Einfach da sein, wo urplötzlich ein Abgrund ist: Ehrenamtliche Notfallseelsorge in Dortmund sucht Verstärkung

Einfach da sein ... Münz und Heise Notfallseelsorge
Einfach da sein: auch das gehört dazu – Hendrik Münz und Nicole Heise bei einer Einsatzbesprechung. Hinter den Daten verbirgt sich Not. Foto (2): Stephan Schütze

Es gibt viele Möglichkeiten, sich in seiner Freizeit ehrenamtlich einzusetzen. Sie alle setzen Zeit und persönliches Engagement voraus, aber nicht jedes Ehrenamt erfordert gleichermaßen Empathie und Mut. Wer in der Ökumenischen Notfallseelsorge mitmacht, braucht beides. Aber er bekommt auch eine fundierte Ausbildung, bevor es zu den Einsätzen geht. Der nächste Kurs startet im Februar. Interessent*innen können sich jetzt melden.

Aktiv werden, wenn Menschen plötzlich in eine persönliche Katastrophe schlittern

Nicole Heise ist schon seit zwölf Jahren dabei. Die 37-jährige Lehrerin ist einst durch ein Seminar im Studium auf die Notfallseelsorge aufmerksam gemacht worden. Ein Professor an der Dortmunder TU hatte über „Psychologische Erste Hilfe“ gesprochen. „Das hat mich damals angefixt“, sagt die junge Frau. Sie nahm Kontakt zur Ökumenischen Notfallseelsorge in Dortmund auf und 2008 an deren 5. Ausbildungsgang teil. ___STEADY_PAYWALL___

Seitdem ist Nicole Heise bei der Dortmunder Notfallseelsorge geblieben. Mittlerweile gehört sie zu deren fünfköpfigem Leitungsteam, das sich aus haupt- und ehrenamtlichen Mitgliedern aus evangelischer und katholischer Kirche zusammensetzt.

Die Frauen und Männer der Ökumenischen Notfallseelsorge werden aktiv, wenn unvorhergesehene Ereignisse Menschen in akute seelische Not versetzen. Wenn ein naher Angehöriger bei einem Unfall zu Tode gekommen ist, wenn Großereignisse wie ein Brand oder ein Anschlag Menschen in Angst versetzen oder wenn ein naher Verwandter sich aus Verzweiflung das Leben genommen hat.

Dann erleiden betroffene Menschen einen Schock – sie blicken plötzlich an einen Abgrund, ohne je gefragt worden zu sein. Ihr Leben steht von jetzt auf gleich auf dem Kopf: was geschieht, geschah, es ist unbegreiflich.

Ein Mitglied des Notfallseelsorge-Teams befindet sich jederzeit in Rufbereitschaft

Einfach da sein ... Münz und Heise Notfallseelsorge
Nicole Heise, Lehrerin, seit zwölf Jahren engagiert in der Notfallseelsorge.

In solchen Situationen kommt das Team der Notfallseelsorge zum Einsatz. Ein Mitglied des Teams ist jederzeit in Rufbereitschaft. Wenn ein Notruf eingeht, fährt es gemeinsam mit Polizei und Feuerwehr zum Ort des Ereignisses. „Hier geht es meist vor allem darum, zuzuhören und da zu sein“, berichtet Hendrik Münz. Ein evangelische Pfarrer leitet die Notfallseelsorge.

Die neunmonatige Ausbildung, die neue Ehrenamtliche durchlaufen, verschafft ihnen die erforderlichen Kompetenzen dazu. In 100 Stunden, zweiwöchentlich Montagabends, gelegentlich auch mal ganztägig an einem Samstag, bekommen die künftigen Notfallseelsorger*innen ihr psychologisches und mentales Rüstzeug.

Es gehe vor allem um die notwendige Haltung, die künftige Mitarbeitende an den Tag legen müssten, sagt Hendrik Münz. „Man muss Interesse an Menschen haben und bereit sein zur Selbstreflektion“, so der Pfarrer. Notfallseelsorger*innen sollen „aktives Zuhören“ lernen. Oft äußern Betroffene in der Notsituation Botschaften, ohne sie auszusprechen. Sie reagieren wenig rational, manchmal müsse man aushalten können, einfach lange miteinander zu schweigen, weist er auf die Dimension der Herausforderung hin.

Fehlen entscheidende Faktoren wie Empathie und Selbstreflektion: Ausbildung macht keinen Sinn.

Die anspruchsvollsten Einsätze, da sind sich Hendrik Münz und Nicole Heise einig, sind die Besuche in der eigenen Häuslichkeit von Betroffenen. Wenn die Polizei zum Beispiel eine Todesnachricht überbringt. Dann ist ein Mitglied aus dem Seelsorgeteam dabei und versucht, die erste Verzweiflung aufzufangen. Seine Aufgabe ist allein die Begleitung in den ersten Stunden. Danach übernehmen gegebenenfalls Fachleute aus anderen Hilfseinrichtungen die Betreuung oder Angehörige können im privaten Umfeld zur Seite stehen.

