Renate Breß war Spielerin in der ersten Frauen-Nationalmannschaft

Das Archiv des deutschen Frauenfußballs liegt in Kisten in der Dortmunder Nordstadt

Hunderte Zeitungsartikel und Eintrittskarten, Programmzettel, Ansichtskarten und Fotos hat Renate Breß gesammelt. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Von Susanne Schulte

Das Deutsche Fußballmuseum steht in der Innenstadt, das Archiv des deutschen Frauenfußballs liegt in Kisten und Schubladen zuhause bei Renate Breß in der Nordstadt. Die 85-Jährige spielte als linke Verteidigerin nicht nur in Dortmunds erstem Frauenfußballverein Fortuna Dortmund 55, sondern zwei Jahre später auf diesem Posten auch in der ersten Nationalmannschaft, deren Stamm die Dortmunderinnen waren. „Der Herr Floritz aus München hat uns gemanagt und später einen weiteren Frauenfußballverband gegründet und die Nationalmannschaft zusammengestellt.“

Renate Breß (85) erinnert sich gerne. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Auf die Zahl der Länderspiele, bei denen Renate Breß, damals hieß sie noch Müller mit Familiennamen, auf den Plätzen lief, können viele, viele Nationalspieler:innen neidisch sein: an die 140 sind es gewesen. Und das, obwohl der Frauenfußball in den 1950er und 1960er Jahren von männlichen Vereinen verpönt war, vom DFB sogar verboten. Doch die Zuschauer:innen kamen – auf die städtischen Plätze, denn die Vereine ließen auf Druck der Verbände keine Frauen auf ihre Rasen und Asche. In der Spitze waren es 16.000 Menschen auf den Tribünen. Sie sahen meistens Siege des Teams aus Deutschland.

Renate Breß sammelte Fotos und Zeitungsberichte aus zehn Jahren

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Nachzulesen ist das alles in den Alben und Ordnern, in die Renate Breß hunderte Zeitungsartikel und Eintrittskarten, Programmzettel, Ansichtskarten und Fotos sowohl aus den zehn Anfangsjahren des Frauenfußballs geklebt hat, als auch aus späteren Zeiten, als man sich nach den Erfolgen der nun erlaubten Frauennationalelf an diese Anfangsjahre erinnerte. „Ich kann nichts wegwerfen“, sagt sie. Das ist ein Segen, für all die, die sich erinnern wollen.

Erinnern daran, dass man die Sportlerinnen „überall weggejagd“ hat, „auch aus dem Hoeschpark“, dass die Fortuna-Frauen dann in Villigst einen Trainingsplatz gefunden hatten, dass nach den ersten Spielen gegen Mannschaften aus Krefeld, Essen und Oberhausen Josef Floritz in Ermanglung von Ligaspielen auf die Idee mit der Nationalmannschaft kam.

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Über Josef Floritz weiß Renate Breß nicht allzu viel. Damit ist sie nicht alleine. Auch dessen ehemaliger Verein, Borussia Neunkirchen, suchte vor gut zehn Jahren über die Saarbrücker Zeitung Informationen über den Mann, der wohl einst Trainer in Neunkirchen gewesen sein soll. Doch heute ist über ihn im Netz nicht mehr zu finden als damals. Wie auch immer: Die Dortmunderinnen kamen mit ihm in Kontakt, „das war wohl in Ulm gewesen“, meint Breß, und waren ab da etwa einmal im Monat vor allem in Süddeutschland unterwegs.

Spielerinnen aus Nürnberg wie Helga Faul und aus München wie Gitta Lettl komplettierten die Nationalmannschaft, die meistens gegen ein Team aus Holland antrat, aber auch gegen Engländerinnen, Belgierinnen und Österreicherinnen. In Süddeutschland, also in Bayern und Baden-Württemberg, waren die Funktionäre offener gegenüber dem Damenfußball als ihre Kollegen im Westdeutschen Fußballverband und so berichteten die örtlichen Lokalzeitung aus Würzburg und Ingoldstadt, aus Nürtigen und Stuttgart ausführlich über die Spiele.

Schlagzeile aus den 1950er Jahren: „Kopfball von Dauerwelle zu Dauerwelle“

Foto: Leopold Achilles Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Was dort geschrieben stand, klebt nun in Renate Breß´ Alben und Ordner. „Sehr solide die deutsche Verteidigung mit dem großen Laufpensum absolvierende ,Dickerle` Eisleben und Renate Müller, die in die gegnerischen Angriffsaktionen hineinfuhr, daß die Zöpfe flogen“, schreibt die Lokalzeitung aus Geislingen am 19. Juli 1959 über ein Länderspiel gegen die Holländerinnen.

Die Zöpfe, auch Rattenschwänze genannt, waren damals Renate Breß` Haartracht während der Spiele. Überschriften wie „Pferdeschwanz und Schnittlauchlocke bombten die Tore“ wie „Kopfball von Dauerwelle zu Dauerwelle“ wurden genauso gedruckt wie „Bestes Spiel seit Bern“. Über mangelnde Aufmerksamkeit mussten sich die Frauen nicht beklagen.

