Arche Noah 2.0 – verlassen alle das sinkende Kirchenschiff? „Für uns ist das nichts Neues“ sagt die Ev. Kirche

Schwere Zeiten für die Institution Kirche. Angesichts der anhaltenden Welle von Austritten müssen sich die Gemeinden neue Wege überlegen, die Menschen zu erreichen. Foto: Pexels

 

Von Gina Thiel

Es ist die Rede von der Flucht aus der Kirche, ausgebuchten Austrittsterminen beim Amtsgericht und dem letzten Sargnagel für die Institution. Alles ausgelöst durch ein lange unter Verschluss gehaltenes Gutachten zum Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Missbrauchsvorwürfen in Köln. Befeuert wurde die Debatte um einen Kirchenaustritte zusätzlich durch die neusten Äußerungen von Papst Franziskus. Er lehnt die eheliche Segnung homosexueller Paare durch die katholische Kirche ab. Zwischenzeitlich meldete das Amtsgericht Köln einen vorübergehenden Serverausfall bei den Terminbuchungen – der Grund: Überlastung des Systems. Doch ist der Hype um den Kirchenaustritt tatsächlich so groß wie berichtet wird oder nimmt die Stadt Köln aufgrund der Berichterstattung rund um das Erzbistum Köln eine Sonderstellung ein?

Zahlen der Veränderung: Kirchenaustritte gibt es nicht erst seit 2020 und Rainer Maria Woelki

Der Trend zum Kirchenausstieg sei generell keine völlig neue Erscheinung. Wolfgang Scharenberg vom evangelischen Kirchenkreis Dortmund spricht von der „Fortführung eines Prozesses, der schon länger läuft – auch vor Corona“. Seit einigen Jahren müssen sich verschiedene Gemeinden verkleinern und auch die Kirchen sehen schon seit längerer Zeit einem Abwärtstrend an Mitgliederzahlen entgegen.

Erster Gottesdienst in Kirchen nach der Corona-Pause. Foto: Stephan Schütze / Archiv

Ein Vergleich zeigt, wo 1999 noch 220.422 Dortmunder*innen Mitglied der evangelischen Kirche waren, schrumpfte die Anzahl an Mitgliedern bis 2018 um 36,2 Prozent auf 161.826. Bei der katholische Kirche war der Mitgliederschwund in den letzten 19 Jahren nicht so stark zu beobachten. Während sie 1999 noch 183.800 Mitglieder zählte schrumpfte auch diese Zahl bis 2018 um 19,7 Prozent auf nur noch 153.506 Mitglieder.

Das Dortmunder Amtsgericht kann einen erhöhten Anstieg bei der Terminvergabe für den Kirchenaustritt nicht bestätigen. Im Jahr 2020 haben insgesamt 2.834 Menschen die Kirche verlassen, 1.662 davon waren Katholiken. Man könne aber rückblickend auf die letzten Jahre eine steigende Tendenz bei den Kirchenaustritten beobachten. Im Jahr 2021 sind bisher 435 Menschen (Stand. 10.03.2021) aus der Kirche ausgetreten.

Auch hier ist kein besonderer Anstieg der Zahlen zu erkennen. Die relativ langen Terminwartezeiten seien eher der aktuellen Pandemielage geschuldet, so Michael Tebbe vom Amtsgericht Dortmund. Derzeit vergibt das Amtsgericht Termine im Rhythmus von 30 Minuten, zuvor waren die Termine alle zehn Minuten getaktet. Das sorgt dementsprechend für eine Verknappung der Termine und damit verbunden ansteigenden Wartezeiten. Die Gründe liegen in Dortmund anders als in der Stadt Köln also nicht an einem erhöhten oder gar explosiven Anstieg der Kirchenaustrittsanfragen.

Jahre der Veränderung: evangelische und katholische Kirchen läuten Veränderung ein – schon länger

Im Erzbistum Paderborn rechnet man für die Jahre bis 2030 mit einer drastischen Veränderung. Die katholische Kirche blickt in eine Zukunft, in der sie eine gesellschaftliche Minderheit darstellen wird. Auch finanziell wird sich das auf die Institution auswirken. Mit diesem düsteren Zukunftsszenario habe man sich längst abgefunden, so Thomas Throenle, stellvertretender Pressesprecher des Erzbistum Paderborn.

