Fabian Scheidler in der Auslandsgesellschaft: „Das Ende der Megamaschine – Geschichte einer scheiternden Zivilisation“

Während einer SPD-Wahlkampf-Veranstaltung mit Martin Schulz in Dortmund protestierten Aktivisten gegen das Freihandelsabkommen TTIP.
Proteste gegen das Freihandelsabkommen TTIP – ein Hoffnungsschimmer für Fabian Scheidler. Foto: Alex Völkel

Von Claus Stille

Fabian Scheidlers „Das Ende der Megamaschine – Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ geht nur ein Jahr nach seinem Erscheinen bereits in die 7. Auflage. Jetzt konnte das Publikum in der Auslandsgesellschaft NRW den erfolgreichen Autor „live“ erleben.

Ungleichheit, Umweltzerstörung und planetarer Crash

scheidler_megamaschine_384_web_neu-eb0e80fc„Warum schreitet die ökologische Zerstörung des Planeten trotz unzähliger Klimagipfel ungebremst voran? Warum hungern mehr Menschen als je zuvor auf der Erde, obwohl noch nie so ungeheure Reichtümer angehäuft wurden wie heute? Warum er­weisen sich die globalen Eliten als un­fähig, die Richtung zu ändern, obwohl ihr Kurs in einen planetaren Crash führt?“

Das sind Leitfragen, denen Scheidler im Buch nachgeht. Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen zählte sein Buch von zu den TOP10 der Zukunftsliteratur im Jahr 2015.

Grund genug, für die Attac Regionalgruppe Dortmund, den DGB, den Nachdenktreff sowie die Arbeitsgruppe ′Globalisierung konkret′ der Auslandsgesellschaft, ihn einzulaen. Der Abend wurde von Till Strucksberg (Attac) moderiert.

Blick zurück hilft  die Probleme des Heute klarer zu verstehen

Fabian Scheidler machte im Vortrag deutlich, auf welche Weise er im Buch die Wurzeln der Zerstörungskräfte freigelegt hat, die heute die menschliche Zu­kunft infrage stellen.

Dafür ging er auf seiner Spuren­suche fünf Jahrtausende zurück. Um seinen ZuhörerInnen und LeserInnen – zumeist nahezu erschlagen von den unzähligen Problemen heutzutage – vor Augen zu führen, welches die Triebkräfte dafür sind.

Das Buch erklärt die Ursprünge ökonomischer, mi­litärischer und ideologischer Macht. Der Autor zeichnet darin die Vorgeschichte und Entwicklung des modernen Weltsystems nach. Und wie Mensch und Natur zunehmend einer radikalen Aus­beutung unterworfen wurden.

Fortschrittsmythen der westlicher Zi­vilisation werden demontiert. Mit Scheidler wird den ZuhörerInnen klarer, wie der Mechanismus einer anscheinend schier endlosen Geldvermehrung von Anfang an – bis hin zur letzten Finanzkrise 2008 – stets menschliche Gesellschaften und Ökosysteme verwüstet hat.

Fabian Scheidler hat für sein Buch akribisch recherchiert, was in seinem Vortrag in Dortmund zum Ausdruck kam. Das  Buch dürfte also seine, angesichts des Chaos unzähliger, aktuell aufbrechender, sich verdichtender Krisen, verwirrten Leser zu einer Klarsicht verhelfen, zum Nachdenken und womöglich sogar zu eigenem Handeln bewegen.

Scheidler: Kein Subsystem kann in einem größeren System unbegrenzt wachsen

Autor Fabian Scheidler
Autor Fabian Scheidler. Foto: Claus Stille

Seit 30 Jahren, befand Fabinan Scheidler, bewegten wir uns in einer Schuldenökonomie. Und die nehme zu, da das kapitalistische System nun einmal auf endlosem Wachstum, endloser Expansion beruhe.

Es beschädige sich selbst dabei, damit es am Laufen gehalten werden könne. Wohin das führe habe die Finanzkrise 2008 gezeigt. Und eine neue Krise sei wohl offenbar im Anzug. Der Internationale Währungsform habe bereits Alarm geschlagen.

