Initiative von „Die Partei“ für „Unser-Omma-ihr-Platz“ ist gescheitert – Suche nach geeigneter Fläche geht weiter

Europabrunnen, unterer Teil der Kleppingstraße: die Freifläche wird nach dem Dortmunder Maler Conrad von Soest getauft werden; „unser Omma“ dagegen schaut weiterhin in die Röhre. Foto: Sascha Fijneman

Kommentierender Bericht von Thomas Engel

Die Namenlosen, die sich Generation um Generation um den Nachwuchs, um andere kümmern – präsent sind. Sich sorgen, mit helfenden Händen, wo es nottut. Ihr Wirken und ihre Leistungen, die unserer Großmütter, sie müssten endlich gewürdigt werden. Indem nach ihnen beispielsweise eine Fläche um den Europabrunnen in der Dortmunder Innenstadt benannt wird – was im besten „Ruhrhochdeutsch“ heißen könnte: „Unser-Omma-ihr-Platz“, oder so ähnlich. Konkret war das jüngst die Absicht von „Die Partei“. Eingebracht von den Newcomern in die Bezirksvertretung (BV) Innenstadt-West und dort vorläufig gescheitert. Stattdessen war in dem Gremium „Conrad von Soest-Platz“ als Bezeichnung für das Areal beschlossen worden. Nach dem spätgotischen Dortmunder Maler, der dort einst lebte. – Die Initiative ist allerdings nicht vom Tisch. Die Suche nach einem geeigneten Ort für eine etwas spezielle Namensgebung, die politisch durchsetzbar ist – sie geht munter weiter. Eine ebenfalls in die Welt gesetzte, diesmal namentlich genannte Alternative von „Die Partei“ gibt allerdings arg zu denken. Selbstkritisch, wie sie ist, könnte sie sich fragen: Wie viel Blindheit erlauben wir uns eigentlich selbst?

Ein Platz für alle anonymen Heldinnen des Alltags und mehr: für „unser Omma“ eben

Foto: Leopold Achilles

Es war ein origineller Vorschlag von „Die Partei“, der in den vergangenen Wochen auch medial einige Beachtung fand. Zahlreiche Plätze sind in Dortmund nach bekannten Persönlichkeiten benannt, meist Männer, Politiker, Schriftsteller usf. Doch was ist mit den vielen namenlosen Heldinnen des Alltags? Im gesellschaftlichen Leben?

Den „vielen verdienten Frauen, die oft im Kleinen, manchmal im Großen zum Wohle der Allgemeinheit gewirkt haben“, wie es in dem Antrag von „Die Partei“ heißt. Eine berechtigte Frage, kein Zweifel. ___STEADY_PAYWALL___

Die ungewöhnliche, aber mitnichten kuriose Idee der Newcomer im kommunalpolitischen Geschäft: Sich einen Typus herauszusuchen, der dafür steht. Unser aller „Omma“ eben. Die mit der Stulle/dem Bütterken im Gepäck und das Leben kennt: präsent, zupackend, sorgend. Und so sollte der Platz am Europabrunnen „Unser-Omma-ihr-Platz“ genannt werden.

„Denn das spiegelt eine ganze Generation wichtiger Personen wider, die viel zu wenig geehrt werden. Außerdem hat es den Vorteil, dass der Platz mit jeder Generation ein automatisches Update erfährt und immer neue Frauen in großer Anzahl geehrt werden“, lautet es zur Begründung von „Die Partei“.

BV Innenstadt-West stimmt mit großer Mehrheit für „Conrad von Soest-Platz“

Kleppingstraße und Europabrunnen. Karte: mapz.com
Kleppingstraße und Europabrunnen. Karte: mapz.com

Die Bezirksvertretung Innenstadt-West musste sich in der vergangenen Woche erneut mit dem Thema befassen. Denn Anfang März war es übers Ansinnen der Polit-Satiriker*innen zu keiner Abstimmung gekommen; es gab rechtliche Unklarheiten.

Im März wurde lediglich mit großer Mehrheit der betreffende CDU-Antrag angenommen. Und der besagte, dass die Fläche rund um den Europabrunnen am Anfang der Kleppingstraße die Bezeichnung „Conrad von Soest-Platz“ erhalten sollte.

Damit bezieht sich die Namensgebung auf den spätgotischen Dortmunder Maler Conrad von Soest (1370-1422), der nach heutigen Erkenntnissen am Ostenhellweg wohnte und arbeitete. Einen Namen machte er sich vor allem durch seine Altarmalerei.

