Die Versicherung muss sich als Arbeitgeberin neu aufstellen

Signal Iduna legt gegen den Marktrend zu – Fachkräftemangel als zentrale Herausforderung

Signal Iduna Versicherung Hauptzentrale - Außenansicht
Die Zentrale der Signal Iduna Versicherung auf der Stadtkrone in Dortmund Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Dortmund ist eine Versicherungsstadt und Signal Iduna gehört zu den Großen der Branche. Das Dortmunder Traditionsunternehmen hat sich in den angespannten Märkten gut behauptet – teils deutlich gegen den Branchentrend. Vorstandschef Ulrich Leitermann kann mit positiven Zahlen aufwarten. Doch die größte Herausforderung wird zunehmend nicht das Marktgeschehen, sondern der Fachkräftemangel.

Signal Iduna legt in allen Bereichen zu – teils gegen den Markttrend

Auch wenn der Jahresabschluss noch nicht vorliegt, lassen sich die Eckzahlen sehr positiv an. Die  Beitragseinnahmen sind auf 6,5 Milliarden Euro angewachsen. Signal Iduna hat somit um 2,3 Prozent zugelegt, während der Markt um 0,7 Prozent geschrumpft ist. Damit hat sich der Dortmunder Versicherer erneut besser entwickelt als der Markt: Von 2018 bis 2022 hat er um rund eine Milliarde Euro zugelegt. 

„Das hat aber nichts mit der Beitragsanpassung zu tun“, so Leitermann. Bei Signal Iduna seien die Gebühren „nur“ um 1,6 Prozent gestiegen, während es branchenweit um drei Prozent nach oben gegangen ist. Bei der privaten Krankenversicherung konnte sich der Versicherer mit Standorten in Dortmund und Hamburg ebenfalls behaupten. Wenn auch „nur“ im vierstelligen Bereich, verzeichnet Leitermann Zuwächse – ebenfalls gegen den Markttrend. 

Auch bei Lebensversicherungen und den Kompositversicherungen (Schadens- und Unfallversicherungen) ging es deutlich gegen den Trend nach oben. „Das funktioniert nur, weil wir ein sehr gutes Vertriebsergebnis haben“, so der Vorstandsvorsitzende. Signal Iduna verzeichnet kontinuierliche Steigerungen. 

Das geht auch im neuen Jahr so weiter: Der Januar 2023 war aus Vertriebssicht der beste der Firmengeschichte. „Das ist sehr erfreulich und nicht unbedingt zu erwarten gewesen“, betont Leitermann mit Blick auf die zahlreichen Krisen und wirtschaftlichen Herausforderungen.

„Wir haben uns immer einen Zinsanstieg gewünscht, aber bitte nicht so schnell“

Denn die Energiekrise, die Inflation und die Kapitalmarktverwerfungen durch steigende Zinsen werden sich auch im Anlageergebnis für 2022 niederschlagen. Insbesondere im Kapitalmarkt wird es zu Wertkorrekturen im Wertpapierbereich kommen – Leitermann rechtet mit 20 Prozent weniger. „Wir haben uns immer einen Zinsanstieg gewünscht, aber bitte nicht so schnell“, macht der Vorstandschef deutlich. „Langfristig ist das erstrebenswert, weil wir in der Neuanlage eine höhere Durchschnittsverzinsung haben.“

Ulrich Leitermann ist Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna Gruppe.
Ulrich Leitermann ist Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna Gruppe. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Auch bei der Haltung der Versicherten gibt es Veränderungen: Während in Corona-Zeiten die Menschen mehr für den eigenen Versicherungsschutz getan haben – unter anderem bei der Altersvorsorge – spielt die wirtschaftliche Unsicherheit eine viel größere Rolle. So gibt es zum Beispiel eine größere Zurückhaltung bei Lebensversicherungen. 

Viele Haushalte wüssten nicht, wie sich die Zukunft finanziell darstellt und wie sich die explodierenden Energiekosten und anderen Preissteigerungen auswirken. Daher seien die Kund:innen bei langlaufenden Verträgen wie Lebensversicherungen zurückhaltender. Bei der Absicherung von Risiken – zum Beispiel zum Schutz von Wohngebäuden gegen Elementarschäden – ist jedoch eine Zunahme zu verzeichnen.

