Die Interaktion von Kunst und Natur in der Galerie im Depot: Susanne Beringer macht Bienen zu Künstlerinnen

Seit mehreren Jahren betätigt sich die passionierte Künstlerin Susanne Beringer als Imkerin. Mit der Zeit lernte sie immer mehr über die Bienen, bis ihr die Idee kam, ihre Leidenschaft und ihr Hobby miteinander zu verbinden.

Man könnte Susanne Beringer selbst als emsige Biene bezeichnen. Ihre künstlerische Arbeit zeichnet sich vor allem durch ihre Liebe zur Natur aus. Mit sensiblen Antennen nimmt sie ihre Umwelt und Mitmenschen wahr und transportiert deren besondere Merkmale, Momente und Wesenszüge in ihre künstlerische Arbeit. Unter dem Titel „in prozess“ stellt die 54-jährige Landschaftsmalereien, Portraits und Wachsobjekte aus. Das Besondere: bei ihr werden Bienenvölker selbst zu Künstler*innen.

„Wir haben die Verpflichtung, uns zu öffnen und Menschen in Not zu helfen.“

Doch Beringer möchte die Ausstellung auch nutzen, um Stellung zu beziehen. Und so macht sie künstlerisch auf die untragbare Situation tausender Flüchtlinge auf den griechischen Inseln aufmerksam. Die Vernissage zur Ausstellung findet morgen Abend, 5. März 2020, um 19 Uhr in der Galerie im Depot in der Nordstadt statt. Der Eintritt ist frei.

Awa’s Porträt auf einer Europakarte.

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„Das ist mir ein ganz besonderes Anliegen. Die Kunst trägt hier eine Verantwortung“, so Susanne Beringer. Es werde in Zeiten, da sich in Europa Nationalismus und Populismus, Rassismus und Menschenverachtung wieder in immer zunehmenden Ausmaßen verfestigen und verbreiten würden, die Pflicht eines jeden Einzelnen, Stellung zu beziehen und klare Positionen zu vertreten.

Durch ihre Arbeit im Flüchtlingsprojekt „angekommen in Deiner Stadt Dortmund, weiß die gebürtige Soesterin, wovon sie redet, ist sie doch ständig mit den unterschiedlichen, oft dramatischen Schicksalen von Flüchtlingen konfrontiert. So findet sich in der Ausstellung auch eine Porträt-Reihe, die Awa zeigt, eine junge Afrikanerin, die sich im Alter von 14 Jahren allein, ohne Begleitung ihrer Eltern oder anderer Bezugspersonen zu Fuß auf den Weg nach Deutschland machte. Heute ist Awa 18 Jahre alt.

„Das muss man sich mal vorstellen“, so Beringer fassungslos. „Wir in der EU sind auf der sicheren Seite und leben in absolutem Wohlstand. Unsere Probleme sind größtenteils Luxusprobleme. Es ist unsere Verpflichtung, uns zu öffnen und Menschen in Not zu helfen und bei uns aufzunehmen“, bezieht sie klar Stellung.

Porträt-Reihe über 14-jährige Afrikanerin, die sich zu Fuß auf den ungewissen Weg nach Europa machte

Porträts von Awa, die mit 14 Jahren ohne Begleitung aus ihrer Heimat Richtung Europa flüchtete.

Man solle sich doch stets selber fragen: Was treibt einen Menschen zur Flucht? Dahinter würden krasse Einzelschicksale stecken, vor allem, wenn es sich um alleinstehende jugendliche Flüchtlinge handele.

Wenn man selbst Kinder habe, rührten einen solche Schicksale nochmal ganz anders an. Durch ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe, wo sie Kunstunterricht in Berufsschulklassen mit Schüler*innen im Alter von 16 bis 25 Jahren gibt, möchte sie vor allem den Schwächsten, den unbegleiteten Jugendlichen helfen.

„Kunstunterricht ist eigentlich nur ein kleiner Teil dessen, was wir in den Projekten unternehmen. Es geht darum, die jungen Menschen in Kontakt zu bringen, sowohl untereinander als vor allem auch mit Einheimischen und der deutschen Kultur. Sie sollen bei uns soziale Umgangsformen kennenlernen, damit sie im Alltag besser klar kommen können.“

Sie und ihre Künstlerin-Kollegin Birgit Brinkmann-Grempel, mit der sie sich die Flüchtlingsarbeit teilt, wollen die Kids dazu animieren, eigeninitiativ ihr Leben in die Hand zu nehmen, Rückschläge und schlechte Erfahrungen zu verarbeiten. Die Kunst sei hier lediglich das Mittel zum Zweck, um die jungen, oftmals traumatisierten Menschen dazu zu bringen, sich zu öffnen.

