Kommunalwahl-Parteitag im Autokino polarisiert – Schutz vor Corona, ein interessantes Event oder falsches Symbolbild?

In Zeiten von Corona hat die SPD einen ungewöhnlichen Weg beschritten und den Parteitag ins Autokino verlegt. Fotos: Alex Völkel
In Zeiten von Corona hat die SPD einen ungewöhnlichen Weg beschritten und den Parteitag ins Autokino verlegt.

Normalerweise sind lokale Parteitage außerhalb der eigenen Stadtgrenzen (und mitunter auch innerhalb) nicht von besonderem Interesse. Die Dortmunder SPD hat aber mit ihrer Ortswahl – sie hatte ins Auto-Kino auf Phonix-West zum Sonder-Parteitag eingeladen – für bundesweite Schlagzeilen und teils auch hämische Kommentare im Netz gesorgt. Denn Themen wie soziale Gerechtigkeit oder die Verkehrswende im Auto sitzend zu diskutieren und mit Lichthupe bzw. Hupe seine Meinung kund zu tun, fanden nicht nur grüne Wähler*innen komisch. Doch die Idee und die Kulisse überzeugte – als Beispiel für den Strukturwandel.

Parteitag zum Schutz vor Corona im Autokino – Event als willkommene Abwechslung

Die SPD hat die Ortswahl lange diskutiert. Allerdings sind die Corona-bedingten Schutzmaßnahmen für Parteitage schwierig umzusetzen. Und einen Parteitag mit mehr als 220 Delegierten und Gästen abzuhalten, hätte in Zeiten von Corona einen riesigen Sitzungssaal bedeutet. ___STEADY_PAYWALL___

„Und dennoch würde es ein Risiko für die Teilnehmenden geben“, macht SPD-Geschäftsführerin Christa Becker-Lettow deutlich. Die Rückmeldungen seitens der eigenen Delegierten zum Autokino als Ort sei sehr positiv gewesen.

Zum Vergleich: Die CDU hatte sich (mit weniger Delegierten) für eine ebenfalls aufwändig vorbereitete Sitzung in der Gesamtschule Scharnhorst entschieden. Dort gab es namentlich vorgeschriebene Einzelsitze.

Doch so richtig glücklich waren einige der Teilnehmenden nicht – die Sorge einer möglichen Infektion schwang mit. So hatte sich beispielsweise Fraktionschef Ulrich Monegel abseits platziert – in Richtung Seitenausgang und Frischluftzufuhr.

Bei der SPD gab es da offenkundig mehr strahlende Gesichter. Der Parteitag im Auto hatte etwas von Eventcharakter – mitgebrachte Snacks inklusive – vor der Kulisse des geglückten Strukturwandels. Die Teilnehmer*innen empfanden diesen Parteitag offenbar als wohltuende Abwechslung.

„Ich finde das Format ganz spannend. Es ist schade, dass nur zu Corona-Zeiten solche Phantasie geweckt wird“, kommentierte Ratsmitglied Susanne Meyer (Ortsverein Mailoh-Deusen) das Ambiente. Aber sie wäre auch mit dem Fahrrad gekommen, hätte es das Format vorgesehen – betont sie lachend.

Wiederholung: „Wir waren ja schon mit allem fertig – als eine der ersten Parteien“

Dass Diskussionen und Aussprachen durch das Sitzen im Auto erschwert werden, spielte dieses Mal eine untergeordnete Rolle: Der Druck war ohnehin raus und die Vorfreude bzw. Spannung merklich geringer, da die Veranstaltung lediglich eine Wiederholung des Parteitags und der Vertreterversammlung im Frühjahr darstellte. Es ging darum, formal und gerichtsfest die Aufstellungen für die Wahlen zu bestätigen.

Denn die SPD hatte sich sehr frühzeitig die Karten gelegt und ihre Kandidat*innen gewählt und in einem großen Rahmen in der „Roten Burg“ auf der Zeche Hansemann gekürt. Wegen einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur NRW-Kommunalwahl mussten aber die Kandidat*innen erneut gekürt bzw. bestätigt werden. „Wir waren ja schon mit allem fertig – als eine der ersten Parteien“, machte SPD-Parteivize Jens Peick deutlich.

Auch die Themendiskussionen und die Formulierung des Parteiprogramms in einem einjährigen Prozess mit zahlreichen externen Gruppen und Institutionen war längst abgeschlossen. OB-Kandidat Thomas Westphal tourt seit Monaten durch die Stadt, um für seine Partei, sich und seine Ideen zu werben.

Sein bisheriges Engagement scheint seinem erneuten Wahlergebnis nicht geschadet zu haben – im Gegenteil: Waren es vor drei Monaten noch fünf Gegenstimmen, waren es dieses Mal nur noch drei.