Nie hinterlassen die Notfallseelsorger*innen ihre eigenen Kontaktdaten. Und selbstverständlich gehört auch Verschwiegenheit zu den Eigenschaften, die es beim Einsatz braucht. „Man muss auch Sachen für sich behalten können“, beschreibt Pfarrer Münz eine wichtige Voraussetzung.

Damit es während oder nach der Ausbildung möglichst wenig Enttäuschungen gibt, führen Hendrik Münz und Mitglieder des Leitungsteams Vorabgespräche mit Anwärter*innen. „Wir haben auch schon erlebt, dass es überhaupt nicht passt“, berichtet der Leiter der Notfallseelsorge. Wenn entscheidende Faktoren wie Empathie und Selbstreflektion schon im Ansatz fehlten, mache eine Ausbildung keinen Sinn. Dann würde Bewerber*innen höflich aber bestimmt abgesagt.

Bei einem eingehenden Notruf: da ist auch nach vielen Jahren noch immer Herzrasen

Notfall: Erstbetreuung, psychologisch oder seelsorgerisch, kann wichtig sein. Foto: Leopold Achilles

Viermal in einem Quartal sollte ein ehrenamtliches Mitglied des Seelsorge-Teams einen 12-stündige Bereitschaftsdienst übernehmen.

Nicole Heise macht das in der Regel an einem Wochenende. Mit dem Telefon in Reichweite putzt sie ihr Haus oder verrichtet andere alltägliche Dinge. Wenn ein Notruf kommt, habe sie auch nach so vielen Jahren noch immer Herzrasen, sagt sie. Dann zieht sie die lilafarbene Einsatzjacke an, die sie als Notfallseelsorgerin kenntlich macht, und fährt los.

Manchen Einsatz nimmt sie anschließend gedanklich mit nach Hause. Ihr Mann legt großen Wert darauf, in ihre Erlebniswelt einbezogen zu werden, erzählt sie. Fachlich aufarbeiten kann sie ihre Einsätze in einer Fallberatung, die das Team mehrmals im Jahr in Anspruch nehmen kann. Auch Supervision ist für die Notfallseelsorgenden im Einzelfall möglich.

Weil mehr Einsätze: Team braucht Verstärkung

Aus- und Fortbildung und Begleitung haben in Dortmund eine hohe Qualität. Und auch die zwischenmenschliche Seite kommt nicht zu kurz in dem bunten Team aus Frauen und Männern unterschiedlichen Alters und verschiedenster Berufe. Man trifft sich auch mal außerhalb des Dienstes, zu Festen oder – kürzlich in der Corona-Zeit – in einem virtuellen Biergarten.

Das alles lässt Nicole Heise gerne dabeibleiben. Vor allem aber sieht sie immer wieder den Sinn in ihren Einsätzen. „Ich bin sicher, es hat einen hohen Wert, dass wir für die Menschen da sind“, ist sie überzeugt.

Und das Team braucht Verstärkung. Denn die Anzahl der Einsätze steigt. Seit Beginn dieses Jahres wurde Notfallseelsorge schon rund 150-mal vor Ort gerufen – so oft, wie nie zuvor. Einen großen Teil der Einsätze haben hauptamtlich tätige Pfarrer*innen abgedeckt. Auch sie sind zu Notfalldiensten verpflichtet. Aber Hendrik Münz hofft auf weitere ehrenamtliche Interessierte, wenn Anfang nächsten Jahres der neue Ausbildungskurs startet.

Voraussetzung: Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft

Voraussetzung für eine Teilnahme ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche. Und auch muslimische Frauen und Männer können bei der ökumenischen Notfallseelsorge mitwirken. Entscheidend ist die Bereitschaft, sich zu öffnen – für andere und sich selbst.

Weitere Informationen:

  • Der nächste Ausbildungskurs startet im Februar 2021. Wer Interesse hat, ehrenamtlich mitzuwirken, kann sich wenden an: Ökumenische Notfallseelsorge Dortmund, Pfr. Hendrik Münz, Zentrum für Seelsorge und Beratung, Klosterstr. 16, 44135 Dortmund, Tel.: 02 31/ 84 94 – 4 97, hendrik.muenz@ekkdo.de

 

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Reaktionen

  1. mt

    „Voraussetzung für eine Teilnahme ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche. Und auch muslimische Frauen und Männer können bei der ökumenischen Notfallseelsorge mitwirken.“

    Tja, schade, dass bei so einem wichtigen Thema offenbar mal wieder kein Blick über den kirchlichen Tellerrand denkbar ist. Es dürfte genug Konfessionslose mit Empathie geben, die so eine Aufgabe sicher prima bewältigen könnten…

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