Engagement in der Flüchtlingshilfe ist den Künstlerinnen ein Herzensanliegen

„Wir wollen ihnen Halt und Mut mit auf den Weg geben“, so die beiden Künstlerinnen einhellig. Beringer könne die Überfremdungsängste der Menschen beim Thema Migration zwar verstehen, aber diese seien doch völlig unbegründet.

Heute sei das zivilgesellschaftliche Engagement jeder einzelnen Person gefragt, um sich für diese Menschen stark zu machen und gegen Ressentiments und Vorurteile anzukämpfen. Aus diesem Grund habe sie sich relativ kurzfristig dazu entschieden, auch ein politisches Statement in die Ausstellung zu integrieren. 

Die Porträt-Reihe von Awa ist komplett mit dem Kugelschreiber gezeichnet. Eine Zeichnung kann schonmal um die fünf Stunden Arbeit in Anspruch nehmen und verzeiht keine Fehler. Korrekturen sind mit dem Kugelschreiber nicht möglich. Neben Awa werden auch weitere Portraits zu sehen sein.

Es handelt sich hierbei immer um Menschen, die Beringer auch tatsächlich kennengelernt hat und die einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen haben. Der Künstlerin ist der Bezug zu den Personen oder Objekten, mit denen sie arbeitet sehr wichtig. Nur so wahren die Arbeiten die nötige Authentizität. 

„in prozess“ – von gesellschaftlichen, politischen und natürlichen Prozessen getrieben

„Die Begegnung mit Menschen, deren Lebensgeschichten, Schicksale und Kulturen sind ein weiterer Fundus für Susanne Beringer“, schrieb die Kunsthistorikerin Dr. Sabine Weicherding über sie.

Landschaftsmalerei „stürmische Zeiten“.

„Mit feinem Gespür für Einzelheiten und Details erforscht sie verborgene Facetten jenseits der oberflächlichen Schönheit einer Person. Sie erfasst das Spezifische in ihrem Gegenüber….“

Auf diese Weise gelinge es ihr, in ihren Porträts auf subtile Art und Weise innere Realitäten sichtbar werden zu lassen. Wie bereits erwähnt, sind die Portraits nur ein Teil der Ausstellung.

Der Titel „in prozess“ bezieht sich einerseits auf die künstlerische Arbeit an sich, die sich in einem immer fortwährenden Prozess des Denkens und Schaffens manifestiert, andererseits auf den stetigen Wandel der Natur, in dem bestimmte Prozesse Veränderungen hervorrufen, und die der Mensch zunehmend (meist leider negativ) beeinflusst.

Darüber hinaus geht es der Künstlerin um gesellschaftliche und politische Prozesse, die uns alle betreffen und beeinflussen. Zudem kann die Existenz von Mensch und Natur an sich als ein stetiger Prozess des Lebens und Sterbens, des Schaffens und Zerstörens, des Wachstums und Verfalls betrachtet werden. Solche Gedanken bilden die Grundlage für Beringers Arbeit. Dies wird besonders imposant deutlich an den ausgestellten Wachsobjekten.

Interaktion von Kunst und Natur: „Bienen sind die perfekten Baumeister.“

Durch ihren Vater entdeckte Susanne Beringer ihre Leidenschaft für die Imkerei. Seit mehreren Jahren ist sie selber als Bienenzüchterin aktiv. Die Idee, die Bienen selber zu Künstlerinnen zu machen, kam ihr im Zuge der Auseinandersetzung mit dem gravierenden Rückgang der Populationen weltweit.

Hier haben die Bienen eine Engelsfigur bearbeitet.

Um das Artensterben zu symbolisieren, wählte sie als erstes Objekt ein Kreuz, welches sie kurzerhand in den Bienenstock hing und die emsigen Insekten dann einfach mal machen ließ.

Natürlich hatte sie sich vorher der Methodik etwas angenähert und auch Rückschläge hinnehmen müssen. So sei bei einem der ersten Versuche mit Papier im Bienenstock nicht viel mehr übrig geblieben als zerschredderte Fetzen. Von insgesamt vier Völkern, um die sie sich kümmere, lasse sich nur eines wirklich auf die Objekte ein. Im Laufe der Zeit hat Beringer viel über die Tiere gelernt.

