Warnstreik im öffentlichen Dienst: Wenn es die Arbeitgeber nicht tun, rollt ver.di den Beschäftigten den roten Teppich aus

Die Gewerkschaft ver.di rollte den Beschäftigten aus dem Öffentlichen Dienst, die auch während des Lockdowns arbeiteten, den roten Teppich aus. Fotos: Claus Stille
Die Gewerkschaft ver.di rollte den Beschäftigten aus dem Öffentlichen Dienst und dort den systemrelevanten Berufen, die auch während des Corona-Lockdowns arbeiteten, den roten Teppich aus. Fotos: Claus Stille

Für Donnerstag (15.Oktober 2020) hatte die Gewerkschaft ver.di zu einem weiteren ganztägigen Warnstreik in Dortmund aufgerufen. Angesprochen waren die Beschäftigten der DSW21 (ÖPNV), der DEW21 und DoNetz, der EDG, der gesamten Stadtverwaltung (inkl. aller Eigenbetriebe und Fabido), der Sparkasse, des Jobcenters und der Agentur für Arbeit. Zudem waren Kollegen*innen aus Castrop-Rauxel, Lünen und Schwerte angekündigt, um an der Hauptkundgebung auf dem Südwall teilzunehmen. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes wollten noch einmal ihre Forderungen in der diesjährigen Tarifrunde bekräftigen.

Warnstreik setzte deutliche Zeichen bezüglich der Forderungen der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes

Demonstrieren mit Abstand und Anstand - es gab ein genehmigtes Hygienekonzept.
Demonstrieren mit Abstand und Anstand – es gab ein genehmigtes Hygienekonzept.

Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hatte sich bislang kein Stück bewegt. Die dritte Runde der Verhandlungen ist für den 22./23. Oktober 2020 erneut in Potsdam angesetzt. Streikmaßnahmen, so kündigte die stellvertretenden ver.di – Bundesvorsitzende Christine Behle auf der Kundgebung in Dortmund an, sollen in Deutschland noch von Montag bis Mittwoch stattfinden. Fridays for Future bzw. das Bündnis „Dortmund vereint“ standen den Streikenden ein weiteres Mal solidarisch zur Seite.

Mit Blick auf die Pandemieentwicklung in Dortmund und den umliegenden Städten und Kreisen wurden die verschiedenen Demonstrationszüge und die Abschlusskundgebung auf dem Südwall mit umfänglichen Abstandsmöglichkeiten organisiert. Das Tragen eines Mund-Nasenschutzes war obligatorisch. Das Hygienekonzept für diesen Tag war mit den Ordnungsbehörden der Stadt abgestimmt und genehmigt.

„Die Beschäftigten zeigen deutlich, dass sie auch in der aktuellen Krise bereit sind, sich für ihre Interessen einzusetzen. Trotzdem gehen wir die Warnstreiks maßvoll an und halten vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen ein. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Zeitgleich gehen wir davon aus, dass sich die Maßnahmen in der nächsten Zeit noch weiter intensivieren werden“, hatte Gabriele Schmidt, Landesleiterin von ver.di NRW, im Vorfeld des ganztägigen Warnstreiktags in Dortmund erklärt. Geplant waren für den Vormittag drei Demonstrationszüge und fünf Fahrradkorsos quer durch die Stadt.

Arbeitgeber zeigen weder Wertschätzung noch Dankbarkeit gegenüber den Leistungen vieler Kolleg*innen

Michael Kötzing, Bezirksgeschäftsführer von ver.di Westfalen
ver.di-Bezirksgeschäftsführer Michael Kötzing

Michael Kötzing, Bezirksgeschäftsführer von ver.di Westfalen ergänzte: „Das Verhalten der öffentlichen Arbeitgeber ist perfide“. ver.di hatte im Sommer angeboten, die Tarifverhandlungen pandemiebedingt zu verschieben.

Dieses Angebot haben die kommunalen Arbeitgeber (VKA) und der Bund abgelehnt, sie sehen sich während der Pandemie in der besseren Verhandlungsposition und setzen auf öffentliches und mediales Unverständnis.

Anstatt dann in zwei Verhandlungsrunden ein Angebot vorzulegen, vergeuden sie Zeit und fordern stattdessen zahlreiche Sonderopfer der Beschäftigten. Von Wertschätzung oder Dankbarkeit gegenüber den Leistungen vieler Kolleginnen und Kollegen in den letzten Monaten keine Spur. Dieses Verhalten sei verantwortungslos. Verantwortungslos gegenüber den eigenen Beschäftigten und gegenüber den Bürger*innen.

