Großer Science-Fiction-Stoff überzeugt auf kleiner Bühne – „Minority Report“ im Dortmunder Schauspiel

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Ekkehard Freye (Fotos: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Aus Schaumgummi ausgeschnitten verkünden vier mannshohe Zahlen das Jahr 2014. Ein wenig später wird ein wenig getauscht, dann steht dort 2041, und man ahnt: der Blick geht in die Zukunft.

„Live-Film“ zur Aufführung im Dortmunder Schauspielhaus

Im Dortmunder Studio gelangt ein „Live-Film“ zur Aufführung, der wie sein großes Vorbild „Minority Report“ heißt. Steven Spielberg drehte ihn 2002 mit Tom Cruise in der Hauptrolle, Vorlage war eine Kurzgeschichte von Philip K. Dick von 1956. Und sicherlich ist es zulässig, „Minority Report“ als ein herausragendes Science-Fiction-Produkt zu bezeichnen, als Film, der Maßstäbe setzte und vielen Kinogängern auch nach über zehn Jahren noch sehr gegenwärtig ist. Aber prädestiniert ihn das für die Bühne? Für ein mit gerade einmal vier Personen bestücktes Kammerspiel? Gewiß nicht zwingend. Aber vielleicht sind das auch die falschen Fragen.

 Klaus Gehre hat aus der Filmvorlage ein Theaterstück erarbeitet

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Björn Gabriel (rechts) und Barbiepuppen in der Videoprojektion.

Denn was das Dortmunder Theater in der Regie (und Textfassung) von Klaus Gehre aus der Filmvorlage gemacht hat, ist ein streckenweise recht vergnüglicher, schrill bunter Hundertminütler geworden, der den Film nicht nur zu reproduzieren trachtet, sondern ihn kräftig parodiert. So wird die genretypisch ritualisierte Kino-Exposition mit ihren gestanzten Dialogen bis zur Lächerlichkeit übertrieben, ebenso ergeht es im Lauf des Geschehens etlichen weiteren Wortwechseln.

Im Kinderzimmer beeindrucken Helden wie die hartgesottenen „Precrime“-Beamten natürlich trotzdem, und deshalb wird es kein Zufall sein, daß die vier Darsteller Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Julia Schubert und Merle Wasmuth – kurze Hosen, kurze Kleidchen – die Geschichte in einer Art Kinderzimmer nachspielen (Bühne: Klaus Gehre, Bühne und Kostüme: Mai Gogishvili).

Barbiepuppen führen vor laufender Videokamera heiles amerikanisches Durchschnittsleben vor, und wenn auch eine stringente Regel nicht zu erkennen ist, scheint es doch eine dramaturgische Idee zu sein, das Intensivere, Bedeutsamere von den Realpersonen spielen zu lassen, während „Rahmenhandlung“ nur Puppentheater ist oder gar aus der Videokonserve kommt.

Angeblich ein bombensicheres System – und dann geschieht doch ein Mord

Gerät etwas außer Kontrolle? Szene mit der gesamten Besetzung (von links): Björn Gabriel, Merle Wasmuth, Julia Schubert und Ekkehard Freye (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)
Gerät etwas außer Kontrolle? Szene mit der gesamten Besetzung.

„Precrime“, dies noch zum Verständnis, ist eine Behörde, die mit Hilfe quasimenschlicher „Precogs“ aus Datenströmen ermittelt, welche Mordtaten in Zukunft geschehen werden – und sich, wenn Erkenntnisse vorliegen, flott daran macht, die Taten zu verhindern. Angeblich ein bombensicheres System – und dann geschieht doch ein Mord. Wurde er vorhergesehen?

Hätte man ihn verhindern können, wenn bestimmte Daten, nämlich der bezeichnete „Minority Report“ eines einzelnen „Precogs“, ernster genommen worden wären? Wir erfahren schließlich und veranschaulicht mit Hilfe der schon erwähnten Schaumgummizahlen, daß fatalerweise eine zweifach negative Multiplikation von Faktoren ein „positives“ Ergebnis zeitigte und so das System ad absurdum führte. Oder gab es zwei Mörder? Nicht zuletzt ist das ganze ja auch Krimi.

Spezielle Abstimmungs-Apps für die eigenen Mobiltelefone

Vor der Premiere – Episode am Rande – hatte das Theater sein Publikum aufgefordert, sich spezielle Abstimmungs-Apps auf die Mobiltelefone zu legen. Bestellt waren sie bei Android und Apple, doch Apple wollte nicht. Die Firma schrieb dem Dortmunder Theater einen Brief, in dem sie (ich vereinfache) die gewünschte App für zu schlicht und daher unvereinbar mit dem intelligenten, innovativen usw. Firmenimage von Apple erklärte. Der Brief gelangte in der Aufführung zur Verlesung.

Mit Hilfe der Apps sollte das Publikum (wenn ich es richtig verstanden habe) seine Meinung kundtun, ob der „Minority Report“, wäre er denn wahrgenommen worden, den Mord auf der Bühne verhindert hätte. Dumm war dann nur, daß nach der Abstimmung trotzdem zwei Zahlen auf der Leinwand erschienen, nämlich vorgeblich Abstimmungsergebnisse der Android-Nutzer und der Apple-Nutzer. Hat da jemand geschummelt? Oder war die ganze Smartphone-Aktion eh nur Pillepalle?

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Auch ein bißchen Krimi (mit Schußwaffengebrauch) – Szene mit Ekkehard Freye, Björn Gabriel und in der Videoprojektion Merle Wasmuth.

Dabei zeigte gerade dieser „Minority Report“ des Dortmunder Schauspiels mit seiner „Abstimmungspanne“, daß es auch ohne geht, daß man der scheinbaren Aktualität (gar nicht mehr so) neuer elektronischer Maschinchen nicht atemlos nachlaufen sollte. „Minority Report“ variiert den alten Menschheitstraum der Zeitreise auf verblüffende Art, und der spannende Kino-Stoff ist auf dem Theater ein spannender Stoff geblieben. Herzlicher, anhaltender Applaus.

Mehr Informationen:

Weitere Termine: 21. September, 18., 23. Oktober

Weitere Informationen Tel. 0231 50 27 222

www.theaterdo.de

 

Eine weitere Besprechung des Stücks findet sich bei www.revierpassagen.de

 

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