzehnte wurde die Veranstaltung von Gisa Marschefski, Ernst Söder und Wolfgang Asshoff gestaltet. Über 25 Jahre war Wolfgang Asshoff Beauftragter des Rates für die Bittermark und pflegte den Kontakt zur französischen Vereinigung der ehemaligen Zwangs- und Arbeitsdeportierten. Viele Jahre waren die Vorsitzenden des Verbandes der Zwangs- und Arbeitsdeportierten zu Gast bei der Gedenkfeier – zuletzt mehrere Jahre Madame Nicole Godard.

    Die Arbeit der Aussöhnung und Versöhnung zwischen den Völkern führt nun Gabriele Herdemertens in Wolfgang Asshoffs Nachfolge fort.

    Ausdruck der lebendigen Erinnerungsarbeit und des Widerstands gegen neo-nazistische Umtriebe ist auch der „Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf“, der Karfreitag in der Bittermark endet und der mit den Naturfreunden Dortmund-Kreuzviertel, dem Fan-Projekt Dortmund, dem BVB-Fanclub Heinrich Czerkus, Borussia Dortmund und dem Förderverein Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee ein breites Fundament hat.

    So wird dafür Sorge getragen, dass die unfassbaren Verbrechen der Nazizeit nicht vergessen werden. „Zur Erinnerungskultur unserer Stadt gehören neben verschiedenen Gedenktagen wie zur Befreiung von Auschwitz, dem Antikriegstag oder der Erinnerung an die Pogromnacht ebenso die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache wie auch die Stolpersteine, die im gesamten Stadtgebiet verteilt sind“, so Ullrich Sierau. „Auch das begehbare Mahnmal für die ausgebeuteten Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, das auf der Kulturinsel Phoenix-See entsteht, wird die Erinnerung an das dunkle Kapitel unserer Geschichte wachhalten.“

    Oberbürgermeister Ullrich Sierau hebt zudem die Arbeit der Botschafter und Botschafterinnen der Erinnerung hervor, die seit einigen Jahren das Karfreitagsgedenken in der Bittermarkt mitgestalten. „Die Jugendlichen stehen für die Demokratie und für Dortmund als eine Stadt der Vielfalt und des Respekts“, so Sierau. „Sie leisten einen wichtigen Beitrag gegen alle Bestrebungen des rechten Randes, die Gesellschaft zu spalten. Dieses nimmermüde Engagement findet in diesem Jahr seinen Ausdruck in einer digitalen Erinnerungsarbeit für Frieden, Freiheit und die Menschenrechte. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.“

    Sierau weiter: „Als bunte und weltoffene Stadt lassen Dortmund und seine Bürgerinnen und Bürger in ihrem Einsatz für Vielfalt und gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus nicht nach. Heute erinnern wir uns allein, im kleinen Kreis oder digital an die in der Bittermark Ermordeten. Eventuell lässt sich ein gemeinsames öffentliches Gedenken schon am Antikriegstag am 1. September durchführen.“

    Redaktionshinweis:
    Inhalte und aktuelle Videos zum Karfreitagsgedenken finden Sie von den Botschaftern der Erinnerung unter:

    http://www.facebook.com/BotschafterInnenDerErinnerung/

    http://www.youtube.com/channel/UCiyFV4jf7gSAgmQFnaONgqw

    von der Stadt Dortmund unter http://www.bittermark.dortmund.de

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