Denn die Konsequenzen von Warnstreiks bekommen im öffentlichen Dienst nun mal immer die Bürger*innen zu spüren und nicht die Verantwortlichen in der Politik selbst. „Für uns sind die Warnstreiks daher weiter alternativlos, denn Tarifverhandlungen ohne das Druckmittel des Streiks sind nicht mehr als kollektives Betteln. Die Bevölkerung leidet damit nicht unter den Streikmaßnahmen von ver.di, sondern unter der Arroganz und Ignoranz der öffentlichen Arbeitgeber. Wir fordern die Arbeitgeber laut und deutlich auf, bewegt euch endlich! Die Beschäftigten werden nicht diese Krise bezahlen“, so Kötzing.

Dritte Runde der Tarifverhandlungen am 22. und 23. Oktober dieses Jahres in Potsdam

Der Gewerkschaft ver.di fordert für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen eine moderate Anhebung der Einkommen um 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro pro Monat, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.

Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Erwartet wird zudem die Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit. Die dritte Runde der Verhandlungen ist für den 22./23. Oktober 2020 erneut in Potsdam angesetzt.

Die Bühne für die zentrale Kundgebung stand auf dem Südwall kurz vor der Einmündung der Kleppingstraße. Von der Bühne herab führte über eine Treppe ein langer roter Teppich hinunter auf den Südwall. Wenn die öffentlichen Arbeitgeber den eigenen Beschäftigten schon keine Wertschätzung entgegenbringen, dann tun wir das selbst. Wir werden auf dem Südwall die „Helden*innen“ der Pandemie ehren. „Stellvertretend für tausende von Kollegen*innen“, hatte sich ver.di nämlich gedacht, „werden wir die Leistungen besonderer Berufsgruppen im öffentlichen Dienst würdigen und auf einem roten Teppich – vor welchen sich die Kundgebungsteilnehmer*innen aufgestellt hatten – hervorheben“.

So wurden dann exemplarisch Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen im Öffentlichen Dienst – auch aus den Krisenstäben – tätiger Menschen mit einer Ehrennadel bedacht und deren wichtige Arbeit gewürdigt. Viele von diesen Menschen, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Behle später, hätten auch außerhalb von solchen Krisenzeiten ein ganz geringes gesellschaftliches Ansehen und müssten zudem noch mit einer unterdurchschnittlichen Entlohnung zurechtkommen. Vorgesehen war, wie Martin Steinmetz sagte, auch eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter zu ehren. Die Polizei aber eine diesbezügliche Ehrung hatte mit Verweis auf deren Neutralitätspflicht dankend abgelehnt.

Christine Behle nannte die Reaktionen der Arbeitgeber auf berechtigte Forderungen „echt unverschämt“

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle freute sich angesichts der erfreulichen Zahl der gekommenen Warnstreikteilnehmer*innen: „Auf Dortmund ist Verlass. Auch in der Pandemie.“ Behle räumte – wie das zuvor auch Michael Kötzing getan hatte – ein, dass der Streik in den ohnehin schon schwierigen Corona-Zeiten Menschen zusätzlich belaste.

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle
Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle

Aber man habe ja bei den Arbeitgebern schon rechtzeitig vorgefühlt, „ob man diese Verhandlungen nicht ins nächste Jahr schieben könne“. Doch der Vorschlag, eine sogenannte „Corona-Prämie“ zu zahlen sei vom VKA mit der Begründung, das sei nicht bezahlbar in diesen Zeiten, abschlägig beschieden worden. Während Bundesinnenminister Horst Seehofer „mit einer ganz großen Selbstverständlichkeit eine Zustimmung signalisiert hatte“, sagte Christine Behle.

Die VKA habe gemeint, den Beschäftigten ginge es doch gut. Es gebe keinerlei Veranlassung einer Wertschätzung dieser Art, so die Arbeitgeber zynisch. Arbeitgeber trügen den „ach so sicheren Öffentlichen Dienst“ wie ein Gral vor sich her. Dabei hätte der mit den höchsten Grad an sachgrundloser Befristung unter den Arbeitsbereichen. Christine Behle dazu: „Das ist echt unverschämt gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen!“

Den kommunalen Arbeitgebern sei es vor allem um eines gegangen: „Sie sind schlicht davon ausgegangen, dass wir nicht in der Lage sind, unsere berechtigten Forderungen durchzusetzen. Und sie wollten diese schwierige Situation zu ihren Gunsten ausnutzen.“

Den Arbeitgebern rief die Gewerkschafterin zu: „Falsch gedacht! Wir sind auch in Corona-Zeiten handlungsfähig.“ In den letzten Wochen hätten fast 5000 Kolleg*innen aus allen Bereichen des Öffentlichen Dienstes in ganz Deutschland gestreikt. „Das Streikrecht gehört nämlich zu unseren Grundrechten. Und eine Pandemie, hat das „Handelsblatt“ noch kürzlich getitelt, darf keine gewerkschaftsreduzierte und arbeitsrechtlich verdünnte Zeit sein“, unterstrich Christine Behle.

