Das alte Heim ging im Zweiten Weltkrieg weitestgehend unter

SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Arbeit und Gebet bestimmten den Alltag im Vincenzheim

Gesamtansicht St. Vincenzheim, um 1919
Gesamtansicht St. Vincenzheim, um 1919 Sammlung Klaus Winter

Von Klaus Winter

Im Jahre 1890 kam Adolph Neuhaus mit Frau und Kindern nach Dortmund. Der Jurist trat seinen Dienst als Amtsgerichtsrat an und nahm somit eine bedeutende Stellung in der Stadtgesellschaft ein. Allerdings sollte sein Ruf von dem seiner Frau noch deutlich überflügelt werden. Denn Agnes Neuhaus (1854-1944) entwickelte sich zu einer führenden Streiterin der katholischen Frauenbewegung und einer der bedeutendsten deutschen Sozialpolitikerinnen. Sie war sogar Abgeordnete im Deutschen Reichstag.

Krankenhausbesuch war die Initialzündung

Das soziale Engagement der Agnes Neuhaus soll geweckt worden sein, als sie 1899 im städtischen Louisenhospital die Abteilung für unter Geschlechtskrankheiten leidende Mädchen und junge Frauen kennenlernte. Für die sogenannten „gefallenen Mädchen“ wollte sie ein Zufluchtsheim errichten.

Gemeinsam mit dem damaligen Propst Löhers gründete sie deshalb noch im selben Jahr als ersten Schritt den „Verein zum Guten Hirten“. Aus diesem entstand 1901 der Katholische Fürsorgeverein für Mädchen und Frauen, ab 1903 Katholischer Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder.

Der Verein bildete den Grundstein des Vincenzheims

Ansicht vom Garten, um 1928
Ansicht vom Garten, um 1928 Sammlung Klaus Winter

Nachdem Anfang Oktober 1901 die Satzung fertiggestellt war, wurde der neue Verein am 14. Dezember 1901 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Dortmund eingetragen. Vorstandsmitglieder waren Pfarrer Cloidt von der Dreifaltigkeitsgemeinde, Dr. med. Hellhake und der Amtsgerichtsrat Neuhaus. Insgesamt zählte der Verein 15 Mitglieder.

Seine Aufgaben sah der Verein in der Pflege von Säuglingen und Kindern bis zum Erreichen des schulpflichtigen Alters, dem Schutz sittlich gefährdeter junger Frauen, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter waren, und der Sorge um sogenannte „gefallene“ Mädchen.

Neues Heim entstand zwischen Flur- und Oesterholzstraße

Ansicht vom Garten, um 1935
Ansicht vom Garten, um 1935 Sammlung Klaus Winter

Pfarrer Cloidt stellte den Bauplatz für das Vincenzheim zwischen Flur- und Oesterholzstraße, in der Nachbarschaft der Dreifaltigkeitskirche, zur Verfügung. Die Finanzierung der Baumaßnahme erfolgte durch Spenden, Sammlungen, dem Verkauf von Bausteinen und einem Darlehen der Provinz Westfalen.

So konnte ein rotes Backsteingebäude mit zahlreichen großen Fenstern entstehen. Das Haus konnte bereits im Oktober 1903 eröffnet werden. Im Laufe der Zeit wurde es Heim für tausende Mädchen und junge Frauen.

Tagesablauf wurde von Arbeit und Gebet bestimmt

Von Beginn an und bis Mitte der 1990er Jahre leiteten Barmherzige Schwestern des heiligen Vincenz von Paul aus dem Mutterhaus Paderborn das Vincenzheim. Wie eine erhaltene Tagesordnung aus dem Eröffnungsjahr zeigt, war der Tagesablauf der Heimbewohnerinnen streng geregelt und bestimmt von Arbeit und Gebet. Freizeit gab es nur wenig.

Die Frauen, die aus dem Heim entlassen wurden, waren in Hausarbeiten ausgebildet und hatten auch in der hauseigenen Wäscherei gearbeitet. So konnten sie vielfach erfolgreich in Dienststellen vermittelt werden.

Das Säuglingsheim galt als mustergültig und erfolgreich

Im Säuglingsheim, um 1935
Im Säuglingsheim, um 1935 Sammlung Klaus Winter

Bereits 1908, also fünf Jahre nach seiner Eröffnung, wurde das Vincenzheim erstmals erweitert. Es entstanden ein Unterrichts- und Speisesaal, eine Kapelle und zusätzliche Wohnräume für die Mädchen.

Die Säuglingsstation des Vincenzheims stand bereits in den frühen Jahren in einem guten Ruf. Die Presse lobte 1911, dass sie „mustergültig eingerichtet“ sei und „mit gutem Erfolg arbeitet“. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Abteilung vergrößert. Im Mai 1914 verfügte sie über 80 Betten.

Wirtschaftliche Eigenständigkeit wurde angestrebt

Das Vincenzheim finanzierte sich von Anfang an teilweise aus den Einnahmen seiner Wäscherei. Ein weiterer Schritt zu einer wirtschaftlichen Eigenständigkeit wurde 1926 getan, als für 120.000 Mark ein großer Gutshof in Allen im Kreis Hamm gekauft werden konnte.

Der Hof sollte die Milchversorgung des Heims, insbesondere der Säuglingsstation sicherstellen. Tatsächlich wurde er im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges, als der nordöstliche Teil der Stadt im Kriegsverlauf zum Ziel massiver Bombenangriffe wurde, eine Notunterkunft des Vincenzheims.

Der Zweite Weltkrieg veränderte das Vincenzheim

Theatersaal im Vincenzheim, um 1935
Theatersaal im Vincenzheim, um 1935 Sammlung Klaus Winter

Bereits seit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden Soldaten, die in der Dreifaltigkeitsschule untergebracht waren, durch die Küche des Vincenzheims mitversorgt. Die Wäscherei des Heims musste die Reinigung der Soldaten-Wäsche besorgen. Schwestern wurden für den Sanitätsdienst für die im Heim eingerichtete Rettungsstelle ausgebildet.

Die ersten Bomben trafen das Vincenzheim 1941. Dennoch wurden hier durch Kriegsereignisse obdachlos gewordene Familien aufgenommen und hunderte Personen mit Essensportionen versorgt. Nach dem Angriff in der Nacht vom 8. zum 9. Juni 1942 sollen es 1.200 Personen gewesen sein!

1943 begann die Evakuierung der Heimbewohner. Für Kleinkinder waren in dem vormaligen Hühnerhaus des Allener Gutshofes Schlaf- und Spielplätze eingerichtet worden.

Vincenzheim war zu 70 Prozent kriegszerstört

Die Kriegszerstörungen, von denen unter anderem auch die benachbarte Dreifaltigkeitsgemeinde schwer betroffen war, setzten sich schrittweise fort. Seit der Zerstörung der Dreifaltigkeitskirche 1943 fanden im Vincenzheim die heiligen Messen statt, bis dafür am 1. Dezember 1944 der Kindergarten der Gemeinde zur Verfügung stand.

Bei Kriegsende waren 70 Prozent der Gebäude des Vincenzheims zerstört. Wie vielerorts in der Stadt musste man auch hier wieder fast bei Null anfangen. Allerdings gibt es die Einrichtung noch heute …

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