Löwen-Apotheke an der Münsterstraße wurde 1944 durch Bomben zerstört

SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Der Norden von Dortmund erhielt 1874 seine erste Apotheke

Burgtor mit Blick über die Schrankenanlage in die Münsterstraße
Burgtor mit Blick über die Schrankenanlage in die Münsterstraße Sammlung Klaus Winter

Von Klaus Winter

Ein Standbein des Gesundheitswesens sind die Apotheken. Ihre Entstehung in Europa kann auf ein Edikt Kaiser Friedrich II. (1194-1250) zurückgeführt werden. Das galt zwar zunächst nur in Sizilien und Unteritalien, entwickelte sich aber zur Basis der europäischen Apotheken-Gesetzgebung. Es trennte den Arzt- vom Apothekerberuf, führte die behördliche Kontrolle der Apotheken ein und regelte die Arzneimittelherstellung nach vorgeschriebenen Formeln.

Es begann mit Gerardus Krudener und der Adler-Apotheke

Die Adler-Apotheke (Bildmitte) am alten Markt um 1900
Die Adler-Apotheke am Alten Markt um 1900 Sammlung Klaus Winter

Die älteste Apotheke Dortmunds ist die heute noch ihren Aufgaben nachkommende Adler-Apotheke am Alten Markt.

Ihren Namen führt sie seit 1734. Vorher wurde sie Bitter’sche Apotheke und noch früher Rats- oder Stadtapotheke genannt.

Als ihr erster Inhaber gilt ein Magister Gerhardus Krudener. Sein Name wurde in einer Bürgerliste aus dem Jahre 1322 erwähnt.

70 Jahre später stellte die Stadt dem Mester Willem apeteker das leerstehende Tuchhaus zur Verfügung. Er wird als Stammvater der Dortmunder Apotheker angesehen.

Der „rote Becker“ forderte eine weitere Apotheke

Dr. Hermann Becker, Oberbürgermeister von Dortmund 1871-1875
Dr. Hermann Becker, Dortmunds OB von 1871-1875 100 Jahre Dortmunder Zeitung 1828/1928

Bis zu Beginn der 1870er Jahre entstanden weitere Apotheken im Altstadtbereich, insgesamt fünf an der Zahl.

In der stark wachsenden Stadt konnten diese den Bedarf bald aber nicht mehr in ausreichendem Maße decken.

Der bekannte Oberbürgermeister Dr. Hermann Becker („der rote Becker“) regte deshalb 1872 die Konzessionierung einer sechsten Apotheke an.

Sein Ansprechpartner war der Landrat in Dortmund, die Entscheidung fällte die Königliche Regierungsbehörde in Arnsberg.

Immer wieder der leidige Eisenbahnverkehr

Der Oberbürgermeister wusste, wo eine neue Apotheke anzusiedeln sei, nämlich in der nördlichen Vorstadt. Hier hatte die Bevölkerung zuletzt stark zugenommen, doch dieser Anstieg war nicht der alleinige Grund für seine Wahl.

Dortmunder Norden um 1870/71
Dortmunder Norden um 1870/71 Deutscher Historischer Städteatlas, Tafel 5 (Detail)

Dr. Becker wusste natürlich, dass die Einwohnerschaft des Nordens wegen der trennenden Eisenbahnschienen, die damals noch auf Straßenniveau lagen, nur schlecht die Altstadt erreichen konnte. Das störte auch den Weg zur nächsten Apotheke.

Hermann Gartzen war der erste Apotheker des Nordens

Die Notwendigkeit einer Apotheke im nördlichen Bezirk Dortmunds wurde von der Königlichen Regierung in Arnsberg 1873 anerkannt und deswegen eine Ausschreibung initiiert. 34 Interessenten bewarben sich um die Apotheken-Konzession. Unter ihnen war der damals 39 Jahre alte Hermann Gartzen.

Gartzen hatte 1863 seine Approbation erhalten. An den Feldzügen 1866 und 1870/71 hatte er als Feldapotheker teilgenommen und konnte Erfahrungen mit Apothekenverwaltungen nachweisen. Im November 1873 erhielt er die Erlaubnis zur Einrichtung einer Apotheke im Dortmunder Norden. Bis zum 1. Dezember 1874 mussten die Vorbereitungen abgeschlossen sein.