Gottesdienst-Katholische-Kirche-Groß-Pfarrei-Heilige-Dreikönige. Archivfoto

Seit 2014 geht das Erzbistum Paderborn, dem auch die katholischen Kirchen in Dortmund unterstellt sind, den „Diözesaner Weg 2030“ und richtet ihre Aufgaben an den zukünftigen, neuen Gegebenheiten aus. Ziel sei es, die Menschen zu erreichen, attraktiv für neue und alte Zielgruppen zu sein und Menschen zum Glauben einzuladen. Auch der „Synodale Weg der Kirche in Deutschland“ setzt sich mit Zukunftsfragen auseinander und versucht Antworten und einen Umgang mit der veränderten Situation zu finden.

Beide, der „Synodale Weg“ für Gesamt-Deutschland und der „Diözesaner Weg 2030“ für das Erzbistum Paderborn, können als Modernisierungsbewegungen innerhalb der katholischen Kirche betrachtet werden – oder zumindest als Anpassungsbewegung an die neue Stellung der Kirche.

Es gibt aber nicht nur Ausstiege aus der katholischen Kirche, sondern auch Wiedereinstiege. Im Erzbistum Paderborn waren das für 2019 insgesamt 280. Ein (Wieder-)Eintritt in die Kirche ist meist mit langen und intensiven Vorgesprächen verbunden. Menschen vertrauen sich mit lebensentscheidenden Problemen Seelsorger*innen der katholischen Kirche an und finden so manchmal ihren Weg (zurück) zur Kirche. Besonders im Alter ist diese Entwicklung zu beobachten oder nach gesundheitlichen Tiefschlägen.

Ev. Kirche versucht, offener zu werden: „Wir wollen den Menschen nichts aufdrängen…“ (Friedrich Laker)

Pfarrer Friedrich Laker freut sich über die 7. Ausgabe des Halleluyeah-Festivals - Foto Leonie Krzistetzko
Pfarrer Friedrich Laker. Archivbild: Leonie Krzistetzko

Offen aber zurückhaltend ist das Motto der evangelischen Lydia-Gemeinde in Dortmund. Pfarrer Friedrich Laker veranstaltet seit 2004 regelmäßig offene Veranstaltungen in seiner Gemeinde, um Menschen den Glauben und die evangelische Kirche näher zu bringen.

Wichtig sei ihm dabei Offenheit gegenüber allen Menschen „wir wollen den Menschen nichts aufdrängen, weil es keinen Sinn ergibt die Menschen zu bedrängen und von oben herab sie zu belehren“, betont er.

Auch er beobachtet seit Jahren eine schrumpfende Mitgliederzahl in den evangelischen Gemeinden. Dass sich in den letzten Monaten die Lage verschärft habe, könne auch er nicht bestätigen. Öffnen, auf Menschen zugehen und überraschen, damit möchte Laker zukünftig Menschen begeistern. Wichtig sei zu zeigen, Kirche sei kein altes verstaubtes Modell.

Reaktion auf die wachsende Kirchendistanz muss die Öffnung sein

Die Reaktion auf die wachsende Kirchendistanz müsse die Öffnung sein, gegenüber allen Menschen aber auch gegenüber anderen Kirchengemeinden. So arbeitet die Lydia-Gemeinde seit einigen Jahren auch mit verschiedenen katholischen Gemeinden zusammen und führt gemeinsame Veranstaltungen durch.

Ausklang des Abends der Begegnung mit Segen zur Nacht. Foto: Evangelischer Kirchenkreis

Mit Blick auf die Zukunft, sei ein näher Zusammenrücken innerhalb der Gemeinden nicht vermeidbar: „Wir werden kleiner werden und das ist uns auch klar, das gehört zur neuen Situation der Kirche dazu“, sagt Laker. Auch räumlich müssen sich die Gemeinden künftig verkleinern und ihre Gemeinderäume mit anderen teilen.