Das unterscheidet die SPD von der CDU: Die Christdemokrat*innen mussten am Wochenende erstmals ihren Kandidaten küren. Die „Inthronisierung“ – im feierlichen und geselligen Rahmen – war dort vor zwei Monaten corona-bedingt ins Wasser gefallen. Daher musste Dr. Andreas Hollstein in den vergangenen Wochen ohne formellen Beschluss an den ersten Diskussionsveranstaltungen teilnehmen. Er zeigte sich froh, dass er nun auch das formale Mandat dazu hat.

Sierau: „Ich wollte eigentlich aus Protest mit dem Fahrrad kommen“

Ungewohnt: OB Ullrich Sierau hinter dem Steuer.

So sicher der Rahmen bei der SPD jetzt auch war: Auch Sozialdemokrat*innen machten sich Gedanken, welches Bild ein Parteitag im Autokino transportieren könnte: „Ich wollte eigentlich aus Protest mit dem Fahrrad kommen“, sagte OB Ullrich Sierau lachend bei der Einfahrt ins Kino mit dem eigenen Wagen, der ansonsten tagtäglich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs ist. 

Auch die Jusos sahen das Bild, dass eine solche Veranstaltung in Zeiten von Klimawandel und Verkehrswechsel abgeben könnte, als kritisch. Sie sammelten daher Geld für eine Baumpflanzung – quasi als ökologischen Ausgleich, so Ceren Kaya (Jusos und Ortsverein Innenstadt-Ost). Delegierte ohne Auto wurden übrigens nicht „diskriminiert“ – wer mangels eines Wagens nicht selber fahren konnte oder wollte – konnte eine Mitfahr- und Mitsitzgelegenheit bekommen.

Die SPD-Unterbezirksvorsitzende Nadja Lüders fand das Bild als unproblematisch: „Es geht um Sicherheit. Die Delegierten wären ja ohnehin mit dem Auto zum Sitzungsort gekommen“, so Lüders. Jetzt säßen sie halt auch während der Sitzung im Auto. Insgesamt seien es jetzt weniger Autos, da die Delegierten meist zu zweit gekommen seien – mehr war mit Blick auf die Corona-Auflagen nicht möglich. 

Die Partei habe zudem die Einladungen machen müssen, als die neusten Lockerungen nicht absehbar waren. Man habe auf Nummer sicher gehen wollen. „Wir wollten den bestmöglichen Schutz gewährleisten“, so Lüders. Auf die Optik komme es dabei nicht an, sondern auf die Inhalte, ergänzte OB-Kandidat Thomas Westphal. 

Keine Überraschung bei Kandidat*innen-Aufstellung – Wahlverlierer waren nicht mehr dabei

Blickten auf Autos: Nadja Lüders, Thomas Westphal, Jens Peick und Volkan Baran. Fotos: Alex Völkel
Blickten auf Autos: Nadja Lüders, Thomas Westphal, Jens Peick und Volkan Baran. Fotos: Alex Völkel

Überraschungen gab es bei den Wahlen dieses Mal nicht: Die bereits zuvor gewählten Kandidat*innen wurde in der neuen Wahl bestätigt. Kandidat*innen, die damals bei der SPD-internen Aufstellung durchgefallen waren, haben sich teilweise aus der Arbeit zurückgezogen oder politisch neu orientiert. 

Dazu gehört auch Daniel Naumann: Er hatte bei der Aufstellung der Kandidat*innen für den Rat seinerzeit gegen Simone Weiß verloren. Mittlerweile ist das (Noch-) Ratsmitglied in die neu gegründete DOS-Partei eingetreten und will jetzt dort erneut für den Rat kandidieren.

„Ich gehe im Guten“, betont Daniel Naumann via Pressemitteilung, „aber ich freue mich, in eine Partei zu wechseln, die nicht in den Fesseln der fossilen Industrie liegt. Sie kann unabhängig von Lobbyinteressen für die Bewohner Dortmunds auch in den Anforderungen der Klimaänderung Sicherheit schaffen“, heißt es in der Mitteilung der DOS-Partei. 

Dass er den Parteiwechsel nun ideologisch begründet, verwundert nicht wenige seiner ehemaligen Genoss*innen. Sie halten diesen Schritt für opportunistisch motiviert – auch wenn sein Kommentar „Es ist unfassbar, dass die SPD in Dortmund immer noch auf das Auto setzt“, in Zeiten von Parteitagen im Autokino eine neue Bedeutung haben könnte…

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Reaktionen

  1. Fabian R

    Kann man* ja machen, aber der Kommentar von Lüders setzt dem echt die Krone auf. Ja bei der SPD weiß man* wirklich nicht, wie sie außer mit Auto sonst kommen sollen. ÖPNV und Radwege kennen sie nicht. Das ist an der Politik, die beides so grausam vernachlässigt hat, auch gut zu erkennen.

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