Die Ökonomen wüssten nicht wie damit umzugehen sei. Scheidler: „Es herrscht eine bemerkenswerte Ratlosigkeit.“ Das laufe  unter dem Codenamen „säkulare Stagnation“. Wir befänden uns in einer ökonomischen, sozialen und ökologischen Krise.

Dennoch träte das schon oft prognostizierte Ende des Kapitalismus nicht ein, „da das System extrem adaptiv ist“.  Scheidler merkte jedoch an: „Die ökologischen Grenzen sind letztlich die definitiven. Kein Subsystem kann in einem größeren System unbegrenzt wachsen.“

Der Autor erinnerte daran, dass es auch schon einmal anders zuging: Den Großteil seiner Geschichte habe der Mensch durchaus in Systemen verbracht, die nicht auf Konkurrenz sondern auf Gegenseitigkeit beruhten.

Fabian Scheidlers „Megamaschine“ ist das Synonym für den Kapitalismus

Aber wie entstand dieses „nun offenbar nicht mehr lernfähige System“?  Der Kapitalismus ist für Fabian Scheidler die „Megamaschine“.

Deren Vorgeschichte sieht er in Mesopotamien beginnen. Dazu gehörten das Aufkommen von physischer Macht und Gewalt. Die ersten größeren Heere kamen auf. Dies wiederum stand im Zusammenhang mit der Konzentration von ökonomischer Macht und zunehmender Landprivatisierung.

Was im Römischen Reich kulminierte: Sechs Menschen besaßen die Hälfte des gesamten Landes der Provinz Afrika. „Wir sehen auch viele Parallelen zu der Geschichte in der Antike und der Moderne.“

Einhergehend sei das gewesen mit der Entstehung des Geldes (Münzen) und das damit im Zusammenhang stehende Aufkommen des Militärs (Zahlen von Sold).

Der „Metallurgische Komplex“ aus Waffen, Geld und Macht

Eine große Rolle auf den Weg in die „Megamaschine“ spielt, wie es Scheidler nennt, der „Metallurgische Komplex“ (Waffen, Geld = Macht!) .

Der Begriff „Megamaschine“ gehe auf den Philosophen und Soziologen Lewis Mumford zurück, der das Buch „Der Mythos der Maschine“ (er behandelte darin Formen gesellschaftlicher Organisation) geschrieben hat.

Fabian Scheidler meint aber mit „Megamaschine“ das kapitalistische – aber freilich aus Menschen bestehende -, nicht ohne starkes Militär denkbar und aufrecht zu erhaltende Weltsystem.

Die zentrale Frage lautet: Wie aussteigen aus der Megamaschine?

Till Strucksberg und Fabian Scheidler beim Vortrag in der Auslandsgesellschaft.
Till Strucksberg und Fabian Scheidler beim Vortrag in der Auslandsgesellschaft. Foto: Claus Stille

„Welche Perspektiven gibt es“, fragte Till Strucksberg. Wie wäre ein Ausstieg aus dieser „Megamaschine“ möglich? „Die Versuche auszusteigen sind so alt wie diese Maschine selbst“, so Scheidler.

Er erinnerte an die egalitären Bewegungen, die französische Revolution, die Pariser Commune und die vielen Revolutionen des 20. Jahrhunderts: „Es ist alles mögliche erreicht worden.“ Obgleich es nie gelungen sei – nicht einmal in der Sowjetunion – ganz aus dieser (Akkumulations-)Maschine auszusteigen.

Dennoch gäben soziale Bewegungen Hoffnung: Gewerkschaften, demokratische Rechte und Freiheiten seien – nicht selten blutig und opferreich – erkämpft worden, aber „in gewisser Weise relative Freiheiten blieben“.

Echte Demokratie im Sinne von Selbstorganisation und Selbstbestimmung jedoch sei mit dieser Maschine nicht vereinbar.

Mehr über den Ausstieg aus der Megamaschine reden

Hoffnungsvoll hinsichtlich dessen, dass eine andere Welt möglich ist (nach dem Attac-Slogan) hätten zunächst das globalisierungskritische Netzwerk Attac und das Weltsozialforum, später die Occupy-Bewegung in den USA und die 15M-Bewegung in Spanien (daraus entstand die Partei Podemos) in die Zukunft blicken lassen.