Allein aus finanzieller Sicht, sagt Laker, könne man Gebäude nicht mehr allein unterhalten. Mit philosophischen Abenden, die sich auch an Nicht-Gläubige richten und modernen Konzertveranstaltungen will Laker mit seiner Gemeinde die Kirche auch unabhängig vom eigentlichen Glauben und der jeweiligen Konfession zugänglich machen. „Wir wollen raus aus der Blase in der sich Kirche früher oft befunden hat, wo man wenig Kontakt zu Außenstehenden hat“, sagt er.

Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. Auch der evangelische Kirchenkreis Dortmund zeigt sich offen. Digitalisierung ist hier das Stichwort. Über Whatsapp-Gruppen und Digitalveranstaltungen versucht man Menschen zu erreichen, die sonst nicht den Weg in die Kirche finden, sagt Wolfram Scharenberg vom evangelischen Kirchenkreis Dortmund. Aber auch die Unterstützung verschiedener lokaler Veranstaltungen wie „Dortbunt“ ist Teil der Modernisierungs- und Öffnungsstrategie.

Gründe für den Austritt sind völlig unterschiedlich gelagert

Auf die Frage, warum immer mehr Menschen die Kirche verlassen nennt Scharenberg verschiedene Gründe. In den meisten Fällen habe schon lange Zeit eine Entfremdung stattgefunden und man habe sich der Kirche nicht verbunden gefühlt, aber auch steuerliche Gründe und aktuelle Geschehnisse sind häufige Gründe.

Obwohl die aktuellen Skandale die katholische Kirche betreffen, betont er: „Auch die evangelische Kirche muss sich mit solchen Problemen auseinandersetzen. Ist nicht so, dass wir sagen dürfen, das geht uns alles nichts an. Wir müssen da auch selbstkritisch sein“.

Ob die katholische und evangelische Kirche in Zeiten der Krisen enger zusammenrücken? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Der Versuch ist da, in einigen Gemeinden scheint es zu funktionieren. In anderen scheint die Kluft der Jahrhunderte weiterhin unüberwindbar.

 

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Reaktionen

  1. Carsten Klink

    Pfaffen, die sich weigern gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, könnten doch stattdessen lieber das Zeitliche segnen.

    Ob die Aktivitäten der beiden großen Kirchen tatsächlich den Mitgliederschwund reduzieren können, kann getrost bezweifelt werden. Münster und Dortmund waren jeweils in den Jahren in denen sich diese beiden religiösen Gesellschaften ihre Kirchentage großzügig in Millionenhöhe von der öffentlichen Hand haben subventionieren lassen, die Spitzenreiter bei den Kirchenaustritten.

    „Die katholische Kirche blickt in eine Zukunft, in der sie eine gesellschaftliche Minderheit darstellen wird. Auch finanziell wird sich das auf die Institution auswirken. Mit diesem düsteren Zukunftsszenario habe man sich längst abgefunden.“

    Da kommen einem ja die Tränen. Das Vermögen des Erzbistums Paderborn betrug zum 25. Oktober 2016 4,16 Milliarden Euro; das Erzbistum Köln verfügt über 3,35 Milliarden Euro, das Bistum Limburg über 1,001 Milliarden Euro. Zum 31. Dezember 2017 betrug das Vermögen der Erzdiözese München und Freising 5,96 Milliarden Euro. Zur Erklärung: Eine Milliarde besteht aus 1.000 Millionen. Das über Jahrhunderte ergaunerte Vermögen der Kirche wird vermutlich auch noch für weiteren 2000 Jahre Desinformation reichen.

    Im ersten Augenblick mag man ja die Kirchenaustritte begrüßen. Aber letztlich verlassen die fortschrittlichen und liberalen Menschen diese Institutionen. Es bleiben die Hardcore-Konservativen, die dann über diese mit dem geschilderten immensen Reichtum ausgestatteten Organisationen verfügen. Der Kulturkampf Bismarcks müsste eigentlich konsequent vollendet werden. Ein Anfang wäre das Ende der jährlichen Staatsleistungen, das schon in der Weimarer Verfassung vor über 100 Jahren festgeschrieben wurde. Nach Recherche der Humanistischen Union betrugen diese allein im Jahr 2019 rund 569 Millionen Euro.

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