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Der Frauenfußball war in diesen Jahren ein Tournee-Sport. Oft zwei Spiele an den Wochenenden organisierte Josef Floritz, damit sich die lange Anreise in den Süden lohnte. „Um 11 Uhr mussten wir immer bei Anne Droste vor der Tür stehen“, sagte Renate Breß.

Anne Droste ist genauso wie Breß (damals Müller) und Marlies Marohn, Brunhilde Bittner (damals Zawatzky) und Ulla Kleff eine der Spielerinnen vom Borsigplatz, wo die Geschichte von Fortuna Dortmund 55 ihren Anfang nahm. Geld fürs Spielen, Prämien für Siege wurden nicht gezahlt. „Wir haben zehn Mark Spesen bekommen, damit wir an den Raststätten etwas zu trinken kaufen konnten.“

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Meist fuhren die Frauen im Bus zum Spiel. Da die Spielberichte in den Zeitungen erst erschienen, wenn alle am Montag wieder auf der Arbeit waren, bat Renate Breß immer einen Zuschauer, ihr die Ausschnitte zuzuschicken. Das hat geklappt. „Nachdem wir in Lörrach gespielt haben, das ist ja an der Schweizer Grenze, schickte mir ein Mann mit dem Artikel auch eine Tafel Schweizer Schokolade.“ Ihre Wohnadresse gab die Nordstädterin aber nicht preis: „Immer nur postlagernd.“

Willy Witthoff ließ die Fußballerinnen ihre Trikots abstottern

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Einige der gesammelten Berichte kann Renate Breß nicht lesen: die aus Frankreich und die aus Italien. Aber an die Reise nach Italien denkt sie gerne. Mehr als eine Woche waren sie da unterwegs, spielten in Brescia und in Mailand. In Mailand im Stadion San Siro. Aber nicht gegen Italienerinnen. Die waren damals Fußball spielend noch nicht in der Öffentlichkeit zu sehen.

Da es keine Gage gab für die Sportlerinnen, und auch keine Sponsor:innen, freuten sich die Frauen schon, dass Willy Witthof, Inhaber des Sportgeschäfts auf der Hansastraße, sie die Trikots abstottern ließ – mit zwei Mark im Monat. Ein Trikot hängt nicht mehr im Schrank der ehemaligen Fußballerin, aber unversehens hat Renate Breß ihre letzten Fußballschuhe in der Hand. Und zwei Dankeschöns vom Frauenfußballverband – ein sehr zierliches Portemonnaie und eine genauso feminine Armbanduhr.

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1965, nach dem Tod von Josef Floritz, gingen die Frauen vom Fußballplatz. Sie waren seit dem ersten Länderspiel knapp zehn Jahre älter geworden, von sportlichem Nachwuchs war weit und breit nichts zu sehen. Renate Breß, die bei der Druckerei Crüwell arbeitete, übernahm später einen Kiosk neben der Westfalenhütte, später dann die Hüttenschenke an der Dürener Straße und von 1974 bis 1989 bewirtete sie mit ihrem Mann im Haus Hoffmann die Gäste.

Jahre später, als der DFB sich mit Frauenfußball angefreundet hatte, die Spielerinnen aus Deutschland Weltmeisterinnen wurden, waren die Dortmunderinnen als Pionierinnen des Frauenfußballs überall gefragt. So ist der Name von Christa Kleinhans in der „Hall of Fame“ im Fußballmuseum zu lesen und der Spielerinnenpass von Renate Breß liegt dort in einer Vitrine.

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Reaktionen

  1. Lisa

    Es freut mich immer über die Anfänge des Damenfußballs zu lesen.
    Renate ist meine Oma, aber ich habe erst relativ spät realisiert was es eigentlich hieß zu den Zeiten Fussball zu spielen.
    Ich bin so froh das sie trotz allem immer das getan haben was ihnen den größten Spaß bereitet

  2. Erzählcafé und Sprechstunde des Seniorenbeirats Innenstadt-Nord mit Renate Bress, Fußball-Nationalspielerin der ersten Stunde (PM)

    Der Seniorenbeirat Innenstadt-Nord lädt ein zum nächsten Erzählcafé am Donnerstag, den 21. März 2024 von 14.00 bis 16.00 Uhr im Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstraße 50-58, Raum 204. Hören Sie gerne Geschichten aus Ihrer Jugend oder dem Stadtteil, oder möchten Sie aus Ihrem Leben, über Ihre Erfahrungen, Erinnerungen oder auch über aktuelle Ereignisse erzählen? Dann ist das Erzählcafé genau das Richtige!

    Am 21. März begrüßen wir als Gast Renate Bress, die über ihre Zeit als Spielerin in der ersten deutschen Frauen-Fußballnationalmannschaft in den 60er Jahren berichten wird. Wie immer bleibt auch noch genug Zeit zum Austausch und Klönen.

    Vor dem Erzählcafé haben Franz-Josef Ingenmey und Susanne Schulte, Mitglieder des Seniorenbeirats, von 13.00 bis 14.00 Uhr in der Sprechstunde ein offenes Ohr für alle Interessierten.

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