Dagegen gab es eine Kundgebung für die Selbstbestimmung von Frauen:

Holländische Abtreibungsgegner demonstrieren vor einer Arztpraxis und relativieren den Holocaust

Zahlreiche bunte Plakate und Transparente schmückten den Protest gegen die Abtreibungsgegner. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Drei Abtreibungsgegner protestierten am Mittag des 30. Novembers 2022 am Körner Hellweg gegen eine neu eröffnete gynäkologische Praxis. Bereits kurz nach dem Aufbau wurde ein Transparent der religiösen Fundamentalisten mit dem Schriftzug „Abtreibung ist Babycaust“ von der Polizei sichergestellt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sammelten sich etwa 50 Menschen unter dem Motto „My body my choice – Solidarität mit allen Abtreibenden“, die mehr Selbstbestimmungsrechte forderten.

Schlechte Versorgungssituation für Schwangerschaftsabbrüche in Dortmund

Bereits im Juli diesen Jahres hatte Nordstadtblogger über die unzureichende Versorgungslage in Dortmund in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche berichtet. Die Zahl der Gynäkolog:innen, die den Schwangerschaftsabbruch durchführen ist auf ein Minimum gesunken: Gab es 2012 noch neun Ärzt:innen, sind es derzeit vier.

„Die Partei“ machte u.a. auf die Abtreibung mithilfe eines Kleiderbügels aufmerksam, die für Schwangere lebensgefährlich sind. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Dies sei „ein großes Problem für Schwangere, die einen Abbruch vornehmen lassen wollen“, so Jenny Brunner, Ratsmitglied der Grünen. Je weniger Möglichkeiten es gebe, desto länger würden die Wartezeiten, die die schwierige Situation der schwangeren Personen weiter verschärfe. „Deshalb ist die Eröffnung der neuen Klinik eine gute Nachricht“, resümierte sie. 

Die Dortmunder SPD hatte im Vorfeld zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen, denn sie begrüße „ausdrücklich die Eröffnung einer Tagesklinik zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Ärztin Gabie Raven in Dortmund. Damit gibt es jetzt vier Anlaufstellen für Schwangere in Dortmund, die einen solchen Eingriff vornehmen lassen möchten.“

Abtreibungsgegner reisten aus Holland an – und waren deutlich in der Unterzahl

Nachdem es bereits am Samstag eine Protestaktion von Abtreibungsgegner:innen vor der Praxis gegeben hatte, erhofften sich die Gegen-Demonstrant:innen heute einen solidarischen Widerstand gegen die religiösen Fundamentalisten. Das Ergebnis: Drei Abtreibungsgegner sahen sich mit etwa 50 „My body my choice“- Protestierenden konfrontiert.

Auch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund, Maresa Feldmann,  ergriff das Wort. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Im Rahmen der Selbstbestimmungskundgebung, an der neben Antifaschist:innen auch Initiativen, Bündnisse und Parteien teilnahmen, wurde der behandelnden niederländischen Ärztin Gabie Raven vermehrt gedankt. Sie und ihr Team nahmen kurzzeitig auch an der Versammlung teil und versorgten die Demonstrant:innen mit warmen Getränken und Gebäck.

Laut wurde auch die Forderung, den Schutz der Mitarbeitenden und Patient:innen der Praxis zu gewährleisten. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund Maresa Feldmann sagte: „Wir müssen die Rechte von ungewollt Schwangeren schützen und die Praxen von Mediziner:innen verteidigen.“

Auch die Dortmunder AWO hatte zur Teilnahme am Gegenprotest aufgerufen. Sie  begrüßt das neue Praxisangebot, durch das schwangere Frauen in Konflikt- und Notlagen besser versorgt werden könnten: „Wir wollen als AWO wollen die Rechte von ungewollt Schwangeren schützen und die Arbeit von Mediziner:innen, Berater:innen und Praxisangestellten verteidigen! Wir wollen zeigen, dass sexuelle Selbstbestimmung ein Menschenrecht ist, und viele in Dortmund dieses Recht verteidigen wollen und werden“, sagte die AWO-Vorsitzende Anja Butschkau, zugleich frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion.