Gartzen war Apotheker und umtriebiger Geschäftsmann

Apotheker Gartzen kaufte das Haus Münsterstraße 9 mit Hinterhaus und Garten und richtete seine Löwen-Apotheke darin ein. Bei der Eröffnungsrevision im November 1874 wurden nur geringe Mängel festgestellt.

Das Haus Münsterstraße 9 mit der Löwen-Apotheke, 1905-1910
Das Haus Münsterstraße 9 mit der Löwen-Apotheke, 1905-1910 Sammlung Klaus Winter

Rund viereinhalb Jahre blieb Hermann Gartzen Apotheker an der Münsterstraße. Zahlreiche Werbeinserate in den Tageszeitungen belegen, dass er ein umtriebiger Geschäftsmann war.

Ein Inhaberwechsel mit Beigeschmack

Aber dann verzichtete er aus gesundheitlichen Gründen auf die Fortführung der Apotheke und schlug der Regierung in Arnsberg einen Nachfolger vor. Diese akzeptierte den Apotheker-Wechsel.

Doch der Wechsel hatte einen bitteren Beigeschmack. In einem Zeitungsartikel wurde der Leserschaft vorgerechnet, dass Hermann Gartzen vor wenigen Jahren das Haus Münsterstraße 9 für 30.000 Mark gekauft und nun für 60.000 verkauft hatte. Zu dem enormen Verkaufserlös kamen noch die Gewinne aus seinem Apotheken-Betrieb.

Kriegszerstörte Löwen-Apotheke wurde nicht wieder aufgebaut

Acht Apotheker betrieben nacheinander die Löwen-Apotheke. Die meisten übten hier ihren Beruf nur wenige Jahre aus. Lediglich der letzte Apotheker in dieser Reihe, Franz Hennecke, konnte mehr als dreißig Jahre Berufstätigkeit in diesem Haus vorweisen. Er war von 1910 bis 1944 an der Münsterstraße tätig.

Das im Laufe der Zeit mehrfach vergrößerte Haus Münsterstraße 9 fiel bei dem alliierten Bombengriff am 6. Oktober 1944 in Schutt und Asche. Es wurde nicht wieder aufgebaut.

Apotheken in der ganzen Nordstadt

An der Münsterstraße waren weitere Apotheken gegründet worden, so 1897 die Glückauf-Apotheke, die mehrfach im Bereich zwischen der Einmündung der Kielstraße und der Josefskirche umzog. Sie trug ab 1991 den Namen Albatross-Apotheke und wurde 1995 geschlossen.

Münsterstraße um 1915. Im zweiten Haus von rechts befand sich damals die Glückauf-Apotheke.
Münsterstraße um 1915. Im zweiten Haus von rechts befand sich damals die Glückauf-Apotheke. Sammlung Klaus Winter

Im Haus Nr. 119 wurde 1909 die Floret’sche Lortzing-Apotheke eröffnet, die mitten im Ersten Weltkrieg in Hindenburg-Apotheke umbenannt wurde. Die Rocholl-Apotheke, jetzt Apotheke am Hackländerplatz, wurde 1936 im Haus Münsterstraße 205 in Betrieb genommen.

Die Nordstadt-Apotheken liegen bzw. lagen selbstverständlich nicht nur an der Münsterstraße, sondern sind im ganzen Stadtteil zu finden: u.a. an der Born-, Mallinckrodt-, Oesterholz- und Schützenstraße, am Nordmarkt.

Spannende Apotheken-Geschichte als Buch erschienen

Die Geschichte des Dortmunder Apothekenwesens wurde in den vergangenen Jahren von einer ausgewiesenen Fachfrau akribisch erforscht. Die Ergebnisse liegen seit Kurzem in Buchform vor. Gerlinde Hövel: Die Dortmunder Apotheken 1502-2020; zur Entwicklung des Apothekenwesens in Dortmund.

Das fast 600 Seiten starke, im Aschendorff Verlag erschienene Werk gibt zunächst einen Überblick über die Apotheken-Geschichte von Dortmunds reichsstädtischer Zeit bis zum Einzug der Digitalisierung in diesen Sektor. Außerdem enthält das Buch mehr als fünfzig Abhandlungen über einzelne Apotheken im ganzen Stadtgebiet.

Trotz des speziellen Themas wendet sich das Buch nicht allein an ein Fachpublikum, sondern an jeden, der sich für die Stadtgeschichte interessiert. Es ist durchaus kurzweilig zu lesen und bietet ganz neue Einblicke in die Stadtgeschichte.

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