Zielgruppenkonzept: Handel und Handwerk als Schwerpunkte

Mehr als zwei Drittel der Abschlüsse und Geschäfte laufen über sogenannte  „Ausschließlichkeits-Organisationen“ – also exklusive Signal Iduna-Agenturen. Dieser Bereich wächst weiter. Leitermann verweist darauf, dass der Trend zu größeren und spezialisierteren Agenturen anhält. „Wir machen da viel in der Ausbildung.“ 

Die Beschäftigten in Dortmunder Bäckereien bekommen ab diesem Monat mehr Geld.
Existenzbedrohend: Viele Bäckereien haben mit den gestiegenen Energiekosten und Einkaufspreisen zu kämpfen. Foto: NGG

Zudem verfolgt Signal Iduna ein Zielgruppen-Konzept: Sie bilden die Vertreter:innen z.B. auf bestimmte Branchen hin aus – Schwerpunkte sind im Geschäftskunden-Geschäft u.a. Handwerk und Handel. „Damit wir uns auf Augenhöhe unterhalten können. Das trägt auch Früchte“, so Leitermann.

Zwischenzeitlich machen die Zielgruppen über 50 Prozent des Neugeschäfts aus. „Da sind wir noch lange nicht am Ende.“ Allerdings sind diese Branchen zum großen Teil auch die, die unter den explodierenden Energiekosten und Beschaffungspreisen besonders leiden. So haben viele selbstständige Bäckereien massiv zu kämpfen – immer mehr kleine Betriebe geben auf. 

„Die Sorge war, dass 25 Prozent der Betriebe ihre Existenz aufgeben. Es ist nicht ganz so schlimm gekommen, weil es auch Lösungen für kleine und mittlere Betriebe gab“, sagt Leitermann mit Blick auf die Hilfspakete auch bei den Energiekosten.

Herausforderung: Pro Jahr scheiden 250 Beschäftigte aus Altersgründen aus

Doch genau wie ihre gewerblichen Kund:innen hat auch Signal Iduna immer stärker mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Am Standort in Dortmund gibt es aktuell rund 2.350 Beschäftigte – davon 88 Auszubildende. Am Standort Hamburg zählt die Signal Iduna-Gruppe rund 3.540 Mitarbeitende (inklusive 71 Auszubildenden). Davon sind knapp 900 Mitarbeitende für die Finanztöchter Hansainvest, SIAM, SI Bauspar, Donner & Reuschel tätig.

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Bei der Signal Iduna Versicherung scheiden pro Jahr 250 Beschäftigte aus Altersgründen aus. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Die Herausforderung: In den nächsten zehn Jahren werden pro Jahr 250 (!) Beschäftigte altersbedingt ausscheiden. Es wird allerdings kaum möglich sein, diese Stellen durch Akquise auf dem Markt im vollen Umfang zu ersetzen. Schon jetzt gibt es im Durchschnitt immer 100 offene Stellen, die ausgeschrieben sind.

„Das zwingt zu noch mehr Digitalisierung. Es wird nicht durch mehr Personal, sondern nur durch Prozessoptimierung möglich sein, das Wachstum zu bewältigen“, prognostiziert Ulrich Leitermann. Wenn möglich, sollen Maschinen bei der Arbeit helfen – das weniger werdende Personal soll dann vor allem im Dienstleistungsbereich und im Service eingesetzt werden: „Es braucht Menschen, um mit Menschen zu reden.“

Daher hat sich der Wettbewerb um Mitarbeiter:innen auch in der Versicherungsbranche deutlich verändert – das Warten auf Bewerbungen gehöre der Vergangenheit an: „Es ist ein Arbeitnehmermarkt. Da unternimmt der ein oder andere den Versuch, uns seine Bedingungen aufzuoktroyieren oder Forderungen zu stellen.“ 

Versicherer will als Arbeitgeber attraktiver werden – Diversitätsfragen werden wichtiger

Signal Iduna arbeite schon lange daran, sich bei den potenziellen Mitarbeiter:innen zu bewerben. Bei der Versicherung gibt es ein breites Spektrum an Berufsbildern und Tätigkeitsfeldern. Mit einem Anteil von insgesamt knapp 45 Prozent machen Kaufleute für Versicherungen und Finanzen und Versicherungskaufleute den größten Anteil unter den Beschäftigten aus. Knapp zehn Prozent haben einen IT-Background: Fachinformatiker:innen, Datenverarbeitungs- und Informationskaufleute oder auch IT-Spezialist:innen. 

Ulrich Leitermann ist Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna Gruppe.
Ulrich Leitermann, Vorstandsvorsitzender Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Rund 4,5 Prozent kommen ursprünglich aus dem medizinischen Bereich, sei es als Arzthelfer:in oder Krankenschwester und -pfleger. Darüber hinaus gibt es Mathematiker:innen, Jurist:innen, Wirtschaftswissenschaftler:innen und auch Menschen, die ihre Ausbildung in verschiedenen Handwerksberufen gemacht haben.