Holocaust- Relativierungen blieben nicht aus

Die Protestaktion der religiösen Fundamentalist:innen am vergangenen Samstag war im Internet angekündigt worden. Die einschlägigen Internet- Websiten zeigen Fotos des Gebäudes und des Praxiseingangs unter dem Namen „Körne- Babycaust- Center“. Die Ärztin wird als „holländische Tötungsspezialistin“, die Praxis als „Kinderschlachthof“ bezeichnet. Auf der Startseite einer Website finden sich bewusste Holocaust-Relativierungen wie „damals KZ’s, heute OP’s“. Die Frage, ob es eine Steigerungsform des Holocausts der Nazis im dritten Reich gebe, wird offen bejaht.

Das Transparent wurde nach kurzer Zeit entfernt. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Deshalb überraschte das Transparent der niederländischen Abtreibungsgegner mit der Aufschrift „Abtreibung ist Babycaust“ am Mittwoch kaum. Das Banner wurde kurze Zeit später von der Polizei sichergestellt. In mehreren Gesprächen mit Medienvertreter:innen setzten die Abtreibungsgegner Abtreibungen mit dem Holocaust gleich. Auf Nachfrage von Nordstadtblogger, ob sie wirklich der Überzeugung seien, dass die systematische, europaweite Ermordung von sechs Millionen Jüd:innen so schlimm sei wie Abtreibungen, entgegnete einer der Dreien, dass Abtreibungen noch schlimmer seien.

Jenny Brunner von den Grünen sieht Holocaust- Vergleiche problematisch: „Wenn nun verblendete religiöse Fanatiker*innen gegen die neue Klinik demonstrieren und Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust vergleichen, dann ist das nicht nur ekelhaft gegenüber den betroffenen Personen. Es verhöhnt auch die Opfer des Holocausts.“

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Reaktionen

  1. Ulrich Sander

    Das Transparent der Abtreibungsgegner:innen zum „Babycaust“ wurde wegen Leugnung bzw Relativierung des Holocaust von der Polizei eingezogen. Was wird nun mit „Holodomor“? Eine Relativierung des Holocaust, am 30. 11. 22 vom Bundestag in einer geschichtsrevisionistischen Abstimmung als verbindlich erklärt! Moskau soll Anfang der dreißiger Jahre in der Ukraine eine Hungersnot größten Ausmaßes ausgelöst haben. Diese Hungersnot gab es aber im ganzen Land, es gab Unionsrepubliken mit größeren Ausmaßen als in der Ukraine. Es gab natürliche Gründe und politische Fehler, aber keinen Holocaust/Holodomor/Genozid in der Ukraine und im ganzen Land. Siehe Wikipedia, 26. 11. 22, wo knapp eine Million Opfer der Hungersnot in der UdSSR von 1932/33 genannt werden. Bei der russischen Hungersnot von 1921 organisrte Albert Einstein ein „Komitee für die Hungernden in Russland“, dies war 1933 nicht mehr möglich; allerdings gab es Versuche bürgerlicher Kräfte, der UdSSR zu helfen. Der rechtsextremistische „Dachverband ukrainischer Organisationen in Deutschland e.V.“ versucht seit Jahren, den „Holodomor“ durch den Bundestag als Völkermord verurteilen zu lassen – nun war er erfolgreich. – Womöglich weit reichende Fragen wirft die Bundestagsresolution (zur Geschichtsrevision in Sachen Russland/UdSSR) schließlich in Verbindung mit der im Oktober erfolgten Verschärfung von §130 StGB auf, wonach jetzt „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe“ stehen. Die Verschärfung ist als Angriff auf die Freiheit der Meinungsäußerung scharf kritisiert worden. In Zukunft könnte sie, gestützt auf die am 30. 11. 22 angenommene Bundestagsresolution, auch auf Äußerungen über die Hungersnot der Jahre 1932/33 in der Ukraine angewandt werden. Das träfe die Mehrheit der Geschichtswissenschaft außerhalb der Ukraine, die die Hungersnot für eine furchtbare Katastrophe hält – mit durchaus divergierender Einschätzung der Verantwortung Moskaus –, aber eben nicht für einen Genozid.

