Gerd Kolbe über die historische Karriere einer eindrucksvollen Sportarena

Am 1. April 1924 wurde der erste Spatenstich für die Kampfbahn „Rote Erde“ in Dortmund gesetzt

Massenfreiübungen der Arbeitersportler zur zweiten Eröffnung der Kampfbahn „Rote Erde“ am 13. Juni 1926. Eine Woche zuvor war die Arena bereits durch die bürgerlichen Sportvereine eröffnet worden. Arbeitersport und bürgerliche Vereine trennten damals politische Welten. Foto: Archiv Kolbe

Ein Gastbeitrag von Gerd Kolbe

1914, also kurz vor dem Ersten Weltkrieg, kam ein junger, gerade einmal 33-jähriger Städteplaner und Architekt nach Dortmund, um hier in der aufstrebenden Großstadt ein neues Betätigungsfeld zu finden. Sein Name: Hans Strobel, 1889 in Weiden geboren. Er hatte sich bereits einen guten Ruf in seinem Metier erworben und war in Sachsen und in Bayern schon mit wichtigen Preisen ausgezeichnet worden. Strobel wirkte bis 1927 als Stadtbaurat im Dienste der Stadt Dortmund und hat gewaltige Spuren hinterlassen.

Das Erbe des Stadtbaurates Hans Strobel verteilt sich über ganz Dortmund

Der Hauptfriedhof, die DOGEWO, der erste Verkehrsleitplan, die B1 – damals Hindenburgdamm – die B54, die Weiterentwicklung des Kleingartenwesens – alles Projekte und Aktivitäten, die „auf seinem Mist gewachsen sind.“ ___STEADY_PAYWALL___

1919, einem Trend der Zeit folgend, schlug Strobel dem Rat vor, einen Volkspark einzurichten, der dann zu seinem wichtigsten Markenzeichen werden sollte. Zunächst liebäugelte man damit, diesen im Bereich der heutigen Pferderennbahn in DO-Wambel oder im Einzugsgebiet des damaligen Flughafens in Brackel, damals noch selbstständig, zu errichten.

Letztlich entschied man sich aber für die „ideale Lage südwestlich des Steinernen Turmes vor den Toren der Stadt.“ Zu dieser Standortentscheidung kann man der Stadt auch heute, 100 Jahre später, noch uneingeschränkt gratulieren.

Volkspark war Herzensangelegenheit des erfolgreichen Architekten

Stadtplaner, Architekt und Dortmunder Stadtbaurat Hans Strobel. Foto: Archiv Kolbe

Das Projekt „Volkspark“ umfasste eine Volkswiese, die Kampfbahn Rote Erde, das Schwimmstadion Volkspark, ein Licht- und Luftbad sowie die Kleingartendaueranlage Ardeyblick. Zur Abrundung kam dann auch noch die Westfalenhalle hinzu.

Hans Strobel, gewieft in Verhandlungen mit anderen Behörden, erhielt für seine Pläne Förderungsgelder von der Bezirksregierung Arnsberg und darüber hinaus das Recht, für das Projekt Hunderte Erwerbslose einzusetzen.

Kein Aprilscherz: Genau am 1. April 1924 begannen die Boden- und Wege-Arbeiten an der Volkswiese, der Kleingartendaueranlage und an der Kampfbahn „Rote Erde.“

Mit Weitsicht und Kreativität  begleitete Strobel den Bauprozess

Die Tätigkeiten waren mühsam. Muskelkraft war angesagt. Mit Hacken, Schippen, Loren und Benzol-Lokomotiven ging es zur Sache. 110.000 cbm Boden, davon 21.000 cbm Mutterboden und 89.000 cbm Lehm sowie schwerer Mergelboden, mussten bewegt werden.

Am 1. April 1924 begannen die mühseligen Bodenarbeiten.
Am 1. April 1924 begannen die mühseligen Bodenarbeiten. Foto: Archiv Kolbe

Zunächst einmal war eine 50 Meter lange mit sechs Terrassenstufen zweireihig angelegte Tribüne vorgesehen. Strobel erkannte jedoch bald, dass diese nicht ausreichend groß sein würde und ließ sie auf 100 Meter Länge ausdehnen.

Die günstige Gesamtsituation des Flächenareals ermöglichte es, die gewünschte Nord-Süd-Richtung des Fußballfeldes in der Kampfbahn zu realisieren.

Nach rund zwei Jahren waren die Bauarbeiten abgeschlossen

Die damalige „Rote Erde“ hatte ihre ganz spezifische Kuriosität: Neben dem normal großen Fußballfeld gab es nämlich keine 400 Meter, sondern eine 450 Meter lange Laufbahn mit einer Breite von 7,20 Meter.

Sie beschrieb einen Halbkreisbogen, der für die Athleten gewisse Vorteile hatte. Die Zeiten waren einfach besser, da die Akteure keine engen Kurven zu durchlaufen hatten. Später wurde die Laufbahn auf 400 Meter verkürzt, also den gängigen Maßstäben der Leichtathletik angepasst.

Die Rote Erde samt ihrer Erschließung mit Straßen, Wegen und der Kanalisation kostete insgesamt 1,8 Mio. Reichsmark, von denen 400.000 Reichsmark auf das Stadion entfielen. Fristgerecht am 1. Juni 1926 waren alle Arbeiten an der stolzen Arena abgeschlossen.

