
Der „Pride Month“ Juni hat begonnen und bringt das Queer Festival im Schauspiel Dortmund in seine fünfte Runde. Unter dem diesjährigen Motto „Family & Friends“ stehen queere Zugehörigkeiten und Beziehungen im Vordergrund. Dabei macht ein vielschichtiges Programm, das sich ab Donnerstag (19. Juni 2025) über drei Tage erstreckt, queere Perspektiven sichtbar.
Diverses Programm macht queere Perspektiven sichtbar und zugänglich
Ob Workshops, Konzerte, DJ Sets, Comedy Show oder ein Ballroom: Das diesjährige Queer Festival bietet ein vielfältiges Programm, das über drei Tage hinweg unterschiedliche Formate und Vernetzungsmöglichkeiten bietet. Es umfasst neben Bühnenperformances auch niedrigschwellige Angebote wie Mitmach-Workshops, Diskussionsrunden und einen Community Space, der als offener Begegnungsort dient.

Besonders, weil das Festival zum fünften Mal in Folge stattfindet, sind Künstler:innen aus den vergangenen Jahren eingeladen. „Eine Mischung aus Alt und Neu“, erklärt Jasco Viefhues, Dramaturg am Schauspiel Dortmund, der im Planungsteam des Festivals mitwirkt.
Denn „in diesen fünf Jahren haben sich enge künstlerische Verbindungen entwickelt. Viele Besucher:innen kehren regelmäßig zurück, sodass das Festival zu einem festen Bestandteil unseres Hauses geworden ist und neue Möglichkeiten für die kommenden Jahre eröffnet.“
Ein Großteil der Programmpunkte ist kostenfrei gestaltet, um möglichst viele Menschen anzusprechen und Barrieren abzubauen. Dazu gehören auch Angebote mit Gebärdensprachdolmetschung, Zugangshilfen für Menschen mit Behinderungen sowie Räume für Rückzug und Vernetzung. So soll ein inklusives Umfeld geschaffen werden, in dem queere Communities zusammenkommen und sich austauschen können, wie Viefhues erläutert.
Wahlfamilien prägen die Lebensrealitäten vieler queerer Menschen
Das diesjährige Motto „Family and Friends“ hat eine besondere Bedeutung, erklärt Jasco Viefhues. Es bezieht sich nicht nur auf die klassische Kleinfamilie, die oft als Vorzeigebild der gesellschaftlichen Ordnung verstanden wird.

„Viele queere Menschen verlassen ihre Stammfamilie, um eine neue, alternative Familie zu finden“, sagt Viefhues – die sogenannten „Chosen Families“, also Wahlfamilien, die nicht auf biologischer Verwandtschaft basieren, sondern sich aus unterstützenden Beziehungen und emotionaler Verbundenheit herausgebildet haben.
In queeren Biografien entstehen daher häufig ganz andere familiäre Strukturen. Dazu zählen Freundschaften, polyamore Beziehungen oder Familien mit mehreren Elternteilen. Diese Vielfalt bringt auch neue Herausforderungen mit sich, etwa in Kindertagesstätten oder für Familien mit zwei Vätern. „Da ergeben sich ganz andere Möglichkeiten, aber auch Probleme.“ Genau diese unterschiedlichen Formen von Zugehörigkeit und Unterstützung bringt somit das Motto mit.
Die Gründerin vom BLENDHAUS* wirkt erstmals als Kuratorin beim Festival mit
Erstmals als Kuratorin beteiligt ist Scherwin Hosseini, Gründerin vom BLENDHAUS*, einem kreativen Co-Creation- und Coworking-Space, der insbesondere marginalisierten Gruppen Sichtbarkeit und Arbeitsräume bietet. Ihre Erfahrung, Orte für Begegnung zu schaffen, setzt sie jetzt auch im Queer Festival um. Vor allem im Community Space: Dieser umfasst mehrere Bereiche im Schauspiel Dortmund, darunter den Vorplatz, das Foyer und das Rangfoyer, und dient als offener Begegnungsort mit verschiedenen Programmpunkten.