  2. Volker Maibaum

    Der Journalist und geachtete Antifaschisten Ulli Sander sollte den sprachlichen ethymologischen Hintergrund des Wortes Holodomor kennen. Hier Wikipädia: „Das Wort Holodomor setzt sich aus den zwei ukrainischen Wörtern holod und mor zusammen. Holod (голод) heißt „Hunger“. Mor ist ein altes ostslawisches Wort und bedeutet „Tod“, „Seuche“, „Massensterben“. Im modernen Sprachgebrauch sowohl des Ukrainischen als auch des Russischen bedeutet es „Vertilgung“. Holodomor heißt somit wörtlich übersetzt „Hungertod“. Es besteht kein sprachgeschichtlicher Zusammenhang mit dem Wort Holocaust. Der Begriff tauchte erstmals in den 1960ern auf und setzte sich in den 1980ern durch.“

  3. Mittwoch: Demo FÜR Schwangerschaftsabbrüche „Mein Körper. Meine Entscheidung.“ (PM Die Linke+)

    Am Mittwoch, 22. Februar, wird es um 13 Uhr in Dortmund-Körne eine Demo von Menschen geben, die eine klare Haltung zum Thema „Schwangerschaftsabbruch“ haben. Dazu gehört auch Sonja Lemke, Mitglied für DIE LINKE+ im Rat der Stadt Dortmund. „Jede Frau hat das Recht, ohne staatliche Bevormundung und Belehrung über sich und ihren Körper zu entscheiden. Das heißt: Der Paragraf 218 gehört weg. Er muss ersatzlos gestrichen werden. Denn Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht“, sagt Sonja Lemke.

    Grund für die Demo am Mittwoch, die von einem Mitglied der Partei DIE LINKE angemeldet wurde: Zur selben Uhrzeit wollen sich Abtreibungsgegner vor einer Abtreibungsklinik in Dortmund-Körne formieren. Und das, obwohl der Rat der Stadt im Dortmund 2022 betroffenen Frauen seine Solidarität ausgesprochen hat.

    „Der Rat bekennt sich zu dem Ziel, dass Schwangere selbstbestimmt über ihre Schwangerschaft entscheiden können und für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch eine gute medizinische Versorgung in Dortmund vorfinden müssen.“So lautete vor zwei Monaten der Beschluss, den außer FDP/Bürgerliste, CDU und AfD alle Faktionen mitgetragen haben. Diese breite Mehrheit im Rat der Stadt Dortmund begrüßte ausdrücklich die Eröffnung einer Praxisklinik in Körne, in der auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden – und die nun erneut im Mittelpunkt von zwei gegensätzlichen Kundgebungen steht.

    Sonja Lemke ist verärgert, dass wieder eine Mahnwache von Antreibungsgegnern geplant ist und hofft, dass sich viele Dortmunder*innen an der Gegen-Demo beteiligen. „Wir leben im Jahr 2023. Es kann nicht sein, dass die Selbstbestimmung immer noch so stark eingeschränkt wird. Und neben der rechtlichen Situation haben Schwangere in Dortmund und in den meisten Orten in Deutschland auch noch das Problem, dass es kaum Praxen gibt, die einen Abbruch überhaupt durchführen. Der Rat der Stadt Dortmund ist deshalb zu Recht sehr froh, dass die neue Klinik ungewollt Schwangeren einen sicheren Zugang zu einem medizinischen Eingriff ermöglicht.“

    Termin: Mittwoch, 22. Februar 2023, 13 Uhr, Körner Hellweg 142.

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