Und unser aller Omas gingen mal wieder leer aus. Schade eigentlich, fand zumindest die BV-Vertreterin von „Die Partei“, Bettina Neuhaus. Sie stellte den Antrag in der vergangenen Woche erneut, um die zahllosen anonymen Frauen, die eine zentrale Rolle dabei spielten, ganze Generationen hochzupäppeln, irgendwie doch noch zu verdienten Meriten kommen zu lassen.

Umbenennungsantrag von „Die Partei“ in Richtung „unser Omma“ scheitert deutlich

Dass auf der BV-Sitzung eine nachträgliche Umbenennung des Platzes wenig Chancen haben wird, war klar. Dennoch: Für Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß ist es „ein wahnsinniger Vorteil“, dass „Die Partei“ – wegen der Verschiebung der Abstimmung – eine Presse bekommen habe, „die sie sonst nicht bekommen hat“. Da aber nun der Conrad von Soest-Platz zu einem Faktum geworden ist, schlägt er Bettina Neuhaus vor, sie könne „den Antrag natürlich auch zurückziehen“. Und hat im Sinn, ihn vielleicht zurückzustellen, um derweil einen anderen Platz zu suchen.

Friedrich Fuß, BV-Bürgermeister Innenstadt-West. Archivfoto: Klaus Hartmann

Doch die zeigt sich wenig beeindruckt: „Ich ziehe ihn nicht zurück“. Sie sei sehr glücklich, „dass die Oma eine zweite Chance bekommt, weil ich finde, Oma hat sie verdient.“ Zwischenzeitlich habe es nicht nur ein Echo aus der Presse, sondern auch aus Bevölkerung gegeben: „Das ist eine ganz tolle Sache, das finden wir super.“

Und an die anwesenden Kolleg*innen in der BV gewandt: Jetzt gäbe es die Chance, die falsche Entscheidung vom letzten Mal zu korrigieren, um der Oma einen angemessenen, sonnigen Platz zu geben. „Das würde mich sehr freuen; im Namen meiner Oma und im Namen aller Omas.“

BV-Chef Fuß muss diesmal also abstimmen lassen, geht nicht anders: „Sie sind also nicht dafür, dass wir einen anderen Platz suchen, sondern Sie bestehen darauf, dass dieser Platz nach der Oma benannt wird?“ Für die Politikerin von „Die Partei“ schließt das eine das andere nicht aus – und möchte abstimmen lassen, über eine Namensänderung. Resultat: Bei Enthaltung der Linken sind die restlichen BV-Mitglieder dagegen. „Sehr schade, aber ich bleib‘ dran“, verkündet Neuhaus.

Fünf Namen von weiteren Frauen als mögliche Platz-Bezeichnung präsentiert

In dem vom Gremium nun abgelehnten Änderungsantrag werden fünf weitere und jetzt namentlich genannte Frauen aus dem Hut gezogen, die aber keinesfalls nicht unerwähnt bleiben dürfen: „Die folgenden verdienten Dortmunderinnen (siehe Wikipedia und weiteres ,Internet‘) in den Diskussionsring werfen“, das wollten sie auch noch, heißt es in dem Schriftstück zum Schluss: Anna Lex, Hildegard Gethmann, Helene Wessel, Agnes Neuhaus und Nahid Anahita Ratebzad.

Foto: Leopold Achilles

War das nur ein Fall schlechter Recherche? Denn hier wird das politische Terrain definitiv schlüpfrig. Nicht nur, weil die Namen von drei der aufgeführten Frauen – Lex, Gethmann und Wessel – in Dortmund bereits über Straßenbezeichnungen verewigt wurden:

In Dortmund-Rüdinghausen gibt es eine Hildegard-Gethmann-Straße, zwischen Phoenix-West und Hacheney liegt die Helene-Wessel-Straße und am Ostwall die Agnes-Neuhaus-Straße. Fiele die Wahl auf eine von ihnen, weil „Omma“ nicht durchsetzbar ist: der betreffenden Person würde durch eine Namenswidmung öffentlicher Orte quasi doppelt gewürdigt – ein ungewöhnlicher Vorgang.

Sondern vor allem wird der Boden brüchiger, wenn beim öffentlichkeitswirksamen Zeichensetzen für Namenlose eine durchaus umstrittene Alternative darunter ist, wenn’s nicht klappt: die aus Dortmund-Hörde stammende Helene Wessel (1898 – 1969). Die Vorsitzende der Nachkriegszentrumspartei und das spätere SPD-Mitglied war im Parlamentarischen Rat als eine von nur vier Frauen an der Erarbeitung des Grundgesetzes beteiligt – von diesem beschlossen am 8. Mai 1949, mit einem Votum von 53 gegen 12. Eine Nein-Stimme stammte von Helene Wessel. Ihre Ablehnung begründete sie auch damit, dass im GG christliche Wertvorstellungen nicht zureichend berücksichtigt worden seien.

