Schulpflegschaften von Gymnasien in Dortmund debattieren über G9 und Wünsche der Eltern – Umfrage erneut gestartet

Mit diesem Bild wirbt die Initiative für das Abitur nach neun Jahren. Foto: g9-jetzt-nrw.de
Die Elterninitiative „G9-jetzt-NRW“ ist ein Beispiel des Engagements für das Abitur nach neun Jahren. Foto: g9-jetzt-nrw.de

Neben den Vorstandswahlen ging es vor allem um eins – für die Delegierten der Schulpflegschaften der vertretenen Dortmunder Gymnasien: Was soll in NRW nach der fälligen Beerdigung von G8 kommen? Denn darüber sollten nicht nur Bildungspolitiker und Wirtschaft befinden, die ihr 2005 gestartetes Turbo-Abi-Projekt nach Meinung und Erfahrung der maßgeblich Beteiligten/Betroffenen – Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen – schlicht in den Sand gesetzt haben.

Eine kleine Rückblende in das Jahr 2005: KultusministerInnen beschließen G8

Landtagssitzung in Düsseldorf
Landtagssitzung in Düsseldorf. Hier fällt die letzte Entscheidung zu G9 in NRW. Archivbild: A. Völkel

Der am 6. März 2018 vom Kabinett der NRW-Landesregierung beschlossene Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Dauer von Bildungsgängen an Gymnasien sieht wie in vielen anderen Bundesländern die Wiedereinführung von G9 vor. Dann dauerte der Weg zum Abitur in der Regel wieder neun Jahre. Dazu stehen am 2. Mai in Düsseldorf zwei Anhörungen in den Landtagsausschüssen für Schule und Bildung sowie für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen an.

In dem Problemaufriss zu dem Gesetzesentwurf heißt es selbstsicher: „Ein generell auf acht Jahre verkürzter Bildungsgang entsprach damals einem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens.“

Das soll im Jahre 2005 gewesen sein. Danach führen alle Bundesländer mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz nach und nach G8 ein, den Schnelldurchlauf zur erwünschten Reife, dem Abitur. – Aber vom fast einhelligen Konsens konnte damals freilich nur unter KultusministerInnen sowie zwischen Bildungspolitik und Wirtschaft die Rede sein.

Das Paradigma, in der Bildung wie im Leben möge alles immer schneller, besser, produktiver laufen – und dabei ja nicht nach links oder rechts schauen – war beileibe nicht so beliebt.

G8 war von Anfang an begleitet von Widerstand – heute ist die Reform ein Scherbenhaufen

Große Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft wollten schon damals nicht mitziehen. Allein die Wirtschaft hält bis heute weitgehend unbeirrt an G8 fest. Von dort wird es als „lebenslanges Lernen“ verkauft und meint faktisch berufsspezifisches Lernen in ihrem Sinne – zuungunsten der Allgemeinbildung.

Demgegenüber regte sich von Anfang an ein schnell wachsender Widerstand gegen die Konzeption von Fast-Food-Bildung in der Jugend. Angefangen von der „Initiative Volksbegehren G 9“ in Bayern 2005, über die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Elterninitiativen wie heute „G9-jetzt-NRW“ bis hin zu Landesschülervertretungen. Kaum etwas funktionierte wie vorgesehen; stattdessen fordern immer mehr der vom Turbo-Abi Betroffenen eine Entschleunigung des Schulalltags.

Heute könnten sich die damaligen G8-BefürworterInnen mit vollem Recht etwa eingestehen: „Wir wollten im internationalen Konkurrenzsystem durch Beschleunigung schon bei den Jüngsten mithalten. Aber wir trafen Menschen: Kinder, die nicht nur diszipliniert pauken wollen, LehrerInnen, die an den Realisierungsbedingungen zur Erfüllung ihres Bildungsauftrags verzweifeln, und Eltern, gebeutelt von den Kosten für Nachhilfe oder ausgezehrt vom Energieaufwand, wenn sie neben dem Job her stundenlang selbst ihren Kindern die angewachsenen Stoffvolumina eintrichtern müssen.“ Oder so ähnlich.