„Es ist ein Ort des Zusammenkommens, aber auch des Rückzugs“, erklärt Hosseini. Besucher:innen können dort an Konzerten, DJ-Sets und Workshops teilnehmen, sich in einer Liebesbrief-Werkstatt kreativ betätigen oder an der Glitzerstation auf den Ballroom vorbereiten.
Es gibt zudem Ruhezonen mit Schlafmasken und Ohrenstöpseln für Menschen, die sich zurückziehen wollen. Die Angebote sollen unterschiedliche Bedürfnisse sichtbar machen und Räume schaffen, in denen queere Menschen sich begegnen, vernetzen oder einfach zur Ruhe kommen können.
Ein Bestandteil dieses Raums ist auch der von Hosseini initiierte BLEND BAZAR, der bereits beim feministischen Thementag auf positive Resonanz stieß. „Unsere Leute und die vom Schauspielhaus haben sehr gut zusammengearbeitet, und die Besucher:innen haben super zueinander gepasst. Das hat mich motiviert, den Bazar auch fürs Queer Festival anzudenken“, berichtet sie. Der BLEND BAZAR bietet den Künstler:innen eine Plattform, um ihre Werke zu präsentieren und zu verkaufen. Ergänzt wird das Angebot durch das Cute Community Set mit weiteren Auftritten queerer Künstler:innen.
Künstlerische Beiträge erzählen von queeren Lebensrealitäten
Besonders aus der Sicht eines Dramaturgen ist für Viefhues die sorgfältige Kuratierung des Festivals ein zentraler Punkt. „Einige Programmpunkte liegen mir besonders am Herzen“, sagt er. „Unter anderem zeigen wir „Schwindel”, eine Inszenierung von Shari Asha Crosson, die ich als Dramaturg begleitet habe.“

Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Roman von Hengameh Yaghoobifarah und erzählt von vier queeren Menschen in polyamorösen Verstrickungen, die sich mit ihren Beziehungen, Konflikten und Sehnsüchten auseinandersetzen. Für Viefhues stand schnell fest, das Stück in das Festivalprogramm aufzunehmen.
Auch die Verbindung von queerer Gegenwart mit historischen Perspektiven ist ihm wichtig: „Ich freue mich sehr, dass Tarek Shukrallah mit seinem großartigen Buch zu Gast sein wird. Es geht um Bewegungsgeschichten von BIPoC in Deutschland – also darum, dass wir nicht die Ersten sind, sondern in den Fußstapfen vieler vor uns gehen.“
Die Balance zwischen schwere Themen und Leichtigkeit
Wichtig bei solch einer Veranstaltung ist dabei die Balance zwischen politischen- bzw. aufklärerischen Inhalten und Unterhaltung. „Wir sitzen zusammen und machen Brainstorming“, beschreibt Viefhues den Prozess, „wir schauen, welche gesellschaftlichen Diskurse gerade relevant sind, aber auch welche welche Künstler:innen sich für das Festival eignen.“

So fiel unter anderem auch die Entscheidung, Tito Bone erneut einzuladen. Der Künstler verbindet Humor und Leichtigkeit nicht nur mit Drag und Comedy, sondern auch persönliche Herausforderungen thematisiert, erläutert Viefhues.
Auch aus Hosseinis Sicht ist es wichtig, „dass Schwere und Leichtigkeit nebeneinander existieren können. Das Festival soll nicht nur belehrend sein, sondern auch Raum für Humor, Kitsch und Spaß bieten, sodass Besucher:innen sowohl lernen als auch entspannen können.“
Festival als Statement gegen zunehmenden Anfeindungen
Angesichts der angespannten gesellschaftlichen Lage und der zum Teil feindlichen Stimmung gegenüber der queeren Community war Sicherheit bei der Planung des Festivals ein wichtiges Thema. Auch in diesem Jahr ist ein Awareness- und Security-Team vor Ort. „In Dortmund muss man damit rechnen, dass es auch mal zu Störungen kommen kann, wie etwa bei vergangenen CSD-Demos”, so Viefhues.

„Doch gerade deshalb ist es umso wichtiger, sichtbar zu sein und gemeinsam resilient zu bleiben.“ Für ihn ist das Festival nicht nur ein Raum für Feiern und Community, sondern auch ein politisches Statement gegen Anfeindungen und Ausgrenzung.
„Das Schauspiel Dortmund als Teil einer großen Kulturinstitution bietet dafür den idealen Rahmen. Hier können wir Geschichte erzählen, Diskurse führen und zugleich mit Spaß, Glitzer und Tanz die Vielfalt feiern.“
Auch Hosseini blickt mit Freude und Dankbarkeit auf das Festival: „Es macht riesigen Spaß, dass es dieses Festival gibt, das sich immer wieder neu erfindet, dabei aber seinen Charakter bewahrt.“
Viefhues ergänzt, wie wichtig ihm ist, dass das Festival Menschen erreicht, die in Dortmund bislang wenig queere Angebote hatten. „Dass es ein solches Happening gibt, an dem viel draußen und kostenlos stattfindet, ist etwas Besonderes. Und dass eine große Kulturinstitution das möglich macht, ist wirklich großartig.“
Weitere Informationen:
- Das komplette Programm ist online verfügbar unter: https://www.theaterdo.de/schauspiel/festivals/queer-festival/
- Tickets für die Veranstaltungen mit Verkauf sind im Kundencenter (Platz der Alten Synagoge), online unter www.theaterdo.de sowie telefonisch unter 0231/50-27222 erhältlich.
- Am Mittwoch, den 17. Juni 2025, beginnt für Interessierte bereits ein inoffizielles Soft Opening am Dortmunder U, begleitet von DJ-Musik.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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