„Helene-Wessel-Platz“? – Namensgebung nach einem X zwischen Frauenrechtlerin und Eugenikerin?

Gravierender aber ist eine gesellschaftspolitische Haltung Wessels, die durch eine fast paranoid-inzestuöse Nähe zu sozialdarwinistischen Theoriestücken auffällt, die über Jahrzehnte nachgezeichnet werden können. Lange Zeit blieb diese dunkle Seite in der Bundesrepublik verborgen. Da war nur ihre Fürsorge, das Bild einer nach dem Krieg hart kämpfenden Frau. Dafür zum Beispiel, dass Art. 3 Abs. 2 GG festgeschrieben wird: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Das war’s. Rosarot.

Im Bundestag aber fordert Helene Wessel 1951 wie viele ein „Bewahrungsgesetz“ – aber mit Worten aus dem Bermudadreieck zwischen Zwangsverwahrung, Fürsorge und Eugenik. Gestützt mit sozialhygienischen Argumenten („Bewahrung nicht Verwahrung: eine fürsorgerische und eugenische Notwendigkeit“), an deren Veröffentlichung 1934 das faschistische Deutschland bezeichnenderweise nichts auszusetzen hatte.

Erst im vergangenen März wurde aus diesem Grunde im zwischen Köln und Bonn gelegenen Bornheim von einem Vorhaben Abstand genommen. Davon, in einer Neubausiedlung des Stadtteils Roisdorf eine Straße nach der Politikerin aus Dortmund zu benennen. Begründung: Wessel habe eugenisches Gedankengut vertreten. Und daran können leider keine Zweifel bestehen, nachweisbar in ihren Schriften, von Weimar bis in die BRD.

So zitiert etwa die promovierte Historikerin Angelika Ebbinghaus, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac, in ihrem Sammelband „Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus“ unsere von „Die Partei“ vorgeschlagene Dortmunderin Helene Wessel aus einer ihrer Schriften von 1931: Niemand, der die Wohlfahrtspflege kenne, könne leugnen, „daß ihre Mittel […] zum großen Teil von Menschen in Anspruch genommen werden, die unter den biologischen und ethischen Begriff der Minderwertigkeit fallen“ (S. 202). Im Weiteren sprach sich Wessel für Zwangseinweisungen von Menschen mit geistiger Behinderung oder solchen, die in sozialer Deprivation leben, aus (S. 192ff.).

Infolge des Scheiterns in der BV: Anderer Platz für „Omma“-Würdigung gesucht

Ähnliche Stellen finden sich in den Schriften Wessels zuhauf. Doch bis in die Stadtgesellschaft scheint dies nicht durchgedrungen zu sein.

70 Jahre Grundgesetz, Jubiläumsveranstaltung in Dortmund – einschließlich Aufmarsch aus dem Heimatministerium NRW und der Würdigung von Helene Wessel. Jener Frau, die forderte, geistig Behinderte oder sozial Schwache wegzuschließen. Foto: Stadt Do

Im Mai 2019 noch feierten in Dortmund die AG der Frauenverbände zusammen mit dem Gleichstellungsbüro der Stadt den 70. Geburtstag des Grundgesetzes aus der Perspektive von Parität. Einschließlich besonderer Würdigung von Helene Wessel als einer engagierten und nicht stromlinienförmigen Politikerin.

Durchaus erstaunlich für eine kritische Partei, hier ganz unkritisch anzudocken. Passen systematisches Aufsaugen von Politikverdrossenheit und Teilhabe an dergestaltiger Legendenbildung so gut zusammen? Die Konstellation scheint immerhin zur Bereitschaft zu führen, unsere sympathische „Omma“ zu ersetzen mit einer potentiellen Namensgeberin aus dem chimärischen Milieu zwischen fürsorglich-gewaltätigem Maternalismus und politischer Reaktion. Und das ist schlicht etwas peinlich. „Unser Omma“, sie drehte sich im Grabe um.

Abgesehen davon: Nach dem vorläufigen Scheitern der Namenlosen-Initiative wird die Suche in Dortmund seitens der Aktivist*innen weitergehen. Bessere Chancen haben die Initiator*innen wohl, wenn sie es schaffen, eine Fläche zu finden, die derzeit ohne Bezeichnung ist, so dass die politischen Hürden für eine Umbenennung wegfallen.