Volkspark war Vorzeigeobjekt in der Weimarer Republik

Westfalenhallen - Außenansicht Luftbild Sonnenuntergang
Die Westfalenhallen heute. Archivfoto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Hans Strobel formulierte es so: „Die Westfalenhalle ist die Krone, die Rote Erde das Herz unseres Volksparkes.“ Und dieser Volkspark insgesamt war in der ganzen Weimarer Republik ein Vorzeigeobjekt, an dem sich andere orientierten.

Strobel hatte beim Bau wie immer auf seinen Lieblingsstein, den in Syburg und in Buchholz gebrochenen „Ruhrkohlesandstein“ gesetzt, den er sehr schätzte und praktisch überall, wo er baute, auch einsetzte.

Diese Gesteinsart, so Strobel, zeichne sich durch ihre herrliche Farbgebung ebenso aus wie durch die Tatsache, dass das Gestein von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer attraktiver für das Auge werde.

Es gab zwei offizielle Eröffnungen im Juni 1926

Als Eröffnungstermin für die neue, etwa 30.000 Menschen fassende Sportanlage, hatte die Stadt unter der Federführung von Strobel den 6. Juni 1926 ausgeguckt.

Dem Zeitgeist entsprechend hatte der Stadtbaurat Kontakte zu den bürgerlichen Sportvereinen und dem Arbeitersport aufgenommen. Diese waren einander allerdings nicht „grün,“ sondern standen sich geradezu unversöhnlich negativ gegenüber. Hier prallten politische Welten aufeinander.

Deshalb entschloss sich Strobel schweren Herzens, nicht nur eine, sondern zwei offizielle Eröffnungen durchführen zu lassen.

Liebe auf den ersten Blick : Wie ein Münchener Rechtsaußen in Dortmund sesshaft wurde

Zu der ersten am 6. Juni kamen 8.000 Besucher:innen, die neben den offiziellen Reden von Strobel und Oberbürgermeister Eickhoff ein Fußballmatch zwischen der Stadtauswahl Dortmunds und dem renommierten Südmeister Wacker München erlebten.

Fußball am 16. Juni 1926: Bezirksauswahl gegen Bundesmeister.
Fußball am 6. Juni 1926: Bezirksauswahl gegen Bundesmeister. Foto: Archiv Kolbe

Die Münchener, heute so gut wie unbekannt, kamen mit vielen herausragenden Kickern wie „Spezi“ Schaffer, dem damaligen Superstar schlechthin, Nationalspielern, gar einem Olympiasieger.

Die Partie endete für die Heimmannschaft mit einem Fiasko: Man unterlag mit 1:11 Toren. Und das, obwohl Münchens Rechtsaußen Karl Reiter so gut wie nicht am Spiel teilnahm.

Er hatte sich – man nennt es „Liebe auf den ersten Blick“ – in eine hübsche junge Dame am Spielfeldrand verknallt, der er deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Spiel. Die Konsequenz: Karl Reiter blieb in Dortmund, meldete sich beim DSC 95 an, heiratete seine Angebetete und gründete in Dortmund-Dorstfeld eine Familie.

30.000 Fans feierten die Eröffnung der Arbeitersportler

Die legendäre lebende Schachpartie vom 13. Juni 1926.
Die legendäre lebende Schachpartie vom 13. Juni 1926. Foto: Archiv Kolbe

Eine Woche später zelebrierten die Arbeitersportler vor 30.000 Fans ihre Eröffnung. Zunächst gab es einen tollen Umzug innerhalb der Stadt, dann folgte ein regelrechtes Fest in der Roten Erde, in dessen Mittelpunkt eine lebende Schachpartie stand.

„Arbeiter sollen nicht nur „malochen,“ sondern auch ihren Geist stählen,“ hieß ein bevorzugtes Motto der Organisatoren. Deshalb also Schach.

Der Rasen der Roten Erde wurde in 64 dekorative Felder aufgeteilt, die Menschen, die die Damen, Könige, Türme, Pferde und Bauern darstellten, entsprechend gewandet und die einzelnen Züge per Megaphon verkündet.

Von der legendären Schachpartie zur Sportarena von internationalem Rang

Es wurde eine ganz spezielle Schachpartie mit einer Geschichte aus der französischen Revolution „komponiert,“ in deren Schlusssequenz der schwarze Bauer als Repräsentant des unterprivilegierten „vierten Standes“ den weißen König schachmatt setzte und mit diesem Sieg symbolisch den Absolutismus abschaffte. Ein großes, farbenprächtiges Spektakel also, das unvergesslich blieb.

Plakat zur ersten Eröffnung am 6. Juni 1926.
Plakat zur ersten Eröffnung am 6. Juni 1926.

Diese Schachpartie hat bis heute die größte Anzahl an Zuschauer:innen gehabt, die jemals im Schach gezählt wurde. Außerdem ist die Rote Erde die einzige Sportarena weltweit, die mit einer Schachpartie eröffnet worden ist.

Für Dr. Helmut Pfleger, den Schachgroßmeister und international renommierten Schachkommentator, war es anlässlich seiner Aufenthalte in Dortmund im Rahmen der Internationalen Dortmunder Schachtage über Jahre stets ein Bedürfnis und Vergnügen, an spielfreien Tagen die Rote Erde zu besuchen.

Dort setzte er sich auf eine der lauschigen Bänke unter den Bäumen, um darüber zu philosophieren, welch intellektuelle Kraft der Schachpartie von 1926 innewohnte, deren Notation bis heute überliefert ist.

Damit begann im Juni 1926 die Karriere einer eindrucksvollen Sportarena, die später durchaus internationalen Rang erlangen sollte…


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