So konnte sie beispielsweise feststellen, dass die Insekten runde Objekte lieber mögen als eckige. Auch ihre eigenen Wachsgebilde weisen kaum Ecken, dafür umso mehr Rundungen auf. Es kommt auch vor, dass die Tiere ein Objekt einfach nicht annehmen. Manchmal dauere es bis zu vier Wochen, bevor die Tiere sich mit dem Fremdobjekt arrangiert hätten und es in ihren Bau integrieren würden. Im besten Fall entsteht eine Interaktion zwischen dem natürlichen Vorgang des Nestbaus und der künstlerischen Arbeit Beringers.

Arbeit mit den Bienen erfordert viel Fingerspitzengefühl

Frauenkörper-Wachsobjekt mit dem Titel „Queen I“.

Die Tiere beginnen dann um die Objekte herum, ihre Waben aufzubauen. Wenn das Objekt am Ende entfernt wird, hat man so quasi eine Kopie aus Bienenwachs, die innen natürlich hohl ist.

Eine Arbeit, die viel Geduld und behutsamen Umgang mit den Bienen erfordert und die aufgrund der Tiere nur saisonal stattfinden kann, denn im Winter halten diese zwar keinen Winterschlaf, reduzieren jedoch ihre Aktivitäten.

„Ende März, Anfang April geht’s dann so richtig los“, so die passionierte Imkerin. „Mittlerweile höre ich schon am Summen, wie die Tiere drauf sind. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass ich sie einfach in Ruhe lasse.

Grundsätzlich ist es sehr wichtig, wie man sich den Tieren nähert. Die Bienen haben empfindliche Antennen und merken, wenn ich beispielsweise gestresst bin.“ Außerdem würden die Tiere sensibel auf Duftstoffe wie Parfüm reagieren.

In ihrer Arbeit wird auch deutlich, wie sich Prozesse gegenseitig beeinflussen können. Der Rückgang der Bienenpopulationen hat Einfluss auf Umwelt, Mensch und Tier. Etwa ein Drittel unserer Nahrung ist von der Bestäubung der Bienen und anderer Insekten abhängig. Beringer greift auch solche Synergien in ihren Werken auf.

Landschaftsmalereien als sensitive Erfahrungen

So vereint sie auch ihre unterschiedlichen Stile. Indem sie ein von den Bienen geformtes Wachsobjekt mit einer Malerei kombiniert, auf der Vögel zu sehen sind, macht sie deutlich, dass das zunehmende Insektensterben wieder neue Prozesse in Gang setzt und so die Vögel zum Beispiel weniger Nahrung finden.

Es werden auch Kombinationen aus Zeichnung, Malerei und Wachsobjekten präsentiert.

Hinzu kommt, dass die fragilen Bienengebilde die Zerbrechlichkeit der Ökosysteme, des Lebens und des Seins reflektieren. Neben diesen Kombinationen der unterschiedlichen künstlerischen Techniken, sind eine Reihe von Landschaftsmalereien in der Ausstellung zu sehen.

Beringers Intention ist hierbei nicht die Abbildhaftigkeit der jeweiligen Lokalität darzustellen, sondern die Atmosphäre des Moments einzufangen. So erscheinen sie abstrahiert, als Stimmungsträger an der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. „Beringers Landschaftsmalereien bilden keine konkreten Orte ab, sondern spiegeln die feinen Nuancen einer Landschaft wider, ihr Licht, ihren Duft…“, so Kunsthistorikerin Weicherding.

Sie demonstrieren eindrucksvoll die Ehrfurcht der Künstlerin vor der Natur. Zu ihrem Gemälde „Stürmische Zeiten“ wurde sie inspiriert, als sie hautnah einen Sturm miterlebte, bei dem in ihrer unmittelbaren Nähe sogar Bäume entwurzelt wurden. „Das hat mich umgehauen, diese Energie der Naturgewalt, die plötzlich einfach so da ist“, so Beringer.

Mehr Informationen:

  • Die Ausstellung „in prozess“ von Susanne Beringer ist vom 6. bis zum 22. März in der Galerie im Depot, Immermannstraße 29, in der Nordstadt zu sehen.
  • Die Öffnungszeiten sind donnerstags und freitags von 17 bis 20 Uhr und samstags und sonntags 15 bis 18 Uhr.
  • Der Eintritt ist kostenfrei.
  • www.susanneberinger.de
  • www.depotdortmund.de
  • www.an-ge-kommen.de

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