Delegierte gymnasialer Schulpflegschaften in Dortmund beraten über Ergebnisse einer Umfrage zu G8/G9

Das Bildungssystem in der Bundesrepublik. Quelle Wikipedia/Andreas 06
Das Bildungssystem in der Bundesrepublik: Zwei Jahre Sek II haben nicht gereicht. Quelle Wikipedia/Andreas 06

Die absehbare Wiedereinführung von G9 in NRW beschäftigt natürlich auch die Eltern in Dortmund. Jüngst haben sich  gymnasiale Schulpflegschaftsvorstände damit befasst. Zur Debatte stand ebenfalls die Auswertung einer in diesem Zusammenhang von den Stadtelternschaften initiierten, nicht-repräsentativen Umfrage.

An der anonymisierten Online-Umfrage konnten Eltern von Kindern aller Schulformen teilnehmen. Die entscheidenden Fragen richten sich – neben der Erhebung von Basisdaten wie etwa über die aktuell besuchte Schulform oder die Schulausstattung sowie elterlichen Wünschen nach Förderangeboten und fachlichen Schwerpunktsetzungen – auf zwei zentrale Themenkomplexe.

Einerseits ging es darum, ob die Eltern für ihr Kind G8 oder G9 bevorzugten bzw. die in NRW anvisierte Rückkehr zu G9 ihre Wahl der Schulform beeinflussen könnte. Zusätzlich wurde danach gefragt, ob sie einen flexiblen Durchlauf der Sek II zwischen zwei und vier Jahren für sinnvoll erachteten.

Andererseits sollten Eltern angeben, ob und in welchem Umfang bzw. in welchen Fächern ihre Kinder auf dem Gymnasium Nachhilfe erhielten.

Zwei Umfragen unter Eltern und LehrerInnen ergeben ein einheitliches Bild: No-G8!

Bei einer ähnlichen, aber etwas breiter angelegten und schon 2010 veröffentlichten Online-Umfrage der Bonner Bürgerinitiative familiengerechte Bildung und Schule („g-ib-8“) zur Schulzeitverkürzung unter Eltern und LehrerInnen gaben über 4/5 der teilnehmenden Eltern (4360) an, sie empfänden die Belastungen für ihr Kind und sich selbst wegen G8 als zu hoch; über 86 Prozent der Eltern zeigten sich mit G8 insgesamt eher bis sehr unzufrieden.

Von den an der Umfrage teilnehmenden LehrerInnen (248 TeilnehmerInnen) gaben fast 90 Prozent an, die Lernbedingungen hätten sich durch G8 (sehr) verschlechtert und führten dies mit großer Mehrheit auf die Stofffülle, den Leistungsdruck und die Wochenstundenzahl zurück. Eher bis sehr unzufrieden mit G8 waren bei den Pädagogen ähnlich wie schon bei ihren SchülerInnen satte 87 Prozent.

Bei der Umfrage des Verbandes der Stadtelternschaften Dortmund zeichnete sich ein vergleichbares Bild ab: Über 86 Prozent der teilnehmenden Eltern (443) befürworteten eine Rückkehr zu G9. Und zwar mit deutlichen Mehrheiten für eine einheitlichen Regelung in NRW, die keine lokalen Ausnahmen zulässt, wie etwa durch Beschluss der Schulkonferenz eines Gymnasiums. – Das heißt: Handlungs- und Planungssicherheit sind den Eltern wichtig.

Landeselternkonferenz, VBE und GEW fordern G9 mit individuellen Gestaltungsspielräumen

Die verbindliche Wiedereinführung von G9 fordern auch die NRW-Landeselternkonferenz, der Verband für Bildung und Erziehung (VBE) sowie die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW in einer gemeinsamen Stellungnahme Ende letzten Jahres.