Aktuell täte es in Frankreich die Aktion Nuit Debout (Wir bleiben die Nacht auf). Auch die europaweite Bewegung gegen TTIP mache Mut. Selbst wenn damit gerechnet werden müsse, dass manches wieder einschlafe.

„Wir müssen mehr über den Ausstieg aus der Megamaschine reden“, so Scheidler.  Die sozialen Kämpfe würden durch die Verschärfung von Kriegen wohl auch wieder härter werden“, fürchtet der Autor.

Erbitterter Widerstand der Profiteure ist gegen einen Systemwechsel zu erwarten

Auch ATTAC beteiligte sich am Aktionstag gegen TTIP/CETA. Fotos: Alex Völkel
Die ATTAC-Gruppen engagieren sich gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Foto: Alex Völkel

Dementsprechend größer dürfte auch der Widerstand dagegen. Denn die Hauptprofiteure dieser „Megamaschine“ dürften diesem Ausstieg nicht kampflos hinnehmen. Das Aufkommen autoritärer Regierungen und das geplante sogenannte Freihandelsabkommen TTIP – träte es in Kraft – trügen zur Verschärfung der momentanen Probleme zu.

Es werde versucht, erkämpfte Rechte im Verlauf eines beängstigend auf Touren gekommenen Rollbacks wieder zurückzudrehen.

Nicht zuletzt sei das Erzählen von Geschichte – und Fabian Scheidlers Buch tut das – sehr wichtig. Und der Autor gibt in Dortmund zu bedenken: Wie lange habe es doch allein gedauert das Wahlrecht für alle zu erkämpfen! Was habe das nicht an Geduld gefordert. Vielen sei das doch heute gar nicht mehr bewusst.

Scharfe Kritik an den Mainstream-Medien und ihrer Konzentration

Diese Geduld müsse neben dem Kampfeswillen auch heute ihren Platz haben. Es gelte eben auch den Mainstreammedien etwas entgegenzusetzen. Was aber gerade in Deutschland den Kampf eines David gegen Goliath bedeute.

Scheidler sprach in diesem Sinne die Situation im Ruhrgebiet und Dortmund im Besonderen an, wo die Funke-Gruppe inzwischen prominent nahezu den gesamten Zeitungsmarkt beherrsche. Von wegen Meinungsvielfalt! Und überhaupt: „Sieben oder acht Milliardärsfamilien gehören fast alle Zeitungen in Deutschland!“

Die ausgebeuteten Menschen dieser Welt zusammenbringen

Und im Zuge seiner Antworten auf viele kluge Fragen aus dem Publikum an diesem Abend riet Buchautor Fabian Scheidler die ausgebeuteten Menschen dieser Welt zusammenzubringen.

Beispielsweise die Arbeiter in den Koltanminen des Kongo und die prekär bezahlten und was den Arbeitsaufwand angeht gestressten Menschen in unseren Krankenhäusern.

Alternative Medien könnten dabei eine Hilfe sein. Was man in Spanien bei Podemos gesehen habe. Die Partei hab einen eignen Fernsehkanal und damit hunderttausende von Menschen erreicht.

Scheidler hat schon vor Jahren zusammen mit Kollegen David Goesmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext – TV gegründet. Weil es ihnen darauf ankam, Dinge in einen Zusammenhang zu stellen. Das täten nämlich die etablierten Medien kaum noch.

Zu Person:

  • Fabian Scheidler, geboren 1968, studierte Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin und Theaterregie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/M.
  • Seit 2001 arbeitet er als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen, Theater und Oper. 2009 gründete er mit David Goeßmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV, das regelmäßig Sendungen zu Fragen globaler Gerechtigkeit produziert.
  • Zahlreiche Vorträge zu Globalisierungsthemen bei Kongressen von Attac, Deutsche Welle, Greenpeace, Evangelische Akademie u. a. Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus (2009).
  • Programmkoordinator für das Attac-Bankentribunal in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (2010).
  • Als Dramaturg und Theaterautor arbeitete er viele Jahre für das Berliner Grips Theater.
  • 2013 wurde seine Oper „Tod eines Bankers“ (Musik: Andreas Kersting) am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz uraufgeführt.

Weitere Informationen:

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