Nach der Blindheit: Eine lebendige Erinnerungskultur vergewissert sich eigener Versäumnisse

Unbedacht von Ausnahmen im Einzelfall. Es könnte auch anders laufen. Denn es gibt in der Stadt eine ganze Reihe von Bezeichnungen für öffentliche Orte, die bald zur Disposition stehen könnten, weil die betreffenden Namensgeber*innen extrem fragwürdige Biographien oder Einstellungssysteme mit sich herumschleppen, die nach und nach ans Tageslicht geraten.

Stadtdirektor und Kämmerer Jörg Stüdemann fordert das Land auf, endlich einen Altschulden-Tilgungsfond aufzulegen.
Klares Urteil von Kulturdezernent Jörg Stüdemann zu Beuth, daher auch zur „Beuthstraße“. Archivfoto: Alex Völkel

So wie Helene Wessel, nach der immer noch eine Dortmunder Straße benannt ist. Nur weil sie eine Frau war und Schreibtischtäterin dazu – das macht es nicht wirklich besser.

Ein anderes Beispiel kommt in der Bezirksvertretung an diesem Tag, da „unser Omma“ am Europabrunnen endgültig scheitert, zur Sprache. Thema ist kurz die Umbenennung der Beuthstraße. Hier solle für die nächste Sitzung ein neuer Straßenname gefunden werden, erklärt BV-Chef Fuß.

Mit gutem Grund: Der preußische Ministerialbeamte und Gründer des Preußischen Gewerbeinstituts Christian Peter Beuth (1781-1853) war glühender Antisemit, wie eine jüngste Expertise aus dem Hause von Stadtdirektor Jörg Stüdemann zeigt.

Und: Das Dortmunder „Haus der Vielfalt“ hat hier in der Beuthstraße seine Adresse, „die verstörender nicht sein kann“, heißt es in einem BV-Antrag von Grünen und SPD. Ihre Lösung: „Als Vorschlag für eine Neubenennung ist die ,Straße der Vielfalt‘ zu empfehlen.“

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Reaktionen

  1. Pressemitteilung von „Die PARTEI“: „Unser-Omma-Ihr-Platz“ geht in die dritte Runde

    Pressemitteilung von „Die PARTEI“: „Unser-Omma-Ihr-Platz“ geht in die dritte Runde

    Bereits zweimal hat Die PARTEI in der Bezirksvertretung Innenstadt-West beantragt, den zentralen Platz am Europabrunnen „Unser-Omma-Ihr-Platz“ zu nennen. Trotz der euphorischen Rückmeldungen aus der Bevölkerung sowie der überaus positiven Resonanz aus der Presse, konnte sich der Vorschlag in der Bezirksvertretung nicht durchsetzen.

    Mit einer überwältigenden Ablehnung von 16 Stimmen, bei nur einer „Ja“-Stimme, wurde der Antrag der PARTEI abgeschmettert. Das Dortmunder Urgestein „Günna“ bescheinigte den Verantwortlichen damals eine verpasste Chance. Die Antragstellerin und Mitglied der BV Innenstadt –West für Die PARTE Bettina Neuhaus versprach, weiter für die Omma zu kämpfen.

    Die Fraktion Die FRAKTION der Partei Die PARTEI im Rat der Stadt Dortmund wird nun den dritten Anlauf starten, unseren Großmüttern einen angemessenen Platz zu widmen. Diesmal sollen die Bürgerinnen und Bürger der Stadt mithelfen, einen schönen, sonnigen und zentralen Ort vorzuschlagen, so der Antrag der PARTEI, der als Tagesordnungspunkt 3.12 auf der Sitzung des Rates am 20.05. behandelt wird. „Einfacher wäre es sicherlich, in einem Neubaugebiet am Stadtrand eine Fläche zu widmen, jedoch wäre das kein Erholungsplätzchen, wie es sich unsere Omas wünschen würden“, so Stefan Dondrup, FRAKTIONs- und Ratsmitglied.

    Eine verpasste Chance für den Bezirk Innenstadt-West bedeutet noch nicht das Aus für Dortmund, ein echtes Highlight im Verzeichnis der lokalen Plätze zu bekommen. „Der Platz an der Kleppingstraße wird nun nach einem mittelalterlichen Maler benannt, aber die Hoffnung bleibt, dass unsere Ommas noch ein schönes Plätzchen in der Nähe bekommen“, freut sich Bettina Neuhaus.

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