Zugleich soll es aber für individuelle Bildungsplanungen mehr Raum geben, so dass die Durchlaufzeit der Sekundarstufe II (nach wieder einheitlichen sechs Jahren Sek I) für einzelne SchülerInnen zwischen zwei und vier Jahren betragen kann.

Für die ElternvertreterInnen der Dortmunder GymnasiastInnen ist zunächst wichtig, Eltern über weiterführende schulische Bildungsangebote für ihre Kinder zu informieren.

Und nicht nur das: Dringend geboten sei „eine neutrale, umfassende Beratung für Eltern vor dem Schulwechsel, die über die möglichen und vielfältigen, individuellen Bildungswege aufklärt“, so die kommunalen Schulpflegschaftsvorstände.

ElternvertreterInnen: Vor Schulwechsel zum nächsten Schuljahr müssen Angebote verbindlich vorliegen

Es geht mithin um die Qualität der Beratung von Eltern bei Übergängen in die weiterführenden Schulen (Sek I f.). Und dazu gehört, dass alle Beteiligten wissen, wovon überhaupt die Rede ist.

Daher fordert die Dortmunder Schulpflegschaft: den Eltern solle rechtzeitig bekannt sein, was da dräut. Welche Gymnasialstruktur in NRW also vor dem anstehenden Schulwechsel im kommenden Schuljahr 2019/20 und nach der gesellschaftlich erzwungenen Beerdigung von G8 en détail verbindlich angeboten werden wird. Die größte Sorge ist, dass einzelne Schulen unter qualifizierten Voraussetzungen entscheiden können, ob G8 oder G9. Und zwar von beiden Seiten besorgter Eltern. Auch von G8-BefürworterInnen, weil beispielsweise beim klugen Kind der Verdacht auf Hochbegabung besteht.

An der Dortmunder Umfrage zu G9/G8 konnten sich Eltern von Kindern aus allen Schulformen auf der bereitgestellten Online-Plattform beteiligen. Dazu gehörten auch die Erhebungen zu den Belastungen von SchülerInnen eines Gymnasiums, indem nach Nachhilfe und der Teilnahme an Förderangeboten gefragt wurde. Doch damit nicht genug.

Erhebung über Einstellungen der Eltern zu G8/G9 wird landesweit fortgesetzt

Startseite für die Umfrage der Landeselternkonferenz
Startseite für die Umfrage der LEK NRW

Die Landeselternkonferenz (LEK) NRW hat nun beschlossen, die zuvor kommunale, schulformübergreifende Umfrage unter den Eltern noch einmal mit teilweise ausführlicher erklärten Fragen landesweit aufzugreifen und weiterhin online anzubieten. Ziel ist es, sich angesichts der bevorstehenden Anhörungen im NRW-Landtag ein präziseres Bild von der Situation vor Ort in ganz NRW und von speziellen Elternwünschen zu machen.

Für TeilnehmerInnen an der Umfrage soll dabei der Zusammenhang zwischen den Erwartungen seitens der Eltern an die Schule nach Förderung oder etwa Mittagsverpflegung und den bis zu acht freiwilligen Förderstunden deutlicher als bisher gemacht werden.

Neben einer intensiven Debatte gab es am Ende für die Delegierten noch die Aufgabe, den neuen Vorstand der Stadteltern Dortmund für Gymnasien zu bestimmen. Einstimmig wurden hier Anke Staar als Vorsitzende und Ulrich Krugmann als ihr Stellvertreter gewählt. Thomas Minor löst Werner Volmer als Web-Master und Kassenwart ab.

Weitere Informationen:

  • Die Umfrage der Dortmunder Stadteltern, editiert und jetzt landesweit online, hier.
  • Ergebnisse der Online-Umfrage der Bürgerinitiative familiengerechte Bildung und Schule (2010), hier.
  • Positionierung zur Wiedereinführung G9 von der Landeselternkonferenz (LEK) NRW zusammen mit dem Verband für Bildung und Erziehung (VBE) NRW und der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW, hier.
  • Faktencheck: Zur Chronologie der Einführung von G8 in NRW, hier.

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