Daher kommen auch professionelle Recruiter für soziale Netzwerke zum Einsatz. Da Signal Iduna Tariflöhne bezahlt, geht es zumeist nicht ums Geld. Viel mehr gehe es um die Arbeit und die Arbeitsbedingungen. „Daher binden wir auch früh die Teams ein. Das spielt eine große Rolle“, so Leitermann. Auch die Pflege der Neuzugänge gehöre dazu. So gebe es gemeinsame Frühstücke mit allen Neueinstellungen. „Wir zeigen Interesse an ihnen.“

Das Unternehmen hat nicht nur die Frauenförderung im Blick, sondern auch eine Stelle geschaffen, die sich nur mit Diversitätsfragen beschäftigt. Für Leitermann ist das auch ein Baustein der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens: „Diversität wird als sehr wichtiges Zukunftsthema gesehen. Das müssen wir in der männerdominierten Versicherungswirtschaft tun – das wird bisher in der Branche zu wenig berücksichtigt.“

Homeoffice ist ein wichtiges Thema bei Signal Iduna

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Verwaiste Büros bei Signal Iduna: Erklärtes Ziel ist es, im Frühjahr wieder bis zu 60 Prozent der Beschäftigten im Büro zu haben. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Immer häufiger geht es bei Vorstellungsgesprächen und der Arbeitszufriedenheit um die Frage von Homeoffice: „Corona hat was mit den Menschen gemacht. Sie haben gesehen, dass sie gut von zu Hause arbeiten können“, so Leitermann. Sie könnten sich dann auch lange Anreisen und damit viel Zeit sparen. Dennoch ist Leitermann kein Fan davon, dass ein Großteil der Belegschaft dauerhaft von zu Hause arbeitet. Er sorgt sich um die Unternehmenskultur und die Anbindung ans Unternehmen. 

„Wie wollen sie sie an ein Arbeitsumfeld anbinden. Das Miteinander erleben gehört dazu, auch kreative Produktlösungen. Das geht nur gemeinsam“, so Leitermann. Insbesondere für die Azubis sei es wichtig, dass sie den Ausbildungsbetrieb kennenlernen.

Perspektivisch will Leitermann nach Ende aller Corona-Beschränkungen den Anteil der Arbeit in Präsenz wieder erhöhen: „35 Prozent sind im Unternehmen, 65 Prozent im Homeoffice – das ist mir noch zu viel. Erklärtes Ziel ist es, im Frühjahr wieder bis zu 60 Prozent im Büro zu haben“, so der Vorstandsvorsitzende. Signal Iduna war eines der ersten Unternehmen, das mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zum Homeoffice getroffen hat – sie sieht den Anspruch auf bis zu zwei Tage Homeoffice pro Woche vor.

Das Arbeiten im Büro soll wieder attraktiver werden

Wichtig sei die Flexibilität für die Teams. Die Vorgesetzten müssten das individuell steuern. Denn es gibt Beschäftigte, die gar nicht zu Hause arbeiten wollen, andere dagegen häufiger. Auch die Anwesenheit im Büro müsse so austariert werden. 

Da investiert die Versicherung viel, um die Büroumgebung attraktiver zu machen. Höhenverstellbare Schreibtische gehören ebenso dazu wie Willkommens-, Gemeinschafts- und Kollaborationszonen, gesunde Verpflegung über den ganzen Tag hinweg und Gesundheitsangebote. Während früher Gespräche in den Teeküchen verpönt waren („Haben Sie nichts zu tun?“), ist dies in den neuen „Coffeepoints“ ausdrücklich erwünscht.

So sollen das Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit mit dem Unternehmen verbessert werden. Flexibilität gehört allerdings auch dazu. So können Beschäftigte schon jetzt auch den Samstag als Arbeitstag nutzen und dafür dann unter der Woche einen freien Tag nehmen. Auch das gehört zum Prozess der Flexibilisierung.

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Reaktionen

  1. Rob

    Ich bin schon überrascht, dass in Hamburg mehr Personen arbeiten als in der Heimat Dortmund.

    Zwecks Personalbindung und -akquiese:
    Das Unternehmen wirkt an der B1 ziemlich versteckt, obwohl es die beste Werbemöglichkeit vor der Haustür hat. Das neue moderne Bürosysteme der Schlüssel zu mehr Personal im Büro sind, hat Signal Iduna wohl erkannt. Das die Arbeit im Team im Büro richtig und wichtig ist, ist unstrittig. Auch wenn mich die Schreibtischanordnung und das Licht auf dem Bild im Beitrag schon etwas gruseln lassen… ggf. wird es ja doch noch mal Zeit für einen repräsentativen Neubau direkt zur B1, der sich in die Köpfe der über 100.000 Autofahrer*innen pro Tag einbrennt… wenn das Image erst mal stimmt, kommen die Leute von alleine…

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