Angleichung der Arbeitszeiten Ost an West muss erfolgen – alles andere ist 30 Jahre nach der Einheit inakzeptabel

Als wichtige Forderung nannte Behle die Arbeitszeit Ost an West. Wer in den östlichen Bundesländern arbeite zahle nämlich drauf. Im Osten Deutschlands arbeite in der Regel sieben Arbeitstage bei einer 40-Stundenwoche mehr auf ein Jahr, die dort mehr gearbeitet würden als im Westen, wo 38,5 Stunden pro Woche gelten.

Im Laufe einer Berufstätigkeit summiere sich das. Christine Behle: „Das ist nicht nur ungerecht. Sondern dreißig Jahre nach der Einheit ist das inakzeptabel. Deshalb muss es jetzt zu einer Änderung kommen!“

Behle skandalisierte auch die schlechte Bezahlung im Gesundheitswesen und der Pflege. Für die Beschäftigten fordere man eine Zulage von 300 Euro. Die Arbeitgeber seien auch „die Mitverursacher des Pflegenotstandes“ – was diese aber einfach ignorierten. Schließlich habe der Personalnotstand auch mit der unzureichenden Entlohnung zu tun.

Riesige Renten-Eintrittswelle: Bis 2030 werden im Öffentlichen Dienst 100.000 Beschäftigte gebraucht

Christine Behle wies in ihrer Rede auf die prekären Zustände im öffentlichen Nahverkehr hin: „Seit zwanzig Jahren wird im Nahverkehr beim Personal gespart. Die Belastung ist immens. Zweistellige Krankenstände sind keine Seltenheit. Die Arbeitsverdichtung trifft die Beschäftigten in allen Bereichen.

Der Personalabbau der letzten Jahre ist spürbar. Mit 49 Jahren ist das Durchschnittsalter in der Branche ungewöhnlich hoch. Grund dafür ist der langjährige Einstellungsstopp.“ Neue Leute zu finden sei ohnehin schwer, weil man es „unattraktiven Arbeitsbedingungen“ zu tun habe.

Bei Bus- und Straßenbahnfahrer*innen seien im Jahr oft gerade einmal 15 Sonntage frei. Der Fahrplan sei oft so dicht gestrickt, dass kaum Zeit bleibe, auf die Toilette zu gehen. Bis 2030 würden 100.000 Beschäftigte gebraucht. Jeder zweite Beschäftigte gehe in den nächsten Jahren in Rente.

Behle: Streiken nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine Verkehrswende

Viele Bereiche des öffentlichen Dienstes gingen auf die Straße - auch Beschäftigte des Stadttheaters. Foto: Fabian Trelle
Viele Bereiche des öffentlichen Dienstes streikten – auch Beschäftigte des Theaters. Foto: Fabian Trelle

Noch immer verweigerten die Arbeitgeber einen Bundesrahmenvertrag. Man streike, so Behle, nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine Verkehrswende. Nächste Woche Donnerstag und Freitag, informierte die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende, gehe es in die finale Verhandlungsrunde im Öffentlichen Dienst. Man erwarte für den Freitag nächster Woche noch ein Angebot der Arbeitgeber.

Wahrscheinlich dürfte es ein Angebot mit einer Laufzeit von 36 Monaten und einer Einmalzahlung für 2020 sein. Von Montag bis Mittwoch nächster Woche sollten „noch mal alle gemeinsam Gas geben“, um den Arbeitgebern noch einmal deutlich die Entschlossenheit der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes zu zeigen, ein vernünftiges Ergebnis zu erkämpfen. Die Botschaft an die Arbeitgeber: „Jetzt seid ihr dran, uns eine anständige Vergütungserhöhung zu zahlen!“

Bevor Michael Kötzing die Kundgebung beendete, wiederholte er noch einmal, was er schon vor einer Woche im Betriebshof formuliert hatte. Nämlich was die vier Buchstaben ÖPNV ihn bedeuten: „Öffentliches Personal Nicht Verarschen.“ Werde nächste Woche seitens der Arbeitgeber abermals die rote Linie gerissen, was die Wertschätzung der Kolleg*innen angehe, dann werde sich das, was an diesem Donnerstag stattgefunden nochmals wiederholen, postulierte Kötzing.

Alle Informationen dazu gibt es hier: unverzichtbar.verdi.de/

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